Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht – Beschluss vom 05.11.2015 – Az.: 14 PS 3/15

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

des Herrn xxx,
Klägers und Antragstellers,

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport Abteilung 5 – Verfassungsschutzabteilung, vertreten durch xxx
Beklagten und Antragsgegner,

Streitgegenstand: Auskunft an Betroffene nach § 13 NVerfSchG
– Antragsverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO –

hat der 14. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts als Fachsenat nach § 189 VwGO durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts xxx und die Richter am Oberverwaltungsgericht xxx und xxx am 5. November 2015 beschlossen:

Die Sperrerklärung des Beklagten vom 7. Mai 2015 ist rechtswidrig.

GRÜNDE
I.
In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Göttingen – 1 A 80/15 – begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten, eine vollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen.

Der Kläger beantragte bei dem Beklagten mit Schreiben vom 6. Mai 2014 auch, ihm Auskunft über die zu seiner Person in Akten und Systemen der elektronischen Datenerfassung und -bearbeitung gespeicherten Daten zu erteilen. Hierauf legte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2014 nur einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers gespeicherten Daten offen und lehnte im Übrigen wegen des Vorliegens von Verweigerungsgründen nach § 13 Abs. 2 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes eine Auskunftserteilung ab.

Am 28. Februar 2015 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben, mit der er die Verpflichtung des Beklagten begehrt, eine vollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen und hilfsweise den Antrag auf Erteilung einer vollständigen Auskunft neu zu bescheiden.

Mit Verfügung vom 2. März 2015 hat der Vorsitzende der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts den Beklagten unter anderem aufgefordert, die dort geführten Unterlagen vollständig vorzulegen.

Der Beklagte hat dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 7. Mai 2015 lediglich einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers geführten Verwaltungsvorgänge (Beiakte A im Hauptsacheverfahren vor dem VG Göttingen – 1 A 80/15 -) vorgelegt und im Übrigen erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erfolgen dürfe (Sperrerklärung). Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass nach Durchsicht der Akten und Ausübung des Ermessens davon ausgegangen werden müsse, dass ein Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile dem Wohl des Landes Niedersachsen Nachteile bereiten würde, da durch die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert wäre. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung gebiete es, die fraglichen Dokumente geheim zu halten. Weiter begründete der Beklage für die einzelnen zurückgehaltenen Aktenstücke das Vorliegen der Weigerungsgründe des Schutzes der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, der Informationsquellen und der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter.

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2015 hat der Kläger sinngemäß beantragt, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beklagten vom 7. Mai 2015 festzustellen.

Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Göttingen – 1. Kammer – mit Beschluss vom 22. Juli 2015 die Entscheidungserheblichkeit der vom Beklagten verweigerten Aktenteile dargelegt und das Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4, 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts abgegeben.

Im Hauptsacheverfahren hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2015 gegenüber dem Verwaltungsgericht eine neue Sperrerklärung abgegeben.

Im Zwischenverfahren hat der Beklagte am 27. Oktober 2015 die bei ihm geführten Verwaltungsvorgänge (Beiakte C im Zwischenverfahren 14 PS 3/15 (Verwaltungsakte) und Beiakte D im Zwischenverfahren 14 PS 3/15 (Sachakte)) dem Fachsenat vorgelegt.

II.
Der Antrag des Klägers ist zulässig und begründet. Die Sperrerklärung des Beklagten vom 7. Mai 2015 ist rechtswidrig.

In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind die Behörden gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Ausnahmsweise kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.

Ob die vom Verwaltungsgericht angeforderten Verwaltungsvorgänge wegen eines dieser Gründe geheimhaltungsbedürftig sind und ihre Vorlage deshalb nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ganz oder zumindest teilweise verweigert werden darf, vermag der Fachsenat auf der Grundlage der abgegebenen Sperrerklärung vom 7. Mai 2015 nicht nachzuvollziehen. Die Sperrerklärung vom 7. Mai 2015 genügt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines Weigerungsgrunds zu stellen sind.

Die Sperrerklärung ist eine Prozesserklärung, die im Hauptsacheverfahren nach einer förmlichen Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache über die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen abgegeben werden kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.6.2010 – BVerwG 20 F 1.10 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59). Die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die in Anspruch genommenen Weigerungsgründe des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegen. Insoweit muss die oberste Aufsichtsbehörde die Akten und Unterlagen aufbereiten und die behaupteten Weigerungsgründe nachvollziehbar darlegen. Dies erfordert grundsätzlich eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Gründe unter Angabe von Seiten- oder Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines einzelnen Dokuments (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012 – BVerwG 20 F 5.12 -, juris Rn. 8; Beschl. v. 25.6.2010, a.a.O., jeweils m.w.N.). Diese präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ist in der Sperrerklärung selbst und damit gegenüber dem Gericht der Hauptsache und den übrigen Beteiligten des Hauptsacheverfahrens vorzunehmen; die bloße behördeninterne Dokumentation (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012, a.a.O.) genügt ebenso wenig wie eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ausschließlich gegenüber dem Fachsenat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012 – BVerwG 20 F 7.11 -, NVwZ 2012, 1488, 1489; Senatsbeschl. v. 2.7.2015 – 14 PS 1/15 -, juris Rn. 14 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.8.2011 – 95 A 4.10 -, juris Rn. 6 ff.; anderer Ansicht BVerwG, Urt. v. 27.9.2006 – BVerwG 3 C 34.05 -, BVerwGE 126, 365, 373). Zwar soll durch die präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe gerade dem Fachsenat eine effektive gerichtliche Überprüfung der Sperrerklärung ermöglicht werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.10.2011 – BVerwG 20 F 24.10 -, juris Rn. 10). Die Sperrerklärung soll aber auch die Beteiligten in die Lage versetzen, über die Notwendigkeit der Einleitung eines Zwischenverfahrens zu entscheiden (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 99 Rn. 15). Die Beteiligten können unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs zudem auch im Zwischenverfahren beanspruchen, sich zu jeder dem Fachsenat zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme anderer Beteiligter zu äußern (BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012, a.a.O., S. 1489). Dieses, nicht zur Disposition stehende Recht der Beteiligten würde verletzt, wenn die präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Weigerungsgründe ausschließlich gegenüber dem Fachsenat erfolgt.

Die Sperrerklärung des Beklagten vom 7. Mai 2015 genügt den danach bestehenden Anforderungen nicht. Sie enthält neben Ermessenserwägungen nur eine allgemeine Beschreibung von Weigerungsgründen. Die erforderliche präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Gründe unter Angabe von Blattzahlen der verweigerten Aktenteile enthält die Sperrerklärung indes nicht. Die präzisierende Umschreibung und Zuordnung der geltend gemachten Gründe ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei Durchsicht der Akte die Zuordnung der Geheimhaltungsgründe ohne Weiteres erschließt (vgl. zu dieser Ausnahme: BVerwG, Beschl. v. 21.8.2012, a.a.O., Rn. 8).

Ob die vom Beklagten mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2015 im Hauptsacheverfahren gegenüber dem Verwaltungsgericht abgegebene neue Sperrerklärung rechtmäßig ist und die Verweigerung der Aktenvorlage zu rechtfertigen vermag, ist in diesem Zwischenverfahren nicht zu entscheiden. Änderungen und auch Ergänzungen der Sperrerklärung, die wie hier über erläuternde Klarstellungen hinausgehen, sind nur im Hauptsacheverfahren selbst gegenüber dem Hauptsachegericht möglich. Nach Abgabe des Verfahrens an den Fachsenat verbieten sich solche Änderungen und Ergänzungen ganz (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.4.2012, a.a.O., S. 1489; Senatsbeschl. v. 2.7.2015, a.a.O., Rn. 17; v. 18.4.2012 – BVerwG 20 F 5.11 -, juris Rn. 12). Jedenfalls berühren sie das durch die Abgabe an den Fachsenat eingeleitete konkrete Zwischenverfahren und dessen Prüf- und Entscheidungsprogramm nicht. Der Fachsenat beurteilt die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung in der Fassung, wie sie im Zeitpunkt der Einleitung des Zwischenverfahrens bestand. Die neue Sperrerklärung des Beklagten vom 21. Oktober 2015 wird daher nur dann Gegenstand eines (weiteren) Zwischenverfahrens, wenn das Hauptsachegericht auch unter Berücksichtigung der neuen Sperrerklärung die verweigerten Aktenteile unverändert für entscheidungserheblich erachtet und ein Beteiligter des Hauptsacheverfahrens den Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt.

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit, für den das Gerichtskostengesetz einen Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorsieht und besondere anwaltliche Vergütungsansprüche nicht entstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010 – BVerwG 20 F 15.10 -, NVwZ-RR 2011, 261). Auch ein Streitwert ist daher nicht festzusetzen.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.