Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 17/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.04.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 32/14 R

Nachzahlungen des Arbeitgebers während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II sind laufende Einnahmen, welche im Zuflussmonat anzurechnen sind.

Ihre Berücksichtigung erst im Folgemonat auf der Grundlage von § 11 Abs 3 S 2 SGB II, der sich auf einmalige Einnahmen bezieht, kam deshalb von vornherein nicht in Betracht.

Leitsätze (Autor)
1. Laufende Einnahmen sind solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig zu erbringen sind oder zu erbringen wären. Bei einmaligen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung. Wenn Einnahmen aus ihrem Rechtsgrund heraus regelmäßig zu erbringen sind, ändert sich ihr Charakter als laufende Einnahme nicht dadurch, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – dem Berechtigten zeitweise ganz oder teilweise vorenthalten und erst später in einem Betrag nachgezahlt werden.

2. Ohne Bedeutung ist es für die Abgrenzung auch, ob das Rechtsverhältnis, auf dem die Zahlung beruht, zum Zeitpunkt der Zahlung noch bestanden hat oder schon beendet war. Denn auch dies ändert den Charakter der Zahlung als eine auf einem einheitlichen Rechtsgrund beruhende und an sich regelmäßig zu erbringende Einnahme nicht.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R

Eine Antragsrücknahme (hier wegen des Zuflusses von Überbrückungsgeld) ist nach Zugang des Antrags nicht mehr möglich, wenn – wie hier – eine materiell-rechtliche Leistungsvoraussetzung verändert werden soll.

Es handelt sich insoweit um eine im Grundsicherungsrecht nicht zulässige einseitige Disposition über die Gestaltung des Sozialrechtsverhältnisses. Sie bewirkt einen nachträglichen Eingriff in die materiell-rechtliche Rechtslage, wie sie sich zu Beginn des durch den Antrag eröffneten Verwaltungsverfahrens darstellt.

Leitsätze (Autor)
1. Die Bestimmung, ob ein Zufluss materiell-rechtlich als Einkommen oder als Vermögen im Sinne einer Voraussetzung für das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit zu werten ist, unterliegt – wenn sich der Antragsteller durch den Antrag in das Regime des SGB II begeben hat – nicht mehr dessen rechtlicher Disposition, zumindest nicht innerhalb des Antragsmonats.

2. Wenn eine Einnahme nach Antragstellung nicht mehr als Einkommen, sondern als anrechnungsfreies Schonvermögen gelten soll, werde die Hilfebedürftigkeit in die Verfügungsbefugnis des Antragstellers gestellt. Dies würde dem Zweck des Antragserfordernisses und dem Zweck des SGB II, Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, zuwider laufen.

3. Aus diesem Grunde kann der Antragsteller sein Begehren auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Es handelt sich hier bei der “Verschiebung der Wirkung des Antrags” nicht um eine rechtlich zulässige Gestaltungsmöglichkeit.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.3 – BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 39/14 R

Verfassungsmäßigkeit des automatisierten Datenabgleichs

Leitsätze (Autor)
1. Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den automatisierten Datenabgleich der Jobcenter zur Ermittlung von Kapitalerträgen.

2. Bezieher von ALG 2 müssen den Datenabgleich der Jobcenter in der von § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II vorgesehenen Form hinnehmen. Die Vorschrift ist eine gesetzliche Grundlage im Sinne der datenschutzrechtlichen Regelungen im SGB I und SGB X, die den Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigt, weil sie dem Gebot der Normenklarheit und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 18.12.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Beschluss vom 18.12.2014 – B 14 AS 270/14 B

Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet die Antragstellerin die Frage, “inwieweit eine Verletztenrente gemäß § 56 SGB-VII als zu berücksichtigendes Einkommen im Rahmen einer Leistungsgewährung gemäß SGB-II anzusehen ist”. Beschwerde wurde als unzulässig verworfen.

Leitsatz (Autor)
Berücksichtigung des Zahlbetrags der Verletztenrente bei der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung.

Quelle: dejure.org/dienste/vernetzung

3.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 02.12.2014 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 66/13 R

Leistungsausschluss – Unterbringung in einer stationären Einrichtung – Einrichtungsbegriff – Beginn der Frist des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II – Prognoseentscheidung

Der Antragsteller war bei der auf 26 Wochen angelegten Aufnahme in der Klinik während des Aufenthalts dort von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. In Betracht kommt aber ein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gegen den zuständigen Träger der Sozialhilfe

Leitsätze (Autor)
1. Der Antragsteller war in einer stationären Einrichtung iS von § 7 Abs 4 S 1 SGB II untergebracht und daher währenddessen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

2. Dem steht die Rückausnahme nach § 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB II nicht entgegen. Zwar ist auch eine Rehabilitationsklinik für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ein Krankenhaus im Sinne der Vorschrift. Dies gilt auch bei Kostenübernahme durch den Rentenversicherungsträger.

3. Jedoch war die Unterbringung nicht auf weniger als sechs Monate angelegt. Maßgeblich für die dafür anzustellende Prognose ist der Zeitpunkt der Aufnahme in die Klinik und nicht der Zeitpunkt der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II. Ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II eingreift oder ausnahmsweise nicht besteht, lässt sich für die voraussichtliche Dauer der Unterbringung nur einheitlich und deshalb nur aus der Perspektive bei Aufnahme in das Krankenhaus beurteilen; ein Wiederaufleben eines zunächst ausgeschlossenen Anspruchs bei einem Krankenhausaufenthalt von voraussichtlich nicht unter sechs Monaten durch eine spätere Antragstellung ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.2 – BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 56/13 R

Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II – Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen – keine Minderung des Erstattungsbetrages nach § 40 Abs 2 S 2 SGB 2 aF bei Guthaben nach § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF – Verfassungsmäßigkeit

Bei Aufhebungen wegen Betriebskostenguthaben ist kein Abzug hinsichtlich der berücksichtigten Kosten für Unterkunft und Heizung vorzunehmen.

Leitsätze (Autor)
1. Gutschriften mindern nach § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF unmittelbar den Bedarf an Leistungen für die Unterkunft. Entsprechende Kürzungen beruhen also darauf, dass der im Grundsatz anerkannte Bedarf für entsprechende Leistungen im Monat nach dem Zufluss geringer oder ganz entfallen ist, dagegen nicht darauf, dass Kosten der Unterkunft im Sinne der Abgrenzung zwischen SGB II und WoGG nicht berücksichtigt worden sind.

2. Ungeachtet der Guthabenshöhe kann deshalb bei Aufhebungen wegen Betriebskostenguthaben ein wohngeldrechtlicher Nachteil nicht entstehen und besteht kein Anlass für den Nachteilsausgleich nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF.

3. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2015 – L 19 AS 2233/14 B – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Nachzahlung von polnischer Rente – Verteilzeitraum

Nachzahlungen von Sozialleistungen sind nicht als einmalige Einnahme zu werten.

Bei der Gutschrift des Nachzahlungsbetrages des polnischen Rentenversicherungsträgers handelt es sich um anrechenbares Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Eine Anrechnung wie einmaliges Einkommen mit Verteilung auf sechs Monate ist rechtswidrig.

Leitsätze (Autor)
1. Allerdings handelt es sich bei dem Nachzahlungsbetrag um eine laufende Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 2 S. 1 SGB II, die für den Monat zu berücksichtigen ist, in dem sie zufließt.

2. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 S. 3 SGB II, wonach § 11 Abs. 3 SGB II für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, entsprechend anwendbar ist, ist nicht einschlägig.

3. Laufende Einnahmen sind solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden, bei einmaligen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung. Eine nachträgliche Erbringung einer an sich laufenden Einnahme ändert deren Qualifizierung nicht (vgl. BSG Urteile vom 16.05.2012 – B 4 AS 154/11 R, vom 07.05.2009 – B 14 AS 4/08 R -, vom 16.12.2008 – B 4 AS 70/07 R – und vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R ; vgl. auch Geiger in LPK-SGB II, 5 Aufl., § 11 Rn. 37 wonach die erste Auszahlung einer laufend zu zahlenden Leistung laufendes Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 2 SGB II ist, auch wenn ein aufgestauter Betrag zur Auszahlung kommt).

4. Der einmalige Nachzahlungsbetrag einer laufenden Leistung ist auch nicht als “aufgestauter Betrag” als Einkommen i.S.v. 11 Abs. 2 S. 3 SGB II zu werten. Unter der Regelung des § 11 Abs. 2 S. 3 SGB II fallen nur laufende Einnahmen, die zwar regelmäßig, aber nicht auf einander folgende Monate gezahlt werden (a. A. SG Osnabrück, Urteil vom 09.07.2014 – S 33 AS 133/13).

5. Dahinstehen kann, ob der Zufluss eines Nachzahlungsbetrages während des laufenden Bezuges einer monatlichen Sozialleistung in konstanter Höhe die Voraussetzungen der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Alg II -VO erfüllt (so LSG Bayern, Beschluss vom 28.01.2015 – L 7 AS 16/15 B ER). Diese Vorschrift räumt dem JobCenter lediglich ein Ermessen betreffend die Bildung eines Durchschnittseinkommens bei der Ermittlung des Bedarfs vor Erlass eines Bewilligungsbescheides ein, wenn zu erwarten ist, dass laufende Einnahmen in unterschiedlicher Höhe während des Bewilligungszeitraums zufließen. Diese Vorschrift findet im Fall der Rückabwicklung keine Anwendung. Damit ist der Nachzahlungsbetrag nicht wie einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu verteilen, sondern als laufende Einnahme auf die Bedarfe der vier Mitglieder für den Monat des Zuflusses vollständig anzurechnen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Im Ergebnis ebenso zur Nachzahlung von Sozialleistungen: SG Augsburg, Urteil vom 10.03.2015 – S 11 AS 1263/14 – Berufung anhängig beim BAY LSG Az. L 9 AS 247/15 – (Nachzahlung v. Witwenrente); LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2014 – L 19 AS 1860/13 B (Nachzahlung v. Kindergeld) und LSG NRW v. 22.7.2013 – L 2 AS 738/13 B – (Nachzahlung v. Verletztenrente).

4.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.04.2015 – L 2 AS 2299/14 B ER und – L 2 AS 2300/14 B – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsanspruch eines EU-Ausländers ohne materielles Aufenthaltsrecht

Leitsätze (Autor)
1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch auf EU-Bürger anwendbar, die sich ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten.

2. Mithin ist der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Antragsteller anzuwenden, weil er auch Ausländer bzw. EU-Bürger erfasst, die – wie der Antragsteller – wirtschaftlich inaktiv sind, ohne über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel (im Sinne des § 4 Satz 1 FreizügG/EU) zu verfügen.

3. Des Weiteren ist nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in Sachen Dano (Urteil vom 11.11.2014 – Az.: C-333/13, zitiert nach curia.europa.eu) der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jedenfalls in Bezug auf Ausländer, bei denen – eine Arbeitsuche nicht festgestellt werden kann, nicht europarechtswidrig.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso im Ergebnis: LSG NRW, Beschl. v. 09.04.2015 – L 2 AS 2247/14 B ER

4.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2015 – L 19 AS 170/15 B ER – rechtskräftig

Vorläufige Erbringung von Leistungen nach dem SGB II für griechische Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Leitsätze (Autor)
1. Allein die Tatsache, dass auch ohne Leistungen durch den Träger der Grundsicherung jedenfalls das Lebensnotwendige offenbar gesichert war, lässt eine Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Entscheidend ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden Zeitraum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht, das den Gesamtbedarf (vorliegend zumindest der Regelbedarf für Partner von jeweils 353,00 EUR bzw. ab dem 01.01.2015 von 360,00 EUR) vollständig deckt (vgl. BSG Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 32/08 R).

2. Leistungsträger dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern, die sich auf vergangene Umstände stützen, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Erkenntnisse ermöglichen. Die schlichte Behauptung, es müssten weitere finanzielle Mittel vorhanden sein, ist für eine Leistungsverweigerung nicht ausreichend (LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 01.04.2014 – L 19 AS 345 /14 B ER und 20.01.2010 – L 12 B 97/09 AS ER).

3. Allein die Unterschreitung eines tariflichen Arbeitsentgelts bei der Beschäftigung eines Familienangehörigen lässt dessen Arbeitnehmereigenschaft nicht entfallen.

4. Kein Leistungsausschluss wegen Aufenthalts zur Arbeitsuche bei Nichtvorliegen eines materiellen Aufenthaltsrechts im Inland.

Quelle: https://dejure.org

4.4 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER

Bulgarische Antragsteller haben Anspruch auf den Regelbedarf nach dem SGB II.

Leitsätze (Juris)
1. Unionsbürger, die die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU nicht erfüllen, die aber wegen der Freizügigkeitsvermutung nicht ausreisepflichtig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU), haben kein sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebendes Aufenthaltsrecht. Sie unterfallen daher nicht dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

2. Zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bei der Schaffung ungeschriebener Leistungsausschlüsse (Anschluss an BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – juris, Rn. 40).

3. Zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zum Familiennachzug.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2015 – L 31 AS 3028/14 B ER – rechtskräftig

Obliegenheitsverletztung – Selbstständiger – vollschichtige Tätigkeit – selbstständige Erwerbsfähigkeit

Es kann nicht Aufgabe des SGB II-Trägers sein, die zu gering kalkulierten Angebote des Antragstellers durch Leistungen nach dem SGB II zu “subventionieren”, um ihm konkurrenzlos günstige Angebote zu ermöglichen und damit mittelbar beim Generalunternehmer einen Vermögenszuwachs zu finanzieren.

Leitsatz (Juris)
Hilfebedürftigkeit ist nicht feststellbar, wenn der vollschichtig tätige Selbstständige die Obliegenheit verletzt, seine Aufträge kaufmännisch seriös zu kalkulieren.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.6 – LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14. November 2014 (Az.: L 3 AS 92/12):

Für unter 25-Jährige gilt keine andere Zumutbarkeitsgrenze für Wohnraum als für über 25-Jährige Leistungsberechtigte

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
Für unter 25jährige erwerbsfähige Leistungsberechtigte, welche aus schwerwiegenden Gründen im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II ihr Elternhaus verlassen, bestimmt sich die Angemessenheit von Unterkunftskosten einzig nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, besteht keine andere Zumutbarkeitsgrenze für Wohnraum als für über 25jährige Leistungsberechtigte, so dass kommunale Richtlinien des Inhalts, denenzufolge die Mietobergrenze für unter 25jährige Anspruchsberechtigte bei 80 v. H. des Miethöchstbetrags für über 25jährige Leistungsbezieher liegt, rechtswidrig sind.

4.7 – LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Dezember 2014 (Az.: L 3 AS 113/12):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. In § 10 Abs. 1, 1. Halbsatz SGB II bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass erwerbsfähigen Leistungsberechtigten prinzipiell die Ausübung fast jeder Arbeit und Beschäftigung ohne Rücksicht auf vorherige Kenntnisse und Fähigkeiten sowie ein etwaiges Verdienstniveau zumutbar ist.

2. Auch ungünstige Arbeitsbedingungen im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit (§ 16d SGB II) stellen für einen langzeitarbeitslosen “Berufsmusiker” keinen Grund für eine Unzumutbarkeit dieser Beschäftigung dar.

3. Eine langjährige Nichterwerbsfähigkeit und die Tatsache, dass eine erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht prognostiziert werden kann, rechtfertigt auch vom Jobcenter verfügte Eingliederungsversuche in berufsfremde Arbeitsbereiche, gerade wenn in der Vergangenheit nach den §§ 16 ff. SGB II vorbildungsbezogen durchführte Maßnahmen erfolglos verliefen.

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

5.1 – SG Augsburg, Urteil vom 10.03.2015 – S 11 AS 1263/14 – Berufung anhängig beim BAY LSG Az. L 9 AS 247/15

Nachzahlung Sozialleistung

Nachzahlungen von Sozialleistungen sind nicht als einmalige Einnahme zu werten.

Eine Nachzahlung einer laufenden Sozialleistung (hier Witwenrente für etwa ein Jahr) ist eine laufende Einnahme nach § 11 Abs. 2 SGB II, die für den Monat zu berücksichtigen ist, in dem sie zufließt (BSG, Urteil v. 21.12.2009 – B 14 AS 46/08 R).

Leitsätze RA Daniel Zeeb
1. Rentennachzahlungen während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II sind laufende Einnahmen, welche im Zuflussmonat anzurechnen sind.

2. Eine Berücksichtigung als einmalige Einnahme gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 SGB II scheidet bei der Nachzahlung von Sozialleistungen aus, da keine Einnahmen mit größeren als monatlichen Zeitabständen vorliegt. Es gibt nämlich überhaupt keinen Abstand zwischen Zahlungen, da nur eine Zahlung erfolgt (LSG NRW, Beschluss v. 28.05.2014 – L 19 AS 1860/13 B).

3. Auch § 2 Abs. 3 Alg II-VO ist vom Anwendungsbereich nicht eröffnet. Die Anwendung scheitert im Übrigen auch an der fehlenden Ausübung von Ermessen.

Anmerkung:
Ebenso im Ergebnis zu Nachzahlung von Sozialleistungen: LSG NRW, Beschluss vom 01.04.2015 – L 19 AS 2233/14 B – rechtskräftig

5.2 – SG Augsburg, Urteil vom 06.06.2014 – S 15 AS 58/14 – Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist seit dem 14.07.2014 am Bayerischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 16 AS 543/14 anhängig.

Nachzahlung von Sozialleistungen – Alg 1 – Mutterschaftsgeld

Nachzahlung von (eigentlich monatlich zustehenden) Sozialleistungen wie ALG I sind nur im Zuflussmonat zu berücksichtigen.

Das Mutterschaftsgeld ist als einmalige Einnahme zu behandeln.

Leitsätze (Autor)
1. Bei dem zugeflossenem Arbeitslosengeld handelt es sich um laufendes Einkommen, das nicht nach § 11 Abs. 3 SGB II aufzuteilen ist.

2. Die erste Auszahlung einer laufend zu zahlenden Leistung ist laufendes Einkommen, auch wenn wie hier ein aufgestauter Beitrag zur Auszahlung kommt (BSG, Urteil v. 21.12.2009 – B 14 AS 46/08).

3. Laufende Leistungen sind Leistungen, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden. Eine einmalige Erbringung einer an sich laufenden Einnahme ändert dabei grundsätzlich nicht deren Qualifizierung (BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 154/11 R).

4. Diese Grundsätze zugrunde gelegt, ist das Mutterschaftsgeld als einmalige Einnahme zu behandeln. Eine regelmäßige Erbringung ist weder gesetzlich vorgesehen, noch wurde dies vorliegend so umgesetzt.

5. Die Leistung wurde für die Zeit vor der Geburt und für die restliche Zeit in jeweils einem Betrag erbracht.

6. Dies begründet keine Regelmäßigkeit im Sinne der Vorschrift (vgl. dazu auch LSG München im Beschluss vom 13.02.2014 – L 7 AS 755/13 NZB, der die Frage aber letztlich offen lässt).

5.3 – Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 23.01.2015 – S 14 AS 4603/12

Grundsicherung für Arbeitssuchende – Durchlauferhitzer – eigener Stromzähler – gesonderte Erfassung der Warmwasserkosten – Mehrbedarf, Strom, Warmwasser

Ein abweichender Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 7 S. 2 SGB II besteht, wenn ein Leistungsberechtigter über eine technische Vorrichtung verfügt, mit der der konkrete Energieverbrauch zur dezentralen Wassererwärmung und die dadurch verursachten Kosten ermittelt werden können (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B).

Leitsätze (Autor)
1. Ein Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 7 SGB II besteht nur, wenn und soweit die leistungsberechtigte Person im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich finanzielle Aufwendungen für die dezentrale Warmwassererzeugung hatte.

2. Dies entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Heizkosten im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Diese werden nur insoweit als tatsächlicher Bedarf anerkannt, als sie im jeweiligen Leistungsmonat fällig werden, sei es als laufende Abschlagszahlung an den Vermieter oder das Versorgungsunternehmen (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 540/13 B).

3. Die Warmwasserbereitungskosten sind dann nicht pauschal, sondern konkret zu bestimmen, wenn die konkreten Wassererwärmungskosten durch eine technische Vorrichtung genau bestimmt werden können (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B und LSG NRW, Urteil vom 30.01.2014 – L 6 AS 1667/12).
So verhält es sich hier.

4. Bei einer fünfköpfigen Familie ist ein monatlicher Stromverbrauch für die Warmwasserbereitung i.H. v. 31, 31 Euro nicht unangemessen. Eine solche Unangemessenheit lässt sich insbesondere nicht aus den Pauschalen des § 21 Abs. 7 S. 2 1. HS SGB II ableiten. Denn diese dienen lediglich der Verwaltungsvereinfachung und kommen nur dann zur Anwendung, wenn sich anders als hier die Warmwassererzeugungskosten in Ermangelung entsprechender technischer Vorrichtung nicht konkret ermitteln lassen, sie stellen jedoch keine abstrakten Angemessenheitsgrenzen dar (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B).

Anmerkung:
Vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 27.01.2014 – L 19 AS 2013/13 NZB – wonach ein abweichender Bedarf sich auch aus der persönlichen Lebenssituation des Leistungsberechtigten, z. B. erhöhte Kosten aufgrund einer gesundheitlichen oder beruflichen Situation, oder aus den Bedingungen der Warmwassererzeugung in der Unterkunft, z. B. erhöhter Stromverbrauch durch veraltete Installationen, ergeben kann.

5.4 – Sozialgericht Frankfurt (Oder), Beschluss vom 7. April 2015 (Az.: S 25 AS 2705/14 ER):

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen – Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente – Anforderungen an die Ermessensausübung

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Bei der auf § 12a Satz 1 SGB II gestützten Aufforderung eines Jobcenters, einen Antrag auf vorzeitige Rente wegen Alters (§ 36 Satz 2 SGB VI) zu stellen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SG X, auch wenn die Rechtsfolge der vergeblichen behördlichen Aufforderung aus § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II folgt: Unter Verweis auf § 12a Satz 1 SGB II wird dem Antragsteller ein bestimmtes Tun aufgegeben.

2. Diese Verfügung steht aber im Ermessen des SGB II-Trägers. – Es hat hier z. B. amtlicherseits insbesondere berücksichtigt zu werden, wie sich die vorzeitige Rentenantragstellung für den Leistungsempfänger wirtschaftlich auswirkt, d. h. mit welcher Rentenhöhe (regulär und bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme) zu rechnen ist. Ein diesbezügliches Unterlassen macht diesen Verwaltungsakt rechtswidrig.

Anmerkung:
S. a. dazu Beitrag des RA Kay Füßlein – Abermals: Der gescheiterte Zwangsrentenantrag- Beschluss des SG Frankfurt/Oder vom 07.04.2015 – S 25 AS 2705/14 ER: www.ra-fuesslein.de

5.5 – Sozialgericht Magdeburg, Beschluss vom 8. April 2015 (Az.: S 14 AS 766/15 ER):

Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Vergangenheit

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Wenn umstritten ist, in welcher Weise der für die Bestimmung der Referenzmiete oder der Angemessenheitsgrenze im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II maßgebliche Vergleichsraum bemessen zu werden hat (z. B. ob der gesamte, ausreichend verkehrstechnisch erschlossene Landkreis oder nur ein Teilbereich hiervon die Grundlage darstellen kann), muss auf die Werte der Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von zehn v. H. abgestellt werden. Letzteres ist erforderlich, weil die auf der Grundlage des WoGG erhobenen Werte nicht den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt zutreffend abzubilden.

2. Wenn durch die Nichtgewährung ausreichender Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Vergangenheit beim Antragsteller Verbindlichkeiten im erheblichen Ausmaß aufgelaufen sind, welche zu einer gegenwärtigen Notlage führten (fristlose Kündigung der Wohnung durch den Vermieter wegen Zahlungsverzugs), dann hat ein Jobcenter auch rückwirkend Leistungen zu erbringen, vorausgesetzt der Wohnungsgeber hat sich dazu bereit erklärt, das Mietverhältnis nach einem Ausgleich der Mietschulden weiterzuführen, d. h. die Mietsache ist erhaltungsfähig und -würdig.

5.6 – SG Chemnitz, Gerichtsbescheid vom 12. Februar 2015 – S 10 AS 2625/13

SGB II-Bezieher haben regelmäßig sechs Monate Zeit, um überhöhte Unterkunftskosten zu senken.

Leitsätze (Autor)
1. Eine Verkürzung der Frist kann bei besonderen Umständen erforderlich sein, z.B. wenn die Grenzen angemessener Kosten bei weitem überschritten und binnen der Regelfrist unverhältnismäßig hohe Kosten auflaufen würden.

2. Da dies hier aber nicht der Fall sei, müsse das Jobcenter zumindest für sechs Monate die tatsächlichen Mietkosten übernehmen.

Quelle: www.justiz.sachsen.de

Anmerkung:
Vgl. SG Hildesheim, Beschl. v. 01.06.2010 – S 54 AS 149/10 (PKH) – Die Frist muss aber mindestens so lange laufen, bis die Betroffenen fristgemäß kündigen konnten; SG Koblenz, Gerichtsbescheid v. 20.05.2010 – S 16 AS 444/08 – ein Abweichen von dem Sechsmonatszeitraum nach unten ist begründungsbedürftig, in atypischen Fällen kann auch eine kürzere Frist festgelegt oder unter Umständen die Frist auch verlängert werden.

5.7 – Sozialgericht Köln, Urteil vom 10.02.2015 – S 7 AS 2502/13 – rechtskräftig

Stadt Köln verfügt über kein schlüssiges Konzept für die Bestimmung abstrakt angemessener Kosten der Unterkunft – Depressionen und Panikzustände machten Umzug von 1 Raumwohnung in 2 Raumwohnung erforderlich

Leitsätze (Autor)
1. Jobcenter muss im Einzelfall bei nachgewiesenen gesundheitlichen Einschränkungen tatsächliche Kosten der Unterkunft übernehmen.

2. Die Wohnung ist eine Wohnung, um dem Sicherheits- und Rückzugsbedürfnis der Antragstellerin Rechnung zu tragen, ohne ein Gefühl des “in der Falle Sitzens” auszulösen.

3. Bei der Gewährung der Tatsächlichen KdU wurde auf die derzeitigen Tabellenwerte nach § 12 WoGG als Obergrenze der Kosten der Unterkunft zurückgegriffen. Dabei ist ein Sicherheitszuschlag von 10% zu berücksichtigen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.8 – SG Karlsruhe, Urteil vom 27.01.2015 – S 16 AS 2695/14

Arbeitslosengeld II – Schülerbeförderungskosten nach § 28 Abs. 4 SGB II – Eigenanteil von 5 € aus der Regelleistung zumutbar

Den Eigenanteil kann die Behörde jedoch nicht verlangen, sofern dies dem Schüler unzumutbar wäre.

Leitsätze (Autor)
1. Es bestanden bereits starke Zweifel, ob ein 17 Jahre alter männlicher Schüler für etwa 2,5 km einfache Strecke zur Schule im innerstädtischen Verkehr überhaupt auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist.

2. Der Antragsteller kann die Scoolcard auch für jedwede andere Fahrt im Stadtverkehr, und somit auch im privaten Bereich zurücklegen, beispielsweise um Freunde zu besuchen oder einkaufen zu gehen. Die Aufbringung von 5,00 € monatlich aus der allgemeinen Regelsatz war für ihn somit zumutbar.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.03.2015 – L 5 SO 185/14 – Die Revision wird zugelassen.

Sozialhilfe – Kostenersatz durch Erben

Leitsatz (Juris)
Bei der Geltendmachung von Kostenersatzansprüchen gegen Erben nach § 102 SGB XII durch den Sozialhilfeträger ist regelmäßig kein Ermessen auszuüben, wenn alle Erben in gleicher Höhe entsprechend ihrem Erbteil in Anspruch genommen werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 02.04.2015 – L 8 SO 56/15 B ER

Leitpunkte (Juris)
1. Zur Glaubhaftmachung und Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutz.

2. Zur Beweislastverteilung zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit in der Grundsicherung.

3. Die eidesstattliche Versicherung dient lediglich als (zugelassenes) Beweismittel und ist keine feste Beweisregel in dem Sinne, dass eine Tatsache damit glaubhaft gemacht ist.

4. Auch die eidesstattliche Versicherung unterliegt einer Beweiswürdigung im Sinne der Glaubwürdigkeit.

1. Der Antragsteller bewohnte zusammen mit einer berufstätigen Frau seit 6 Jahren eine ihm gehörende Eigentumswohnung, bestreitet das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft.

2. Nach dem Verkauf der Wohnung im Juli meldete er sich aus dem Leistungsbezug ab, mietete gemeinsam mit seiner Bekannten eine Wohnung und stellte im Oktober desselben Jahres Antrag auf Grundsicherung.

3. Zum Verkaufserlös von 180.000 EUR gab der Antragsteller an, während des Leistungsbezugs aufgelaufene Schulden getilgt zu haben. Er belegte dies mit Abhebungen vom Girokonto und behauptete, zu weiteren Auskünften nicht verpflichtet zu sein.

4. Das SG verpflichtete die Antragsgegnerin für 4 Monate zur Regelleistung ohne Kosten der Unterkunft.

5. Die Beschwerde zum LSG hatte keinen Erfolg.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.   RAin Corinna Unger, Gera, Infobrief SGB II – Kurzmitteilungen für Praktiker 4/2015

Thema des Monats – Nachtrag zum März-Infobrief 2015: Anrechnung einer Rentennachzahlung (Sozialleistung)

Im letzten Infobrief SGB II wurde die – wohl rechtswidrige – Entscheidung des Bayrischen LSG, Beschl. vom 28.1.2015, L 7 AS 16/15 B ER, besprochen. Herr Kollege Zeeb hat nunmehr die durch ihn hierzu erstrittene Entscheidung im Hauptsacheverfahren zur Verfügung gestellt, gegen welche allerdings die Gegenseite wohl wiederum Rechtsmittel einlegen wird. Hierin wird die Entscheidung des LSG – aus Sicht der Autorin äußerst schlüssig und nachvollziehbar – aufgehoben.

Es wird klargestellt, dass Nachzahlungen von Sozialleistungen nicht als einmalige Einnahme zu werten sind.

Das LSG stellt klar, dass die Rentennachzahlung als laufende Einnahme anzusehen ist (s.a. Urt. d. BSG v. 21.12.2009 unter B 14 AS 46/08 R). Laufende Einnahmen sind in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Die Rentennachzahlung ist Teil der laufenden Einnahme “Rente”, welche monatlich zufließt und daher ist die (gesamte) Nachzahlung im Zuflussmonat anzurechnen.

Eine Aufteilung der Nachzahlung zu 1/6 auf die Folgemonate (wie dies das LSG durchgeführt hat) ist unzulässig. Die Nachzahlung ist nach Auffassung des SG keine Zahlung, die in größeren als monatlichen Abständen zufließt. Es gibt vielmehr gar keinen Abstand zwischen den Zahlungen, da ja gerade nur eine (Nach-)Zahlung erfolgt.

Es handelt sich hier um nachgezahlte Sozialleistungen, die aus einem laufenden Anspruch entstanden sind, so dass sie nach der Rechtsprechung des BSG wie laufendes Einkommen anzurechnen sind. Das bedeutet, nur im Monat des Zuflusses dürfen sie als Einkommen berücksichtigt werden (BSG v. 21.12.2009 – B 14 AS 46/08 R; LSG NRW v. 22.7.2013 – L 2 AS 738/13 B). Eine Anrechnung wie einmaliges Einkommen mit Verteilung auf sechs Monate ist rechtswidrig.

Die einmalige Nachzahlung einer laufenden Sozialleistung ist also keine einmalige, sondern bleibt eine laufende Einnahme, mit der Konsequenz, dass die Anrechnung nur in dem Monat des Zuflusses erfolgen darf, nicht in den Folgemonaten. Ab dem Folgemonat gilt die Einnahme als Vermögen. Die Qualifizierung als laufende Einnahme ändert sich nicht dadurch, dass die Zahlung einer typischerweise regelmäßig erfolgenden Leistung als Einmalzahlung erfolgt.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind laufende Einnahmen solche, die auf einem einheitlichen Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden, während sich bei einmaligen Einnahmen das Geschehen in einer einzigen Leistung erschöpft (vgl. BSG, Urt. v. 7.5.2009, Az. B 14 AS 13/08 R).

Fazit
Nachzahlung von (eigentlich monatlich zustehenden) Sozialleistungen wie Kindergeld, ALG I, Rente sind nur im Zuflussmonat zu berücksichtigen. Allerdings sind nach Auffassung der Autorin die (eigentlich) monatlich zu berücksichtigenden Freibeträge (z.B. Versicherungspauschale) in Abzug zu bringen, sofern kein weiteres Einkommen in denjenigen Monaten bezogen wurde, für welche die Nachzahlung erfolgt. Zur Nachzahlung von Erwerbseinkommen und diesbezüglicher Berücksichtigung der Freibeträge hat das BSG am 17.7.14 unter B 14 AS 25713 R (besprochen im Infobrief SGB II November 2014) bereits entschieden.

RAin Corinna Unger, Gera

8.   Anteilige Übernahme von Betriebskostennachforderung durch Jobcenter trotz unangemessen teurer Wohnung? Ein Beitrag von RA Matthias Göbe, Berlin

weiterlesen: www.anwalt.de

9.   Claudius Voigt, GGUA: Die wundersame Welt des § 25 Abs. 5 AufenthG

Die  wundersame Welt des § 25 Abs. 5 AufenthG
Oder: Wie man gesetzliche Regelungen möglichst so kompliziert und unkoordiniert gestaltet, dass sie niemand mehr durchschaut.

weiterlesen: www.ggua.de

10.   NRW: Verpflichtungserklärung erlischt nach Flüchtlingsanerkennung

Das Innenministerium NRW hat am 24. April 2015 einen Erlass veröffentlicht, der in erfreulicher Deutlichkeit feststellt, dass Verpflichtungserklärungen für syrische Familienangehörige im Rahmen des Landesaufnahmeprogramms erlöschen, wenn nach Stellung eines Asylantrags ein Schutzstatus zuerkannt wird und damit eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG erteilt wird.

Das Bundesinnenministerium vertritt bislang die gegenteilige Rechtsauffassung, dass eine Verpflichtungserklärung auch nach einer Flüchtlingsanerkennung fortgelten würde. Die  Bundesagentur für Arbeit hatte sich im März 2015 in einer Weisung an die Regionaldirektionen der Auffassung des BMI angeschlossen. Zusammen mit dem Erlass hat der nordrheinwestfälische Innenminister einen  Brief an das Bundesinnenministerium verschickt, in dem er Herrn De Maizière um eine Korrektur seiner Auffassung bittet.

weiterlesen: www.ggua.de

11.   Ortsabwesenheit – Anhaltspunkte für eine ungenehmigte Abwesenheit, verspätete Rückmeldung (Zur Beachtung für alle, die ohne Zustimmung Urlaub machen wollen).

WDB-Beitrag Nr.: 070070

Hier: www.arbeitsagentur.de

Fachliche Hinweise zu § 7 Rz. 7.73:
www.arbeitsagentur.de

12.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Rentenversicherungsrecht – Sterbevierteljahresbonus – Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Einkommenseinsatz – erhöhte Witwenrente im Sterbevierteljahr – keine zweckbestimmte Leistung

12.1 – SG Würzburg, Urteil vom 18.12.2014 – S 3 R 405/14

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander – Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers – nachrangige Leistungspflicht – Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Einkommenseinsatz – erhöhte Witwenrente im Sterbevierteljahr – keine zweckbestimmte Leistung

Leitsätze (Juris)
Die Witwen bzw. Witwerrente gehört auch in Höhe des sog. Sterbevierteljahresbonus nicht zu den anrechnungsfreien zweckbestimmten Leistungen im Sinne des § 83 Abs. 1 SGB XII.

Der Erstattungsanspruch des Trägers der Sozialhilfe gegen den Träger der Rentenversicherung umfasst deshalb auch den Sterbevierteljahresbonus.

Quelle: www.gesetze-bayern.de

Anmerkung:
Vgl. Hessisches LSG, Urt. vom 21.12.2012 – L 4 SO 340/12 B ER – wonach die Witwenrente auch im Sterbevierteljahr keine gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung sei; denn der abstrakt-generelle Zweck des Sterbevierteljahresbonus, den zunächst eintretenden besonderen Bedarf des hinterbliebenen Ehegatten zu befriedigen, reiche für eine Zweckbestimmung gemäß § 83 SGB XII nicht aus.

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de