Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht – Beschluss vom 02.07.2015 – Az.: 14 PS 1/15

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn xxx,
Klägers und Antragstellers,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Fraatz und andere,
lmmanuelkirchstraße 3 und 4, 1 0405 Berlin, – 1842/2013 SHI –

gegen

das xxx Ministerium xxx
Beklagten und
Antragsgegner,

Streitgegenstand: Auskunft an Betroffene nach § 13 NVerfSchG – Antragsverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO –

hat der 14. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts als Fachsenat nach § 189 VwGO durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. xxx und die Richter am Oberverwaltungsgericht xxx und xxx am 2. Juli 2015 beschlossen:

Die Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Göttingen – Vorsitzender der 1. Kammer – mit Verfügung vom 23. Mai 2014 angeforderten Akten vollständig vorzulegen, ist rechtswidrig.

GRÜNDE
I.
In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Göttingen – 1 A 86/14 – begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten, eine vollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt in Göttingen niedergelassen und vorwiegend im Sozialrecht, in der Strafverteidigung, im Polizei- und Ordnungsrecht sowie im Versammlungsrecht tätig.

Nachdem der Kläger aus Presseberichten erfahren hatte, Beobachtungsobjekt des Beklagten gewesen zu sein, beantragte er bei diesem mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 auch, ihm Auskunft über die zu seiner Person in Dateien oder Akten gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen. Hierauf legte der Beklagte mit Schreiben vom 3. Januar 2014, 13. März 2014 und 31. März 2014 nur einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers gespeicherten Daten offen und lehnte im Übrigen wegen des Vorliegens von Verweigerungsgründen nach § 13 Abs. 2 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes eine Auskunftserteilung ab.

Am 22. Mai 2014 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben, mit der er die Verpflichtung des Beklagten begehrt, eine vollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, sein Auskunftsrecht beschränke sich entgegen der Annahme des Beklagten nicht auf personenbezogen recherchierbare Daten, sondern erstrecke sich auf alle personenbezogenen Daten. Vom Auskunftsrecht sei auch der in den Akten dokumentierte Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel umfasst. Auskunft sei auch über die Bezeichnung von Dateien zu erteilen, in denen personenbezogene Daten über ihn – den Kläger – gespeichert seien. Die vom Beklagten geltend gemachten Auskunftsverweigerungsgründe seien anhand der Bescheide nicht nachzuvollziehen. Der Beklagte habe für jede einzelne zurückgehaltene Information das Vorliegen von Verweigerungsgründen dezidiert aufzeigen müssen. Dies sei nicht geschehen. Verweigerungsgründe lägen auch offensichtlich nicht vor hinsichtlich des in den Akten befindlichen Lichtbildes und hinsichtlich solcher Erkenntnisse, die aus offenen polizeilichen Maßnahmen stammten und ihm von Polizeibehörden unmittelbar zur Kenntnisnahme angeboten worden seien.

Mit Verfügung vom 23. Mai 2014 hat der Vorsitzende der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts den Beklagten unter anderem aufgefordert, die dort geführten Unterlagen vollständig vorzulegen.

Der Beklagte hat dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 22. Juli 2014 lediglich einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers geführten Verwaltungsvorgänge (Beiakten A und B im Hauptsacheverfahren vor dem VG Göttingen – 1 A 86/14 -) vorgelegt und im Übrigen erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erfolgen dürfe (Sperrerklärung). Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass nach Durchsicht der Akten und Ausübung des Ermessens davon ausgegangen werden müsse, dass ein Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile dem Wohl des Landes Niedersachsen Nachteile bereiten würde, da durch die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert wäre. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung gebiete es, die fraglichen Dokumente geheim zu halten. Weiter begründete der Beklage für die einzelnen zurückgehaltenen Aktenstücke das Vorliegen der Weigerungsgründe des Schutzes der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, der Informationsquellen und der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter.

Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2015 hat der Kläger beantragt, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Weigerung des Beklagten festzustellen, die vom Verwaltungsgericht Göttingen – Vorsitzender der 1. Kammer – mit Verfügung vom 23. Mai 2014 angeforderten Akten vollständig vorzulegen.

Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Göttingen – 1. Kammer – mit Beschluss vom 11. März 2015 das Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4, 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts abgegeben.

Im Zwischenverfahren hat der Beklagte am 12. Mai 2015 die bei ihm geführten Verwaltungsvorgänge (Beiakte C im Zwischenverfahren 14 PS 1 /15 (18533 – xxx (Hauptakte/Sachakte) und Beiakte D im Zwischenverfahren 14 PS 1/15 (18533 – xxx (Beiakte/Auskunftsersuchen)) und als Bestandteil dieser Verwaltungsvorgänge eine auf einzelne Blattzahlen bezogene Dokumentation von Weigerungsgründen ausdrücklich nur für den Fachsenat (§ 99 Abs. 2 Satz 5 VwGO) vorgelegt.

II.
Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Göttingen – Vorsitzender der 1. Kammer – mit Verfügung vom 23. Mai 2014 angeforderten Akten vollständig vorzulegen, ist zulässig und begründet.

Die Sperrerklärung des Beklagten vom 22. Juli 2014 und die damit verbundene Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht angeforderten Akten vollständig vorzulegen, sind rechtswidrig.

In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind die Behörden gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Ausnahmsweise kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.

Ob die vom Verwaltungsgericht angeforderten Verwaltungsvorgänge wegen eines dieser Gründe geheimhaltungsbedürftig sind und ihre Vorlage deshalb nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ganz oder zumindest teilweise verweigert werden darf, vermag der Fachsenat auf der Grundlage der abgegebenen Sperrerklärung nicht nachzuvollziehen. Die Sperrerklärung genügt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines Weigerungsgrunds zu stellen sind.

Die Sperrerklärung ist eine Prozesserklärung, die im Hauptsacheverfahren nach einer förmlichen Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache über die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen abgegeben werden kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.6.2010 – BVerwG 20 F 1.10 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59). Die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die in Anspruch genommenen Weigerungsgründe des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegen. Insoweit muss die oberste Aufsichtsbehörde die Akten und Unterlagen aufbereiten und die behaupteten Weigerungsgründe nachvollziehbar darlegen. Dies erfordert grundsätzlich eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Gründe unter Angabe von Seiten- oder Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines einzelnen Dokuments (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012 – BverwG 20 F 5.12 -, juris Rn. 8; Beschl. v. 25.6.2010, a.a.O., jeweils m.w.N.). Diese präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ist in der Sperrerklärung selbst und damit gegenüber dem Gericht der Hauptsache und den übrigen Beteiligten des Hauptsacheverfahrens vorzunehmen; die bloße behördeninterne Dokumentation (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012, a.a.O.) genügt ebenso wenig wie eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ausschließlich gegenüber dem Fachsenat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012 – BVerwG 20 F 7.11 -, NVwZ 2012, 1488, 1489; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.8.2011 – 95 A 4.10 -, juris Rn. 6 ff.; anderer Ansicht BVerwG, Urt. v. 27.9.2006 – BVerwG 3 C 34.05 -, BVerwGE 126, 365, 373).

Soweit der bisherigen Rechtsprechung des Fachsenats etwas anderes entnommen werden könnte, hält er hieran nicht mehr fest. Zwar soll durch die präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe gerade dem Fachsenat eine effektive gerichtliche Überprüfung der Sperrerklärung ermöglicht werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.1 0.20 1 1 – BVerwG 20 F 24. 1 0 -, juris Rn. 10). Die Sperrerklärung soll aber auch die Beteiligten in die Lage versetzen, über die Notwendigkeit der Einleitung eines Zwischenverfahrens zu entscheiden (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 99 Rn. 1 5). Die Beteiligten können unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs zudem auch im Zwischenverfahren beanspruchen, sich zu jeder dem Fachsenat zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme anderer Beteiligter zu äußern (BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012, a.a.O., S. 1489). Dieses, nicht zur Disposition stehende Recht der Beteiligten würde verletzt, wenn die präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ausschließlich gegenüber dem Fachsenat erfolgt.

Die Sperrerklärung des Beklagten vom 22. Juli 2014 genügt den danach bestehenden Anforderungen nicht. Sie enthält neben Ermessenserwägungen nur eine allgemeine Beschreibung von Weigerungsgründen. Die erforderliche präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Gründe unter Angabe von Blattzahlen der verweigerten Aktenteile ist nicht in der Sperrerklärung, sondern ausdrücklich nur gegenüber dem Fachsenat im Zwischenverfahren erfolgt.

Der Fachsenat hat davon abgesehen, den Beklagten zur Ergänzung der Sperrerklärung vom 22. Juli 2014 durch Beifügung der präzisierenden Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Weigerungsgründe zu einzelnen konkreten Blattzahlen der Akten aufzufordern. Denn im Zwischenverfahren verbieten sich Ergänzungen der Sperrerklärung, die sich nicht lediglich auf Klarstellungen beschränken (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012 – BVerwG 20 F 5.11 -, juris Rn. 12).

Die Feststellung des Fachsenats, dass die Sperrerklärung rechtswidrig ist, hindert den Beklagten nicht, eine neue Sperrerklärung abzugeben.

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit, für den das Gerichtskostengesetz einen Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorsieht und besondere anwaltliche Vergütungsansprüche nicht entstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010 – BVerwG 20 F 15.10 -, NVwZ-RR 2011, 261). Auch ein Streitwert ist daher nicht festzusetzen.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.