Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 44/2015

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.09.2015 – L 13 AS 170/13 – Die Revision wird zugelassen

§ 66 Abs 3 SGB 1- Versagung von ALG II – Erbschaft – Mitwirkung

Leitsätze (Juris)
1. In der Rechtfolgenbelehrung nach § 66 Abs. 3 SGB I muss nicht bereits die konkret beabsichtigte Entscheidung abschließend angegeben werden.

2. Wäre die Behörde gehalten, ihr Ermessen bereits in dem zur Warnung dienenden Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I auf eine ganz bestimmte Rechtsfolge zu konkretisieren, so müsste sie sich damit zwangsläufig der Möglichkeit begeben, auf nachfolgend eintretende Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung sachgerecht zu reagieren.

3. Letztlich entscheidend für den notwendigen Inhalt der Folgenbelehrung nach § 66 Abs. 3 SGB I ist die damit verfolgte Warnfunktion.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

1.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.10.2015 – L 19 AS 1365/15 B ER – rechtskräftig

Niedergelassener Selbständiger ist als Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen – neu eröffneter Gewerbebetrieb

Kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – Selbständiger Rumäne i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU.

Leitsatz (Redakteur)
1. Selbständige Unionsbürger sind freizügigkeitsberechtigt, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), es sich also um Personen handelt, die von ihrer Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AUEV Gebrauch machen.

2. Es kann ihm nicht der Wille abgesprochen werden, eine wirtschaftliche Tätigkeit als niedergelassener Selbständiger auf unbestimmte Zeit zu betreiben (vgl. hierzu LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12).

3. Unerheblich für die Eröffnung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit ist, ob die Tätigkeit einen bestimmten Gewinn abwirft, insbesondere ob sie zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht, insbesondere bei Beginn der Ausübung der selbständigen Tätigkeit (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 29.06.2015 – 10 ZB 15.930). Insoweit steht der vom Antragsteller in den ersten neun Monaten erzielte Umsatz von 380,00 EUR – ´400,00 EUR monatlich nicht der Annahme einer Ausübung einer selbständigen Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU entgegen.

4. Sofern in der Rechtsprechung ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff (Urteil vom 04.02.2010 – C-14/09 Rechtssache Genc) eine Niederlassung verneint wird, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, deren Umfang sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt (LSG NRW, Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER), spricht dies im vorliegenden Fall nicht durchgreifend gegen die Annahme eines Aufenthaltsrechts i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU).

5. Das Vorhandensein von sehr wenigen Aufträgen kann im Rahmen einer Gesamtbewertung ein Anhaltspunkt für eine nur untergeordnete und unwesentliche selbständige Tätigkeit sein. Bei der Frage der Unwesentlichkeit ist aber zu berücksichtigen, dass es, wenn ein Gewerbebetrieb – wie im vorliegenden Fall – nicht übernommen, sondern neu eröffnet wird, oftmals einer längeren Anlauf- und Aufbauphase bedarf, bis der Betrieb sich trägt (OVG Bremen, Beschluss vom 21.06.2010 – 1 B 137/10). Wann eine Tätigkeit sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt, ist auch bislang in der Rechtsprechung weder beim Arbeitnehmerstatus noch bei dem Selbstständigenstatus geklärt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Vgl. dazu LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 BER – wonach ein britischer Staatsbürger insbesondere nicht als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) anzusehen ist, weil eine nur untergeordnete oder unwesentliche wirtschaftliche Betätigung nicht genügt, wenngleich auch nicht zu verlangen sein dürfte, dass die Einkünfte so hoch sein müssen, dass sie allein für den Lebensunterhalt auskömmlich sind (monatlich 200 Euro).

1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.10.2015 – L 19 AS 1452/15 B ER – rechtskräftig

Abbruch einer zumutbaren Maßnahme – § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II – dreiwöchiges – unentschuldigtes Fernbleiben von der Maßnahme bei der VHS – Eingliederungsvereinbarung – im Krankheitsfall erteilte Rechtsfolgenbelehrung – Verkürzung der Minderungsdauer (§ 31b Abs. 1 S. 4 SGB II)

Unentschuldigtes Fernbleiben bei der Maßnahme führt bei Leistungsbeziehern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben zur Sanktion (ihr Alg II wird auf die Bedarfe nach § 22 SGB II (Kosten für Unterkunft und Heizung) beschränkt.

Leitsatz (Redakteur)
1. Durch das dreiwöchige – unentschuldigtes Fernbleiben von der Maßnahme bei der VHS hat die alleinerziehende Mutter, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ihre fehlende Bereitschaft, die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten zur Abmeldung im Krankheits- oder Verhinderungsfall zu erfüllen, zum Ausdruck gebracht.

2. Den Anforderungen an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung genügt die im Hinblick auf die Meldepflichten im Krankheitsfall erteilte Rechtsfolgenbelehrung, denn die Antragstellerin ist in der Eingliederungsvereinbarung unter Punkt 4, Unterpunkt “Krankmeldung” konkret und zutreffend darüber belehrt worden, dass sich bei einem Verstoß gegen ihre Pflicht zur Abmeldung im Verhinderungs- oder Krankheitsfall ihr Alg II auf die Bedarfe nach § 22 SGB II (Kosten für Unterkunft und Heizung) beschränkt, so dass die Antragstellerin auf die sich aus § 31a Abs. 2 S. 1 SGB II ergebende Sanktion bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II konkret und verständlich hingewiesen worden ist.

3. Die Ermessensentscheidung, die das JC zulässigerweise (erst) im Widerspruchsbescheid vorgenommen hat, lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Insbesondere hat das JC zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin selbst nach der Abmahnung durch den Maßnahmeträger und dem Anhörungsschreiben erneut mehrere Tage unentschuldigt gefehlt hat, so dass sie ihr pflichtwidriges Verhalten fortgesetzt hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.10.2015 – L 19 AS 1623/15 B ER, L 19 AS 1624/15 B – rechtskräftig

Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG abgelehnt – keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes – keine Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11b SGB II im einstweiligen Rechtsschutz – Räumungsklage – Kosten der Unterkunft (verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
1. Im Hauptsacheverfahren geschützte Freibeträge nach § 11b SGB II finden im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Berücksichtigung, sie müssen vielmehr zur Deckung des aktuellen Bedarfes regelmäßig ausgeschöpft werden. Es handelt sich bei den Freibeträgen nach § 11b Abs. 1 Nr. 1 – 6 SGB II, Abs. 2 und 3 SGB II um bereite Mittel, die tatsächlich zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen und die über das Existenzminimum hinausgehen, das im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzes gesichert werden soll. Derartige Einkommensfreibeträge sind für die Sicherstellung des Existenzminimums regelmäßig einzusetzen. Dieser Einsatz ist gegenüber einer Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes vorrangig.

2. Ebenso haben die Antragsteller einen Anordnungsgrund betreffend die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht glaubhaft gemacht.

3. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 24.06.2015 – L 19 AS 360/15 B ER und vom 06.07.2015 – L 19 AS 931/15 B ER – mit Darstellung des Meinungsstandes) ist in der Regel die Erhebung einer Räumungsklage erforderlich. Selbst wenn ein Mietrückstand, eine Kündigung bzw. Androhung einer Kündigung seitens des Vermieters für die Annahme eines Anordnungsgrundes als ausreichend angesehen wird, ergibt sich eine aktuelle Gefährdung der Wohnung nicht aus dem Vortrag der Antragsteller. Nach eigenen Angaben bestehen keine Mietschulden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.5 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 14.10.2015 – L 7 AS 663/15 B ER

Keine Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz für den Antragsteller, der begehrt, dass das Jobcenter Auskunftsklagen beim Familiengericht, ein Zwangsgeld sowie ein Bußgeldverfahren gegen den Antragsteller unterlasse.

Der Auskunftsbescheid nach § 60 Abs. 2 SGB II ist noch nicht bestandskräftig, somit haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. ein Satz 1 SGG – fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Leitsatz (Redakteur)
1. Es fehlt bereits an dem Rechtsschutzbedürfnis, weil der öffentlich-rechtliche Auskunftsanspruch nach § 60 Abs. 2 SGB II durch Widerspruch und Klage – jetzt auch durch Berufung – in seiner Vollziehbarkeit gehemmt ist (zur Verwaltungsaktqualität der Auskunftsforderung nach § 60 SGB II siehe BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 87/09 R). Dieses Auskunftsverlangen ist von der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 39 SGB II nicht erfasst. Es besteht gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung.

2. Soweit der Antragsteller das Unterlassen künftiger Maßnahmen verlangt, begehrt er vorbeugenden Rechtsschutz. Auch im einstweiligen Rechtsschutz gilt, dass für vorbeugende Unterlassungsbegehren ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse notwendig ist, das nicht gegeben ist, wenn der Betroffene auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Ein derartiges qualifiziertes Rechtsschutzinteresse ist für das Zwangsgeld und Bußgeldverfahren auf Grundlage des Auskunftsanspruchs nach § 60 Abs. 2 SGB II nicht erkennbar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.6 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 10.09.2015 – L 4 AS 109/14

Grundsicherung nach dem SGB II – freiberuflich tätig – Betriebseinnahmen – Erwerb einer digitalen Spiegelreflexkamera – Betriebsausgaben

Selbständige Aufstocker können Betriebsausgaben vom Einkommen absetzen, sofern sie nicht offensichtlich unangemessen sind. Maßstab ist eine Missbrauchsabwehr. Entscheidend ist, ob die Ausgabe aus Sicht eines verständigen wirtschaftlich handelnden Selbständigen vertretbar ist (hier verneinend).

Leitsatz (Redakteur)
1. Selbständiger Aufstocker kann die Kosten für den Erwerb einer digitalen Spiegelreflexkamera nicht als Betriebsausgabe geltend machen.

2. Zwar seien diese Ausgaben betrieblich veranlasst, sie seien jedoch nicht notwendig gewesen, denn die Anschaffung der Kamera stehe in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen. 3. Maßstab für die Frage der Betriebsnotwendigkeit sei nicht das für die Branche Übliche. Vielmehr konkretisiere § 3 Abs. 3 ALG II-VO das Merkmal der Notwendigkeit, wonach tatsächliche Ausgaben nicht abgesetzt würden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar seien oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung entsprächen. Ausgaben könnten bei der Berechnung ebenso nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis stehe.

4. Im Falle des Kaufs der Kamera überwiege die Pflicht zur Kostenvermeidung gegenüber der unternehmerischen Freiheit des Selbständigen. Dem Antragsteller sei ein gewisser Prognosespielraum zuzugestehen, ob eine Ausgabe unternehmensfördernd sei. Einnahmen seien aus dem durch den Erwerb der Kamera gewonnenen Auftrag jedoch nicht erzielt worden und es sei auch unklar, ob der Selbständige hierfür entlohnt werde.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

LSG Schleswig- Holstein, Urt. v. 14.11.2014 – L 3 AS 134/12

Grundsicherung nach dem SGB II- Kosten der Unterkunft – Kabelfernsehen

Hinweis RA Helge Hildebrandt, Kiel
Selbst dann, wenn Fernsehen ausschließlich über einen Kabelanschluss empfangen werden kann, hat ein Hartz-IV-Empfänger keinen Anspruch auf Übernahme der Gebühren für den Kabelanschluss als Kosten seiner Unterkunft, wenn diese Kosten nicht mietvertraglich geschuldet sind.

Siehe dazu: Jobcenter muss keine Kabelgebühren übernehmen: sozialberatung-kiel.de

Anmerkung:
Ebenso LSG NRW, Beschluss vom 07.04.2011, – L 7 AS 267/11 NZB – Kosten für das Kabelfernsehen und die Anschlussnutzungsgebühren sind nur dann zu übernehmen, wenn diese mietvertraglich geschuldet sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 48/08 R).

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Halle (Saale), Urteil v. 13.10.2015 – S 7 AS 4841/12 – Berufung zugelassen

Zur Frage der Auslegung des § 1 Abs. 7 Satz 4 Alg II-V – zur Absetzung der Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn der Vater ihr das Auto überlassen hat (bejahend)

Zur mindernden Berücksichtigung des sog. Taschengeldes aus dem Bundesfreiwilligendienstes in voller Höhe, wenn gleichzeitig Erwerbseinkommen bzw. Einkommen aus einer teilweise einkommensteuerbefreiten Aufwandsentschädigung erzielt wird.

Leitsatz (Redakteur)
1. Der höhere Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II ist als Freibetragsobergrenze zu begreifen, denn nach dem Wortlaut tritt der Betrag von 175 Euro “an die Stelle” des Betrages von 100 Euro (vgl. BSG vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 61/13 R).

2. Entsprechendes muss im Ergebnis auch für die Auslegung des § 1 Abs. 7 Satz 4 Alg II-V und damit für die Klärung des Verhältnisses zwischen dem bzw. den Freibeträgen für das Taschengeld und den restlichen Grundfreibeträgen gelten.

3. § 1 Abs. 7 Satz 4 Alg II-V ist nicht in der Weise anzuwenden, dass die Privilegierung mit einem höheren Grundfreibetrag gänzlich entfällt, wenn gleichzeitig anderes Einkommen erzielt wird, für das ebenfalls Grundfreibeträge geregelt sind. Dieses Verständnis der Verordnung, also einer im Rang unter dem Gesetz stehenden Norm, folgt aus dem höherrangigen gesetzlichen Verhältnis der Grundfreibeträge für Erwerbseinkommen und aus steuerprivilegierter (ehrenamtlicher) Tätigkeit und der Verpflichtung, geltendes Recht in verfassungskonformer Weise auszulegen und anzuwenden.

Anmerkung:
S. a. zur Bereinigung des Einkommens beim Zusammentreffen von Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst mit (anderem) Erwerbseinkommen – Thüringer LSG, Urteil vom 23.09.2015 – L 4 AS 17/15 – rechtskräftig – Revision wird zugelassen

2.2 – Sozialgericht Halle (Saale), Beschluss v. 13.10.2015 – S 32 AS 3462/15 ER

Bewilligung von Prozesskostenhilfe – nicht unerhebliche Erfolgsaussicht – Einstandsgemeinschaft – gemeinsames Einkaufen – mehrfache Übernachtungen des ” Freundes ” in der Woche in der Wohnung der Antragstellerin

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Umstand, dass gemeinsam Wäsche gewaschen werde, man sich täglich sehe, z. T. gemeinsam einkaufe und der Freund mehrfach in der Woche in der Wohnung der Antragstellerin nächtige, soll genügen, um schon jetzt von einer Lebens- und Einstandsgemeinschaft und damit von einer Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 7Abs. 3 Ziff. 3c SGB II auszugehen.

2. Genau diese Konsequenz ist aber mehr als zweifelhaft.

3. Die Beweisregel in § 7 Abs. 3a Ziff. 1, wonach bei einem Zusammenleben für die Dauer von mehr als einem Jahr, der Wille füreinander einzustehen, vermutet wird, nimmt Bezug auf zwei wesentliche Kriterien einer Lebensgemeinschaft:

4. Zusammenleben und Dauer der Beziehung.

5. Das Zusammenleben ist lediglich in atypischen Fällen (z. B. Berufspendler) abdingbar, weshalb die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft hier schon kaum vertretbar ist.

6. Die Dauer der Beziehung ist deshalb von Bedeutung, weil zwischen einer Beziehung im Stadium der “Verfestigung” und einer bereits gefestigten Beziehung gerade unter dem Aspekt des Einstandswillens zu unterscheiden ist, da dieser Wille gerade eine gefestigte Beziehung kennzeichnet.

7. Insoweit ist zurzeit deshalb bei der Antragstellerin und deren Freund noch nicht von einer Lebens- und Einstandsgemeinschaft auszugehen. Ob dies in Zukunft der Fall sein wird, mag sich erweisen.

Anmerkung:
SG Stuttgart, S 18 AS 4309/14 ER, Beschluss vom 29.08.2014 – Die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft bei nicht verheirateten Partnern setzt zwingend das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts voraus. Allein das Unterhalten einer Liebesbeziehung unter Beibehaltung getrennter Haushalte ist nicht geeignet, eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen, auch wenn die Partner abwechselnd in der Wohnung des anderen Partners übernachten; SG Ulm, Urteil vom 05.03.2014 – S 4 AS 1764/13 – Voraussetzung für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB ll ist, dass Partner in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben (dazu ausführlich BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12).

2.3 – Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 12.08.2015 – S 14 AS 992/14

Das Jobcenter hat gegen die Leistungsbezieherin wegen sozialwidrigen Verhaltens einen Anspruch auf Erstattung erbrachter Leistungen – § 34 Abs. 1 SGB II

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB II liegen vor, denn sie ist ausschließlich aus Gründen des Wohls ihres Sohnes nicht arbeiten gegangen.

2. Durch den Wortlaut des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II ist das Herbeiführen der Voraussetzungen künftiger Leistungen auch erst während des laufenden Leistungsbezuges (d.h. für den folgenden Bewilligungszeitraum) keineswegs ausgeschlossen (a. A. Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.03.2008 (Az.: L 3 B 187/07 AS-ER), nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert – BSG, Urteil v. 02.11.2012 (Az.: B 4 AS 39/12 R).

3. Wenn ein Beschäftigungsverhältnis in Kenntnis der dann eintretenden Hilfebedürftigkeit aufgegeben wird, so ist dieses Verhalten – in grundsicherungsrechtlicher Hinsicht – als sozialwidrig anzusehen. Nicht anders ist der vorliegende Fall der Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses zu werten.

2.4 – SG Berlin, Beschluss vom 21.10.2015- S 203 AS 19872/15

Hinweis (Gericht)
1. Bis zu einer konsensualen Entscheidung der betreffenden Leistungsträgern ist von einer Erwerbsfähigkeit auszugehen und es sind Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen

2. § 44a SGB II enthält eine Nahtlosigkeitregelung, die mit einer Zahlungspflicht des Leistungsträges einhergeht.

Anmerkung:
S. dazu Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin: Erwerbsfähig- bis das Gegenteil vom zuständigen Träger festgestellt: www.ra-fuesslein.de

2.5 – Sozialgericht Gießen, Beschluss v. 21.05.2015 – S 27 AS 375/15 ER

Unangemessene Heizkosten bei Hauseigentümern – Anspruch auf weitere Leistungen für Kosten der Heizung, weil Kostensenkungsmaßnahmen nicht zumutbar sind – § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II – Anordnungsgrund – Offen ist zudem, ob das schlüssige Konzept des JC überhaupt den Anforderungen des BSG entspricht.

Der Umzug wäre nicht wirtschaftlich sinnvoll. Ein Leistungsbezieher kann auch Leistungen für unangemessene Heizkosten beanspruchen, wenn ein Wohnungswechsel zwar zu niedrigeren Heizkosten, nicht aber zu niedrigeren Gesamtkosten führt.

Leitsätze (Redakteur)
1. Die tatsächlichen Aufwendungen sind bereits deshalb weiterhin zu übernehmen, weil der Antragstellerin Kostensenkungsmaßnahmen nicht zumutbar sind. Als Kostensenkungsmaßnahme kommt vorliegend nur ein Wohnungswechsel in Betracht, weil eine Einsparung von Heizöl angesichts des energetischen Standards des Hauses nicht möglich erscheint und die Antragstellerin keine finanziellen Mittel für eine Sanierung des Hauses oder Renovierung und Umbau zum Zweck der Teilvermietung hat.

2. Schließlich ist ein Wohnungswechsel als Kostensenkungsmaßnahme wegen zu hoher Heizkosten nur dann zumutbar, wenn in einer alternativ zu beziehenden Wohnung insgesamt tatsächlich niedrigere Bruttowarmkosten entstehen (BSG, Urteil vom 12. Juni 2013, B 14 AS 60/12 R). Diese Maßstäbe gelten prinzipiell auch für Haus- und Wohnungseigentümer.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso bei Mietwohnungen: Bay. LSG, Beschl. v. 29.012014 – L 7 AS 25/14 B ER; Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 1. Oktober 2014 (Az.: S 43 AS 5294/14.ER), bestätigt durch das LSG Sachsen, Beschluss vom 3. Februar 2015 (Az.: L 2 AS 1326/14 B ER).

2.6 – Sozialgericht Reutlingen, Urteil v. 31.08.2015 – S 7 AS 758/14 – rechtskräftig

Erlassentscheidung; fehlende Entscheidungskompetenz der Bundesagentur für Arbeit; Einzug von Forderungen des Jobcenters; Aufgabenübertragung nur im Wege eines Beschlusses der Trägerversammlung zulässig

Leitsätze (Juris)
1. Eine wirksame Aufgabenübertragung der gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) auf die Bundesagentur für Arbeit (hier: Forderungseinzug) setzt einen Beschluss der Trägerversammlung voraus.

2. Entscheidungen des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung, Dienstleistungen “einzukaufen”, reichen für eine Aufgabenübertragung nicht aus, wenn es sich – wie beim Forderungseinzug – um gesetzlich zugewiesene Kernaufgaben handelt.

3. Fehlt es an einem Beschluss der Trägerversammlung, ist die Bundesagentur für Arbeit weder zum Einzug von Forderungen noch zur Entscheidung über Erlassanträge befugt. Auf die unwirksame Kompetenzübertragung gestützte Bescheide sind rechtswidrig.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 24.09.2015 – L 4 SO 2/15

Dem Antragsteller steht kein Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendigerer Ernährung zu (Schuppenflechte, Allergien, abdominelle Beschwerden und Dysphagie, Kuhmilchallergie, Laktoseintoleranz), denn weitere Untersuchungen bzw. Vorstellung beim Dermatologen lehnte er ab.

Leitsatz (Redakteur)
1. Auch wenn das Bundessozialgericht z.B. in seinen Entscheidungen vom 22. November 2011 (B 4 AS 138/10 R) und vom 14. Februar 2013 (B 14 AS 48/12 R) betont, dass es sich bei den Empfehlungen nicht um ein sog. antizipiertes Sachverständigengutachten handele, ist allerdings nicht zweifelhaft, dass die Empfehlungen zumindest eine wichtige Orientierungshilfe darstellen (so bereits BVerfG, Beschl. v. 20.06.2006 – 1 BvR 2673/05; BSG, Urt. v. 22.11.2011 – B 4 AS 138/10 R; BSG, Urt. v. 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R).

2. Im Dezember 2014 hat der Deutsche Verein seine Empfehlungen zu den Krankenkostzulagen überarbeitet und erstmals auch Aussagen zu Mehrbedarfen bei Laktose- und Fruktoseintoleranzen getroffen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass im Regelfall die Ernährung bei Bestehen dieser Unverträglichkeiten nicht kostenaufwendiger sei (Empfehlungen, S. 8).

3. Hier ist lediglich von einem Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeit gegenüber Mais, Rind, Fisch, Avocado, Banane, Paprika, Sellerie, Spinat, Tomate, Sojabohne und Mandel die Rede und eine Vorstellung beim niedergelassenen Dermatologen zur Durchführung spezieller Allergie-Nahrungsmittelteste soll der Kläger abgelehnt haben.

4. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, sich in diesem Zusammenhang nicht mehr weiter untersuchen lassen zu wollen. Unter diesen Voraussetzungen sieht sich der Senat nicht veranlasst, selbst weitere Ermittlungen anzustellen (vgl. BSG, Urt. v. 9.6.2011, B 8 SO 11/10 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 24.09.2015 – L 4 SO 40/14

Der Träger der Sozialhilfe muss keine Kosten für Gebärdensprachdolmetscher übernehmen, denn die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen durch den Sozialhilfeträger steht unter dem Vorbehalt der Bedürftigkeit.

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten ergibt sich nicht aus dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG).

2. Auch aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ergibt sich kein Anspruch.

3. Auch aus dem VN-BRÜ lässt sich kein unmittelbarer Individualanspruch auf Übernahme der Kosten für den Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers für einen konkreten Anlass entnehmen. Auch Art. 26 VN-BRÜ, der Maßnahmen verlangt, um “Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren”, ist nicht bestimmt genug, um daraus einen konkreten Anspruch abzuleiten ((Urteil des Senats vom 20.11.2014, L 4 SO 15/13).

4. Eine Einschränkung der Vermögensanrechnung ist nicht nach § 92 Abs. 2 SGB XII geboten, wonach behinderten Menschen in bestimmten Fällen die Aufbringung eigener Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten ist. Der Antragsteller gehört zwar zu dem in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personenkreis, ein von § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erfasster Sachverhalt liegt in seinem Falle jedoch nicht vor.

5. Auch § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII steht dem Vermögenseinsatz nicht entgegen, weil dieser für den Antragsteller eine Härte bedeuten würde. für die Anwendung einer Härteregelung nur solche atypischen Fälle in Betracht, bei denen angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber, hätte er sie gekannt, eine entsprechende Regelung getroffen hätte. So liegt es hier jedoch gerade nicht, und zwar weder unter dem Aspekt der Höhe der Kosten noch mit Blick auf die Behinderung des Klägers.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 24.09.2015 – L 4 SO 82/14

Ablehnung von Prozesskostenhilfe – Kein Anspruch auf Sozialhilfe aufgrund Vermögens – private Rentenversicherung – dem Leistungsanspruch stehe der Vorbehalt fehlenden Vermögens und Einkommens entgegen (vgl. § 2 SGB XII)

Leitsätze (Redakteur)
1. Die Kündigung der privaten Rentenversicherung und der Einsatz des Erlöses ist nicht nach § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen.

2. Die Verwertung sei ihm auch zuzumuten. Sie stelle keine Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar. Allein die behauptete Zweckbestimmung der Alterssicherung vermöge keine allgemeine Härte i.S. der Vorschrift zu begründen. Das folge auch nicht daraus, dass der Antragsteller wegen der Erwerbsminderung möglicherweise bis zum Eintritt in das Rentenalter keine Altersvorsorge mehr betreiben könne, denn er beziehe lediglich eine bis 2016 befristete Erwerbsminderungsrente.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – SG Aurich, Urteil vom 15.06.2011 – S 13 SO 14/07

Sozialhilfe – Eingliederungshilfe – Vermögenseinsatz – Verwertbarkeit eines Miteigentumsanteils an einer Immobilie – Belastung mit einem dinglichen Wohnrecht – Darlegungslast

Leitsatz (Juris)
Bei substantiierten Vortrag der Verwertbarkeit ist es Sache des Leistungsempfängers, eine Unverwertbarkeit darzulegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Urteil des SG Aurich wurde bestätigt durch LSG NSB, Urt. v. 25.09.2011 – L 8 SO 261/11 – Beschwerde beim BSG (B 8 SO 97/14 B) durch die Klägerin wurde als unzulässig verworfen.

4.2 – Sozialgericht Detmold, Urteil v. 13.10.2015 – S 2 SO 208/13

Zur Anrechnung von Schadensersatzleistungen aufgrund eines Verkehrsunfalls – Geldrente nach § 843 BGB

Die vom Landgericht aus § 843 BGB zugesprochenen Geldzahlungen von 100 Euro monatlich sind anrechnungspflichtiges Einkommen im Sinne des SGB XII.

Leitsatz (Redakteur)
Bei der Geldrente aus § 843 BGB handelt es sich um einen Schadensersatz und nicht um Schmerzensgeld. Deshalb fällt es nicht unter die Ausnahme des § 82 Abs. 1 SGB XII und müsse daher als Einkommen angerechnet werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

5.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18.09.2015 – L 9 AL 6/15 – anhängig beim BSG unter dem Az. B 11 AL 76/15 B

Keine Bewilligung von Arbeitslosengeld I.

Leitsatz (Redakteur)
Im Rahmen der Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2a SGB III kommt eine Berücksichtigung der nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 BEEG verlängerten Elternzeit nicht in Betracht.

Verfassungsrecht ist hierdurch nicht verletzt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 23.09.2015 – L 2 AL 57/13

Keinen Gründungszuschuss für eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt – Ermessensreduzierung auf Null

Leitsätze (Redakteur)
1. Eine Verurteilung des Jobcenters zur Zahlung des vom Antragsteller begehrten Gründungszuschusses komme nur in Betracht, wenn von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen und nur eine Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers als ermessensfehlerfrei anzusehen sei. Hierfür lägen keine Anhaltspunkte vor.

2. Eine solche Ermessensreduzierung auf null setzt nach allgemeinen Kriterien voraus, dass nach dem festgestellten Sachverhalt das Vorliegen von Umständen ausgeschlossen ist, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zulassen. Sie liegt somit vor, wenn jede andere Entscheidung sich zwingend als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig darstellen würde (vgl. etwa Hessisches LSG, Beschluss vom 5. April 2012 – L 7 AS 46/12 B ER). Auf den Anspruch nach § 57 SGB III a.F. übertragen bedeutet dies, dass eine Ermessensreduzierung – neben dem Fall einer Selbstbindung im Einzelfall durch eine entsprechende Zusicherung (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 10. April 2014 – L 3 AL 141/12), für den es angesichts des Inhalts der Eingliederungsvereinbarung keinen Anhalt gibt – in der Regel nur dann angenommen werden kann, wenn es sich bei der von der aufgenommenen selbständigen Tätigkeit um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2015 – L 13 AL 1924/14).

3. Hierfür ist allerdings nichts dargetan und nichts ersichtlich.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.10.2015, L 8 AY 40/15 B ER

Zur Zulässigkeit der Unterbringung einer Flüchtlingsfamilie in einem Wohncontainer

Leitsätze (Juris)
1. Die Unterbringung in einem Wohncontainer kann den notwendigen Bedarf an Unterkunft für eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie vorübergehend decken.

2. Bei der Ermessensentscheidung über die Art der Unterbringung durch Gewährung einer Leistung ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Unterbringung einer Familie mit schulpflichtigen Kindern in beengten Verhältnissen in einem Wohncontainer insbesondere wegen der eingeschränkten Intimsphäre und der begrenzten Rückzugsmöglichkeiten (auch für Schularbeiten) nicht für längere Zeit erfolgen darf.

3. Angesichts des Anstiegs der unterzubringenden Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG liegt auf der Hand, dass die Kommunen derzeit häufig über keinen alternativen Wohnraum verfügen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Anmerkung:
S. a. : Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 14/15 v. 28.10.2015: Unterbringung von Flüchtlingen in Wohncontainern grundsätzlich zumutbar: www.juris.de

7.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

7.1 – Sozialgericht Landshut, Gerichtsbescheid v. 21.10.2015 – S 11 AY 41/15

Asylbewerberleistung – Grundleistung – kein pauschaler Mehrbedarf für Alleinerziehende – konkret-individuelle Bedarfsdeckung – Verfassungsmäßigkeit

Keine Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfes wegen Alleinerziehung entsprechend § 30 Abs. 3 SGB 12.

Leitsatz (Redakteur)
1. Es kann von keiner planwidrigen Regelungslücke für Mehrbedarfsleistungen für Alleinerziehende im AsylbLG ausgegangen werden.

2. Bei den Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG, insbesondere nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, sind pauschale Mehrbedarfe für Alleinerziehende nicht vorgesehen. Insoweit ist der konkrete, ggf. durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen zu deckende Bedarf maßgeblich.

3. Die Entscheidung des Gesetzgebers, wegen des Bedarfs bei Alleinerziehung einerseits im SGB II und dem SGB XII pauschale Geldleistungen zu erbringen und andererseits im AsylbLG eine konkret individuelle Bedarfsdeckung vorzusehen, verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 1 GG und auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG (Anlehnung an Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2014 (Az.: L 8 AY 57/14 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.12.2014 – L 20 AY 76/14 B ER, L 20 AY 77/14 B ER

7.2 – SG Berlin, Beschl. v. 20.10.15 – S 47 AY 342/15 ER

SG Berlin: Aufnahmeeinrichtung oder 846 Euro Vorkasse für Asylbewerber

Das Sozialgericht Berlin hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales vorläufig verpflichtet, den Antragsteller, einen 26jährigen Afghanen, bis zum Jahresende in einer Aufnahmeeinrichtung unterzubringen oder aber einen Betrag von 846 Euro als Vorkasse für ein vom Antragsteller gefundenes Hostel zu überweisen.

Die 846 Euro Vorkasse setzen sich aus 47 Übernachtungen in einem Sechsbettzimmer à 18 Euro zusammen. Der Antragsteller habe zwar einen gültigen Kostenübernahmeschein für eine Notunterbringung (sogenannter HostelGutschein) und 600 Euro in bar zum Lebensunterhalt erhalten. Er habe jedoch glaubhaft gemacht, bei allen Unterkünften abgewiesen worden zu sein. Entweder seien diese belegt gewesen, oder die Betreiber hätten mit Hinweis auf die schlechte Zahlungsmoral des Landesamts für Gesundheit und Soziales auf Vorkasse bestanden.

Im Übrigen sehe das Asylbewerberleistungsgesetz die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft als Regelfall vor. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales sei in der Pflicht, dem Antragsteller diese Sachleistung zu verschaffen. Es könne die Bemühungen, eine Unterkunft zu finden, nicht ohne weiteres auf den Antragsteller verlagern.

Weiterlesen: www.rechtsindex.de

8.   Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 28.10.2014 – B 14 AS 36/13 R (dejure.org/2014,31768)

Autor: Christian Olthaus, Oberregierungsrat

Normen: § 7 SGB 2, § 11b SGB 2, § 12 SGB 2, § 2 AlgIIV 2008, § 51 StVollzG, § 11a SGB 2, § 11 SGB 2, § 37 SGB 2

Quelle: juris

Berücksichtigung von Überbrückungsgeld als Einkommen

Leitsatz
Der für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen maßgebliche Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wirkt auch dann auf den Ersten des Antragsmonats zurück, wenn für die Zeit vor Antragstellung kein Leistungsanspruch besteht.

9.   BGH verneint Annahmepflicht – Keine Kollegialität bei Zustellung von Anwalt zu Anwalt

Zu BGH, Urt. v. 26.10.2015 – AnwSt (R) 4/15 – dejure.org

Darf ein Anwalt die Annahme eines Schreibens der Gegenseite verweigern, um diese so in den Fristablauf zu treiben?

Darf er, bestätigte nun der BGH. Er ist den Interessen seines Mandanten verpflichtet, nicht denen seiner Kollegen.

Weiter: www.lto.de

10.   Aktuelles: 28.10.2015: Verfassungswidrige Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz – Roland Rosenow, Sozialrecht in Freiburg

28.10.2015: Verfassungswidrige Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz

Im Beschluss vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10) zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen des damaligen AsylbLG als evident verfassungswidrig verworfen und angeordnet, dass Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG sofort deutlich höhere Leistungen erhalten.
Die Sozialgerichte werden nun mit Eilanträgen und Klagen konfrontiert werden, die sich nicht gegen Verwaltungsentscheidungen richten, die gegen das Gesetz verstoßen, sondern die sich gegen ein Gesetz richten, das gegen das Grundgesetz verstößt. Wenn sie ihre Bindung an Recht und Gesetz ernst nehmen, müssen sie die Sache möglichst bald dem BVerfG vorlegen. Wenn die gesetzgebende Gewalt gegen das Recht verstößt, muss die rechtsprechende Gewalt die Geltung des Rechts durchsetzen. Sie verfügt über die Mittel dafür.

[Informationen zur Reform] [Interview mit Roland Rosenow auf Radio Dreyeckland zum Thema] (rr)

Quelle: www.sozialrecht-in-freiburg.de

11.   Flüchtlingsproblematik erreicht das Sozialgericht – Signifikanter Anstieg der Verfahrenszahlen im Oktober

Pressemitteilung vom 26.10.2015 
In den ersten drei Wochen des Oktobers 2015 sind beim Sozialgericht Berlin über 50 Verfahren nach dem Asylbewerberleistungsgesetz registriert worden. Für das – bezogen auf die Eingangszahlen des gesamten Gerichts – bisher vergleichsweise kleine Rechtsgebiet bedeutet das einen Zuwachs von über 100% im Vergleich zum bisherigen Monatsdurchschnitt. Die meisten Fälle betreffen Eilanträge von Flüchtlingen gegen das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo). Doch auch Klagen von Leistungserbringern wie Ärzten und Hostels, die auf Geld vom LAGeSo warten, sind eingegangen.

Zu beachten ist, dass sich die Zuständigkeit des Sozialgerichts auf den Streit um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beschränkt. Dabei verteilt das Sozialgericht selbst keinerlei Leistungen. Es kann lediglich das LAGeSo zur Gewährung von Leistungen verpflichten. Die Umsetzung der Entscheidungen des Gerichts obliegt dann der Behörde.

Folgende Beispielsfälle veranschaulichen die Situation: S 47 AY 342/15 ER (Beschluss vom 20.10.15):

weiterlesen: www.berlin.de

12.   Zwangsverrentung – BSG ignoriert Grundgesetz, ein Beitrag von Herbert Masslau zu BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15 R

weiterlesen: www.herbertmasslau.de/zwangsverrentung-bsg.html

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de