Sozialgericht Kassel – Beschluss vom 30.04.2015 – Az.: S 12 AY 9/13

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,
Kläger,

Prozessbevollm.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

1. xxx,
2. xxx,
Beklagte,

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel am 30.04.2015 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, beschlossen:

Der Beklagte zu 1) hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
SE

GRÜNDE
Der zulässige Antrag des Klägers, dem Beklagten zu 1) oder dem Beklagten zu 2) im Rahmen der vom Kläger am 16.12.2013 erhobenen Untätigkeitsklage die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen oder auch beiden jeweils zur Hälfte, ist dahingehend begründet, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten hat.

Gemäß § 193 Abs. 1 2. Halbsatz Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil oder Beschluss endet. Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

Nach welchen Kriterien sich eine solche Kostenentscheidung zu richten hat, ist im SGG nicht näher bestimmt. Nach herrschender Meinung ist sie jedoch nach sachgemäßem Ermessen zu treffen, wobei der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung maßgebend ist. Diese Rechtsauffassung stützt sich auf die Prinzipien, nach denen in der Zivilprozessordnung (ZPO) Kostenentscheidungen zu treffen sind. Danach ist in erster Linie die Erfolgsaussicht im Zeitpunkt der Erledigung entscheidend. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussicht, dass ein Beteiligter teilweise obsiegt, kann es auch zu einer verhältnismäßigen Kostenteilung kommen. Schließlich ist auch die Idee des § 93 ZPO zu beachten. Danach fallen dem Beklagten bzw. Antragsgegner keine Kosten zur Last, wenn er keine Veranlassung zur Klage gegeben hat und nach der Klageerhebung sofort ein Anerkenntnis abgibt. Diese Vorschrift verlangt, das Verhalten des Beklagten bzw. Antragsgegnerin vor dem Prozess und im Prozess zu berücksichtigen. Aus all diesen Regelungen ist ein allgemeines Prinzip erkenntlich: Derjenige soll die Kosten tragen, der sie zu Unrecht veranlasst hat. Das Veranlassungs- oder Verursacherprinzip ist daher das eigentlich im Kostenrecht herrschende. Auch die Frage nach der Erfolgsaussicht ist im Grunde genommen nur die Frage danach, wer die Aufwendungen des anderen zu Unrecht verursacht hat. Denn die Partei, die den Prozess mutmaßlich verloren hätte, hat die Gegenseite zu Unrecht in Kosten gestürzt und muss sie daher erstatten. Auf den Streit, ob § 93 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren direkt oder nur seinem Gedanken nach anwendbar ist, kommt es insoweit nicht an (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.02.1997, L-2/Sb-8/97 in Breithaupt 1997, S. 576 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Antrag des Klägers insoweit begründet, als der Beklagte zu 1) dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten hat.

Dies deshalb, weil der Beklagte zu 1) über einen am 22.08.2013 eingelegten Widerspruch des Klägers nicht innerhalb der hierfür vorgeschriebenen Drei-Monats-Frist des § 88 Abs. 2 SGG entschieden hat. So richtet sich die Klage zutreffend gegen den Beklagten zu 1) als Ausgangsbehörde und den Beklagten zu 2) als zuständige Widerspruchsbehörde. Nur bei Nichtabhilfe des Widerspruchs durch die Ausgangsbehörde ist nämlich eine Vorlage des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde, hier den Beklagten zu 2), erforderlich. Der entsprechende Devolutiveffekt gemäß § 85 Abs. 2 S. 1 SGG war bei Klageerhebung am 16.12.2013 noch nicht eingetreten. Die Drei-Monats-Frist war allerdings bei Abgabe des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten zu 1) an den Beklagten zu 2) am 20.12.2013 vollumfänglich abgelaufen. Darauf, in welchem zeitlichen Rahmen anschließend die Widerspruchsbehörde entscheidet, kommt es im Hinblick auf die Kostentragungspflicht dann nicht mehr an. Allein maßgeblich ist, dass der Beklagte zu 1) innerhalb der Drei-Monats-Frist weder dem Widerspruch abgeholfen noch über die Nichtabhilfe entschieden und die Akten der zuständigen Widerspruchsbehörde, dem Beklagten zu 2), vorgelegt hat. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage konnte daher der Beklagte zu 2) den Widerspruchsbescheid sowohl aus tatsächlichen – er hatte noch keine Kenntnis vom Widerspruchsverfahren – als auch aus rechtlichen Gründen nicht erlassen. Im vorliegenden Verfahren kann daher eine billige Ermessensentscheidung § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG nur so getroffen werden, dass der Beklagte zu 1) die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Verfahren vor dem Sozialgericht zu erstatten hat. Denn er hat ohne ersichtlichen Grund den Widerspruch des Klägers nicht bearbeitet, aber auch nicht der Widerspruchsbehörde vorgelegt. Hierfür hat er stattdessen nach Eingang der Mitteilung des Klägers, den Widerspruch auch nach Erläuterung des Beklagten zu 1) aufrecht zu erhalten, nochmals mehr als einen Monat benötigt. Unerheblich in dieser Fallkonstellation ist, dass der Beklagte zu 1) als Ausgangbehörde nach Erhebung der Untätigkeitsklage die Akten zur Entscheidung über den Widerspruch an den Beklagten zu 2) als zuständige Widerspruchsbehörde abgegeben und der Beklagte zu 2) selbst erst nach weiteren rund vier Monaten eine Widerspruchsentscheidung getroffen hat.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).