Pariser Berufungsgericht verurteilt Ethnic Profiling durch französische Polizei

New York. Im Kampf gegen diskriminierende Kontrollen durch die französische Polizei konnte vor einem Pariser Berufungsgericht heute eine wichtige Schlacht gewonnen werden. Das Gericht schloss sich der Argumentation fünf junger Männer an, die von Polizeikontrollen auf alleiniger Grundlage ihrer äußeren Erscheinung betroffen waren.

In einem historischen Urteil erklärte das Gericht diskriminierende Polizeikontrollen für rechtswidrig, selbst wenn diese in höflicher Weise durchgeführt werden. In fünf von 13 vorliegenden Fällen entschied es, dass es sich um solche diskriminierenden Kontrollen gehandelt habe. Das Gericht betonte, dass es die Pflicht des Staates sei, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung zu ergreifen. Diese Pflicht habe Frankreich nicht erfüllt. Dass keinerlei Aufzeichnungen über Polizeikontrollen geführt werden, nehme den Betroffenen zudem die Möglichkeit, im Fall von Diskriminierung oder Missbrauch wirksam rechtlich dagegen vorzugehen. Das Gericht erinnerte die Polizei daran, dass sie ihre Kontrollen auf objektive Grundlagen statt auf äußerliche und ethnische Merkmale stützen müsse.

Durch das Urteil wurde eine Entscheidung des Pariser Tribunal de Grande Instance von 2013 aufgehoben. Das Gericht war in erster Instanz der Argumentation der französischen Regierung gefolgt, laut der die Kläger nicht hatten nachweisen können, dass es sich bei den Polizeikontrollen um gezielte Diskriminierung gehandelt hatte. Das Gericht sah sich darüber hinaus nicht in der Verantwortung, darüber zu entscheiden, ob die auf Polizeikontrollen anwendbaren Rechtsvorschriften (Artikel 78 § 2 der Strafprozessordnung, Code de procédure pénale) in ausreichender Weise den Schutz der Grundrechte sicherstellen.

Frankreich wird die rechtlichen Rahmenbedingungen von Polizeikontrollen nun so anpassen müssen, dass diese allein auf Grundlage objektiver und auf den Einzelfall bezogener Kriterien durchgeführt werden. Darüber hinaus werden kontrollierte Personen in Zukunft ein Protokoll erhalten, in dem die Grundlage der Kontrolle festgehalten werden muss.

Insgesamt hatten 13 Personen arabischer und afrikanischer Abstammung geklagt, die von der Polizei kontrolliert wurden als sie alltäglichen Tätigkeiten nachgingen. Keine dieser Kontrollen hatte weitere rechtliche Folgen, wie zum Beispiel Bußgelder. Ungeachtet der positiven Entscheidung in fünf von 13 Fällen geben die verbleibenden acht Fälle Anlass zu ernsthaften Bedenken.

So entschied das Berufungsgericht, dass Kontrollen in ärmeren Vorstadtbezirken selbst ohne objektive Grundlagen nicht rechtswidrig seien. Es erklärte ausdrücklich, dass das Auftreten der Kläger anderswo nicht verdächtig gewesen wäre, in „gefährlichen“ Gegenden jedoch schon.

Die Open Society Justice Initiative hat das seit 2012 laufende Verfahren mit den Anwälten Slim Ben Achour und Felix de Belloy rechtlich begleitet. „Wir begrüßen die historische Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Abschaffung der alltäglich stattfindenden Diskriminierung durch die weit verbreitete Praxis des Ethnic Profiling“, sagte der Geschäftsführer der Open Society Justice Initiative, James A. Goldston, zum Ausgang des Verfahrens. „Sehr besorgniserregend ist jedoch, dass das Urteil gleichzeitig eine zweispurige Justiz mit gesonderten Kriterien für ärmere Vorstadtbezirke für akzeptabel erklärt. Alle Menschen in Frankreich haben das Recht auf gleiche Behandlung durch die Polizei – auch die, die in ärmeren Gegenden leben.“

Durch das Urteil liegt die Beweispflicht zudem in erster Linie bei den kontrollierten Personen, die den Nachweis der Diskriminierung erbringen müssen. Damit fällt das Gericht hinter den Grundsatz der Nichtdiskriminierung zurück, auf den es sich in seiner Entscheidung selbst beruft.
Der französische Menschenrechtsbeauftragte veröffentlichte im Zuge des Verfahrens eine Rechtsauffassung, in der er sich der Argumentation der Kläger anschloss. Er betonte, dass Regierungsbehörden nicht nur zu nichtdiskriminierendem Handeln verpflichtet seien, sondern auch aktive Schritte ergreifen müssten, damit bestehender Diskriminierung ein Ende gesetzt und zukünftige verhindert werde. Ebenso wies er darauf hin, dass nicht vorhandene Aufzeichnungen von Kontrollen den Betroffenen die Möglichkeit nehmen, die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Handlungen anzugreifen.
Die Kläger brachten unter anderem vor, dass das Urteil in erster Instanz im Widerspruch zum europäischen Antidiskriminierungsrecht stehe, das statt den Betroffenen dem Staat die Beweispflicht auferlegt – der Staat muss also nachweisen, das keine Diskriminierung vorliegt. Die Kläger betonten weiterhin, dass das Tribunal de Grande Instance das grundlegende Prinzip des Vorrangs internationaler, europäischer und verfassungsrechtlicher Vorschriften vor dem französischen Verwaltungsrecht missachtet habe, indem es sich in seinem Urteil auf letzteres berief.
Eine 2009 in Paris durchgeführte quantitative Studie der Justice Initiative und des nationalen französischen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (Centre national de la recherche scientifique, CNRS) ergab, dass als „Schwarze“ oder „nord-afrikanische“ Menschen wahrgenommene Menschen sechs- bzw. achtmal häufiger von der Polizei kontrolliert wurden als solche, die als „weiß“ wahrgenommen wurden.
Die Anwälte der 13 Kläger betonten, dass das Urteil die höchsten französischen Regierungsbehörden einschließlich des Justizministeriums dazu zwingen werde, Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte von Millionen in Frankreich lebender Menschen zu ergreifen und der Praxis solcher Polizeikontrollen endlich ein Ende zu setzen.

Die Justice Initiative begleitet parallel ein weiteres Verfahren gegen die rechtlichen Grundlagen für Polizeikontrollen vor dem französischen Staatsrat (Conseil d’État), dem höchsten Verwaltungsgericht. Zudem hat die Justice Initiative zentrale Studien zu Ausmaß und Kosten von Ethnic Profiling in mehreren Ländern Europas gefördert. Darüber hinaus haben wir den wegweisenden Fall von Rosalind Williams gegen Spanien vor den UN-Menschenrechtsausschuss gebracht, infolgedessen zum ersten Mal ein internationales Gericht urteilte, dass Ethnic Profiling gegen die Menschenrechte verstößt.

Die Open Society Foundations widmen ihre Arbeit dem Ziel einer lebendigen und toleranten Demokratie, in der Regierungen transparent handeln und ihren BürgerInnen gegenüber Verantwortung dafür übernehmen. In der Zusammenarbeit mit lokalen Communities in über 100 Ländern setzen sich die Open Society Foundations für Gerechtigkeit, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle Menschen ein.

Quelle: http://www.opensocietyfoundations.org/press-releases/paris-court-accepts-appeal-french-police-ethnic-profiling-case