Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 48/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 19.08.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R

Berücksichtigungsfähigkeit einer Nutzungsentschädigung als Unterkunftskosten – für eine vorläufige Bewilligung gilt das Monatsprinzip

Leitsatz (Ra Michael Loewy)
1. Eine nach den §§ 743 ff BGB zu zahlende Nutzungsentschädigung, die der in dem Haus wohnende Miteigentümer im Hinblick auf die Überlassung des Hauses zu wohnzwecken zahlt, stellt eine Nutzungsentschädigung als Aufwendung für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar.

2. Das Monatsprinzip gilt auch für eine gerichtliche Entscheidung beim Streit über die Bewilligung von vorläufigen Leistungen nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes.

3. Sind die spezifischen Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung nicht (mehr) erfüllt, liegt kein Grund für eine gerichtliche Entscheidung über vorläufige Leistungen anstelle einer endgültigen Klärung des Streits vor.

Quelle: anwaltskanzlei-loewy.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.09.2015 – L 13 AS 164/14 – Die Revision wird zugelassen.

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Anrechnung einer Heizkostenrückerstattung

Guthaben aus Beträgen, die ein Leistungsempfänger im Abrechnungszeitraum aus seinem Regelsatz bzw. seinem anrechnungsfrei gestellten Einkommen getragen hat, können nicht nach § 22 Abs. 3 SGB II angerechnet werden.

Leitsatz (Redakteur)
1. Betriebskostenguthaben, die (auch) aus dem Regelsatz aufgebaut worden sind, sind bei der Erstattung nach § 22 Abs. 3 SGB II nicht anzurechnen. Dem steht neben dem Sinn und Zweck der Regelung auch der Wortlaut des § 22 Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 (BGBl. I 850) geltenden Fassung entgegen (Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 14 AS 83/12 R – ; BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R).

2. Es liegt auch kein Einkommen im Sinne der §§ 11 ff. SGB II vor. Dies folgt zum einen aus der Wertung des § 11 a Abs. 1 Nr. 1 SGB II, nach der „Leistungen nach diesem Buch“ nicht als Einkommen anzurechnen sind; zum anderen ist es aber auch geboten, Einnahmen, die aus Einsparungen beim Regelbedarf resultierten, über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen (so Urteil vom 23. August 2011 – B 14 AS 185/10 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Heizkostenrückzahlung führt nicht immer zu geringeren Arbeitslosengeld II-Zahlungen – Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr.15/ 2015 v. 26.11.2015: www.landessozialgericht.niedersachsen.de

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.10.2015 – L 7 AS 1310/11

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft; Anforderung an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten; Mietspiegel als Ausgangsbasis eines schlüssigen Konzepts

LSG NRW: Das Urteil des SG Düsseldorf vom 06.06.2011 Az. S 29 AS 3996/10, wonach das Jobcenter Wuppertal zu niedrige Unterkunftskosten zahlt, wird aufgehoben.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Ermittlung des qm-Preises durch das Jobcenter beruht auf einem schlüssigen Konzept iS der Rechtsprechung des BSG.

2. Das JC kann sich auf ein schlüssiges Konzept allerdings nur zur Bildung der Nettokaltmiete (ohne kalte Betriebskosten) stützen. Nur hierzu enthält der Mietspiegel Aussagen. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des BSG aber die Bruttokaltmiete (vergl. zusammenfassend BSG, Beschluss vom 02.04.2014 – B 4 AS 17/14 B mwN auch auf die Entwicklung der Rechtsprechung sowie BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R).

3. Da Feststellungen des JC zur angemessenen Höhe der Betriebskosten fehlen, ist auf den räumlich maßgeblichen Betriebskostenspiegel (ohne die Kosten für Heizung und Warmwasserbereitung) für den entscheidungserheblichen Zeitraum abzustellen. Dies ist der Betriebskostenspiegel Nordrhein-Westfalen 2010, der auf einer Datenerhebung 2009 beruht. Der danach maßgebliche Wert liegt bei 1,94 EUR/qm (Urteil des Senats vom 28.11.2013 – L 7 AS 1121/13).

4. Hieraus ergibt sich zusammengefasst folgender zustehender Bruttokaltmieten-Höchstbetrag: 4,85 (Grundmiete) + 1,94 = 6,79.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.11.2015 – L 6 AS 1583/15 B ER – rechtskräftig

Hartz-IV-Ausschluss von EU-Ausländern weiter streitig

Auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen Alimanovic (EuGH, Urteil vom 15.09.2015, C-67/14) stehen den rumänischen Antragstellern Geldleistungen vorläufig nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III zu.

Leitsatz (Redakteur)
1. Denn es bestehen berechtigte Bedenken, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der geltenden Form verfassungsgemäß ist. Denn das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz (Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10,1 BvL 2/1) ausgeführt, Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG begründe einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zusteht. Insofern müsse ein Leistungsanspruch eingeräumt werden.

2. Soweit diesem Anspruch entgegen gehalten wird, es stehe dem Antragsteller frei, in sein Heimatland zurückzukehren (vgl etwa LSG BW Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B; s. auch LSG NRW Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER -, Bay LSG Beschluss vom 01.010.2015 – L 7 AS 627/15 B ER -, LSG Hamburg Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER), hat dieser Einwand seine sozialpolitische Bedeutung, aber keinen inhaltlich-argumentativen Bezug zu den o.a. verfassungsrechtlichen Vorgaben. Denn der Gewährleistungspflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG entspricht deshalb ein Leistungsanspruch des Grundrechts-/Menschenrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde des Einzelnen schützt und diese Würde in solchen Notlagen nur oder doch zumindest in erster Linie durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (LSG NW Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER).

3. Wie weit der Leistungsausschluss reicht und ob bei – verfassungskonformer – Auslegung Leistungen nach dem SGB II oder auch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII oder auch dem AsylbLG in Betracht kommen, ist in den beim BSG anhängigen Verfahren (vgl etwa B 14 AS 51/13 R, B 14 AS 15/15 R, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 9/13 R, B 4 AS 24/14 R) von vorgreiflicher Bedeutung. Je nach weichenstellendem Ergebnis wäre ggfs zu klären, ob Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG doch als eigenständige Anspruchsgrundlage fungieren kann oder ob verfassungsrechtlich relevante Fragen über eine Vorlage nach Art. 100 BVerfG zu beurteilen sind zu.

4. Angesichts der bereits im Vorfeld der Entscheidung des EuGH in Sa Alimanovic vorgetragenen und anschließend wiederholt geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl etwa SG Mainz Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER, Kingreen NVwZ 2015, 1503 ff; Kirchhof NZS 2015, 1; Wunder SGb 2015, 620, vgl auch BSG Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 17/14) steht zu erwarten, dass sich das BSG zu diesen vorgreiflichen Rechtsfragen äußern wird. Die Rechtsfrage, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen Verfassungsrecht verstößt bzw. verfassungskonform einschränkend auszulegen ist, ist jedenfalls in den Verfahren B 14 AS 15/15 R, B 4 AS 59/13 R und B 14 AS 51/13 R auch entscheidungserheblich.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Termintipp des BSG Nr. 18/15 vom 24. November 2015 – Existenzminimum für Unionsbürger?

Az.: B 4 AS 59/13 R

Az.: B 4 AS 44/15 R

Az.: B 4 AS 43/15 R

Quelle: www.bsg.bund.de

2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.11.2015 – L 7 AS 1729/15 B ER – rechtskräftig

Leistungen für Unterkunft und Heizung können grundsätzlich auch im Eilverfahren zugesprochen werden.

Leitsatz (Redakteur)
Ein Anordnungsgrund besteht auch im Hinblick auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass bereits eine Räumungsklage erhoben wurde und konkret Wohnungslosigkeit droht (in Anlehnung an: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
a. A. LSG NRW, Beschlüsse v. 17.11.2015 – L 2 AS 1821/15 B ER, vom 05.11.2015 – L 2 AS 1723/15 B ER, Beschluss v. 26.10.2015 – L 19 AS 1623/15 B ER, L 19 AS 1624/15 B

2.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.11.2015 – L 7 AS 1234/15 B ER – rechtskräftig

Kein Anspruch auf ALG II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – selbstständig – keine Glaubhaftmachung der Tatsache – § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X – Fremdkonten – Kontoauszüge – Mitwirkung – Vernehmung von Zeugen – Folgenabwägung – Beweislast

Leitsatz (Redakteur)
Die Verweigerung einer einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragsteller ist auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenabwägung zulässig.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – rechtskräftig

Kolumbianischer Staatsangehöriger ist gemeinsam mit seinem spanischen Eheman nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sowohl sein als auch das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Leitsatz (Juris)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht verfassungswidrig.

2. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst auch die Personen, die über kein materielles Aufenthaltsrecht (mehr) verfügen, sich aber bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürfen.

3. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber ausreichende Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.7 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.09.2015 – L 16 AS 510/15 B ER – rechtskräftig

Zum Begehren des Antragstellers im Eilverfahren, während der Dauer des Hauptsacheverfahrens Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden zu untersagen – Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht – keine Dringlichkeit – zu überprüfende Forderung für 10 Monate gestundet

Leitsatz (Redakteur)
Rechtsschutz im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gibt es gegen eine Zwangsvollstreckung auch bei bestandskräftigem Erstattungs- und Rückforderungsbescheid (hier verneinend, vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 26.03.2014, L 7 AS 220/14 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.8 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 09.10.2015 – L 5 AS 643/15 B

LSG Sachsen-Anhalt: Verpflichtungserklärung greift nicht bei Statuswechsel nach Flüchtlingsanerkennung.

Leitsatz (Juris)
1. Die mit der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG übernommene Unterhaltsverpflichtung endet, wenn der Ausländer ein von der Sicherung des Lebensunterhaltes unabhängiges Aufenthaltsrecht erwirbt (hier: Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs 2 AufenthG nach Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs 1AufenthG).

2. Aus der Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG kann der Ausländer selbst keine Zahlungen beanspruchen. Vielmehr ist sie eine Garantieerklärung gegenüber den deutschen Behörden, die einen Regress ermöglicht (vgl BVerwG, Urt v 13.02.2014 – 1 C 4/13 – juris).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.9 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26.10.2015 – L 7 AS 932/15 B ER – rechtskräftig

Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht für die Erteilung einer vorläufigen Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II – Schimmel – Lärmbelästigung – offen gelassen, ob es bereits am Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige gerichtliche Regelung zur vorläufigen Zusicherung fehlt – Erforderlichkeit eines Umzugs (verneinend) – Eigenkündigung der Hilfebedürftigen

Leitsatz (Redakteur)
1. Offen bleiben kann, ob es bereits am Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige gerichtliche Regelung zur vorläufigen Zusicherung i.S.d. § 22 Abs. 4 SGB II fehlt (Zulässigkeitsfrage; so evtl. Bayerisches LSG, Beschlüsse vom 18.03.2015 – L 11 AS 881/14 B PKH, und L 11 AS 875/14 B ER), ob der Anordnungsgrund entfällt oder ob die Ablehnung eines Antrages auf Zusicherung aus den gennannten Gründen ggf. eine Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller ausschließt (so wohl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.03.2015, L 12 AS 117/ 15 B ER), weil ihr Anspruch auf Übernahme angemessener Unterkunftskosten aufgrund anderer Rechtsgrundlagen durchgesetzt werden kann (Begründetheitsfrage). Hierzu werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten (siehe z.B. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2015 – L 19 AS 2347/14 B ER u.a., RdNr. 24: besonders strenger Maßstab beim Anordnungsgrund; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.01.2015 – L 7 AS 617/14 B, RdNr. 16: Kostenrisiko für Betroffen unzumutbar).

2. All dies muss hier nicht entschieden werden, weil die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht haben, dass der beabsichtigte Umzug in die Wohnung erforderlich ist.

3. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hat eine durch Eigenkündigung der Hilfebedürftigen herbeigeführte Umzugsnotwendigkeit außer Betracht zu bleiben (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12.03.2012 – L 7 AS 985/11 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 10.11.2015 – S 11 AS 487/15

Grundsicherung nach dem SGB II – Selbständiger – Nachweis des Einkommens – Mitwirkungspflicht – Beibringen entsprechender Belege – Rückforderung u. Aufhebung der vorläufig bewilligten Leistungen – Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung – Nachweis der Hilfebedürftigkeit – Vorlage einer Aufstellung über Betriebseinnahmen und -ausgaben

Das Vorhandensein von Einnahmen bzw. Ausgaben und damit letztlich die Höhe eines bestimmten Gewinns aus seiner selbständigen Tätigkeit muss der Leistungsbezieher nachweisen, blose Behauptungen reichen nicht.

Das Jobcenter ist berechtigt gewesen, aufgrund der Nichtvorlage der geforderten Unterlagen die Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I vollständig zu versagen.

Leitsatz (Redakteur)
Selbständigem Aufstocker obliegen Mitwirkungspflichten nach dem SGB I, zu denen auch das Beibringen entsprechender Belege gehört (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 87/09 R; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.02.2015 – L 7 AS 312/14 B; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 19.12.2014 – L 2 AS 267/13).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Im Ergebnis ebenso: BSG, Urteil vom 28.3.2013, B 4 AS 42/12 R; SG Dortmund, Urteile vom 20.03.2015 – S 37 AS 3425/13, S 37 AS 5496/11, n. v.

3.2 – SG Hannover, Beschluss vom 03.11.2015 – S 70 AS 3566/15 ER

Zu Mietwucher und Mietpreisüberhöhung im Grundsicherungsbezug nach dem SGB II

Leitsatz (Juris)
Bei dem Verdacht der Mietpreisüberhöhung im Sinne des § 5 Abs. 1, 2 WiStrG 1954 oder des Mietwuchers nach § 138 Abs. 2 BGB gilt bis zur ordnungsbehördlichen Klärung zunächst der vereinbarte Mietzins als tatsächliche Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.3 – SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER

Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II

Leitsatz (Juris)
1. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG, wie es vom BVerfG in den Urteilen vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) konstituiert worden ist (Anschluss an SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER).

2. Der Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums kann nicht durch einen Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat vermieden oder gerechtfertigt werden (entgegen LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40 und vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2238/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B – Rn. 39; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22 f.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 33; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 B ER – Rn. 36 ff.; LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9 f.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht).

3. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt darüber hinaus gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Der Gleichheitsverstoß kann nicht durch die Möglichkeiten, den Zugang zu nationalen Systemen der Sozialhilfe auch für Unionsbürger zu beschränken (vgl. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG) gerechtfertigt werden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist bei Unionsbürgern bereits aus diesem Grund nicht anzuwenden (entgegen EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 63).

4. Ein Wegfall des Aufenthaltsrechts aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU hat zur Folge, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht greift (Anschluss an Hessisches LSG, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 49 ff.; entgegen Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER).

Quelle: www.mjv.rlp.de

Anmerkung:
A.A. bspw. LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER

3.4 – Sozialgericht Neuruppin, Urteil vom 24.09.2015 – S 18 AS 1812/13

Zur Erstattung von Kosten eines isolierten Vorverfahrens (hier bejahend).

Leitsatz (Juris)
1. Es kann offen bleiben, ob es für die Frage, ob ein Widerspruch im Sinne des § 63 SGB 10 erfolgreich war, auf eine ursächliche Verknüpfung zwischen Einlegung des Widerspruchs und der stattgebenden Entscheidung des Leistungsträgers ankommt.

2. Jedenfalls kann eine solche ursächliche Verknüpfung nur in Ausnahmefällen verneint werden.

3. Das Nachreichen von Unterlagen, die der Leistungsberechtigte erst nach Einlegung des Widerspruchs erhalten hat, stellt keinen Ausnahmefall dar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 30.102015 – S 1 SO 1842/15

Bestattungskosten für den Bruder – § 74 SGB XII – trotz Ausschlagung des Erbes ist die Schwester zur Tragung der hierfür anfallenden Bestattungskosten verpflichtet – Nachlass – bereite Mittel

Die Bestattungskosten sind gem. § 74 SGB XII vom Träger der Sozialhilfe zu übernehmen, denn vorrangig einzusetzende Nachlasswerte standen der Schwester als „bereite Mittel“ zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung.

Leitsatz (Redakteur)
1. Denn die Schwester ist zu keinem Zeitpunkt Gesamtrechtsnachfolgerin des Erblassers – ihres Bruders – geworden; ihr stand damit der Nachlass zu keinem Zeitpunkt als „bereites Mittel“ zu.

2. Mit Blick auf den sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII schließen indes nur präsente Selbsthilfemöglichkeiten einen an sich gegebenen Anspruch auf Sozialhilfe – hier: Übernahme von Bestattungskosten – aus. Da die Schwester indes über den Nachlass bzw. den Wert des Nachlasses auf Ableben ihres Bruders zu keinem Zeitpunkt verfügen konnte, besteht in Höhe der angefallenen Bestattungskosten auch eine sozialhilferechtliche Bedarfslage, die die Schwester nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen decken kann.

3. Bei einer Erbausschlagung sind u.a. die die Werthaltigkeit der Erbschaft, die Motive des Hilfesuchenden für die Ausschlagung, sowie die Frage zu prüfen, ob er in der Absicht, sozialhilfebedürftig zu werden, mit direktem Vorsatz gehandelt hat.

4. Der Sozialhilfeträger muss einen Erbverzicht als zivilrechtliches Gestaltungsrecht des Hilfesuchenden nicht in jedem Fall zu Lasten der Allgemeinheit gänzlich hinnehmen (Anschluss an Bay. LSG vom 30.07.2015 – L 8 SO 146/15 B ER -).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Rechtsschutzversicherung für SGB II-Aufstocker

Kein Leistungsausschluss wegen Zusammenhangs mit einer selbständigen Tätigkeit, ein Beitrag von RA Mathias Klose

hier: sozialrecht-aktuell.blogspot.de

6.   Alg-II-Rückzahlung umfasst nicht die Krankenkassenbeiträge

Selbstständige, die vorläufig erhaltenes Arbeitslosengeld II zurückzahlen müssen, weil sich während des Leistungsbezugs ihre Einkommenssituation verbessert hat, brauchen der Arbeitsagentur nicht auch die in der Zwischenzeit von ihr bezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurück zu zahlen. Das sehen neue „Fachliche Weisungen“ der Bundesagentur für Arbeit ab 2016 vor.

Weiter: www.mediafon.net

7.   VG Münster, Beschl. v. 25.11.2015 – 1 L 1429/15 – nicht rechtskräftig

Pressemitteilung v. 26.11.2015 www.vg-muenster.nrw.de

Auch ein „umgangsschwieriger“ Obdachloser darf nicht auf ein Einmannzelt verwiesen werden.

8. Keine Einstellung der Leistung, wenn Rente nicht gezahlt wird – ein Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin

Wenn ein Leistungsempfänger, der nicht die Altersgrenze von § 7 a SGB II erreicht hat (alles unter 65 + x), trotz Beantragung  noch keine Rente bezahlt wird, ist nach  – wohl allgemeiner Meinung- weiterhin ALG II erstmal  zu leisten.

Dies ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 4 SGB II -„bezieht“- sowie aus der Gesetzesbegründung und – man höre und staune- auch aus den Arbeitsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit.

weiter: www.ra-fuesslein.de

9.   Zugang zu Telefonliste und E-Mail-Adressen des Sozialgericht Berlin, ein Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin

Mein Mandant wollte es ganz genau wissen, und beantragte beim Sozialgericht Berlin die Herausgabe einer aktuellen Telefonliste und der E-Mail-Adressen der Mitarbeiter mit Bürgerkontakt unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Berlin.

weiter: www.ra-fuesslein.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de