PM: Verwaltungsgericht Stuttgart erklärt verdachtsunabhängige Kontrollen in Grenznähe für europarechtswidrig

In einer überraschend deutlichen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart verdachtsunabhängigen Kontrollen der Bundespolizei in Grenznähe die Rechtsgrundlage entzogen. Auf die Klage eines Mitarbeiters der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erklärte das Gericht dessen Personenkontrolle aus dem Jahr 2013 für rechtswidrig. Der § 23 Abs. 1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz (BPolG), auf den die Bundespolizei die Kontrolle stützte, sei mit dem Schengener Grenzkodex nicht vereinbar und damit europarechtswidrig, so das Gericht in einer Pressemitteilung vom 23.10.2015 zu dem Verfahren mit dem gerichtlichen Aktenzeichen 1 K 5060/13.

Der heute 30-jährige Kläger hat dunkle Hautfarbe und befand sich am 19.11.2013 im Rahmen einer Geschäftsreise in der ersten Klasse des ICE 377 von Berlin kommend auf dem Weg nach Freiburg. Zwischen Baden-Baden und Offenburg kontrollierten drei Bundespolizisten einzig den Kläger mit der Begründung, dass dieser sich im Grenzgebiet befände. Nach der Vorlage des Bundespersonalausweises des Klägers führten die Beamten sodann zusätzlich einen im Ergebnis negativen Datenabgleich in den polizeilichen Datenbanken durch. Weitere Zugreisende im Waggon der ersten Klasse wurden nicht kontrolliert. Der Kläger erhob daraufhin vor dem VG Stuttgart die Klage gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der diskriminierenden Personenkontrolle, die nach der Wahrnehmung des Klägers einzig aufgrund dessen Hautfarbe erfolgte und damit Racial Profiling darstellte.

Das VG gab der Klage nun nach einer mündlichen Verhandlung vom 22.10.2015 vollumfänglich statt und erklärte sowohl die Identitätsfeststellung als auch den späteren Datenabgleich für rechtswidrig. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG, der verdachtsunabhängige Kontrolle bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern Entfernung von der deutschen Grenze erlaubt, sei bereits mit Art. 67 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV) und Art. 20 und 21 der Verordnung (EG) 562/2006 (Schengener Grenzkodex) unvereinbar und damit im deutschen Recht nicht anwendbar. Auf die Frage, ob die Kontrolle auch diskriminierende Wirkung hatte kam es in der Entscheidung nicht mehr an. Das Gericht folgt mit seiner Auffassung einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH), der bereits 2010 eine nahezu gleichlautende Parallelvorschrift im französischen Recht für europarechtswidrig erklärt hatte (EuGH, Urteil vom 22. Juni 2010, Rs. C-188/10 und C-189/10 – Melki u.a.). Aufgrund der dennoch ausbleibenden Änderung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG durch die BRD ist vor der EU-Kommission seit dem 16.10.2014 zusätzlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD anhängig.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart wird wegen seiner Bedeutung Signalwirkung auch für andere Verwaltungsgerichte haben und den Gesetzgeber nun erst Recht zum Handeln zwingen” bewertet der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der den Kläger und weitere Betroffene solcher Kontrollen vertritt, das Ergebnis des Verfahrens.

Ich wurde als einziger in dem Waggon kontrolliert, weil ich dunklere Hautfarbe als die anderen Reisenden hatte. Auf meine Frage nach dem Warum wurde mit Arroganz reagiert. Ich freue mich, dass mein Fall auf die ein oder andere Weise nun dazu beiträgt, dass diese Kontrollen irgendwann aufhören.” zeigt sich auch der Kläger erleichtert.

Die Entscheidung ist tatsächlich ein weiterer Erfolg bei dem Ziel, Racial Profiling in Deutschland zu ächten” so Adam weiter. “Denn § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG wurde im Grenzbereich von der Bundespolizei vielfach als Grundlage für die angeblich zufällig durchgeführten Kontrollen von Menschen mit dunkler Hautfarbe herangezogen“.

Die schriftliche Begründung des Urteils liegt bislang nicht vor. Die Berufung gegen das Urteil wurde zugelassen.

Für Rückfragen steht Rechtsanwalt Sven Adam unter den genannten Kontaktdaten zur Verfügung.