Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Urteil vom 23.06.2015 – Az.: L 7 AS 750/13

URTEIL

In dem Rechtsstreit
xxx,
– Klägerin und Berufungsbeklagte –
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis xxx,
– Beklagter und Berufungskläger –

hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ohne mündliche Verhandlung am 23. Juni 2015 in Celle durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht xxx, den Richter am Landessozialgericht xxx, den Richter am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. April 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

TATBESTAND
Die Klägerin wendet sich im Rahmen von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegen einen Bescheid des Beklagten, mit welchem dieser die Überprüfung von Bewilligungsbescheiden und die Zahlung weiterer Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 abgelehnt hat.

Die 19xx geborene Klägerin und ihr 20xx geborener Sohn standen im streitgegenständlichen Zeitraum im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Bis einschließlich Februar 2008 hatten beide eine Wohnung in der xxx in xxx bewohnt und zogen zum 1. März 2008 in eine Wohnung im xxx (vgl. BI. 189 f. VA). Die Wohnung weist eine Größe von 80 m² und eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 395,00 € zzgl. eines Heizkostenabschlags in Höhe von 65,00 € auf (vgl. Mietbescheinigung BI. 199 VA).

Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Juni 2008 und 25. Juli 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Sohn für den o.g. Zeitraum Leistungen in Höhe von monatlich 707,31 € (März bis Juni 2008) bzw. 698,31 € (Juli und August 2008) monatlich. Die verminderten Leistungen gingen auf eine Erhöhung des Regelsatzes und höhere Unterhaltszahlungen des Vaters zum 1. Juli 2008 zurück. In der Bedarfsberechnung berücksichtigte der Beklagte neben den Regelsätzen auch einen Alleinerziehendenzuschlag für die Klägerin. Von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft berücksichtigte er lediglich 320,00 € und Heizkosten in Höhe von 60,31 €. Als Einkommen berücksichtigte der Beklagte das Kindergeld und den Unterhalt des Sohnes der Klägerin.

Mit Schriftsatz vom 23. November 2010 stellten die Klägerin und ihr Sohn einen Antrag auf Überprüfung der genannten Bescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zur Begründung erklärten sie, es seien die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu übernehmen. Mit weiteren Schriftsätzen vom gleichen Tag stellten die Klägerin und ihr Sohn entsprechende Anträge auch für die Zeiträume ab April 2007 bis einschließlich Dezember 2010.

Mit einem Bescheid vom 7. Dezember 2010 lehnte die Samtgemeinde xxx im Auftrag des Beklagten den hiesigen und die weiteren Anträge der Klägerin ab. Die Anträge ihres Sohnes wurden gesondert beschieden. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Unterkunftskosten bereits bis zur Höchstgrenze berücksichtigt seien.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2010 Widerspruch und erklärte, hier seien Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz  (WoGG) a.F. zzgl. eines Zuschlags von 10 % zu gewähren, weil kein Mietspiegel und keine grundsicherungsrelevante valide Mietdatenbank vorhanden seien.

Der hiesige Widerspruch und die weiteren Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2011 zurückgewiesen. Der hiesige Widerspruch sei bereits unzulässig, weil die Klägerin und ihr Sohn gegen zwei Bescheide der Samtgemeinde xxx insgesamt 18 Widersprüche erhoben hätten. Hiervon seien lediglich zwei Widersprüche zulässig, weil den weiteren Widerspruchsverfahren die Anhängigkeit der erstgenannten Verfahren entgegenstehe. Es könne gegen jeden Bescheid jeweils nur ein Widerspruch eingelegt werden. Im Übrigen führte der Beklagte hinsichtlich des Zeitraums vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 aus, dass die Höchstgrenze der Wohnfläche nach den Richtlinien für Soziale Wohnraumförderung in Niedersachsen bei 2 Personen 60 m² betrage. Nach den umfangreichen Ermittlungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten ergäben sich für den Bereich der Samtgemeinde xxx als Obergrenze für angemessene Kosten der Unterkunft monatlich 320,00 €. Nur diese könnten daher übernommen werden.

Am 7. April 2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben und zur Begründung u.a. erklärt, entgegen der Ansicht des Beklagten sei der Widerspruch nicht bereits unzulässig. Jeder Leistungszeitraum bilde einen verfahrensrechtlich eigenständig zu betrachtenden Streitgegenstand. Eine Ausdehnung des Streitgegenstandes auf Folgezeiträume komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) regelmäßig nicht in Betracht. Für jeden Leistungszeitraum sei daher ein eigenes Verfahren zu führen, was auch für Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gelte. Es obliege nicht dem Beklagten, mittels einer Verbindung von verschiedenen Verfahren durch Bescheidung mehrerer streitiger Leistungszeiträume in einem Bescheid den Streitgegenstand eigenständig festzusetzen. Dies könne er zwar zur Verwaltungsvereinfachung so vornehmen; es ändere aber nichts an der Zulässigkeit der hiergegen gerichteten Rechtsmittel. Im Übrigen seien die tatsächlich von der Klägerin zu zahlenden Mietkosten von dem Beklagten zu tragen. Das Gutachten der Firma  F+B GmbH (hierzu: sogleich) entspreche nicht den Anforderungen des BSG an ein „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung der Unterkunftskosten, so dass es an einer durch den Beklagten vorzunehmenden Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II fehle. In Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte seien der Klägerin daher für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 als Kosten der Unterkunft die um einen Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu erhöhenden Werte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzuerkennen.

Der Beklagte hat demgegenüber seine Auffassung verteidigt, dass es unzulässig sei, sich gegen ein Verwaltungsverfahren, mit 18 Widersprüchen zu wenden. Anders als Widerspruch und Klage sei eine Überprüfung nach § 44 SGB X nicht antragsabhängig. Es liege daher nicht in der Hand des Antragstellers, den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens zu bestimmen. Es gelten hier die §§ 8, 9 und 18 SGB X, wonach eine Verbindung der Verfahren möglich und im hiesigen Verfahren erfolgt sei, Der Beklagte hat während des Klageverfahrens ein Gutachten der F+B-GmbH zur Ermittlung der nach § 22 SGB II angemessenen Unterkunftskosten für seinen Zuständigkeitsbereich eingereicht und zunächst die Auffassung vertreten, dieses Gutachten stelle ein schlüssiges Konzept im Sinne der BSG-Rechtsprechung dar.

Mit Urteil vom 15. April 2013 hat das SG den Bescheid vom 7. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008 aufgehoben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 26. Februar 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Juni 2008 und 25. Juli 2008 verpflichtet, der Klägerin weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 96,00 € zu zahlen sowie die Berufung zugelassen. Der Widerspruch sei entgegen der Auffassung des Beklagten zulässig gewesen. Auch im Falle, dass der Leistungsträger mehrere separate Überprüfungsverfahren gegen verschiedene Leistungsbescheide in einem Bescheid zusammenfasst, sei es dem Leistungsberechtigten nicht verwehrt, separate Widersprüche zu erheben. Auch die Erhebung gesonderter Klagen gegen einen Widerspruchsbescheid sei möglich. Hierin sei kein Fall anderweitiger Rechtshängigkeit zu sehen. Im Übrigen habe die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung der Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG a.F. zzgl. eines Sicherheitszuschlags von 10 %. Danach beliefen sich die maximal übernahmefähigen Kosten der Unterkunft für einen 2-Personenhaushalt in xxx auf 352,00 € (320,00 € + 32,00 €). Da der Anteil der Klägerin hiervon 50 % betrage, mithin monatlich 176,00 € und der Beklagte lediglich 160,00 € übernommen habe, ergebe sich hieraus für die Klägerin ein weiterer Anspruch in Höhe von monatlich 16,00 € und für den gesamten streitigen Zeitraum in Höhe von 96,00 € (16,00 € x 6). Das Gutachten des Beklagten stelle kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG dar, weil im Gutachten schon nicht der Gegenstand der Beobachtung definiert sei. Zudem sei die Art und Weise der Datenerhebung zu beanstanden, keine Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten gegeben und die Kappungsgrenze des 33%-Quantils nicht nachzuvollziehen.

Gegen das am 16. Mai 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11. Juni 2013 Berufung eingelegt und zur Begründung seine Auffassung vertieft, dass die Klage bereits unzulässig sei. Das vom SG zitierte Thüringer Landessozialgericht gehe unzutreffend davon aus, dass eine Verbindung von Verwaltungsverfahren lediglich die einzelnen Verfügungen in einem Bescheid zusammenfasse, es aber weiterhin mehrere Verwaltungsakte gebe. Vielmehr habe der Beklagte hier lediglich eine Regelung für den gesamten zu überprüfenden Zeitraum getroffen. Als Herrin des Überprüfungsverfahrens könne die Behörde mehrere Anträge zu einem Verwaltungsverfahren zusammenfassen. Der Regelungsgehalt des im Rahmen des nach § 44 SGB X zu erlassenen Verwaltungsakts werde allein durch die erlassende Behörde bestimmt. Hingegen könne die Klägerin nicht eigenmächtig den Regelungsgehalt des Bescheids aufteilen und mehrere Verfahren führen. Im Übrigen seien die erhobenen Daten entgegen der Auffassung des SG repräsentativ und der Rückgriff auf die Bestandsmieten zulässig. Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze sei auf der Basis der Bestandsmieten erfolgt und in einem weiteren Schritt sei mit den erhobenen Angebotsmieten überprüft worden, ob Wohnraum zu den ermittelten Werten abstrakt verfügbar sei.

Auf den Hinweis des Senats vom 3. Dezember 2013 hat der Beklagte zunächst seine Auffassung verteidigt, es handele sich bei dem Gutachten der Firma F+B GmbH um ein sog. Schlüssiges Konzept. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2015 hat er erklärt, er halte an dieser Auffassung nicht fest.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG aus den dort genannten Gründen für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die vom SG nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassene Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 56 SGG) den Bescheid vom 7. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2011 aufgehoben und den zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 26. Februar 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Juni 2008 und 25. Juli 2008 dahingehend abgeändert, dass es den Beklagten verpflichtete, der Klägerin weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 96,00 € zu gewähren.

1.
Weder waren die Klage oder der Widerspruch der Klägerin aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig noch war die Klage aufgrund einer Unzulässigkeit des Widerspruches unbegründet.

Die diesbezüglichen Ausführungen des SG sind vollumfänglich zutreffend. Es steht dem Beklagten zwar frei, unter Anwendung der §§ 8, 9, 18 SGB X im Sinne eines einfachen, zweckmäßigen und zügigen Verwaltungsverfahrens mehrere Überprüfungsanträge mit einem Bescheid abzulehnen. Der Beklagte irrt aber, wenn er meint, mit Erlass eines Bescheids auch nur eine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts nach § 31 SGB X getroffen zu haben. Ein Verwaltungsakt ist nach der Legaldefinition des § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Mit ihren Anträgen nach § 44 SGB X auf Überprüfung der Bewilligungsbescheide für den Zeitraum von April 2007 bis Dezember 2010 hat die Klägerin mehrere Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt, die jeweils im Erlass eines Verwaltungsakts münden müssen, welcher jeweils eine Regelung für den einzelnen Überprüfungsvorgang trifft. Zwar kann der Beklagte über diese Anträge aus Gründen der Verwaltungseffizienz auch innerhalb eines Bescheids entscheiden. Auswirkungen auf die Frage, ob der Beklagte dann eine Regelung eines Einzelfalls trifft oder mehrere Regelungen für verschiedene Einzelfälle, hat diese Form der Verfahrensbearbeitung jedoch nicht.

Während für das gerichtliche Verfahren § 113 Abs. 1 SGG die förmliche Verbindung von Klageverfahren regelt, mit der Folge, dass aus den verbundenen Verfahren ein einheitliches Verfahren wird, fehlt es für das Verwaltungsverfahren gerade an einer solchen Regelung im SGB X.

Da mithin mit Bescheid vom 7. Dezember 2010 mehrere Verwaltungsakte erlassen wurden, war es der Klägerin auch unbenommen, hiergegen für jeden Verwaltungsakt gesondert nach den §§ 78 Abs. 1, 83 SGG Widerspruch zu erheben. Ein Fall des § 86 SGG, wonach ein Verwaltungsakt  der einen anderen Verwaltungsakt abändert, Gegenstand des laufenden Vorverfahrens wird, mit der Folge, dass ein hiergegen gerichteter Widerspruch unzulässig wäre, liegt nicht vor.

Sodann war es für den Beklagten wiederum möglich, die einzelnen Widerspruchsverfahren im Widerspruchsbescheid vom 25. März 2011 zusammenzuführen. Auch hierdurch ändert sich aber nichts an der rechtlichen Beurteilung der ursprünglichen Verwaltungsakte im erlassenen Bescheid. Der Beklagte erließ nicht einen Widerspruchsbescheid mit nur einer Regelung (z.B. hinsichtlich des Gesamtzeitraumes), sondern er traf mit einem Widerspruchsbescheid jeweils eine Entscheidung hinsichtlich jedes Widerspruchs gegen jede einzelne ursprüngliche Regelung. Dem folgend, ist es der Klägerin grundsätzlich freigestellt, den dann „vollumfänglichen“ Widerspruchsbescheid mittels nur einer Klage anzugreifen, oder aber gegen jede einzelne Regelung im Sinne des § 31 SGB X gesondert Klage zu erheben. Die so einzeln erhobenen Klagen sind daher weder wegen anderweitiger Rechtshängigkeit nach § 202 SGG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG noch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (wie  hier: Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 24. Juli 2012 – L 4 AS 1353/11 B, juris).

2.
Streitgegenstand sind hier ausschließlich die Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin im Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. August 2008, nicht aber ihre Regelleistungen. Die Klägerin hat sich unter anwaltlicher Vertretung in ihrem gesamten Vorbringen im Widerspruch-, Klage- und Berufungsverfahren stets ausschließlich auf die Bewilligung ihrer tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung bezogen.

Eine solche Trennung und Beschränkung der Streitgegenstände Regelbedarf sowie Bedarf für Unterkunft und Heizung ist nach der Rechtsprechung des BSG auch zulässig. Zwar sind beim Streit um höhere Leistungen im SGB II grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21). Hiervon hat das BSG allerdings eine Ausnahme für Unterkunft und Heizung gemacht, weil die Zuständigkeiten für die Regelleistung (heute: Regelbedarf) einerseits und für die Leistungen für Unterkunft und Heizung andererseits unterschiedlich und die Leistungen inhaltlich voneinander abgrenzbar waren, es sich rechtlich also um zwei eigenständige Leistungen und Verfügungen handelt (BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 und Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 70/08 R, juris).

3.
Der Beklagte hat mit seinem Bescheid vom 7. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2011 die Abänderung des zur Überprüfung gestellten Bescheids vom 26. Februar 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Juni 2008 und 25. Juli 2008 zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 20. Juli 2006 – a.F.) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Bescheide vom 26. Februar 2008 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Juni 2008 und 25. Juli 2008 sind insoweit rechtswidrig als die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung hat.

a)
Die Klägerin ist nach den §§ 7, 19 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung) leistungsberechtigt. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, § 19 S. 1 SGB II. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht leistungsberechtigt im vorgenannten Sinne gewesen wäre, liegen dem Senat nicht vor.

b)
Die Klägerin hat nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II Anspruch auf Übernahme ihrer Kosten der Unterkunft und Heizung. Diese werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind.

aa)
Die Prüfung der Angemessenheit begrenzt die erstattungsfähigen Kosten der Höhe nach (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 30). Es handelt sich bei der „Angemessenheit“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2). Die Bestimmung der Angemessenheit hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG in mehreren Stufen zu erfolgen. Zunächst sind die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche Vergleichsraum festzulegen. In einem weiteren Schritt ist zu ermitteln, wie viel auf dem Wohnungsmarkt des Vergleichsraums für eine Wohnung einfachen Standards aufzuwenden ist. Ziel der Ermittlungen ist der Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards, der nach Maßgabe der Produkttheorie mit der angemessenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren ist. Das Ergebnis ist die regional angemessene Miete (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 30). Die Ermittlung der regional angemessenen Kosten der Unterkunft muss dabei auf der Grundlage eines überprüfbaren, schlüssigen Konzepts zur Datenerhebung und -auswertung unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze erfolgen. Ein Konzept liegt nach Auffassung des BSG (a.a.O.) vor, wenn der Grundsicherungsträger planmäßig vorgegangen ist, das heißt im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur punktuell im Einzelfall.

Nach diesen Maßgaben hat der Beklagte zwar zutreffend bei der Klägerin und ihrem Sohn die angemessene Wohnflächengrenze entsprechend der nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R m.w.N. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 73) anwendbaren Richtlinie über die Soziale Wohnraumförderung in Niedersachsen (Wohnraumförderungsbestimmungen – WFB-; vgl. Punkt B. 7.1 angemessene Wohnflächen) mit bis zu 60,00 m² berücksichtigt. Die Ermittlung des nach Auffassung des Beklagten angemessenen Quadratmeterzinses für den angemessenen Wohnstandard für die Wohnungsgrößenklasse bis zu 60,00 m² basiert allerdings nicht auf einem schlüssigen Konzept (hierzu: sogleich). Da für den streitgegenständlichen Zeitraum keinerlei Daten vorhanden sind, welche für die Erstellung eines schlüssigen Konzepts benötigt werden, ist weder eine „Nachbesserung“ durch den Beklagten möglich, noch ist ersichtlich, wie der Senat hier ein solches erstellen könnte (zu den Ermittlungserfordernissen des Gerichts: BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 50/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 29).

Bei fehlenden Erkenntnismöglichkeiten sind die Aufwendungen der Klägerin und ihres Sohnes für ihre Kosten der Unterkunft auf der Grundlage der bis zum 1. Oktober 2008 gültigen rechten Spalte der Wohngeldtabelle des § 8 WoGG zzgl. eines Sicherheitsaufschlages von 10 % zu übernehmen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 50/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 29 und Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. April 2014 – L 7 AS 330/13, juris).

Da xxx der Mietenstufe 1 angehört, ergibt sich hieraus für einen Haushalt mit 2 Angehörigen eine angemessene Miete von 352,00 € (320,00 € zzgl. 32,00 €). Für die Klägerin ergibt sich so jeweils ein Anspruch in Höhe von 176,00 €. Da der Beklagte in seiner Bedarfsberechnung indes lediglich 320,00 €, für die Klägerin mithin 160,00 € monatlich berücksichtigte, ergibt sich hieraus ein weiterer Anspruch in Höhe von 16,00 € monatlich und insgesamt für den Zeitraum von März bis einschließlich August 2008 in Höhe von 96,00 €. Die Ausführungen des SG waren insoweit vollumfänglich zutreffend.

bb)
Das vom Beklagten vorgelegte Gutachten der F+B GmbH entspricht nicht den Anforderungen, wie sie vom BSG für ein schlüssiges Konzept aufgestellt wurden.

In seinem Urteil vom 29. April 2014 im Verfahren L 7 AS 330/13 hat der Senat insoweit ausgeführt:

„[…] Die im Jahr 2008 durch die F+B-GmbH erhobenen Daten erfüllen in wesentlichen Punkten nicht die vom BSG genannten Mindestanforderungen an ein schlüssiges Konzept, weil bereits keine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung zugrunde liegt (aa), die Kappungsgrenze willkürlich gezogen wurde (bb) und im Ergebnis nicht nachzuvollziehen ist, dass die Kosten für Wohnraum einfachen Standards zutreffend abgebildet werden (cc). […]“

An diesen Ausführungen hält der Senat weiterhin fest. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten vor dem Bundessozialgericht blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 28. November 2014 – B 14 AS 215/14 B). Im Schriftsatz vom 11. Juni 2015 hat der Beklagte erklärt, auch selbst nicht mehr an der Auffassung festzuhalten, es handele sich bei dem vorgenannten Gutachten um ein schlüssiges Konzept im erläuterten Sinne.

4.
Aus der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ergibt sich insoweit auch die Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Eine Mutwilligkeit oder Missbräuchlichkeit der Einlegung des Widerspruchs oder der Erhebung der Klage, welche im Rahmen der Kostenentscheidung zu berücksichtigen sein könnten, liegen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht vor. Eine Berücksichtigung der von ihm benannten Synergieeffekte durch die parallele Führung gleichgerichteter Verwaltungs- und Klageverfahren kann ausschließlich bei der Kostenfestsetzung erfolgen.

6.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.