Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 51/2015

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 17.12.2015 zur Sozialhilfe (SGB XII)

1.1 – BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 8 SO 10/14 R

Leitsatz (Redakteur)
1. Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB XII müssen vom Sozialhilfeträger nicht nur dann erbracht werden, wenn ein wirksamer zivilrechtlicher Vertrag (Mietvertrag oder Untermietvertrag) vorliegt.

2. Selbst wenn eine solche wirksame Verpflichtung nicht zu bejahen wäre, würde es jedoch genügen, wenn sich die volljährige Klägerin und ihre Eltern über eine Kostenbeteiligung faktisch einig waren.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 8 SO 24/14 R
Zur Nichtanwendbarkeit des § 116a SGB 12 bei Antragstellung vor dem 1.4.2011

Hinweis Gericht:
1. An der ständigen Rechtsprechung des 7. und 8. Senats, dass eine rückwirkende Erbringung von Sozialhilfeleistungen im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens dann ausscheidet, wenn die Bedürftigkeit nach Ende des Leistungsbezugs (bis zum letzten für die Tatsacheninstanz maßgeblichen Zeitpunkt) entfallen ist, ist indes festzuhalten, sodass insbesondere zu klären ist, ob die Klägerin seit dem Bezug von Rente (ab November 2009) noch bedürftig war.

2. Nur wenn nach Ende des Leistungsbezugs (ab 1.8.2006) durchgängig Bedürftigkeit bestand, wären höhere Leistungen rückwirkend ab 1.1.2005 zu zahlen. Insoweit gilt trotz Streichung der Übergangsregelung (Anträge vor dem 1.4.2011) des § 136 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch -  Sozialhilfe – (SGB XII) mit Wirkung ab 1.1.2013 durch den Gesetzgeber nicht die kürzere Jahresfrist für die rückwirkende Leistungserbringung (§ 116a SGB XII), sondern der übliche Vierjahreszeitraum.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG NRW, Urteil v. 22.06.2015 – L 20 SO 103/13; Greiser in: jurisPK-SGB XII 2. Aufl. Rz. 30.1

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 16.12.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R

Ausschluss von SGB II-Leistungen für Unionsbürger – Sozialhilfe bei tatsächlicher Aufenthaltsverfestigung

Der 14. Senat schließt sich der Rechtsprechung des 4. Senats vom 3.12.2015 an (vgl Terminbericht Nr 54/15 Nr 2 – 4).

Leitsatz (Redakteur)
Ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger kann -  vorbehaltlich der noch zu prüfenden Voraussetzungen des Einzelfalls im Rahmen des § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII -  aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG (vgl BVerfG vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 ua – BVerfGE 125, 175-260) hergeleitet werden.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.06.2015 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 A S 30/14 R

Zu Mitwirkungs- und Ermittlungspflichten

Leitsatz (Redakteur)
Will die Leistungsbehörde eine Leistungsbewilligung zurücknehmen, muss sie selbst die entsprechenden Voraussetzungen ermitteln. Im Fall einer Klage kann sie diese Aufgabe nicht den Gerichten zuschieben.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.12.2015 – L 6 AS 1258/15 B ER – rechtskräftig

Anordnungsgrund KdU im Eilverfahren – Vermieter stimmt der Aussetzung der Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil zu

Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, so dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist.

Leitsatz (Redakteur)
1. Schon zu einem früheren (oder auch noch späteren) Zeitpunkt – entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls – können wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13.05.2015 – L 6 AS 369/15 B ER).

2. Maßstab kann hier auch nicht nur der rechtliche Rahmen einer fristlosen Kündigung sein.

3. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes scheint es geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2015 – L 19 AS 1713/15 B ER – rechtskräftig

Kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für bulgarische Antragstellerin – Sorgerecht für 2 minderjähriger Kinder – Verneinung der Hilfebedürftigkeit aber durch Anrechnung des Partnereinkommens

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Antragstellerin übt das Sorgerecht für zwei minderjährige Unionsbürger aus. Aus dieser Rechtsstellung kann sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Kinder ein materielles Aufenthaltsrecht haben (vgl. auch Urteil des Senats vom 01.06.2015 – L 19 AS 1923/14).

2. Dies ist vorliegend der Fall.

3. Ein Aufenthaltsrecht ihrer Kinder als Familienangehörige i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU besteht, da ihr Vater eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt und damit Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 30.09.2015 – L 19 AS 1491/15 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2015 – L 19 AS 1799/15 B ER – rechtskräftig

Leitsatz (Redakteur)
1. Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Meldeaufforderung, wenn Termin bereits verstrichen ist.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Eilverfahren nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 SGG fehlt, wenn die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage nicht erforderlich ist, um Rechte des Beschwerdeführers zu wahren, die Inanspruchnahme des Gerichts mithin überflüssig wäre (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 10.07.2015 – L 7 AS 818/15 B ER m.w.N.). Die Meldeaufforderungen haben sich zum Zeitpunkt des in ihnen jeweils ausgewiesenen Meldetermins nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Damit ist ab den verstrichenen Meldeterminen die Regelungswirkung der Meldetermine fortgefallen (BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 20/14 R). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S.1 Nr. 2 SGG setzt aber voraus, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt noch nicht erledigt hat (LSG Bayern, Beschluss vom 16.05.2013 – L 11 AS 250/13 B ER).

Quelle: dejure.org

4.4 – LSG Hessen, Urteil vom 13.11.2015 – L 9 AS 192/14

Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II – schulrechtliche Bestimmungen des Landes Hessen –

Keine Kostenübernahme der Lernförderung durch das Jobcenter, wenn aus der Sicht des Antragstellers und der Schule eine ergänzende Lernförderung lediglich wünschenswert und sinnvoll erscheint.

Leitsatz (Redakteur)
1. Hat eine Versetzungsgefährdung nicht bestanden, hat der Schüler keinen Anspruch auf Lernförderung.

2. Nach der im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigenden Aussage der Fachlehrerin bestand die Notwendigkeit der Lernförderung in der Stabilisierung eines befriedigenden Leistungsniveaus im Fach Englisch. Dabei handelt es sich aber nicht um ein wesentliches Lernziel im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II. Denn die Stabilisierung einer besser als ausreichend bewerteten Notenstufe ist nicht anders einzustufen als die bloße Verbesserung von Notenstufen oder eine Verbesserung des Notendurchschnitts allgemein, die nicht als wesentliche Lernziele anerkannt werden.

3. Gleiches gilt nach dem Willen des Gesetzgebers für Verbesserungen zum Erreichen einer besseren Schulartempfehlung, die regelmäßig keinen Grund für Lernförderung darstelle (vgl. BT-Drucks. 17/3404, S. 105).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.5 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.11.2015 – L 7 AS 889/15 B ER – rechtskräftig

Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des die ersetzenden Verwaltungsaktes.

Leitsatz (Redakteur)
1. Da eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Antragsteller nicht zustande kam, konnte der Antragsgegner einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid erlassen (BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 195/11 R).

2. Nach dem Grundsatz des Förderns und Forderns muss die Eingliederungsvereinbarung bzw. der ersetzende Verwaltungsakt konkrete und bestimmbare Pflichten beider Vertragspartner beinhalten (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2012 – L 2 AS 2052/12 B). Obliegenheiten müssen in einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt klar und eindeutig bestimmt sein. Das bedeutet, dass die dem Hilfebedürftigen abverlangten Eingliederungsbemühungen nach Art, Umfang, Zeit und Ort so konkret sind, dass die verlangte Handlung ohne Weiteres festgestellt werden kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.10.2006 – L 1 B 27/06 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2014 – L 7 AS 1220/14 B ER).

3. Gemessen an diesen Vorgaben bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes.

4. Die Verpflichtung, mindestens drei Eigenbemühungen pro Kalendermonat zu erbringen, ist nicht zu beanstanden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER).

5. Der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 SGB X, denn der Betroffene kann nach der jeweiligen Formulierung schlüssig nachvollziehen, was von ihm erwartet wird und welche Konsequenzen sich aus der Pflichtverletzung ergeben. Dies gilt auch hinsichtlich der Eigenbemühungen des Antragstellers und der damit korrespondierenden Pflicht des Antragsgegners, die Bewerbungskosten für maximal 50 Bewerbungen pro Kalenderjahr zu tragen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss von 21.05.2013 – L 7 AS 112/13 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

5.1 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13

Bulgarischer Staatsangehöriger hat keinen Anspruch auf SGB II – Leistungen, noch auf SGB XII – Leistungen. Der Verfassung kann ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht entnommen werden (a.A. im Hinblick auf das SGB XII dagegen BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, Terminbericht Nr. 54/15).

Keine Sozialleistungen für Unionsbürger auf Arbeitsuche – Sozialgericht Berlin widerspricht dem Bundessozialgericht

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Antragsteller ist aufgrund des allein in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wobei dieser Ausschluss auch mit dem Europäischen Unions-recht vereinbar ist.

2. Soweit das Bundessozialgericht demgegenüber der Auffassung ist, dass auch diejenigen Personen einen Anspruch auf Hilfe für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben können, die zwar aufgrund ihres Gesundheitszustandes erwerbsfähig, aber nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, Terminbericht Nr. 54/15, ; dafür auch Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage, § 21 Rn. 5), folgt die Kammer dem nicht.

3. Der Gesetzgeber hat unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2012 – L 20 AS 1322/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2015 – L 31 AS 100/14).

4. Es bestand aber auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Vereinbarkeit der Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII einzuholen. Der Verfassung kann ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht entnommen werden (a.A. im Hinblick auf das SGB XII dagegen BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, Terminbericht Nr. 54/15).

5. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Unionsbürger auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp: a. A. auch BSG, Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R

Anmerkung:
S. a. Keine Sozialleistungen für Unionsbürger auf Arbeitsuche

Das SG Berlin hat abweichend von der jüngsten BSG-Rechtsprechung entschieden, dass ein EU-Bürger, der in Deutschland nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hat, weder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) noch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII hat.

Quelle: Pressemitteilung des SG Berlin v. 16.12.2015: www.juris.de

5.2 – SG Detmold, Urteil v. 10.12.2015 – S 28 AS 1979/12

Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts – Heranziehung der Wohngeldtabelle – KdU-Höxter gekippt. Die Angemessenheitsgrenze des Jobcenter Höxter beruht nicht auf einem schlüssigen Konzept.

Leitsatz (Redakteur)
1. Dem vom JC als angemessenen erachteten Grundmietpreis von 4,09 EUR liegt kein schlüssiges Konzept zu Grunde.

2. Dies ergibt sich schon allein daraus, dass bei einer alleinigen Auswertung von Zeitungsannoncen weder die Validität noch die Repräsentativität der erhobenen Daten gesichert ist. Die vom JC anhand von Zeitungsanzeigen zusammen gestellten Daten unterliegen einer Zufälligkeit im Hinblick auf die vom Vermieter mitgeteilten Informationen, begrenzt auch durch die zulässigen Zeichen eines Anzeigentextes (vgl. LSG Niedersachsen- Bremen, Urteil vom 03.04.2014 – L 7 AS 786/11).

3. Aufgrund der Natur der Datenerhebung ist auch eine Nachbesserung dieses Konzepts durch das JC ausgeschlossen. Das schlüssige Konzept kann auch nicht durch eine Gegenprobe ersetzt werden.

4. D.h. allein der Umstand, dass es möglich war, Wohnraum zu dem vom JC für angemessen erachteten Wert anzumieten, bedeutet nicht, dass ein Wert zutreffend ermittelt wurde (BSG, Urt. v. 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R).

5. Mangels ausreichender vorhandener Daten ist daher auf die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlag von 10 % zurückzugreifen.

5.3 – SG Augsburg, Urteil v. 07.12.2015 – S 8 AS 860/15 – Berufung zugelassen

Die Mietkosten wurden 2015 nicht an Verhältnisse in Augsburg angepasst. Urteil könnte Augsburg Millionen kosten

Das zugrundeliegende Konzept des Grundsicherungsträgers für die Stadt Augsburg ist nicht – schlüssig.

Leitsatz RA Daniel Zeeb, Augsburg
1. Die Angemessenheitsgrenze des Jobcenter Augsburg Stadt beruht seit dem 01.07.2015 nicht auf einem schlüssigen Konzept, da für die spätestens zu diesem Zeitpunkt notwendige Erhöhung nicht auf die Daten des lokalen Wohnungsmarkts abgestellt wurde und die auf Grund der fehlenden Datenerhebung notwendige konkrete Verfügbarkeit nicht nachgewiesen wurde.

2. Mangels ausreichender vorhandener Daten ist daher auf die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlag von 10 % zurückzugreifen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.4 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 6. August 2015 (Az.: S 156 AS 17196/13):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. § 31a Abs. 1 SGB II begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, verstößt insbesondere nicht gegen das aus Art. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) fließende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

2. Auch dieses Grundrecht gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines bestimmten Leistungsniveaus.

3. Mit den Regelungen der §§ 31 ff. SGB II besteht ein Mechanismus, um auf die Nichtvornahme entsprechender Anstrengungen des Leistungsberechtigten amtlicherseits zu reagieren.

4. Über diese Bestimmungen wird auch bei einem vollständigen Wegfall von Leistungen vom Jobcenter eine „letzte Grundversorgung“ sichergestellt.

5. Die Möglichkeit der Übernahme von Mietschulden ist in § 22 Abs. 8 SGB II geregelt.

6. Die aus den §§ 31 ff. SGB II hervorgehenden Regelungen bewirken weder eine Zwangsarbeit im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG noch einen Zwang zur Arbeit. Die gesetzliche Möglichkeit der Kürzung und Streichung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II in den Fällen, in denen ein Leistungsberechtigter eine ihm angebotene, zumutbare Arbeit ablehnt, stellt keine Ausübung von Zwang im Sinne des Art. 12 Abs. 2 GG dar. Hier macht der Staat lediglich die Gewährung einer Sozialleistung von zumutbaren Eigenbemühungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts abhängig, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

7. Der Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) ist auch hier gewahrt. Der Gesetzgeber hat mit § 31a Abs. 3 SGB II durch dir Möglichkeit der Gewährung ergänzender Sachleistungen ausreichend Abhilfe geschaffen. Während einer entsprechend durchgreifenden Sanktionierung besteht gegenüber dem gesetzlichen Krankenversicherungsträger ein Anspruch auf eine „Notversorgung“ bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gemäß § 16 Abs. 3a SGB V.

8. Der Tatbestand der wiederholten Pflichtverletzung nach § 31a Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB II liegt nicht nur dann vor, wenn der vorherige Sanktionsbescheid bestandskräftig ist. Sollte entsprechendes nicht der Fall sein, ist hier bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der nachfolgenden Sanktion inzident die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Sanktion zu prüfen.

5.5 – Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 30. April 2015 (Az.: S 30 AS 986/13):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die von der Justiz einem gesetzlichen Betreuer gemäß § 1835 Abs. 1 Satz 1 BGB gewährte Aufwandsentschädigung stellt bei einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) vom Jobcenter bedarfsmindernd zu berücksichtigendes Einkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) dar. Hier greift die Anrechnungsfreiheit dieser besonderen Einnahme entsprechend § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II:

2. Die Zahlung dieser Aufwandsentschädigung erfolgt auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Bestimmung, denn im Fall der Mittellosigkeit einer unter gesetzlicher Betreuung stehenden Person obliegt gemäß § 1835a Abs. 3, 1. Halbsatz BGB der Staatskasse die Zahlung des Betrags nach § 1835a Abs. 1 Satz 1 BGB.

3. Diese Aufwandentschädigung enthält überdies – im Unterschied zu Diäten – kein Element, das dazu dienen soll, einen Verdienstausfall auszugleichen und zur Sicherung des Lebensunterhalts beizutragen. Es handelt sich hier um einen reinen Aufwendungsersatz.

Rechtstipp:
Ebenso: Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 20.08.2014 – S 2 AS 3428/12

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – LSG-Nds-Bremen, Beschluss vom 08.12.2015 – L 8 SO 281/15 B ER

Lettischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB XII

Hinweis (Gericht)
1. Der Leistungsausschluss gilt aber erst Recht für diejenigen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen (vgl. BSG, Terminbericht vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R -), denn es wäre wertungswidersprüchlich und mit Sinn und Zweck des Leistungsausschlusses nicht zu vereinbaren, wenn Antragsteller, die z.B. eine Arbeitsuche gar nicht erst beginnen, ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben, oder deren Arbeitsuche sich als gescheitert herausstellt, von dem Leistungsausschluss nicht umfasst wären und zum Leistungsbezug nach dem SGB II berechtigt sein sollen (vgl. ausführlich: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Juni 2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B – juris Rn. 34 mit zahlreichen weiteren Nachweisen auch zur Gegenauffassung).

2. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts von über sechs Monaten wird das dem Sozialhilfeträger zustehende Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG, wonach das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, als Menschenrecht gleichermaßen zusteht (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11), jedoch dergestalt auf Null reduziert sein, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist (BSG, Terminbericht vom 3. Dezember 2015, a.a.O.).

Quelle: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen: www.kanzleibeier.eu

7.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

7.1 – SG Darmstadt, Beschluss vom 04.12.2015 – S 17 SO 211/15 ER

Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII an einen EU-Ausländer (Anlehnung an BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R)

Leitsatz (Redakteur)
1. Antragstellerin ist nicht gemäß § 21 S. 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

2. Auch ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII ist nicht gegeben.

3. Auch die Voraussetzungen der 2. Variante des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII steht dem nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R).

4. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sind der Antragstellerin ebenfalls Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zur Hilfe zum Lebensunterhalt und auch Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft zu gewähren.

5. Denn auch hier ergibt sich dieser Anspruch aus § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII i. V. mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung des Existentminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz.

6. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII ist hier Null reduziert, denn im vorliegenden Fall hält sich die Antragstellerin länger als 6 Monate in Deutschland auf, so dass von einem verfestigten Aufenthalt auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R).

7. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Antragstellerin als Erntehelferin einen Anspruch auf Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit § 133 Abs. 4 SGB V haben könnte, weil noch nicht einmal ersichtlich ist, dass die Antragstellerin überhaupt als abhängig Beschäftigte nach § 5 Abs. 1 SGB V der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung untererlegen hat.

Anmerkung: a. A. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13

8.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

8.1 – Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 4. Dezember 2015 (Az.: S 42 AY 169/09):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der Beurteilung der Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist maßgeblich auf den gesamten Zeitraum der Anwesenheit im Inland und auf ein Bestehen eines diesbezüglichen, vorsätzlichen Handelns abzustellen.

2. § 2 Abs. 1 AsylbLG gelangt in keinem Fall zur Anwendung, wenn eine etwaige Ausreisepflicht – unabhängig vom Verhalten eines Ausländers – ohnehin im gesamten Zeitraum, ab dem Zeitpunkt des behördlicherseits vorgehaltenen Rechtsmissbrauchs, nicht hätte vollzogen werden können. Dies ist dann der Fall, wenn eine ausreisepflichtige Person krankheitsbedingt ärztlicherseits als nicht reisefähig eingeschätzt wird.

8.2 – Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 4. November 2015 (Az.: S 42 AY 46/12):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei einer Leistungsberechtigung im Asylfolgeverfahren nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG, d. h. bei Inhabern einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylVfG, kann keine Anspruchseinschränkung entsprechend § 1a AsylbLG erfolgen. Hiergegen spricht der Wortlaut des § 1a AsylbLG.

2. Die Einreise in das Bundesgebiet zur Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversorgung durch den Leistungsträger des AsylbLG nach § 4 AsylbLG, um die im Heimatland nicht mögliche Krankenversorgung eines Kindes in Deutschland sicherzustellen, erfüllt den Tatbestand des § 1 Nr. 1 AsylbLG. Hier besteht ein Finalzusammenhang zwischen der Einreise und der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel.

9.   BVerwG, 17.12.2015: Kein Aufenthaltstitel vor vollständigem Abschluss des Asylverfahrens

Ein Ausländer hat keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, wenn das Asylverfahren noch nicht vollständig abgeschlossen ist; dies gilt auch dann, wenn das Bundesamt zwar Abschiebungsschutz zugesprochen, den Antrag auf internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz, subsidiären Schutz) aber abgelehnt hat und der Ausländer gerichtlich den weitergehenden Schutz anstrebt.

BVerwG 1 C 31.14 – Urteil vom 17. Dezember 2015

Vorinstanzen:
VGH Kassel 6 A 2206/13 – Urteil vom 01. Oktober 2014
VG Frankfurt/Main 1 K 2457/12.F – Urteil vom 06. Juni 2013
www.bverwg.de

10.   VG Osnabrück: Klage einer EU-Bürgerin auf BAföG-Leistungen erfolgreich

OSNABRÜCK. Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück hat der Klage einer bulgarischen Staatsangehörigen auf Ausbildungsförderungsleistungen mit Urteil vom 10.12.2015 stattgegeben. Die Klägerin habe teils aufgrund europarechtlicher Vorschriften, teils aus dem aktuellen nationalen Recht, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), einen Anspruch darauf.

Das Urteil (4 A 253/14) ist noch nicht rechtskräftig. Die Kammer hat die Berufung gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Presseinformation 24/2015 vom 14.12.2015 – www.verwaltungsgericht-osnabrueck.niedersachsen.de

11.   SGB Leistungen für Unionsbürger/-innen – Rechtsprechung BSG + aktuelle Arbeitshilfe

Claudius Voigt hat dankenswerterweise für den Paritätischen im Anschluss an die BSG Rechtsprechung einer weitere kleinere Arbeitshilfe erstellt, die Sie unter folgendem Link abrufen können:
www.migration.paritaet.org

Die Arbeitshilfe und weitere Informationen zum Thema „EU-Zuwanderung“ stehen auf unserer Homepage Migration zur Verfügung: www.migration.paritaet.org

12.   SGB II (Hartz IV): Bescheide ab 01.01.2016 möglicherweise rechtswidrig – RA Denis König

Quelle: www.anwalt.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de