1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2015 – L 3 AS 2118/14 – anhängig beim BSG unter dem Az. B 4 AS 45/15 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II – Eingliederungsverwaltungsakt – Rechtmäßigkeit auferlegter Obliegenheitspflichten zur Erreichbarkeit – Wiederholung des Gesetzestextes des § 7 Abs 4a SGB II – verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (Redakteur)
1. Die einem Leistungsbezieher in einem Eingliederungsverwaltungsakt gem § 15 Abs 1 S 6 SGB II auferlegte Obliegenheitspflichten, die lediglich die gesetzlichen Regelungen des § 7 Abs 4a S 1 SGB II zur Anwesenheit im orts- und zeitnahen Bereich wiederholen, unterliegen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
2. Die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II ist auch vom Bundessozialgericht nicht beanstandet worden (BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 166/11 R).
3. Die ErreichbarkeitsAO verletzt nicht höherrangiges Recht (Bay LSG, Beschluss v. 03.03.2009 – L 11 AS 23/09 NZB).
Rechtstipp:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.06.2013 – L 6 AS 89/12 – BSG, Beschluss vom 20.11.2013 – B 14 AS 393/13 B – Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt – zulässiger Inhalt und Bestimmtheit – Regelungen zur Ortsabwesenheit
Leitsatz (Redakteur)
Im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung/Eingliederungsverwaltungsakts sind auch Regelungen über die Ortsabwesenheit/Verfügbarkeit des Hilfebedürftigen trotz des seit dem 1. August 2006 in § 7 Abs. 4a SGB II aufgenommenen Verweises zur Anwendbarkeit der Erreichbarkeits-Anordnung grundsätzlich möglich.
1.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 20.10.2015 – L 13 AS 4522/13 – Revision wird zugelassen
Zur Frage, ob von der freiwilligen Schülerzusatzversicherung eine Versicherungspauschale von dem Einkommen der Klägerin (Kindergeld i.H.v.184 EUR monatlich) abzuziehen ist – Bagatellbeitrag
Monatlich 30 € mehr Hartz-IV durch 1-Euro-Schülerversicherung
Leitsatz (Redakteur)
1. Das Jobcenter muss für die 16-jährige Leistungsbezieherin von ihrem Kindergeld die monatliche Schülerzusatzversicherung in Höhe von einem Euro Versicherungsbeitrag im Jahr als angemessene Versicherung im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V und § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II absetzen (vgl. zur Bestimmung der grundsicherungsrechtlichen Angemessenheit einer privaten Unfallversicherung für Kinder und Jugendliche – BSG, Urteil vom 16. Februar 2012, B 4 AS 89/11 R).
2. Die Höhe des Beitrags ist für den pauschalierten Abzug nicht von Relevanz (vgl. zum Bagatellbeitrag – BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, B 14 AS 30/13 R).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.3 – LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14. November 2014 (Az.: L 3 AS 134/12):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Jobcenter die Kabelgebühren im Rahmen der Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II zu berücksichtigen hat, kann nicht vertreten werden, dass der Fernsehempfang dem Bedarf “Wohnen” zuzuordnen ist.
2. Ein hilfebedürftiger Mieter kann sich nur in einem Fall, in dem das für den Kabelanschluss fällige Nutzungsentgelt einen notwendigen Bestandteil des fällig werdenden Mietzinses im Rahmen der Betriebskostenabrechnung darstellt, diesen Aufwendungen regelmäßig nicht entziehen.
3. Zum Wohnen und zur Unterkunft gehören nur solche Bedarfe, die der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und Aufenthalt einschließlich der Unterbringung von Gegenständen aus dem persönlichen Lebensbereich dienen.
4. Hierzu gehört der Kabelanschluss nicht.
5. Aufwendungen für die Kabelanschlussgebühren sind vielmehr von den vom Regelbedarf im Einzelnen erfassten Bedarfen (“…persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens…” im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II) mit umfasst.
1.4 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Oktober 2015 (Az.: L 5 AS 643/15.B.ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Rechtswirksamkeit einer nach § 68 AufenthG abgezeichneten Verpflichtungserklärung (“Haftung für Lebensunterhalt”) erlischt mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. AufenthG.
2. Hier erwirbt die auf der Grundlage gerade auch dieser Verpflichtungserklärung in das Bundesgebiet eingereiste nichtdeutsche Person ein von der Sicherung des Lebensunterhalts unabhängiges Aufenthaltsrecht.
3. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. AufenthG setzt den Bestand einer wirksamen, nach § 68 AufenthG abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht voraus.
4. Diese Verpflichtungserklärung stellt schließlich keine Anspruchsgrundlage für den Antragsteller auf die Gewährung von Leistungen der dieses Papier abzeichnenden Person an ihn dar. Über § 68 AufenthG ist lediglich den zuständigen Sozialbehörden eine Regressmöglichkeit gegenüber dem Garantiegeber in Bezug auf für den Lebensunterhalt des Antragstellers entstandene Kosten eingeräumt.
1.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.10.2015 – L 5 AS 629/15 B ER – rechtskräftig
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrags (hier nicht rechtmäßig) – Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen – Anforderungen an die Ermessensausübung (hier fehlerhaft) – unvollständige Sachverhaltsermittlung – veraltete Rentenauskunft
Zu den Anforderungen an die Ermessensausübung bei der Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente.
Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, denn es müsse Ermessen ausgeübt werden hinsichtlich der Aufforderung nach § 12a SGB II, eine vorrangige Leistung zu beanspruchen, sowie hinsichtlich einer ersatzweisen Antragstellung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II.
Leitsatz (Redakteur)
1. Hat die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente zur Folge, dass ab Beginn des Rentenbezugs ergänzende Leistungen nach dem SGB XII durch die Antragstellerin und ihren Partner in Anspruch genommen werden müssen, ist dies im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen. Dies führt jedoch nicht automatisch zu einer gebundenen Entscheidung i.S. einer Ermessensreduzierung auf null zu Gunsten der Antragstellerin. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die vorzeitige Altersrente grundsätzlich auch dann in Anspruch zu nehmen ist, wenn die Hilfebedürftigkeit dadurch nur verringert wird.
2. Ein Absehen von der Antragstellung kann aber im Einzelfall ggf. dann geboten sein, wenn sich aufgrund besonderer Umstände nach Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente ein Hilfebedarf nach dem SGB XII ergibt, der nur geringfügig unter dem Hilfebedarf nach dem SGB II vor Inanspruchnahme der Rente liegt.
3. Auf jeden Fall ist im Rahmen der Ermessensausübung die richtige Höhe der vorzeitigen Altersrente aufgrund einer aktuellen Auskunft des Rentenversicherungsträgers zugrunde zu legen. Eine Ermessenausübung auf fehlerhafter Tatsachenbasis ist in der Regel ermessenfehlerhaft (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. Juni 2015, L 4 AS 237/15 B ER).
4. Die Aufforderung des Leistungsträgers gem § 12a SGB II, vorzeitig eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen, ist ermessensfehlerhaft, wenn der Entscheidung ein unvollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt ist. Dies ist der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine in der Vergangenheit eingeholte Rentenauskunft nicht mehr aktuell ist.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.6 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 20.10.2015 – L 11 AS 617/15 NZB – rechtskräftig
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zurückgewiesen – Zusicherung gemäß § 22 Abs. 6 SGB II – vor Beauftragung der Umzugsfirma – Bestellung des Umzugswagens – Ablehnung der Umzugskosten
Leitsatz (Redakteur)
Bei Nichtvorliegen der Zusicherung gemäß § 22 Abs. 6 SGB II und die fehlende Antragstellung vor Beauftragung der Umzugsfirma (Berlit in LPK – SGB II, 5. Auflage 2013, § 22 Rdnr. 162) muss das Jobcenter keine Umzugskosten übernehmen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Ebenso zum SGB XII: Bay LSG, Urteil vom 24.09.2014 – L 8 SO 95/14 – Die erforderliche, vorherige schriftliche (vgl. § 34 SGB X) Zustimmung muss vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die durch § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII ersetzbaren Kosten in rechtlich relevanter Weise begründet werden, d.h. also vor Abschluss eines mit einem gewerblich organisierten Umzugsunternehmen geschlossenen Vertrages.
1.7 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.10.2015 – L 8 AS 469/15 B ER
Ablehnung von SGB-II- Leistungen wegen Vermögen; Grundstücksverwertung; Veräußerungsbemühungen, fehlendes Verkehrswertgutachten
Leitsatz (Juris)
1. Es ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, wenn die Entscheidung der Rechtsfrage, ob Leistungsberechtigte ausreichende Verwertungsbemühungen gezeigt haben, zurzeit nicht möglich ist, weil diese in untrennbarem Zusammenhang mit einer substantiell belastbaren, einzelfallbezogenen Einschätzung des Verkehrswertes der zu veräußernden Immobilie steht.
2. Zur Pflicht des Jobcenter, das die Verwertung von Grundvermögen einfordert, den Leistungsberechtigten notfalls durch Übernahme der entsprechenden Kosten bei der Einholung eines einzelfallbezogenen, notwendigen Verkehrswertgutachten zu unterstützen.
1.8 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.06.2015 – L 20 AS 1297/15 B ER
Grundsicherung nach dem SGB II – Tätigkeit als Fremdsprachenlehrerin Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 FreizügG/EU – Arbeitnehmereigenschaft – untergeordnete unwesentliche Tätigkeit
Spanische Sprachlehrerin hat Anspruch auf ALG II – eine Tätigkeit in einem Umfang von 5 Stunden wöchentlich bei einer Entlohnung von 200,00 EUR kann nicht als “unwesentlich” angesehen werden.
Leitsatz (Redakteur)
1. Soweit bei der Beurteilung der “Wesentlichkeit” einer Tätigkeit im Rahmen des § 2 FreizügG/EU eine Orientierung an dem Grad der Deckung des Bedarfs nach dem SGB II vorgenommen wird, kann dies im Rahmen des § 2 FreizügG/EU bei der Beurteilung einer Arbeitnehmereigenschaft nicht von Bedeutung sein (vgl. aber LSG Berlin-Brandenburg v. 04.06.2015 – L 29 AS 1128/15 B ER – juris, Rn. 28), denn die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU ist gerade nicht an die Bedingung geknüpft, durch eine Erwerbstätigkeit (als Arbeitnehmer oder Selbständiger) den notwendigen Lebensunterhalt vollständig oder zu einem Teil decken zu können.
2. Die Ausübung einer Tätigkeit, die – wie vorliegend – auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages mit einem 8,50 Euro übersteigenden Stundenlohn vergütet wird, kann nicht als unwesentlich und untergeordnet angesehen werden, da mit ihr keine untergeordneten finanziellen Mittel erwirtschaftet werden und am Arbeitsleben teilgenommen wird.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
So wohl auch im Ergebnis: SG Heilbronn, Urteil vom 18.02.2015 – S 10 AS 3035/13, n. v.
1.9 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 02.09.2015 – L 7 AS 551/15 B ER – und – L 7 AS 552/15 B – rechtskräftig
Türkischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf Regelleistung nach dem SGB II.
Leitsatz (Redakteur)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betrifft in erster Linie Unionsbürger (zu denen der Antragsteller als türkischer Staatsangehöriger nicht gehört).
2. Seinem weiten Wortlaut nach ist die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II allerdings nicht auf Unionsbürger beschränkt. Auch andere Personen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, werden erfasst. Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung aus: “Vom Leistungsausschluss des neugefassten Satzes 2 erste Alternative werden auch die Fälle des § 16 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes erfasst: Ausländer, die sich nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums zum Zwecke der Suche nach einer studienbezogenen Beschäftigung noch ein Jahr in Deutschland aufhalten dürfen, müssen ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten.” Voraussetzung für die Anwendung des Leistungsausschlusses ist aber stets, dass feststeht, dass die Arbeitsuche der einzige Zweck ist, aus dem sich das Aufenthaltsrecht ergibt. Bezugspunkt dieser Feststellung ist bei Personen, die nicht Unionsbürger sind, in erster Linie der Aufenthaltstitel und dessen Rechtsgrund.
3. Die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers (zur Erteilung von Aufenthaltstiteln an türkische Staatsangehörige (vergl. § 4 Abs. 5 AufenthaltsG) wurde nicht zum Zweck der Arbeitsuche erteilt, sondern weil nach Auffassung der Ausländerbehörde der Antragsteller die Voraussetzungen des Art. 6 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllte.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.10 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 03.11.2015 – L 2 AS 1101/15 B ER – und – L 2 AS 1102/15 B – rechtskräftig
Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes – Berücksichtigung von Schulden – einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (Redakteur)
1. Dem einstweiligen Rechtsschutzgesuch musste schon wegen des Fehlens eines Anordnungsgrundes der Erfolg versagt bleiben.
2. Schulden können nur dann eine Notlage und damit einen Anordnungsgrund begründen, wenn über die bloße Existenz von Zahlungsrückständen hinaus eine Rückzahlung zur Beseitigung gewichtiger Nachteile für den Antragsteller zwingend erforderlich ist. Für eine derartige Sachverhaltsgestaltung ist hier nichts ersichtlich.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (LSG NRW, Beschluss vom 19.06.2015, L 2 AS 894/15 B ER) rechtfertigt auch die Existenz von Mietschulden regelmäßig nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erst wenn der Eintritt von Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit unmittelbar zu befürchten steht, was in der Regel zumindest die Anhängigkeit einer Räumungsklage voraussetzt, kommt eine Verpflichtung zur vorläufigen Bewilligung von Kosten der Unterkunft in Betracht. Auch für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hier nichts ersichtlich.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
S. a. dazu: LSG NRW, Beschluss v. 03.11.2015 – L 2 AS 1543/15 B ER
1.11 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.10.2015 – L 19 AS 1561/15 B ER -rechtskräftig
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente (hier bejahend) – Ermessensentscheidung des Grundsicherungsträgers – einstweiliger Rechtsschutz
Die Voraussetzungen der Pflicht zur vorzeitigen Rentenantragstellung sind vorliegend erfüllt.
Leitsatz (Redakteur)
1. Es kann dahin stehen, ob der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Aufforderung zur Rentenantragstellung i.S.v. § 12a SGB II vor Rentenantragstellung durch das Jobcenter unstatthaft und damit unzulässig ist (bejahend: LSG NRW, Beschluss vom 10.07.2015 – L 7 AS 818/15 BER; verneinend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.12.2014 – L 5 AS 2740/14 B ER).
2. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II können die Leistungsträger nach diesem Buch einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte einen solchen Antrag trotz Aufforderung nicht selbst stellt. Auch die Aufforderung zur Stellung des Rentenantrags steht im Ermessen des Leistungsträgers (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15 R).
3. Nach der gesetzlichen Konzeption stellt die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente den Grundsatz und die fehlende Pflicht bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres bzw. bei Unbilligkeit die Ausnahme dar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15 R).
4. Nach der Konzeption des § 12a SGB II entspricht es dem pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers, im Regelfall von der Ermächtigung zur Aufforderung zur Antragstellung Gebrauch zu machen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können deshalb nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Es kommen nur besondere Härten im Einzelfall in Betracht, die keinen Unbilligkeitstatbestand i.S.d. Unbilligkeitsverordnung begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen (BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15).
5. Allein die Tatsache, dass der Bezug einer vorzeitigen Altersrente mit dauerhaften Rentenabschlägen verbunden ist und der Rentenabschlag ggfls. eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII verursachen kann, begründet keine besondere Härte (BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15). Andere Umstände, die einen Fall der besonderen Härte begründen könnten, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen worden.
6. Die Regelungen des § 12a SGB II und der Unbilligkeitsverordnung sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 1/15).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Zur Zulässigkeit einer Aufforderung des Grundsicherungsträgers an den Leistungsberechtigten nach § 5 Abs 3 S 1 SGB 2 iVm § 12a S 1 SGB 2, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen – ist ein neues Verfahren beim BSG unter dem Az.: B 14 AS 46/15 R anhängig.
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – SG Heilbronn, Urteil vom 03.11.2015 – S 11 AS 1274/15
Arbeitslosengeld II – Sonderbedarf – Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt – Pauschale Reduzierung des Pauschalbetrages bei Geschwisterkindern unzulässig – § 24 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2
Die Richtlinie von der Stadt Heilbronn, wonach man Verwaltungsintern die Pflicht habe, Leistungen ab dem zweiten Kind pauschal zu kürzen, ist rechtswidrig.
Leitsatz (Redakteur)
1. Die Jobcenter dürfen bei Geschwisterkindern die Leistungen für die Babyausstattung nicht einfach pauschal kürzen.
2. Eine Leistungskürzung war nicht zulässig. Die anderen Kinder der 30-jährigen Klägerin seien bereits älter und im Kindergarten.
S.a.: Jobcenter zur Zahlung verurteilt: www.swr.de
Rechtstipp:
Unter Umstände kann auf bereits vorhandene Gegenstände älterer Geschwisterkinder zurückgegriffen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 05.01.2012 – L 9 AS 1191/11B, SG Bremen, Beschluss vom 27. Februar 2009 – S 23 AS 255/09 ER).
Anmerkung:
S. a. LSG NSB, Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.03.2012 – L 11 AS 1175/11 B – Sonderbedarf – Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt – Ablehnung wegen erbrachter Leistungen für älteres Geschwisterkind
2.2 – Sozialgericht Magdeburg, Beschluss vom 29.10.2015 – S 22 AS 3193/15 ER
Grundsicherung nach dem SGB II- Kosten der Unterkunft – zu heutigen einfachen und angemessenen Wohnbedürfnissen – Anordnungsgrund – keine Wanne oder Dusche – Erforderlichkeit des Umzugs (bejahend)
Leitsatz (RA Michael, Loewy)
1. Eine 25qm große Wohnung, die weder über ein Wanne oder Dusche und lediglich über eine Toilette und ein Waschbecken außerhalb der Wohnung im Treppenhaus verfügt, entspricht nicht mehr den heutigen einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen. In diesem Fall ist die Erforderlichkeit für einen Umzug gegeben.
2. Eine Direktabtretung der Mietzahlung, welche dazu führt, dass dem Hilfebedürftigen monatlich lediglich die Hälfte seiner Regelleistung zur Verfügung steht, begründet einen Anordnungsgrund.
Quelle: anwaltskanzlei-loewy.de
Anmerkung:
S. a. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.03.2011 – L 5 AS 359/10 B ER – Der Bezug einer Wohnung des untersten Ausstattungsstandards (fehlende Abgeschlossenheit, keine Zentralheizung, kein Bad) ist einem SGB II-Leistungsbezieher regelmäßig nicht zumutbar. Dementsprechend sind Wohnverhältnisse des untersten Standards regelmäßig auf Dauer und unzumutbar und begründen die Erforderlichkeit eines Umzugs; es sei denn, der Leistungsbezieher hat die Unterkunft in Kenntnis der Unzumutbarkeit bezogen und die gegebenen Wohnverhältnisse bewusst in Kauf genommen.
Rechtstipp:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.01.2015 – L 1 AS 5292/14 ER-B – Auch wenn die Unterkunft nicht über ein Bad oder eine Küche verfügt, kann sie geeignet sein, als Unterkunft i.S. von § 22 Abs. 1 SGB II zu dienen (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 1/08 R).
2.3 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2015 (Az.: S 203 AS 19872/15 ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Aus § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II geht für den Fall der Umstrittenheit einer weiteren Erwerbsfähigkeit von Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB II) eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 145 SGB III (Minderung der Leistungsfähigkeit) hervor.
2. Bei Auseinandersetzungen über die Erwerbsfähigkeit von Bezieher/innen von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II soll sich nicht der Effekt einstellen, dass diese Klientel weder vom Jobcenter nach dem SGB II noch vom Sozialamt gemäß dem SGB XII Leistungen zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts erhält.
3. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II hat auch Gültigkeit für den Fall, dass der SGB II-Träger von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgeht, aber nicht auf eine Abklärung der maßgeblichen Punkte mit dem zuständigen Sozialhilfeträger entsprechend § 86 SGB X hinwirkt.
4. Das Jobcenter darf hier nicht einfach von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgehen, ohne den zuständigen Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben, sowie es insbesondere nicht damit bewenden zu lassen, die Antragstellerin hätte einen Antrag auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII zu stellen. Hier liegt eine unzulässige Umgehung des entsprechend § 44a SGB II vorgesehenen Verwaltungsverfahrens vor.
Anmerkung:
S. dazu Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin: Erwerbsfähig- bis das Gegenteil vom zuständigen Träger festgestellt: www.ra-fuesslein.de
2.4 – Sozialgericht Dresden, Urteil v. 04.09.2015 – S 40 AS 2451/13 -. Die Berufung wird zugelassen
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Angemessenheitsprüfung – Einpersonenhaushalt in Dresden – Anforderungen an ein schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers – Kostensenkungsaufforderung
Hartz IV Empfänger in Ein- Personen-Haushalten in Dresden können höhere maximale Wohnkosten geltend machen.
Leitsatz (Redakteur)
1. Weder das Gutachten IWU I, welches Grundlage des Stadtratsbeschlusses vom 24.11.2011 geworden ist und für den Zeitraum ab dem 1.12.2010 Gültigkeit beansprucht, noch das Gutachten IWU II, welches Grundlage des Stadtratsbeschlusses vom 30.5.2013 geworden ist und ab dem 1.1.2013 Gültigkeit beansprucht, genügen den Anforderungen der Rechtsprechung an ein sogenanntes “schlüssiges Konzept” zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen.
2. Ein Wohnungswechsel als Kostensenkungsmaßnahme wegen unangemessen hoher Aufwendungen für die Heizung ist aber nur dann zumutbar, wenn in einer alternativ zu beziehenden Wohnung insgesamt niedrigere Bruttowarmkosten entstehen (vgl. BSG, Urteil vom 12.6.2013, B 14 AS 60/12 R).
3. Die Heranziehung der “Bruttowarmmiete” als Ermessensmaßstab für eine Kostensenkungsaufforderung hat aber andererseits auch die Konsequenz, dass ein Umzug bei einer zu hohen Bruttokaltmiete dann nicht verlangt werden kann, wenn die Heizkosten der Wohnung so extrem niedrig sind, dass insgesamt die Kostenüberschreitung bei der Bruttokaltmiete durch die fehlenden Heizkosten aufgefangen wird.
Anmerkung:
S. dazu a.: 14.09.2015 – Pressemitteilung des Sozialgerichts Dresden
Hartz IV: Musterverfahren zu den angemessenen Kosten der Unterkunft in Dresden entschieden: www.justiz.sachsen.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht
3.1 – Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 7. Oktober 2015 (Az.: S 42 AY 1/12):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der Beurteilung des Aspekts der Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist auf die gesamte Dauer des Aufenthalts einer nichtdeutschen Person im Bundesgebiet abzustellen.
2. Nachweisbar hat hier auf Seiten der Antragsteller/innen ein Vorsatz, bezogen auf eine die Aufenthaltsdauer beeinflussende Handlung, zu sein.
3. Antragsteller/innen haben ihre Passlosigkeit nicht zu vertreten, wenn sie ihren ausländischen Mitwirkungspflichten im hinreichenden Maße nachgekommen sind (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
4. Die Beweislast dafür, dass es sich bei den von Antragsteller/innen vorgelegten Papieren um Fälschungen handelt, trägt die mit der Durchführung des AsylbLG gemäß § 10 dieses Gesetzes bestimmte Behörde.
4. Merkblatt BAMF zur neuen Zielgruppe in den Integrationssprachkursen
Das entsprechende Merkblatt aus dem BAMF finden Sie im Anhang. Auf der Homepage des BAMF kann dieses Formblatt auch in Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch, Kurdisch und Tigrinia heruntergeladen werden: www.bamf.de
5. PKH-Verfahren – “unverzüglich” bedeutet jetzt “sofort” – Ein Beitrag von RA Mathias Klose
Ausgehend von § 121 BGB wurde dem Begriff “unverzüglich” bislang, im Allgemeinen und rechtsgebietsübergreifend die Bedeutung “ohne schuldhaftes Zögern” beigemessen. Ohne “schuldhaftes Zögern” handelt jemand dann, wenn er nicht sofort, aber innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen Frist handelt.
Die 4. Kammer des Sozialgerichts Regensburg hält an dieser Definition offensichtlich nicht fest und will wohl nur ein sofortiges Handeln als “unverzüglich” behandeln:
Der Autor beantragte für einen Mandanten im Bereich des SGB II (Hartz IV) den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) und beantragte für das einstweilige Rechtsschutzverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Anwaltsbeiordnung. Zur Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde die formularmäßige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verwendet und dem Gericht zusammen mit der Antragsschrift am 08.10.2015 übersendet.
Weiter: sozialrecht-aktuell.blogspot.de
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de