Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 50/2015

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2015 – L 10 AS 165/14 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 51/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung – Überschussanteile und Bewertungsreserve aus einer Kapitallebensversicherung bei Auszahlung während des Leistungsbezugs

Sind Überschussanteile und Bewertungsreserven aus einer zum Schonvermögen zählenden Kapitallebensversicherung bei Auszahlung und Zufluss während des Leistungsbezugs gem § 11 SGB 2 als Einkommen zu berücksichtigen?

Leitsatz (Juris)
Überschussanteile und Bewertungsreserven aus einer zum Schonvermögen zählenden Kapital Lebensversicherung sind bei Auszahlung und Zufluss während des Bezuges von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dem Vermögen gem § 12 SGB 2 zuzuordnen und nicht gem § 11 SGB 2 als Einkommen zu berücksichtigen.

Rechtstipp:
Ebenso Sächsisches LSG, Urteil vom 18.02.2015 – L 8 AS 1229/12 und Thüringer LSG, Urteil vom 13.11.2014 – L 9 AS 678/12

1.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2015 – L 7 AS 4389/15 ER-B

Leitsatz (Juris)
1. Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich nach § 86b Abs. 1 SGG, wenn eine bestandskräftige vorläufige Bewilligungsentscheidung gem. §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 3 SGB III durch eine endgültige Entscheidung ersetzt wird.

2. Dem Widerspruch gegen einen Bescheid betreffend die endgültige Leistungsfestsetzung i.S. des § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III kommt aufschiebende Wirkung zu (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG). Eine solche endgültige Entscheidung stellt keine Aufhebung i.S. des § 39 Nr. 1 SGB II dar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.01.2014 – L 7 AS 777/13 B ER – rechtskräftig

Leitsatz (Redakteur)
Die erforderliche Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung über geltend gemachte Kosten der Unterkunft liegt erst bei einer aktuellen Gefährdung der Unterkunft vor, die regelmäßig frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage anzunehmen ist (vgl. insoweit auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. September 2013 – L 2 AS 1541/13 B ER – mit weiteren Nachweisen).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Ebenso Hessisches LSG · Beschluss vom 28. März 2014 · Az. L 7 AS 802/13 B ER, a. A. SG Gießen, 10.01.2013 – S 25 AS 832/12 ER und SG Gießen, 04.11.2015 – S 25 AS 496/15 ER – Ein Anordnungsgrund liegt bei einem Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft spätestens dann vor, wenn das Hauptsacheverfahren nicht in der Zeit beendet ist, in der die Voraussetzungen einer Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB i.Vm. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB vorliegen werden. Der Grundsatz, dass Leistungen vor Erhebung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht zu bewilligen sind, greift nicht bei einem Streit um Kosten der Unterkunft.

1.4 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.11.2015 – L 7 AS 736/15 B ER

Die Einstellung einer Zwangsvollstreckung, die die Krankenkasse betreibt, kann durch ein Eilverfahren gegen ein Jobcenter regelmäßig nicht erreicht werden.

Leitsatz (Redakteur)
Das Bundessozialgericht hat kürzlich klargestellt (Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, Rn. 19 und 20), dass das Jobcenter in jedem Fall auch zuständig ist für die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach § 257 Abs. 1 AO. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich auch um eine Forderung handelt, für die das Jobcenter als Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsanordnung nach § 3 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) erteilt hat. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall, weil es um die Vollstreckung einer Forderung der gesetzlichen Krankenkasse ging.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Augsburg, Urteil v. 07.12.2015 – S 8 AS 860/15 – Berufung zugelassen

Die Mietkosten wurden 2015 nicht an Verhältnisse in Augsburg angepasst. Urteil könnte Augsburg Millionen kosten

Das zugrunde liegende Konzept des Grundsicherungsträgers für die Stadt Augsburg ist nicht – schlüssig.

Orientierungssatz von RA Daniel Zeeb, Augsburg
Die Angemessenheitsgrenze des Jobcenter Augsburg Stadt beruht seit dem 01.07.2015 nicht auf einem schlüssigen Konzept, da für die notwendige Erhöhung nicht auf den lokalen Wohnungsmarkt abgestellt wurde und die konkrete Verfügbarkeit nicht nachgewiesen wurde. Mangels ausreichender vorhandener Daten ist daher auf die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlag von 10 % zurückzugreifen.

Dazu folgender Beitrag in der Presse: www.augsburger-allgemeine.de

S. a. dazu Anmerkung von RA Daniel Zeeb zu SG Augsburg, Urteil vom 22.05.2015 – S 8 AS 167/15 – veröffentlicht im Rechtsprechungsticker v. Tacheles KW 24/2015: Hinsichtlich der Angemessenheitsgrenze macht es nach wie vor Sinn Widerspruch einzulegen, jedenfalls bezüglich Bewilligungszeiträumen ab Mai 2015. Das Urteil S 8 AS 167/15 führt insoweit aus: tacheles-sozialhilfe.de

2.2 – Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 08.10.2015 – S 5 AS 5028/14 – rechtskräftig – Die Berufung wird zugelassen.

Bulgarische Staatsangehörige hat Anspruch auf ALG II – Weiterbildungsmaßnahme – Arbeitnehmerstatus – Berufsausbildung

Der Annahme einer Berufsausbildung steht nicht entgegen, dass es sich bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit um eine Weiterbildungsmaßnahme gem. § 16 SGB II i.V.m. §§ 81ff. SGB III handelte.

Leitsatz (Redakteur)
Die Qualifizierung eine Weiterbildungsmaßnahme gem. § 16 SGB II i.V.m. §§ 81ff. SGB III als Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU berechtigt zum Anspruch auf ALG II.

Quelle:  sozialgerichtsbarkeit.de

S.a.: Wendt: Behinderte Menschen in europäischen Behindertenwerkstätten sind unionsrechtlich Arbeitnehmer – Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 26.03.2015, C-316/13 (Rs. Fenoll); Forum B, Beitrag B14-2015 unter www.reha-recht.de; 02.12.2015): www.reha-recht.de

2.3 – SG Karlsruhe, Urteil vom 12.10.2015 – S 13 AS 2441/15

Untermietzahlungen sind Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II und mindern den Leistungsanspruch nach dem SGB II in dem Monat, in dem sie zufließen.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

Rechtstipp:
Die Zahlungen aus der Untervermietung stellen kein Einkommen im Sinne von § 11 SGB II dar, solange durch die Erträge aus der Untervermietung die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft nicht überschritten werden (vgl. BSG, Urteil vom 06. August 2014, B 4 AS 37/13 R; LSG BB, Urteil vom 04.09.2014 – L 34 AS 224/14).

2.4 – Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 30.04.2015 – S 30 AS 3105/13

Zur Frage, ab welchem Zeitpunkt vor der Entbindung ein Umzug als erforderlich anzuerkennen ist und die erhöhten Aufwendungen zu übernehmen sind

Auch zukünftiger Wohnflächenbedarf ist zu berücksichtigen, wenn er – wie bei Schwangerschaft kurz vor der Geburt – in einem überschaubaren Zeitraum entstehen wird.

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein Zeitraum von drei Monaten ist in aller Regel ausreichend, um den Umzug in eine größere Wohnung vor einem voraussichtlichen Entbindungstermin zu bewerkstelligen.

2. Die Annahme, dass der Umzug einer schwangeren Leistungsempfängerin in eine größere Wohnung im Regelfall (erst) drei Monate vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin erforderlich ist, schließt es indes nicht aus, dass es im Einzelfall erforderlich sein kann, die Wohnung zu einem noch früheren Zeitpunkt zu beziehen und mithin der Leistungsträger zur Übernahme der insoweit anfallenden Kosten bzw. zur Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II verpflichtet sein kann.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.10.2006, Az.: L 6 AS 556/06 ER; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014, Az.: L 2 AS 3878/1; a. A. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.05.2009, Az.: L 8 AS 87/08 (Zusicherung zum Umzug bereits ab dem 4., jedenfalls aber ab dem 5. Schwangerschaftsmonat zu erteilen“ sei).

2.5 – SG Gießen, Beschluss vom 17.11.2015 – S 22 AS 590/14 PKH

Kein Erstattungsanspruch von Jobcenter bei rückwirkender Gewährung einer Erwerbsminderungsrente

Leitsatz (Redakteur)
Ein ehemals Hilfebedürftiger muss keine Leistungen des SGB II-Trägers unter Verweis auf zugeflossene Rentennachzahlung erstatten.

Quelle: Pressemitteilung des SG Gießen v. 07.12.2015 : sg-giessen-justiz.hessen.de

2.6 – SG Dortmund, Urteil vom 04.12.2015 – S 27 AS 279/13 – Die Berufung wurde zugelassen.

Fahrtkosten bezüglich des Umgangsrechts (hier 8 km) – Bagatellgrenze – Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II – Anteil für Fahrkosten im Regelbedarf

Nur 8 km bis zu den Kindern, trotzdem muss das JC die Fahrkosten für den Vater übernehmen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Keine allgemeine Bagatellgrenze bei Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II.

2. Die Fahrkosten stellen ungeachtet des Umstandes, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrkosten enthalten ist, auch einen besonderen Bedarf dar.

Quelle: www.lokalkompass.de

2.7 – Sozialgericht Aurich, Beschluss vom 30.3.2015 – S 35 AS 237/14 ER

Nach befristeter Beschäftigung kein Leistungsausschluss für (italienischen) Unionsbürger bei Verbleiberecht

Leitsatz (Redakteur)
1. Aus dem Umstand allein, dass ein Arbeitsvertrag von vornherein als befristeter Vertrag geschlossen wird, kann nichtzwingend geschlossen werden, dass der EU-Arbeitnehmer bei Vertragsablauf automatisch freiwillig arbeitslos ist.

2. Für die Frage des Verbleiberechts wegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ist im Einzelfall zu prüfen, welche Gründe zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben.

Quelle: Zeitschrift quer 13/2015 – ALSO – Mitteilung von Anwalt Kroll, OL: www.also-zentrum.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. November 2015 (Az.: L 8 SO 241/15 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein möglicher Verstoß einer Antragstellerin gegen die aus der Fiktionsbescheinigung (§ 81 Abs. 4/5 AufenthG) hervorgehende Wohnsitzauflage ändert an der örtlichen Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nichts, gerade wenn die Rückkehr an den Gestattungsort der hilfebedürftigen Person situationsbedingt unzumutbar ist.

2. Ein Leistungsanspruch einer schwangeren Antragstellerin folgt hier – selbst wenn die Wohnsitzauflage sofort vollziehbar sein sollte – aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB XII und § 27a Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Das Sozialamt hat hier gemäß § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 3 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) den maßgeblichen Regelbedarf zuzüglich eines bis zur Geburt des Kindes nach § 30 Abs. 2 SGB XII anzuerkennenden Mehrbedarfszuschlags sowie Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII) sowie Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) zu bewilligen.

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 24.11.2015 – S 4 SO 56/15

Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, Abgrenzung zu Widerspruch nach § 83 SGG, Auslegung der Erklärung des Leistungsempfängers, Meistbegünstigungsgrundsatz, Auslegung durch die Behörde als Widerspruch und fehlende Reaktion nach Erhalt eines Abhilfebescheides

Leitsatz (Juris)
1. Die Abgrenzung zwischen einem Widerspruch gegen den letzten Bewilligungsbescheid und einem Überprüfungsantrag, welcher auch frühere Bescheide einschließt, hat nach einer umfassenden Auslegung der Willenserklärung unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes zu erfolgen.

2. Bei der Auslegung ist auch der Empfängerhorizont der Behörde und das Verhalten des Leistungsempfängers nach dem Erlass eines Abhilfebescheides zu berücksichtigen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Anmerkung zu: BSG 4. Senat, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R – Autor: Dr. Thomas Harks, Ministerialrat

Unzulässigkeit einer nachträglichen Antragsrücknahme oder -beschränkung zur Umwandlung von Einkommen in Vermögen

Leitsatz
Ein nach dem SGB II Leistungsberechtigter ist nicht befugt durch Antragsrücknahme oder Beschränkung des Antrages einseitig in die materiell-rechtliche Rechtslage einzugreifen, um nach der Antragstellung zugeflossenes Einkommen in Vermögen zu wandeln.

Weiter in Juris: www.juris.de

6.   A-Info Nr. 174 – November 2015 – KOS

Aktuell kritisieren wir die „ausgefallene“ Neuermittlung der Regelsätze und informieren über die ab 2016 geltenden Werte. Zudem bietet die Ausgabe eine Aufschlüsselung der Regelsätze nach Ausgabe-Positionen, ein Musterflugblatt zur Flüchtlingsfrage und Infos zu geplanten Änderungen bei Hartz IV.

www.erwerbslos.de > Ausgabe 174 [PDF, 6 Seiten] www.erwerbslos.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de