Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 34/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 19.08.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15 R

Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrags nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II – Nichtvorliegen von Unbilligkeit – UnbilligkeitsV ist abschließend – Ermessensausübung (hier: fehlerfreie Ermessensentscheidung bejaht)

Leitsätze (Autor)
1. Die vorzeitige Verrentung von SGB II-Leistungsbeziehern ist rechtmäßig.

2. Die in der UnbilligkeitsV geregelten Tatbestände, nach denen die Beantragung und Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres unbillig sein kann, sind abschließend.

3. SGB II- Leistungsbezieher sind verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, um eine Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. Tun sie dies nicht, kann das Jobcenter sie auffordern, die vorzeitige Altersrente zu beantragen, oder den Antrag selbst stellen, wenn sie nicht mitwirken.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 43/14 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Zinsgutschrift auf Bausparkonto – fehlende Kündigung des Bausparvertrags – keine bereiten Mittel

Leitsatz (Autor)
1. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund der Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten – hier der vorzeitigen Kündigung des Bausparvertrags – (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 GG iVm Art 20 GG nicht vereinbar.

2. Zwar sind die Zinsen grundsätzlich Einkommen und kein Vermögen, weil sie der Antragstellerin nach der erstmaligen Beantragung von Alg II gutgeschrieben worden sind. Mangels Verfügbarkeit als zur Sicherung des Lebensunterhalts bereite Mittel sind sie allerdings noch nicht im Zeitpunkt der Gutschrift als Einkommen zu berücksichtigen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

S. a.:
Hartz-IV: keine Kürzung wegen Zinsen auf Bausparkonto
hier: www.juraforum.de

1.3 – BSG, Urteile vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R u. B 14 AS 14/14 R

Berücksichtigungsfähigkeit einer Nutzungsentschädigung als Unterkunftskosten – für eine vorläufige Bewilligung gilt das Monatsprinzip

Anmerkungen zu B 14 AS 13/14 R vom Vertreter des Klägers RA Michael Loewy
Ist nach Auszug eines Mitgliedes aus der gemeinschaftlichen Wohnung der Bedarfsgemeinschaft durch die verbliebenen Mitglieder diesem eine Nutzungsentschädigung mit mietähnlichen Charakter zu entrichten, steht diese den Kosten der Unterkunft gleich. Hierzu ist auf den Inhalt der Vereinbarung abzustellen.
Steht ein mietähnlicher Charakter der Nutzungsentschädigung fest, ist sie in vollem Umfang den Unterkunftskosten zuzurechnen ist (vgl. SG Dresden, Urteil vom 30.05.2011 – S 3 AS 2611/09 – sowie sogar zur Sondersituation des Getrenntlebens im Hinblick auf § 1361 b Abs. 3 BGB: SG Potsdam, Beschluss vom 08.09.2009 – S 19 AS 2765/09 ER).

Anmerkungen zu B 14 AS 14/14 R vom Vertreter des Klägers RA Michael Loewy
Das BSG geht davon aus, dass vorläufige Leistungen dann nicht mehr eingeklagt werden können, wenn der Grund für die Vorläufigkeit entfallen ist (z. B. die erzielten Einnahmen stehen mittlerweile durch Zeitablauf fest). In diesem Fall besteht nur ein Anspruch auf Gewährung von endgültigen Leistungen, welche durch eine Klageänderung durchgesetzt werden kann. Es wäre sodann auf die Gewährung von endgültigen Leistungen zu klagen. Das Jobcenter hat dann einen endgültigen und keinen vorläufigen Bescheid mehr zu erlassen.

Für die Gewährung eines vorläufigen Bescheides fehlt dem Kläger nach Auffassung des BSG das Rechtsschutzbedürfnis.

Auch gilt bei der Rückforderung von vorläufigen Leistungen das Monatsprinzip. Es müssen demnach die einzelnen Monate gegenüber gestellt werden und nicht der ganze Bedarfszeitraum. Ggf. sind Aushebungsbescheide für einzelne Monate zu erlassen.

Im Verfahren BSG B 14 AS 14/14 R haben wir uns in der Weise verglichen, dass das Jobcenter auf die Rückforderung der bereits anerkannten und dem Kläger im Rahmen der ALG II Bewilligung gewährten Nutzungsentschädigung verzichtet. Das Jobcenter hat diese demnach dem Grunde nach bereits anerkannt.

S. a. : Terminbericht BSG: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.03.2015 zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – BSG, Urteil vom 24.03.2015 – B 8 SO 22/13 R

Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Übernahme der Kosten für einen Kabelanschluss – abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 – unabweisbarer Bedarf

Kein Anspruch auf Kabelanschluss wegen fehlender Deutschkenntnisse.

Leitsätze (Autor)
1. Sozialhilfeempfänger müssen ihren Kabelanschluss in der Regel selbst bezahlen.

2. Dies gilt auch dann, wenn sie in Ermangelung von Deutschkenntnissen auf ein Fremdsprachenprogramm angewiesen sind.

3. Es handelt sich weder um einen im Einzelfall vom Regelsatz abweichenden individuellen, unabweisbaren Bedarf, der seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII) noch um einen sonstigen sozialhilferechtlich relevanten Bedarf (Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wegen Behinderung; Leistung für sonstige Lebenslagen). Fehlende Sprachkenntnisse allein sind keine Behinderung, und Leistungen in sonstigen Lebenslagen scheitern daran, dass die Kosten für den Kabelanschluss aus den Leistungen für den Lebensunterhalt (Regelsatz) zu finanzieren sind.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.08.2015 – L 3 AS 370/15 B ER

Keine Weiterbewilligung von SGB II- Leistungen, wenn der Antragsteller sich weigert, gegenüber der Deutschen Rentenversicherung seinen Mitwirkungspflichten zur Beantragung seiner Altersrente nachzukommen.

Leitsätze (Autor)
1. Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens – hierzu gehört auch der Verweis auf eine mögliche Rentenantragstellung – verstößt – nicht – gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz (a. A. LSG NRW, Beschl. v. 11.4.2012 – L 19 AS 544/12 B ER und des SG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.2015 – S 4 AS 2983/12).

2. In der vorliegenden Fallkonstellation erfolgt die Berücksichtigung des (tatsächlich bestehenden) Anspruchs auf eine vorrangige Sozialleistung (hier der Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder auf Altersrente für langjährig Versicherte) nicht durch Rückgriff auf normative Verhältnisse, sondern einen tatsächlich in der Verfügungsmacht des Antragstellers stehenden Rentenanspruch, der nur deswegen nicht zu Auszahlung kommt, weil sich der Antragsteller weigert, einen ausgefüllten Fragebogen und für die Antragsbearbeitung noch fehlende Unterlagen einzureichen.

3.2 – LSG Thüringen, Urteil vom 08.07.2015 – L 4 AS 718/14

Leitsatz (Autor)
Das LSG Thüringen hat das Konzept zur Ableitung von angemessenen Bedarfen für Unterkunft gemäß SGB II bzw. XII des Landkreises Gotha als schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts anerkannt.

Quelle: www.analyse-konzepte.de

3.3 – Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 17.07.2015 – L 9 AS 784/15 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente – Ermessensfehlgebrauch – Unbilligkeitsverordnung ist nicht abschließend

In der Rechtsprechung besteht Uneinigkeit zu der Frage, wie es zu beurteilen ist, wenn Leistungsempfänger eine voraussichtlich bedarfsdeckende abschlagsfreie Altersrente beziehen könnten, jedoch bei Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente lebenslang weitere Sozialleistungen beantragen müssten.

Leitsatz (Autor)
1. Bei einer Ermessensentscheidung ist sehr wohl in Erwägung zu ziehen, ob eine vorzeitige Rentenantragstellung zu einer dauerhaften Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII führen würde, die im Falle einer späteren Rentenantragstellung vermieden werden könnte (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 16. Februar 2015 – L 9 AS 20/15 B ER).

2. Die Ermessensausübung bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung erschöpft sich nicht in der Prüfung, ob einer der in der Unbilligkeitsverordnung geregelten Fälle vorliegt. Zum einen ist die Aufzählung möglicher Unbilligkeitsgründe in der Unbilligkeitsverordnung nicht abschließend, zum anderen können auch weitere Umstände bei der Ermessensausübung Berücksichtigung finden (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 16. Februar 2015 – L 9 AS 20/15 B ER).

3. Die ordnungsgemäße Ausübung des nach § 12a SGB II eingeräumten Ermessens setzt voraus, dass die Behörde die für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte in ihre Entscheidung einfließen lässt. Das setzt voraus, dass der Betroffene weiß, welche Aspekte dafür relevant sind, um dazu vortragen zu können.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
a. A. LSG BB, Beschluss vom 06.07.2015 – L 25 AS 543/15 B ER; LSG Bay, Beschluss vom 23.06.2015, L 11 AS 273/15 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.12.2014 – L 7 AS 1775/14; Urteil vom 23.10.2014 – L 7 AS 886/14 ; Beschluss vom 26.01.2015 – L 19 AS 1969/14 B ER ; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2015 – L 15 AS 85/15 B ER; aktuell BSG, Urt. v. 19.08.2015 – B 14 AS 1/15 R

3.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2015 – L 31 AS 1471/15 B ER

Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die Notwendigkeit einer Eilentscheidung zur Behebung einer existentiellen Notlage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – Kosten der Unterkunft – selbständig – Einstiegsgeld

Ablehnung der einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung noch hinsichtlich der vollen Regelleistung mangels Eilbedürftigkeit

Leitsatz (Autor)
1. Hinsichtlich des Regelsatzes ist es dem Antragsteller zumutbar, den monatlichen Fehlbetrag in Höhe von 160,00 Euro durch das gewährte Einstiegsgeld in Höhe von 273,70 Euro zu decken.

2. Da für seine Höhe gem. § 16 b Abs. 2, Satz 3 SGB II in Verbindung mit der Einstiegsgeldverordnung (vgl. § 1 ESGV in der Fassung vom 24. März 2011 BGBl. I S. 453) aber auch der maßgebliche Regelbedarf Orientierungsgröße ist, kann hieraus gefolgert werden, dass das Einstiegsgeld nicht allein bezweckt, die Kosten abzudecken, die für den Aufbau einer selbstständigen Tätigkeit anfallen, sondern auch bedarfsbezogene Aspekte im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt berücksichtigt (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – L 11 AS 146/11 B ER, L 11 AS 146/11 PKH).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.07.2015 – L 32 AS 1688/15 B ER rechtskräftig

Kein Anordnungsgrund für die Vergangenheit – Begrenzung der monatlichen Aufrechnung zur Tilgung mehrerer Darlehen

Leitsätze (Autor)
1. Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege der einstweiligen Anordnung hat in der Regel nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen und ist nicht rückwirkend zu bewilligen, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist, wenn also die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Zukunft fortwirkt und daher eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet. Dies kann beispielsweise gegeben sein, wenn ein Vermieter die Räumungsklage angestrengt hat und der Antragsteller den Verlust seiner Wohnung befürchten muss (so auch Hessisches Landessozialgericht, 7. Senat, Beschluss vom 20. Juni 2005 – L 7 AL 100/05 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. März 2015 – L 32 AS 346/15 B ER).

2. Die Tilgung für mehrere Darlehen ist insgesamt auf 10 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2013 – L 3 AS 5184/12).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso SG Karlsruhe, Beschl. v. 25.02.2014 – S 4 AS 1/14 ER; Burkiczak in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 43 Rn. 34 ff. m. w. N.; SG Dortmund, Beschl. v. 16.05.2014 – S 32 AS 484/14 ER

3.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2015 – L 25 AS 1931/15 B ER rechtskräftig

Kein Anordnungsgrund im Eilverfahren, weil Vermögen vorhanden – Beleihung Sparbrief – Härtefall – Anwendbarkeit des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II

Leitsätze (Autor)
1. Bei einer Verwertung des Vermögens aus dem Sparbrief (dieser kann beliehen, abgetreten oder verpfändet werde)drohen dem Antragsteller keine schwerwiegenden durch das Hauptsacheverfahren nicht zu korrigierenden Nachteile. Denn sollte sich in der Hauptsache ergeben, dass ihm ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zusteht, wären ihm diese Beträge rückwirkend zu gewähren (vgl. Beschluss des Senats vom 16. Juli 2009 – L 25 AS 769/09 B ER).

2. Der Zinsverlust bis Vertragsende ist unbeachtlich. Denn grundsätzlich unerheblich ist, in welchem Umfang künftige Gewinn- und Renditeaussichten durch die Verwertung verloren gehen, da § 12 SGB II nicht die Erwartung zukünftiger Vermögenszuwächse, sondern nur die Substanz des Vermögens schützt.

3. Ob die Verwertung des Sparbriefes für den Antragsteller eine besondere Härte darstellt, ist jedenfalls zweifelhaft. Voraussetzung dafür wäre eine atypische Erwerbsbiografie, die es verhinderte, dass sich der Antragsteller eine angemessene Grundsicherung als Rentenversicherungspflichtiger aufbauen konnte, und eine anderweitige Absicherung für das Rentenalter durch den bestehenden Sparbrief rechtfertigte (vgl. für das Recht der Arbeitslosenhilfe Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 76/04 R -; zum Recht des SGB II BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 29/12 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.7 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.03.2015 – L 6 AS 1926/14 – Die Revision wird zugelassen.

Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II – Methadonbehandlung – Anteil für Fahrkosten im Regelbedarf – Monatsticket

Fahrkosten zur Methadonbehandlung müssen vom Jobcenter bezahlt werden, in diesem Einzelfall nur in Höhe der Kosten des Sozialtickets (29,90 EUR).

Antragsteller hat Anspruch auf Übernahme seiner Fahrkosten zur Methadonbehandlung und zu den Klinik-Terminen nach § 21 Abs. 6 SGB II.
Keine allgemeine Bagatellgrenze bei Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II.

Leitsätze (Autor)
1. Es handelt sich um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II, denn die Fahrkosten innerhalb des Bewilligungszeitraum fielen – auch prognostisch aus damaliger Sicht (vgl zu den Anforderungen BSG Urteile vom 04.06.2014 – B 14 AS 30/13 R; vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R) – wiederkehrend, langfristig und dauerhaft an.

2. Die Fahrkosten stellen ungeachtet des Umstandes, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrkosten enthalten ist, auch einen besonderen Bedarf dar (vgl BSG Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R). Sie entspringen einer atypischen Bedarfslage, da die Fahrkosten für Arztbesuche in dieser Häufigkeit wesentlich über das hinausgehen, was für “normale” Empfänger von Grundsicherungsleistungen gilt (vgl BSG Urteile vom 04.06.2014 – B 14 AS 30/13 R; vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R). Dies betrifft im Ausgangspunkt sowohl die Anzahl der Fahrten als auch die dadurch verursachten Kosten.

3. Reichen hypothetische Einsparmöglichkeiten schon grundsätzlich nicht aus, so handelt es sich bei der Anschaffung des Sozialtickets auch deshalb nicht um ein realistische, jedem vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Leistungsbezieher einleuchtende Möglichkeit, weil der Erwerb der Monatskarte durch den Regelbedarfsanteil von vorneherein nicht gedeckt ist. Jedenfalls aus diesem Grund kann der Erwerb einer Monatskarte auch im Sozialtarif von einem Empfänger von Grundsicherungsleistungen typischerweise nicht erwartet werden.

4. Bei fehlenden allgemein gültigen materiellen Bagatellgrenzen (vgl. BSG Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 30/13 R juris Rn. 28; dazu auch Anmerkung zu diesem Urteil von Berlit, jurisPR-SozR 9/2015 Anm. 2) kommt die Ablehnung auch nur geringfügiger Fahrkosten nicht in Betracht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso Sozialgericht Detmold, Urteil vom 11.09.2014 – S 23 AS 1971/12 – anhängig beim LSG NRW Az. L 7 AS 2024/14

Zur Frage des Abzugs einer Eigenbeteiligung in Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Mobilität von dem Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II

Das Jobcenter muss dem Leistungsberechtigtem die Fahrtkosten zur Wahrnehmung von Substitutionsbehandlungen ohne Abzug einer Eigenbeteiligung als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II gewähren.

Leitsätze (Autor)
1. Bei den Fahrtkosten zur Wahrnehmung von Substitutionsbehandlungen handelt es sich um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf im Einzelfall.

2. Der Regelbedarf enthält zwar einen Anteil für Fahrtkosten, diese betreffen allerdings nur die üblichen Fahrten im Alltag (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.03.2013, Az. L 7 AS 1911/12).

3. Es handelt sich eben um einen Zusatzbedarf, der LB kann insoweit nicht auf die Regelleistung verwiesen werden.

3.8 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.03.2015 – L 6 AS 974/14

(Nur) Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten sind bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen – § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II – Unterhaltszahlungen an seine Mutter – Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG kein Unterhaltstitel

Leitsatz (Autor)
1. Eine Berücksichtigung der Zuwendungen des Antragstellers ohne Unterhaltstitel oder notarielle Beurkundung kann nicht erfolgen.

2. Dem Wortlaut der Vorschrift folgend können nur Aufwendungen bis zur Höhe des in einem Unterhaltstitel festgelegten Betrag abgesetzt werden, nicht aber darüber hinausgehende, nicht titulierte Beträge (BSG Urteil vom 20.02.2014 = SozR 4-4200 § 11b Nr 4; BSGE 107, 106).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Dessau-Roßlau, Urteil vom 13.03.2015 – S 3 AS 168/14 – Berufung anhängig beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 AS 293/15

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Angemessenheitsprüfung – Fünfpersonenhaushalt in Sachsen-Anhalt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld – schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers – räumlicher Vergleichsbereich – Zulässigkeit der Bildung von Wohnungsmarkttypen

Leitsatz (Juris)
Zum Vorliegen eines schlüssigen Konzeptes des Grundsicherungsträgers zur Ermittlung der angemessenen Mietobergrenzen; Zulässigkeit der Bildung sog. Wohnungsmarkttypen zur Bestimmung des örtlichen Vergleichsraumes.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Sozialgericht Dessau-Roßlau, Urteil vom 13.03.2015 – S 11 AS 1337/13 – Berufung anhängig beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 AS 276/15

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Angemessenheitsprüfung – schlüssiges Konzept – Festlegung des räumlichen Vergleichsbereichs – Bildung von Wohnungsmarkttypen – Zusammenfassung vergleichbarer Kommunen

Zur Frage, ob das von dem Grundsicherungsträger vorgelegte Konzept zur Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ein im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickeltes schlüssiges Konzept ist.

Leitsatz (Autor)
Mietwerterhebung zur Ermittlung von KdU-Richtwerten im Landkreis Anhalt-Bitterfeld durch die Firma Analyse & Konzepte ist im Sinne der Rechtsprechung des BSG nicht zu beanstanden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – Sozialgericht Berlin, Gerichtsbescheid vom 28. April 2015 (Az.: S 168 AS 5850/14):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel
1. Die einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gegenüber in einer Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II) festgelegte Verpflichtung, zehn Bewerbungsbemühungen pro Monat zu unternehmen, ist rechtmäßig.

2. Dies gilt gerade auch dann, wenn ein Antragsteller nachweislich in der Lage ist, zahlreiche, umfassende Klageschriften, Widersprüche und Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit des SGB II abzufassen, und der SGB II-Träger die Finanzierung der Kosten für nachgewiesene Bewerbungen sowie die Übernahme von Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen nach vorherigem Antrag durch eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget in Aussicht gestellt hat.

3. Die aus den §§ 31 bis 31b SGB II hervorgehenden Festsetzungen sind nicht evident verfassungswidrig.

4. Dem Gesetzgeber steht es frei, in welcher Art und Weise er das Existenzminimum sichert.

5. Es entspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes und dessen Verständnis von der Würde eines Individuums, das frei über seine Lebensführung bestimmt, dass der Mensch zunächst sich selbst unter Anstrengung aller eigenen Kräfte und Mittel hilft, wenn er Not leidet, bevor er staatliche Hilfen in Anspruch nimmt. Dies spiegelt sich maßgeblich im Grundsatz des “Fördern und Fordern” (§§ 1 bis 3 SGB II) wider.

6. Da bei einer durchgreifenden Sanktionierung vom Jobcenter auf Antrag nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden können, ist auch in dieser Situation eine Entstehung existenzbedrohender Gefahren nicht zu befürchten.

4.4 – Sozialgericht Berlin – Beschluss vom 23.06.2015 – S 196 AS 7421/15 ER – Berufung anhängig LSG BB Az. L 32 AS 1245/15 B ER

Verpflichtung des Jobcenters im Wege einstweiliger Anordnung zur Gewährung von Unterkunfts- und Heizkosten bei vollständiger Minderung des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers – Wohnheim

Leitsätze (Autor)
1. In der Literatur werde vorgeschlagen, als verfassungsrechtlich gebotene Erweiterung des § 31 a Abs. 3 Satz 3 SGB II zur Abwendung von Wohnungslosigkeit Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II im Rahmen einer (darlehensweisen) Mietschuldenübernahme oder eine Direktüberweisung an den Vermieter zu prüfen, um die Existenz auch im Bereich des Wohnens auf jeden Fall sicherzustellen.

2. Es ist daher gerechtfertigt, das JC einstweilen zu verpflichten, die Wohnheimkosten im Sanktionszeitraum darlehensweise zu übernehmen, da dem Antragsteller bei fehlender Kostenübernahme der Verlust seines Wohnheimplatzes ohne Einhaltung von Kündigungsfristen direkt drohe. Durch die nur darlehensweise Übernahme der Wohnheimkosten wäre andererseits der mit der Sanktion verfolgte gesetzgeberische Zweck nicht vollständig konterkariert.

3. Im Ergebnis sei die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid daher insoweit anzuordnen, als er den Wegfall der Leistungen für Unterkunft und Heizung betreffe und eine Verpflichtung zur darlehensweisen Übernahme der Wohnkosten im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung auszusprechen.

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – SG Karlsruhe, Urteil vom 14.08.2015 – S 1 SO 215/15

Leitsatz (Gericht)
Kein Anspruch des Nothelfers auf Kostenerstattung für medizinische Behandlung aus Sozialhilfemitteln bei nicht feststellbarer Bedürftigkeit.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

5.2 – SG Karlsruhe, Urteil vom 14.08.2015 – S 1 SO 4269/14

Leitsatz (Gericht)
Keine Übernahme von Kosten für den Erwerb einer Fahrerlaubnis und den behinderungsgerechten Umbau eines PKW aus Mitteln der Eingliederungshilfe bei ausreichendem Vermögen des Ehepartners.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

6.1 – SG Stuttgart, (Urteil vom 18.02.2015, S 3 AL 506/14; nicht rechtskräftig, Berufung der Beklagten beim LSG anhängig

Leitsatz (Juris)
Ein Student steht dem Arbeitsmarkt in der vorlesungsfreien Zeit zu Beginn des ersten Semesters zur Verfügung und hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Quelle: www.sg-stuttgart.de

7.   Entscheidungen der Verwaltungsgerichte

7.1 – Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 22. Mai 2015 (Az.: VG 1 L 83.15):

Leitsätze Dr. Manfred Hammel:
1. Der Aufenthalt einer obdachlosen Person in einer von ihr als Unterkunft genutzten ehemaligen Schule als solcher gefährdet nicht die Funktionsfähigkeit dieser Liegenschaft.

2. Dieser Gebäudekomplex ist entwidmet und eine neue Widmung erfolgte nicht. Einzig die beabsichtigte künftige Nutzung als Flüchtlingszentrum durch einen privaten Träger reicht nicht für die Vorhaltung aus, durch die Anwesenheit dieser obdachlosen Person an diesem Ort könnte diese Liegenschaft ihren öffentlichen Zweck nicht mehr erfüllen. In den Schutzbereich der öffentlichen Sicherheit fallen lediglich bestehende, nicht aber erst im Planungsstadium sich befindende öffentliche Einrichtungen.

3. Dieses ehemalige Schulgebäude unterliegt lediglich denselben privatrechtlichen Bestimmungen über Eigentums- und Nutzungsrechte wie jedes andere Privateigentum auch, sofern vom Eigentümer dieser Liegenschaft kein Strafantrag wegen Hausfriedensbruch nach § 123 StGB gestellt wurde.

4. Wenn sämtliche Bewohner dieses ehemaligen Schulzentrums der öffentlichen Hand nach einer entsprechenden Registrierung namentlich bekannt sind, bedarf der öffentliche Eigentümer keine polizeirechtliche/ordnungsbehördliche Hilfe zur Durchsetzung eines von ihm geltend gemachten Räumungsanspruchs.

5. Es handelt sich hier um eine rein zivilrechtliche Angelegenheit.

7.2 – OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 11.08.2015, 4 PA 137/15

Zur Frage der Anrechnung des Einkommens von Kindern in den Fällen des § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG

Hinweis des Gerichts
1. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob eine vollständige Anrechnung des Einkommens der Kinder nach den genannten Vorschriften bei jedem der getrennt lebenden Elternteile mit dem Ziel der Regelung in § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG, wonach Kinder nicht nur vorübergehend getrennt lebender Eltern mit gemeinsamen Sorgerecht, die von diesen zu annähernd gleichen Teilen betreut werden und für deren Betreuung beide Elternteile zusätzlichen Wohnraum bereit halten, ausnahmsweise bei beiden Elternteilen Haushaltsmitglieder sind, vereinbar ist. Denn diese Regelung verfolgt nach der Gesetzesbegründung das Ziel, bei dauerhaft getrennt lebenden Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht die abwechselnde Betreuung von Kindern hinsichtlich des bereit gehaltenen Wohnraumes zu sichern (BT-Drucksache 16/6543, S. 91).

2. Diesem Ziel kann die vollständige Anrechnung des Einkommens der Kinder bei dem Gesamteinkommen zweier Haushalte zuwiderlaufen, weil sie – wie der vorliegende Fall zeigt – dazu führen kann, dass die Bewilligung von Wohngeld für den zusätzlichen Wohnraum zur Betreuung der Kinder ausgeschlossen ist, obwohl das Einkommen der Kinder zur Deckung der Kosten des zusätzlichen Wohnraums für beide Haushalte nur einmal zur Verfügung steht.

3. Daher erscheint eine an dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers orientierte einengende Auslegung (teleologische Reduktion – vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 26.09.2011 – 2 BvR 2216/06 und 2 BvR 469/07) der Regelungen zur Anrechnung des Einkommens von Haushaltsangehörigen dergestalt geboten, dass das Einkommen von Kindern getrennt lebender, aber gemeinsam sorgeberechtigter Eltern in den Fällen des § 5 Abs. 6 Satz 1 WoGG nur jeweils zur Hälfte dem Gesamteinkommen des jeweiligen Haushaltes zuzurechnen ist.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

S. a.:
Keine Zwangsräumung ungenutzter öffentlicher Gebäude, weiterlesen auf Juraforum: www.juraforum.de

8.   Neuregelungen des AsylbLG: Was hat sich geändert? – von RAin Eva Steffen, Köln in ANA-ZAR Heft 3/2015

Zum 1.3.2015 sind die Neuregelungen in Kraft getreten. Die wesentlichen Änderungen werden im Folgenden dargestellt und kritisch betrachtet: dav-auslaender-und-asylrecht.de

9.   Hartz IV-Empfänger klagen wegen Anrechnung der Motivationszuwendungen

Wer sich in der Arbeitstherapie etwas dazu verdient, bekommt seit Einführung des Mindestlohns weniger Geld vom Jobcenter. Das hängt mit der unklaren Rechtslage zusammen.

Derzeit laufen am Sozialgericht in München mehrere Klagen gegen das Neuburger Jobcenter. Einige Hartz IV-Empfänger aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen fühlen sich um Leistungen betrogen. Es handelt sich um Menschen, die psychische Probleme haben, an Suchterkrankungen leiden oder behindert sind, und im Rahmen einer Arbeitstherapie vom Caritasverband sogenannte “Motivationszuwendungen” erhalten – weshalb ihnen das Jobcenter an anderer Stelle Geld abzieht. Zu viel oder zu Unrecht? Wie es scheint, sind alle Beteiligten vor allem eines: Opfer einer unklaren Rechtslage.

Weiterlesen: www.augsburger-allgemeine.de

Anmerkung:
Inzwischen hat das SG München, Urteil v. 28.07.2015 – S 42 AS 1231/15 – ein 1. Urteil gefällt: Die Motivationszuwendung ist kein Erwerbseinkommen iS von § 11 b Abs. 2 S. 1 SGBII. Bis zu einem mtl. Betrag von 100,- EUR bleibt das Einkommen als Zuwendung der freien Wohlfahrtspflege gemäß § 11 a Abs. 4 SGB II bei der Bemessung der Leistung unberücksichtigt, weil es die Lage des Hilfebedürftigen nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Arbeitslosengeld II ungerechtfertigt wäre.

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de