Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 23.02.2015 – Az.: S 42 AY 19/13

URTEIL

In dem Rechtsstreit
1. xxx,
2. xxx,
beide wohnhaft xxx
– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Landkreis xxx,
– Beklagter –

hat die 42. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2015 durch den Richter am Sozialgericht xxx als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richterinnen xxx und xxx für Recht erkannt:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 08.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2013 verpflichtet, den Klägern ab dem 01.09.2012 bis zum 31.12.2012 gemäß § 6 Absatz 1 AsylbLG weitere Leistungen zum Ausgleich der Energiekosten für Warmwasserversorgung i. H. v. monatlich 17,20 Euro zu zahlen.

Die außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt der Beklagte.

Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND
Die Beteiligten streiten um die Kosten für Warmwasserversorgung.

Die Kläger, die vom Beklagten laufende Leistungen nach §§ 1, 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) erhalten, leben in einer von ihnen selbst angemieteten Wohnung in xxx. Sie erwärmen das Brauchwasser mittels eines gasbetriebenen Durchlauferhitzers. Hierfür fordert die Fa. xxx als Energielieferant monatlich 26,00 € von den Klägern. In Form von Abschlägen. Tatsächlich zahlen die Kläger aber monatlich 30,00 €, die direkt vom Beklagten an Fa. xxx überwiesen und von den laufenden Leistungen nach dem, AsylbLG an die Kläger einbehalten werden.

Mit Bescheid vom 08.01.2013 regelte der Beklagte die Leistungen für die Zeit ab September 2012 insoweit neu, als die bis dahin vorgenommene Kürzung der Leistungen in Gestalt einer sog. Warmwasserpauschale entfiel. Am 17.01.2013 legten die Kläger Widerspruch ein und machten einen Mehrbedarf in entsprechender Anwendung von § 30 Abs. 7 SGB XII zur Abgeltung der Energiekosten für die Warmwasserbereitung geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kläger hätten lediglich einen Anspruch auf laufende Leistungen in Höhe der vom Bundesverfassungsgericht am 18.07.2012 getroffenen Übergangsregelung. Dass dabei die Warmwasserkosten “außen vor blieben” bei der Bemessung der Leistungen nach § 3 AsylbLG müsste aufgrund der pauschalierten Berechnungsweise von den Klägern hingenommen werden. Individuelle Mehrleistungen, die über die Leistungen nach der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts hinausgingen, könnten nicht gewährt werden. § 30 Abs. 7 SGB XII sei für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nicht anzuwenden.

Die Kläger haben am 04.03.2013 Klage erhoben. Sie meinen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17.08.2012 eine analoge Anspruchsgewährung nach § 30 Abs. 7 SGB XII zugelassen hätte. Andernfalls wäre eine Verfassungsmäßigkeit der “neuen Leistungen” nach der Übergangsregelung nicht gewährleistet.

Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2013 zu verurteilen, ihnen ab dem 01.09.2012 gemäß § 6 Abs. 1 AsylbLG weitere Leistungen zum Ausgleich der Energiekosten für Warmwasserversorgung i. H. v. monatlich 17,20 Euro zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen und verteidigt die angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die zulässige Klage ist begründet. Den Klägern stehen die klagweise geltend gemachten Leistungen zu; weshalb der angefochtene Bescheid vom 08.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2013 dahingehend zu ändern ist, dass die Kläger monatlich weitere 17,20 € für die Warmwasserbereitung erhalten.

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Kläger ist § 3 Abs. 1 Satz in Verbindung mit Abs. 2 Satz AsylbLG.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist u.a. der “notwendige Bedarf” der Kläger an Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts, wozu auch Strom gehört, vom Beklagten zu decken.

Der notwendige Bedarf wird vom AsylbLG- nicht selbst nicht definiert. Anders gewendet: Er ist als unbestimmter Rechtsbegriff von der Rechtsprechung auszufüllen. Die Kammer lehnt sich dabei zunächst an die herrschende Rechtsauffassung zur Definition der “notwendigen Kosten” im Zivilprozessrecht an. Darunter sind diejenigen Kosten zu verstehen, die durch solche Handlungen der Parteien angefallen sind, die zur Zeit ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet erschienen, das im Streit stehende Recht zu verfolgen oder zu verteidigen, notwendig (vgl. hierzu Thomas-Putzo, ZPO, § 91 RNr. 9).

Objektiv erforderlich und geeignet, den Bedarf der Kläger an Strom zu decken, ist (nur) die vollständige Übernahme der gesamten Kosten des Stromverbrauchs in der Unterkunft der Kläger. Dieses Ergebnis passt auch in das Leistungssystem des AsylbLG. Der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts wird für grundleistungsberechtigte Personen (wie es die Kläger sind) gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 AsylbLG zunächst durch Sachleistungen gedeckt. Mit der Sachleistungsgewährung nach § 3 Abs. 1 S. 1 AsylbLG ist der Ausländer regelmäßig in einer Aufnahmeeinrichtung (§ 44 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylVfG), Ausreiseeinrichtung (§ 61 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz) oder in sonstigem Wohnraum (Übergangsheim, Wohnheim etc.) untergebracht. Regelmäßig fallen in solchen Einrichtungen für die Unterbringung von Leistungsberechtigten geringere Kosten an als bei einer dezentralen Unterbringung in Wohnungen. Auch aus diesem Grund wird in der Literatur (Frerichs, in jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG Rn. 53 bis Rn. 55) und in Teilen der Rechtsprechung (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.04.2013, L 20 AY 112/12 B, juris) die Auffassung vertreten, dass der notwendige Bedarf an Unterkunft i.S.d. § 3 AsylbLG insoweit bereits begrifflich geringer sei als der Bedarf an einer Unterkunft mit “angemessenen” Aufwendungen i.S.d. § 35 Abs. 2 SGB XII. Aber auch bei einer Ersatzleistung im Sinne des § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG komme grundsätzlich die Anmietung einer privaten Mietwohnung nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Frerichs, a.a.O., Rn 30 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 06.10.2011, Az. B 14 AS 171/10 R). Systemprägend im Asylbewerberleistungsrecht sei die konkret-individuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen. Wegen der Abhängigkeit vom konkreten Bedarf des Leistungsberechtigten lasse sich ein der pauschalierten Regelleistung vergleichbarer monatlicher Wert der Leistungen nicht feststellen. Selbst wenn die Hilfe nach dem AsylbLG als Geldleistung gewährt würde, führe dies nicht zu einer Vergleichbarkeit der Regelungen des SGB II und des AsylbLG. Dies folge daraus, dass die Beträge des § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG weder mit noch ohne Taschengeld gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG einen im Vergleich zum SGB II identischen Prozentsatz abbildeten.

Folgt -man der vorgenannten Rechtsauffassung im Ansatz, dann kann man die Bedarfe, und damit auch den Bedarf an Strom, von Leistungsempfängern von Grundleistungen weder mit den Bedarfen von Analogleistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG noch Leistungsbeziehern nach den SGB II und XII in gleicher Weise bestimmen. Dabei kann die Kammer zunächst dahinstehen lassen, ob der vorgenannten Rechtsauffassung (nur) bei einer Unterbringung eines Leistungsberechtigten in einer Einrichtung zu folgen wäre. Denn im hier zu entscheidenden Fall liegt der Sachverhalt anders. Die Kläger haben mit Wissen und im Einverständnis des Beklagten die streitbefangene Wohnung in xxx angemietet. Solange es der Beklagte den Klägern gestattet, in dieser privat angemieteten Wohnung zu leben, muss er auch die (vollen) Stromkosten dieser Wohnung übernehmen. Denn das AsyIbLG kennt von vornherein keine Begrenzung auf ein wie auch immer festzulegendes oberes Angemessenheitsniveau, wie es etwa bei den Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII vorgesehen ist (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Es bedarf einer solchen Begrenzung auch nicht, da das Gesetz selbst bei Analogleistungen nach § 2 AsylbLG nach dessen Abs. 2 sogar eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gestattet und ohnehin außerhalb der Leistungen nach § 2 AsyIbLG für die Gebrauchs- und Verbrauchsgüter regelmäßig – wie oben dargelegt – nur eine Sachleistungsgewährung vorsieht (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG); bei solchen Unterbringungen kann der Leistungsträger nach dem AsylbLG die Entstehung von zu hohen Stromkosten von vornherein der Höhe nach steuern.

Soweit der Beklagte einwendet, dass bei der Übernahme dieser Kosten nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG- gelte, dass sozialhilferechtlich unangemessene Kosten nicht zu übernehmen seien, findet diese Rechtsansicht für Grundleistungsberechtigte nach §§ 1, 3 AsylbLG nach Ansicht der Kammer im Gesetz keine Stütze. Das Gesetz behandelt nach § 2 Abs. 1 i. V. m. den Vorschriften des SGB XII Analogleistungsberechtigte und Grundleistungsempfänger nach §§ 1, 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG nämlich unterschiedlich (vgl. auch BSG, Urteil vom 06.10.2011, Az. B 14 AS 171/10 R). Systemprägend im Asylbewerberleistungsrecht ist nach Ansicht des 14. Senats des BSG die konkret-individuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG; vgl. Frerichs in jurisPK-SGB XII, § 3 AsyIbLG RdNr. 30). Wegen der Abhängigkeit vom konkreten Bedarf des Leistungsberechtigten lässt sich ein der pauschalierten Regelleistung vergleichbarer monatlicher Wert der Leistungen nicht feststellen. Selbst wenn die Hilfe nach dem AsylbLG als Geldleistung- gewährt wird, führt dies nicht zu einer Vergleichbarkeit der Regelungen des SGB II und des AsylbLG. Dies folgt daraus, dass die Beträge des § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG weder mit noch ohne Taschengeld gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG einen im Vergleich zum SGB II identischen Prozentsatz abbilden.

Wenn im Einzelfall unter gewissen Umständen Grundleistungsberechtigte besser gestellt werden, weil sie nach- der Rechtsprechung der erkennenden Kammer (vgl. Beschluss vom 01.02.2012, S 42 AY 177/10 ER, juris Rn. 79 ff.) Sachleistungen beanspruchen können, ist das hinzunehmen. Die Kammer macht hierzu auf das sich vom AsylbLG unterscheidende Herangehen des Gesetzgebers im Bereich im SGB II / SGB XII nach der Gesetzesänderung vom 11.03.2011 aufmerksam. Dem SGB II und SGB XII liegt nach der Konzeption der dortigen Regelsätze nicht – wie im Bereich des AsylbLG – ein festes Warenkorbmodell zugrunde, sondern der Gesetzgeber hat sich für das sogenannte Statistikmodell entschieden.

Hiernach obliegt es dem Hilfeempfänger im Bereich des AsylbLG, seine Bedarfe in den einzelnen Bedarfsgruppen aus den Grundleistungen eigenverantwortlich zu bestreiten. Da nach der gesetzlichen Konzeption der Grundleistungen kein- statischer Warenkorb- festgelegt ist, der dem Hilfebedürftigen zur Verfügung steht, sondern dieser mit dem ihm zur Verfügung gestellten Geld wirtschaften und seinen notwendigen Lebensunterhalt gegebenenfalls auch durch Umschichtung der für die einzelnen Bedarfsgruppen zur Verfügung stehende Mittel bestreiten soll, liegt hierin der vom Gesetzgeber vorgesehene und deshalb auch sachlich gerechtfertigte Grund für die Ungleichbehandlung zwischen Analogleistungsberechtigten und- Grundleistungsberechtigten.

Die Grundleistungsberechtigten erhalten auch nach der Übergangsregelung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 keinen Regelsatz, sondern haben nach wie vor Anspruch auf Sachleistungen, der nur in Fällen der Erforderlichkeit im Sinne der Kammerrechtsprechung durch Ersatz- bzw. Geldleistungen abgelöst werden kann. Dieser Anspruch besteht für die einzelnen im § 3 Abs. 1 genannte Bedarfe der Leistungsempfänger. Insofern sind diese Bedarfe einzeln zu betrachten und es ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, dass für eine andere Bedarfsgruppe, die eventuell durch Sachleistungen gedeckt werden kann, eine Ersparnis bei der Leistungsbehörde dadurch auftreten kann, dass sie sich für eine Sachleistungsgewährung entscheidet.

Da die Kläger ausdrücklich nur monatlich 17,20 € an weiteren Leistungsansprüchen geltend machen, war im Tenor die Verurteilung des Beklagten entsprechend zu beschränken.

Ob der Anspruch der Kläger unabhängig von den vorstehenden Überlegungen auf eine analoge Anspruchsgewährung nach § 30 Abs. 7 SGB XII gestützt werden kann, kann dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Da die Klärung des unbestimmten Rechtsbegriffes des “notwendigen Bedarfs” in § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht abschließend erfolgt ist, hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, weshalb die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen ist.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.