Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 26/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.06.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R

Zur Frage, ob Betriebs- bzw Heizkostennachforderungen für eine nicht mehr bewohnte Unterkunft nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu übernehmen sind? Auch dann, wenn der Hilfebedürftige im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung dieser Kosten nicht im Leistungsbezug gestanden hat?

Leitsätze (Autor)
Die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung als aktueller Bedarf zum Fälligkeitszeitpunkt gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist dadurch ausgeschlossen, dass der Hilfebedürftige im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Kostennachforderung nicht im Leistungsbezug gestanden hat und die Wohnung nicht mehr bewohnt wird. Dies gilt auch im Verhältnis zu demselben Vermieter, weil Anknüpfungspunkt für das Rechtsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter das jeweilige Mietverhältnis ist.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 28/14 R

Leitsätze (Autor)
Die Regelung des § 42a Abs. 2 SGB II findet keine Anwendung auf Mietkautions – Altdarlehen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.3 – BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 17/14 R

Leitsätze (Autor)
Nachzahlung von Sozialleistungen (von sogenannten Analog-Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz) sind gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. (jetzt: § 11a Abs. 1 SGB II) von der Einkommensanrechnung ausgeschlossen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.04.2015 – L 7 AS 1451/14 – Die Revision wird zugelassen

Zur Rechtsfrage, ob Genossenschaftsanteile als Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 S. 1 oder als Mietkaution nach § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II zu übernehmen sind – atypischer Fall – Aussetzung der Tilgung

In atypischen Fällen kann das Jobcenter die Genossenschaftsanteile als tilgungsfreies Darlehen übernehmen.

Leitsatz (Autor)
1. Der Umstand, dass § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II die Mietkaution, nicht aber die Verpflichtung zur Übernahme von Genossenschaftsanteilen, die Voraussetzung zum Abschluss eines Mietvertrages sind, nennt, beruht auf einer planwidrigen Regelungslücke.

2. Für Genossenschaftsanteile (Mietkaution) ist der am neuen Wohnort zuständige Leistungsträger zuständig.

3. Das Jobcenter war verpflichtet, die Genossenschaftsanteile als ein tilgungsfreies Darlehen zu übernehmen, denn das Auswahlermessen war im vorliegenden Fall auf Null reduziert. Denn der Antragsteller hat nicht in freier Entscheidung gehandelt, sondern hat aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Wohnung verloren. Die fristlose Kündigung der Wohnung beruhte auf einer Beschädigung der Wohnung durch den Antragsteller während einer akuten Psychose. Der Umzug in die Wohnung war für aus ärztlicher Sicht angezeigt, da seine Mutter in der gleichen Wohnanlage wohnt.

4. Die Bewilligung als Darlehen mit gleichzeitiger Tilgung durch Aufrechnung nach § 42a SGB II würde vorliegend dazu führen, dass der Antragsteller gerundet 57 Monate (4,75 Jahre) eine Kürzung der bewilligten Leistungen von 10 % hinnehmen müsste (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09; hierzu auch BSG, Beschluss vom 25.02.2014 – B 4 AS 417/13 B – wonach nur eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung ausdrücklich verfassungsrechtlich nicht beanstandet wurde).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.06.2015 – L 2 AS 894/15 B ER – rechtskräftig

Vorläufige Gewährung von Regelleistung einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für rumänische Staatsangehörige – Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt – keine einstweilige Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung

Leitsatz (Autor)
1. In den Schlussanträgen (EuGH, Schlussanträge vom 26.03.2015, C – 67/14, Celex-Nr. 62014CC0067 und Schlussanträge vom 04.06.2015, C-299/14, Celex-Nr. 62014CC0299) unterscheidet der Generalanwalt zwischen den Personen, die zur Arbeitsuche einreisen und denjenigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren (sog. dritte Fallgestaltung). Bei Letzteren verstößt nach seiner Auffassung ein automatischer Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Unionsrecht. Bei ihnen muss individuell geprüft werden, ob (weiterhin) eine Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat besteht. Diese Verbindung kann sich – neben Umständen, die sich aus dem familiären Kontext ergeben – auch aus einer effektiven und tatsächlichen Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums ergeben.

2. Die Antragstellerin gehört zu dieser dritten Fallgruppe.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.06.2015 – L 7 AS 591/15 B ER – und – L 7 AS 907/15 B – rechtskräftig

Eingliederungsverwaltungsakt im ER

Leitsatz (Autor)
Wenn die Geltungsdauer eines Eingliederungsverwaltungsaktes während des Eilverfahrens ausläuft, hat er sich regelmäßig durch Zeitablauf erledigt. Soweit sich daraus eine Sanktion ergeben hat, kann diese selbst Gegenstand eines eigenen Eilverfahrens werden. Für einen „Fortsetzungsfeststellungsantrag“ analog § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG besteht im Eilverfahren kein Raum (wie hier Bayerisches LSG, Beschluss vom 14.11.2011 – L 7 AS 693/11 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2012 – L 3 AS 2192/12 – Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen Eingliederungsbescheid (EinglB) nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II, wenn die Laufzeit des angefochtenen EinglB verstrichen ist. Ist der EinglB Grundlage eines noch nicht bestandskräftigen Sanktionsbescheids, bleibt die Klage zulässig.

2.4 – LSG Hamburg, Urteil vom 03.06.2015 – L 4 AS 103/12

Aufhebung v. Leistungen nach dem SGB II – Verlustabzug kann nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden – Schuldentilgung – Glaubhaftmachung Familiendarlehen

Leitsätze (Autor)
1. Keine Berücksichtigung des Verlustvortrages nach § 10d EStG. Nach § 2a Abs. 1 AlgII-VO für das Jahr 2006 ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Arbeit bzw. Gewerbebetrieb vom Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) auszugehen. Auf § 10d EStG nimmt die AlgII-VO keinen Bezug.

2. Keine Berücksichtigung der geltend gemachten Ausgaben zur Tilgung eines Familiendarlehens.

3. Eine Schuldentilgung ist von vornherein nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil Einkommen zuvörderst zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen ist, selbst dann, wenn dadurch bestehende vertragliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden können (BSG, Urt. v. 19.8.2008 – B 14/7b AS 10/07 R). Die einkommensmindernde Berücksichtigung von Tilgungsbeiträgen würde letztlich bedeuten, dass Mittel der Grundsicherung dem Gläubiger zu Gute kämen, anstatt einen Bedarf des Hilfeberechtigten selbst zu decken.

4. Das gilt jedenfalls, wenn es – wie hier – nicht um die Frage nach „bereiten Mitteln“ und damit die Gefahr einer ungedeckten aktuellen Bedarfslage geht, sondern nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung um das künftige Entstehen einer Verbindlichkeit gegenüber dem Grundsicherungsträger (vgl. BSG, Urt. v. 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
SG Stade, Urt. v. 17.04.2012 – S 17 AS 555/10 – rechtskräftig – Ein steuerlicher Verlustvortrag aus dem Vorjahr bei der Berechnung des Einkommens gemäß § 11 des SGB II ist nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.

2.5 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 30.09.2013 – L 11 AS 593/13 B ER – rechtskräftig

Wegen einstweiliger Anordnung – Absenkung des Arbeitslosengeld II – Umsetzung der Minderung durch einen Aufhebungsbescheid

Leitsatz (Autor)
1. Ein Sanktionsbescheid enthält lediglich eine Regelung zur kalendermäßigen Festlegung des Sanktionszeitraums, so dass die damit zusammenhängende Minderung des Arbeitslosengeldes II im laufenden Bewilligungszeitraum verfahrensrechtlich durch eine ausdrückliche Aufhebungsverfügung nach § 48 SGB X umzusetzen ist.

2. Der Bescheid kann insbesondere auch nicht in einen Bescheid über die Aufhebung der Bewilligung von Alg II gemäß § 43 SGB X umgedeutet werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.06.2013 – L 7 AS 332/13 B ER).

3. Auch nach der zum 1. April 2011 vorgenommenen Neuregelung des Sanktionsrechts bedarf es zur Umsetzung der Sanktion in leistungsrechtlicher Hinsicht einer auf § 48 SGB X gestützten Aufhebungsentscheidung, wenn und soweit für den betroffenen Zeitraum zuvor durch bestandskräftigen Bescheid Arbeitslosengeld II bewilligt worden ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Altenburg, Urteil vom 06.11.2014 – S 17 AS 6920/11 – rechtskräftig

Die Leistungsbezieher waren zumindest teilweise berechtigt, die aus der Erbschaft erlangten Mittel zur Schuldentilgung einzusetzen – Raten für die Straßenausbau- bzw. Abwasserbeiträge – aufgrund der Art der Erwerbstätigkeit war eine jährliche Berechnung des Einkommens nach § 3 Abs. 5 ALG II-V vorzunehmen – Wohneigentum – Die Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hat monatsweise zu erfolgen.

Leitsätze (Autor)
1. Der Einsatz einer Erbschaft zur Schuldentilgung ist gerechtfertigt, wenn die eigene Hilfebedürftigkeit dadurch verringert wird (hier zur Begleichung der gestundeten Raten für die Straßenausbaubeiträge).

2. Der Einsatz der ererbten Summe zur Schuldentilgung war durch die allgemeine Selbsthilfeobliegenheit des § 2 Abs.2 SGB II gerechtfertigt, die eigene Hilfebedürftigkeit zu verringern.

3. Eine jährliche Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit nach § 3 Abs. 5 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) kann nicht nur bei Saisonbetrieben, sondern auch bei solchen Betrieben vorgenommen werden, bei denen nach der Eigenart der Erwerbstätigkeit eine jahresbezogene Betrachtung erforderlich ist. (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Dezember 2012 – L 6 AS 611/11- hier bejahend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Altenburg, Urteil vom 04.12.2014 – S 17 AS 8239/11 – rechtskräftig – Die Berufung wird zugelassen.

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Wehrsold während regelmäßiger Wehrübungen – Absetzung des Freibetrages bei Erwerbstätigkeit

Für eine Auslegung, dass Bezüge aus öffentlich- rechtlichen Dienstverpflichtungen nicht unter den Begriff des Erwerbseinkommens fallen, findet sich im SGB II und der ALG-II-VO keine Stütze.

Leitsatz (Autor)
1. Bezüge aus öffentlich-rechtlichen Dienstverpflichtungen – wie hier der Wehrsold eines ehemaligen Berufssoldaten während der Teilnahme an einer Wehrübung – fallen unter den Begriff des Einkommens aus Erwerbstätigkeit iS des § 11b Abs 3 SGB 2.

2. Unterhaltssicherungsleistungen nach dem USG sind – soweit sich diese auf eine Mindestsicherung gem § 13c USG beschränken – zweckbestimmte Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften iS von § 11a Abs 3 SGB 2, die ebenso wie die Leistungen nach dem SGB 2 der Sicherung des Lebensunterhalts des Leistungsberechtigten dienen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 23.03.2015 – S 175 AS 15482/14 – rechtskräftig – Berufung wird zugelassen.

Keine Hartz IV-Kürzung für Wurstverkäuferin auf Diät – Nicht verzehrte Betriebsverpflegung darf nicht pauschal als Einkommen auf Hartz IV-Anspruch angerechnet werden.

Hinweis des Gerichts:
Pausenverpflegung, die ein Arbeitgeber bereitstellt, darf nicht pauschal zur Kürzung des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten führen. Dies gilt erst recht, wenn sie – wie hier – aus gesundheitlichen Gründen gar nicht verzehrt wird.

Pressemitteilung vom 25.06.2015: www.berlin.de

3.4 – Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 17. Juni 2015 (Az.: S 24 AS 3191/15 ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Auch wenn bei einem EU-Ausländer das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet entsprechend § 2 Abs. 3 Satz 2 / Abs. 1 FreizügG/EU nach personenbedingter Kündigung, Arbeitsunfähigkeit und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit erloschen ist, kann die Bejahung einer Arbeitnehmereigenschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) dennoch in Betracht kommen, wenn bereits ein neuer Arbeitsvertrag über eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung für die Zeit nach der Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit abgeschlossen worden ist.

2. Hier besteht eine hinreichende Verbindung zum bundesdeutschen Arbeitsmarkt und wird nicht nur eine Arbeitssuche im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betrieben.

3. Von einer dauerhaften Angewiesenheit auf Sozialleistungen kann hier nicht ausgegangen werden.

4. Bis zur erneuten Arbeitsaufnahme sind deshalb von Jobcenter Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II, auch zur Finanzierung der Unterbringung in einer Notunterkunft (§ 22 SGB II), zu gewähren.

3.5 – Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 19.05.2015 – S 27 AS 2651/11 – Die Berufung wird zugelassen.

Zur Rechtsfrage, ob ein Fax-Sendebericht mit „OK“-Vermerk den Schluss auf den Zugang des übermittelten Dokuments zulässt (hier bejahend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso Sozialgericht Duisburg Gerichtsbescheid vom 03.12.2010 – S 38 AS 676/10 –

3.6 – SG Lübeck, Beschluss vom 04.02.2015 – S 42 AS 1376/14

Ungarischer Staatsbürgerin hat Anspruch auf vorläufige Regelleistung nach dem SGB II – Verbindung zum Arbeitsmarkt

Leitsatz (Autor)
EU-Bürgerin aus Ungarn ist im Rahmen einer Interessenabwägung entgegen der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorläufig ALG II zu gewähren, soweit eine tatsächliche Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt besteht, etwa weil bereits eine Beschäftigung in Deutschland ausgeübt wurde, weiter nach Arbeit gesucht wird und begründete Aussicht besteht, wieder eine Arbeit zu finden.

Quelle: sozialberatungkiel.files.wordpress.com

Anmerkung:
S. a. Beitrag von RA Helge Hildebrandt dazu: ALG II für EU-Bürger bei tatsächlicher Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt: sozialberatung-kiel.de

3.7 – Sozialgericht Stade, Urt. v. 17.04.2012 – S 17 AS 555/10 – rechtskräftig

Die Beteiligten streiten über die Frage, inwieweit ein steuerlicher Verlustvortrag aus dem Vorjahr bei der Berechnung des Einkommens gemäß § 11 des SGB II) einkommensmindernd zu berücksichtigen ist (verneinend)

Leitsatz (Autor)
Der Verlustvortrag lässt sich nicht unter die gesetzlichen Vorgaben über die Bereinigung des Einkommens aus der Selbständigkeit subsumieren.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.8 – Sozialgericht Halle (Saale), Beschluss vom 12.06.2015 – S 32 AS 1942/15 ER

Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes – Sanktion 10% – Eingliederungsvereinbarung eines Selbständigen – Meldeaufforderung – Terminverschiebung – keine verfassungsrechtlichen Bedenken bei einmaliger Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs

Leitsätze (Autor)
1. Auch eine Kürzung des Regelbedarfes um 10 % macht eine einstweilige Anordnung erforderlich.

2. Hier war der Sanktionsbescheid allerdings rechtmäßig, so dass der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen war.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. März 2015 (Az.: L 9 SO 44/15 B ER):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
1. Für die Erfüllung des aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII hervorgehenden Ausschlusstatbestandes reicht ein nur fahrlässiges Verhalten bei der Einschätzung der Hilfebedürftigkeit (§ 19 SGB XII) und der Möglichkeit, sich selbst ausreichend helfen zu können (§ 2 Abs. 1 SGB XII), nicht.

2. Erforderlich ist vielmehr, dass seitens des Sozialamtes nach den objektiven Umständen des Einzelfalls von einem Wissen und Wollen mindestens im Sinne eines Vorsatzes ausgegangen werden kann, der für den Entschluss zur Einreise von prägender Bedeutung gewesen sein muss. Es genügt hier nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne (nur) billigend in Kauf genommen wird.

3. Entsprechendes ist nicht der Fall, wenn eine Einreise in das Bundesgebiet infolge einer sich im außerhalb der EU gelegenen Heimatland sich ereignenden Flutkatastrophe, welche dort die gesamte Existenzgrundlage zerstörte, erfolgte.

Anmerkung:
Vgl. LSG NRW, Beschluss vom 22.04.2015 – L 9 SO 496/14 B – rechtskräftig – Gewährung v. PKH f. polnische Staatsangehörige, denn § 23 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB XII verlangt schon ausweislich seines insoweit eindeutigen Wortlauts einen finalen Zusammenhang zwischen den Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns.

4.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.05.2015 – L 20 SO 355/13 – Die Revision wird zugelassen.

Zur Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines türkischen Reisepasses als Zuschuss.

Kosten für die Beschaffung des Passes sind bereits im Regelsatz berücksichtigt.

Leitsatz (Autor)
1. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 73 (S. 1) SGB XII.

2. In der Regelleistung sind Leistungen sind seit dem 01.01.2011 Aufwendungen für die Beschaffung bzw. Ausstellung eines deutschen Personalausweises berücksichtigt (vgl. § 5 Abs. 1 RBEG und Abteilung 12 Nr. 82 EVS-Code 1270 900, BT-Drs. 17/3404 S. 63).

3. §27a Abs. 4 S. 1 SGB XII findet von vornherein nur Anwendung, wenn es um die Deckung laufender, nicht nur einmaliger Bedarfe geht.

4. Zwar folgt dies nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut. Die Vorschrift ist jedoch systematisch allein auf Fälle regelhaft wiederkehrender und nicht nur einmaliger Bedarfe zugeschnitten (vgl. LSG NRW, Urteil vom 26.05.2014 – L 9 SO 474/13, a. A. Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 27a Rn. 86 ).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.06.2015 – L 9 SO 410/14 B – rechtskräftig

Zur Überleitung eines Pflichtteilanspruchs der Antragstellerin auf den Sozialhilfeträger (bejahend)

Leitsätze (Autor)
1. Für die Wirksamkeit der Überleitung eines Anspruchs nach § 93 SGB XII genügt es bereits, dass ein überleitungsfähiger Anspruch überhaupt in Betracht kommt, er also nicht von vornherein objektiv ausgeschlossen ist (sog. Negativevidenz). In der Sozialhilfe dient die Überleitung eines Anspruchs dazu, den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) zu realisieren. Wie beim Einsatz des Einkommens müssen die Vorschriften über die Überleitung von Ansprüchen folglich bedarfsorientiert gesehen werden. Entscheidend ist also nicht, ob ein Anspruch tatsächlich besteht, sondern dass die Überleitung für einen Zeitraum erfolgt, für den Leistungen der Sozialhilfe tatsächlich gewährt worden sind. Nur wenn offensichtlich ist, dass dieses Ziel nicht verwirklicht werden kann, ist der Erlass einer Überleitungsverfügung sinnlos und trotz Vorliegens aller im Gesetz normierten Voraussetzungen als rechtswidrig aufzuheben (BSG, Beschl. v. 25.04.2013 – B 8 SO 104/12 B).

2. Bei einem Pflichtteilsanspruch handelt es sich um einen grundsätzlich überleitungsfähigen, nicht höchstpersönlichen – d.h. insbesondere nicht von der Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten oder seines Betreuers hinsichtlich dessen Geltendmachung abhängigen – Anspruch; dieser ist gemäß § 2317 Abs. 2 BGB übertragbar und als solcher im Übrigen auch nach § 851 ZPO pfändbar (vgl. hierzu näher BGH, Urt. v. 19.10.2005 – IV ZR 235/03 ; s. auch ; LSG NRW, Beschl. v. 23.01.2012 – L 20 SO 565/11 B).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.4 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil v. 21.05.2015 – L 5 SO 102/14

Bestattungskosten nach § 74 SGB XII – Zuständigkeit – Berücksichtigung des Rückkaufswerts der Lebensversicherung – Verwertung der Lebensversicherung zumutbar – kein Härtefall § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII Sozialhilfeträger muss keine Bestattungskosten übernehmen, denn auch einer nicht bedürftigen Mutter ist es zumutbar, ihre Lebensversicherung mit einem Verlust von 10,75% zu verwerten. Beteiligtenbezeichnung bei Sozialhilfeträger

Leitsatz (Juris)
Soweit die Stadt (bzw. der Kreis) zuständiger Leistungsträger nach dem SGB XII ist, ist nach § 70 Nr. 3 SGG i. V. m. § 2 AGSGG-RP, § 28 Abs. 3 GemO-RP (§ 21 Abs. 2 LKO-RP) für eine Klage gegen den Leistungsträger richtiger Beklagter die Stadtverwaltung (bzw. die Kreisverwaltung).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Anmerkung zu: SG Karlsruhe 15. Kammer, Urteil vom 08.07.2014 – S 15 AS 2552/13 – Autor: Christian Olthaus, Regierungsrat

„Laufender Bedarf“ im Sinne der Härtefallklausel

Leitsatz
Ein laufender Bedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II besteht allenfalls dann, wenn er sich innerhalb des gleichen sechsmonatigen Bewilligungszeitraums mindestens einmal wiederholt. Das erneute Entstehen eines Bedarfs außerhalb des laufenden Bewilligungszeitraums führt nicht zu einem laufenden Bedarf.

Quelle Juris: www.juris.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de