Tacheles Rechtsprechungsticker KW 07/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 08.01.2016 – L 8 AS 578/15 B ER

Arbeitslosengeld II kann auch der Eigentümer eines Hausgrundstückes beziehen, wenn dieses nicht verwertbar ist oder sein Wert die Vermögensfreibeträge nicht übersteigt, obwohl das Wohneigentum nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II unangemessen ist.

Hinweis Gericht
Hier: Die Übernahme der Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur nach § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II (hier zur Übernahme der Kosten für die Heizungsanlage) ist bei selbst bewohntem Wohneigentum, das nicht angemessen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist, dann nicht ausgeschlossen, wenn das Wohneigentum bereits aus anderen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist.

1.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25.01.2016 – L 7 AS 914/15 B ER

Lediglich das tatsächliche Bestehen einer temporären Bedarfsgemeinschaft kann einen höheren Anspruch bezüglich der Kosten der Wohnung auslösen (hier verneinend).

Für die Kinder – nach Nachweis – entsteht regelmäßig lediglich ein reduzierter zusätzlicher Wohnraumbedarf. Insbesondere für Wochenendaufenthalte und jüngere Kinder wäre es nicht angemessen, die Maßstäbe durchgängiger Bedarfsgemeinschaften anzulegen

Leitsatz (Redakteur)
1. Besuchskinder brauchen in Hartz-IV-Wohnung nur den halben Platz.

2. Eine temporäre Bedarfsgemeinschaft mit der Tochter würde nicht dazu führen, dass von den Angemessenheitsgrenzen für eine Bedarfsgemeinschaft aus zwei Personen auszugehen ist. Für ein Kind ist lediglich die Hälfte des zusätzlichen Wohnflächenbedarfs, hier 7,5 von 15 qm Wohnfläche, zu berücksichtigen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, 04.01.2012, L 11 AS 635/11 B ER).

3. Ergänzend wird angemerkt, dass das BSG es offen gelassen hat, ob der zusätzliche Unterkunftsbedarf dem Elternteil oder den Kindern zuzuordnen ist (BSG, Urteil vom 12.06.2013, B 14 AS 50/12 R).

4. Da der höhere Bedarf für eine Wohnung ein fortlaufender ist, spricht viel dafür, dem umgangsberechtigten Elternteil “nach den Besonderheiten des Einzelfalls” gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II einen höheren Bedarf zuzugestehen statt den nur gelegentlich anwesenden Kindern. Für diese Zuordnung spricht auch die Regelung in § 22b Abs. 3 Nr. 2 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.01.2016 – L 19 AS 29/16 B ER – rechtskräftig

Griechischen Antragstellern sind Regelbedarfe nach § 20 SGB II zu gewähren – kein Anordnungsgrund hinsichtlich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung

Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für beide sorgeberechtigten Elternteile unter Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts als Familienangehöriger ihres schulpflichtigen Kindes

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht zu Ungunsten der Antragsteller ein. Die Antragsteller verfügen über ein materielles Aufenthaltsrecht (vgl. zum Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II: BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R).

2. Das einem Kind zuerkannte Recht, im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter den bestmöglichen Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen, impliziert notwendig auch das Recht des Kindes auf Betreuung durch eine die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Person, in der Folge zugleich, dass es dieser Person ermöglicht wird, während der Ausbildung des Kindes mit diesem zusammen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, Urteile vom 23.02.2010 Ibrahim – C 310/08 – und Teixeira – C-480/08).

3. Mithin haben die Antragsteller als sorgeberechtigte Elternteile, die auch die tatsächliche Sorge ausüben, ein aus Art. 10 VO 492/11 VO abgeleitetes Aufenthaltsrecht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso zu diesem Aufenthaltsrecht Beschlüsse des Senats vom 20.01.2016 – L 19 AS 1824/15 B ER – und vom 16.03.2015 – L 19 AS 275/15 B ER.

1.4 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.01.2016 – L 3 AS 1378/14 NZB – rechtskräftig

Zur Frage, ob für die Berechnung der Höhe der Erstattungsforderung auf den Auszahlbetrag oder auf den in die Berechnung des Anspruches auf Arbeitslosengeld II eingestellten Bedarf für Unterkunft und Heizung abzustellen ist – § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II (Berufung hier zugelassen)

Leitsatz (Redakteur)
1. Wenn Bezugspunkt für den nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II verminderten Erstattungsbetrag nicht der monatliche Auszahlbetrag, sondern die in der Arbeitslosengeld II-Berechnung berücksichtigten, mehr als doppelt so hohen Unterkunftskosten sind, kann sich für die Klägerin eine deutliche Verringerung der Erstattungsforderung ergeben.

2. Nach einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung kann die vom Klägerbevollmächtigten präferierte Berechnungsweise auch dazu führen, dass gar keine Leistungen zu erstatten sein können (vgl. Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [4. Aufl., 2015], § 40 Rdnr. 155; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II [Stand: Erg.-Lfg. VI/2015, Juni 2015], § 40 Rdnr. 720).

Dies soll der Fall sein, wenn die bewilligten Leistungen für den Bedarf für Unterkunft weniger als 56 % des tatsächlichen oder angemessenen Bedarfs betragen haben.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Dazu ist beim BSG folgende Entscheidung anhängig: B 14 AS 31/15 R
Vorinstanz: LSG Celle-Bremen, L 7 AS 643/13 (Maßgeblich für die Erstattungsbeschränkung nach § 40 Abs. 4 Satz 1SGB 2 ist der rechnerisch berücksichtigte Bedarf für Unterkunft (§ 22 Abs. 1 SGB II) und nicht der – ggf. nach Abzug von Einkommen – gewährte Auszahlungsbetrag)
Ist bei der nach § 40 Abs 2 S 1 SGB 2 aF vorzunehmenden Beschränkung des Erstattungsbetrags nach § 50 SGB 10 in Form einer Minderung um 56 % der Kosten für Unterkunft vom bei der Leistungsberechnung berücksichtigten Unterkunftsbedarf oder vom Auszahlungsbetrag nach Anrechnung von Einkommen auszugehen?

1.5 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 12.03.2015 – L 3 AS 360/14 – Die Revision wird zugelassen.

Die Anrechnung von fiktivem Einkommen ist nicht zulässig, denn das Guthaben aus der Steuererstattung stand dem Antragsteller zu keinem Zeitpunkt im Verteilungszeitraum als bereites Mittel zur Verfügung.

Leitsatz (Redakteur)
Eine als Einkommen zu berücksichtigende Steuererstattung ist dann – kein bereites Mittel zur Deckung des Lebensunterhaltes, wenn das Finanzamt die Auszahlung auf Wunsch des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf ein ihm nicht zugängliches Konto eines Dritten vorgenommen hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Saarbrücken, Urteil vom 29.1.2016 – S 16 AS 41/15

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Anforderungen an den Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung – Verpflichtung des Leistungsberechtigten zum Nachweis von Eigenbemühungen gegenüber dem Grundsicherungsträger – fehlende Regelung zur Übernahme der Kosten für den Nachweis

Leitsatz (Redakteur)
1. Werden in einer Eingliederungsvereinbarung von dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Nachweise von Eigenbemühungen verlangt, muss auch eine Regelung über die Übernahme der Kosten für den Nachweis der Eigenbemühungen erfolgen.

2. Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 06.12.2007 im Verfahren B 14/7 b AS 50/06 R, in einem Fall, in dem es um die Übernahme von Fahrtkosten für die Wahrnehmung eines Meldetermins ging, ausgeführt, als Rechtsgrundlage für die Übernahme dieser Kosten komme § 59 SGB III i. V. m. § 309 SGB III sowie § 16 SGB II i. V. m. § 45 Satz 2 Nr. 2, § 46 Abs. 2 SGB III in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung, was nunmehr in § 44 SGB III geregelt wird in Betracht.

3. Diese Erwägungen sind auch zu berücksichtigen, wenn von dem Leistungsberechtigten Nachweise von Eigenbemühungen verlangt werden, da es sich um einen vergleichbaren Sachverhalt handelt. Denn auch hier sind an den nicht erfolgten Nachweis von Eigenbemühungen gravierende Rechtsfolgen durch den möglichen Eintritt von Sanktionen geknüpft. Auch bei der Aufforderung zum Nachweis von Eigenbemühungen handelt es sich um eine Aufforderung im Sinne von § 309 SGB III.

4. Daher hätte zumindest ein Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenübernahme erfolgen müssen. Gerade zur Gewährleistung des sicheren Zugangs hätte man hier auch die Übersendung mit Einschreiben zugestehen müssen. Unter Berücksichtigung der im Regelsatz für 2014 vorgesehenen Leistungen für Porto kann auch insofern kein Bagatellbetrag angenommen werden.

2.2 – Sozialgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 31.08.2015 – S 35 AS 257/15

Ersatzansprüche des Jobcenters – Verkauf Eigentumswohnung während des Nichtleistungsbezuges – luxuriösen Lebensstil – Ausgabe von monatlich 3.550,- EUR

Luxuriöser Lebensstil – Ausgaben von monatlich 3.550,- EUR – des Nicht- Leistungsbeziehers von Grundsicherung stellt kein sozialwidriges Verhalten dar und bietet keinen Anlass zur Prüfung eines Schadensersatzanspruchs nach § 34 SGB II.
Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 SGB II verpflichtet nichtbedürftige Bürger nicht dazu, ihr Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß unter Berücksichtigung der Tatsache auszulegen, dass auf existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen ein Rechtsanspruch besteht, welcher regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit besteht (vgl. Bundesverfassungsgericht Beschluss v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -. Landessozialgericht Berlin/Brandenburg, Urteil v. 04.03.2014, Az. L 29 AS 814/11). Daneben ist die Vorschrift auch unter Berücksichtigung des Artikel 2 Grundgesetz auszulegen, wonach die allgemeine Handlungsfreiheit nur durch ein entsprechendes Gesetz eingeschränkt werden darf.

2. Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 SGB II verpflichtet nichtbedürftige Bürger nicht dazu, ihr Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird. Derartiges würde dazu führen, dass die Vorschriften des SGB II nicht nur für Bedürftige, sondern auch für weite Teile der Bevölkerung gelten würden, die gar nicht unter die Vorschriften des SGB II fallen und nicht bedürftig sind. Eine dergestalt weite Auslegung des SGB II ist jedenfalls mit Artikel 2 Grundgesetz nicht vereinbar.

3. Außerdem würde, selbst wenn man unterstellen würde, dass die Ausgabe von monatlich 3.550,- EUR einem “luxuriösen Lebensstil” entsprechen würde, allein dies den inneren Zusammenhang zwischen Gewährung von Sozialleistungen und Tatbestand der mindestens grobfahrlässig herbeigeführten Bedürftigkeit nicht erfüllen. Es fehlt nämlich an dem inneren Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Klägers und der Herbeiführung von Bedürftigkeit.

2.3 – SG Berlin, Urteil vom 07.08.2015 – S 149 AS 24707/14 – NZB anhängig beim LSG BB unter dem Az. : L 32 AS 2255/15 NZB

Fehlende Rechtsgrundlage zur Vorlage einer sog. Wegeunfähigkeitsbescheinigung -4 versäumte Meldetermine – 40% Sanktion rechtmäßig – Fehlende aussagekräftige Befundberichte des Arztes

Bei 4 versäumten Meldetermin ohne wichtigen Grund 40% Sanktion rechtmäßig

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Zur Bejahung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II für ein Meldeversäumnis (§ 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II) bedarf es eines hinreichenden Nachweises darüber, dass die dem Jobcenter gegenüber angezeigte Arbeitsunfähigkeit zugleich eine krankheitsbedingte Unfähigkeit dahingehend bewirkte, bei einem Meldetermin anwesend zu sein.

2. Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht nicht in jedem Fall aus, um ein Fernbleiben von einem Meldetermin sachlich zu rechtfertigen, gerade wenn vom Jobcenter in diesem Rahmen lediglich die Führung eines Gesprächs beabsichtigt ist.

3. Es bedarf hier aussagekräftiger ärztlicher Befundberichte, aus denen fachkundige Aussagen zu Art und Schwere der Erkrankung sowie deren Auswirkungen auf die Mobilität und Belastbarkeit eines Alg II-Beziehers hervorgehen.

2.4 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 27.01.2016 – S 82 AS 17604/14

Leitsatz (Juris)
1. Höhere Kosten der Unterkunft und Heizung, die einer umgangsberechtigten Person durch den Aufenthalt des Kindes in ihrer Wohnung im Rahmen einer temporären Bedarfsgemeinschaft entstehen, sind vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 2 GG nur dann gemäß § 38 SGB 2 durch den Grundsicherungsträger zu berücksichtigen, wenn das Umgangsrecht aus einem durch Abstammung oder einfachgesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis resultiert. Dabei macht es für die Schutzbedürftigkeit des Elternrechts gegenüber dem Staat keinen Unterschied, ob die Eltern gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind.

2. Rein soziale Elternschaft ist für sich genommen nicht hinreichende Voraussetzung verfassungsrechtlicher Elternschaft. Familiären Bindungen durch eine soziale Elternrolle wird lediglich über den Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber jedoch nicht, tatsächlich vorgefundene familiäre Gemeinschaften genau nachzuzeichnen und in sozialrechtlichen Ansprüchen widerzuspiegeln. Dies gilt auch bei einem Umgangsrecht gemäß § 1685 BGB. Diesem kann kein wesentlich herausgehobener und mit einer finanziellen Sonderzuwendung gegenüber anderen Grundsicherungsempfängern gesondert zu schützender Status entnommen werden. Denn die Situation der bloß sozialen Bezugs- und Vertrauensperson ohne rechtlichen oder leiblichen Elternstatus unterscheidet sich wesentlich von der Situation des vom Kind getrennt lebenden Elternteils.

3. Sofern besonders häufige und lange Besuchskontakte aus Gründen des Kindeswohls geboten sein sollten, würde nicht eine Sondersituation des sozialen Elternteils kausal werden, sondern eine atypische Sachlage des Kindes. Entsprechend wären etwaig anfallende Sonderkosten auch dem Kind zuzuordnen, könnten aber nicht zu einem höheren Individualanspruch des bloß sozialen Elternteils führen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Sozialgericht Berlin, Urteil v. 21.01.2016 – S 26 AS 26515/13

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG – – Regelbedarf für Alleinerziehende für die Ehegattin

Leitsatz (Juris)
1. Auch für Zeiträume nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (Az: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) hat ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 bezieht und in Bedarfsgemeinschaft mit einem nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz Leistungsberechtigten lebt, zunächst weiterhin Anspruch auf Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung des Regelbedarfs aus § 20 Abs 2 Satz 1 SGB 2. Eine analoge Anwendung von § 20 Abs 4 SGB 2 ist in diesen Fällen nicht gerechtfertigt.

2. An eine andere Beurteilung ist nur dann zu denken, wenn und soweit die Anwendung des Alleinerziehenden-Regelbedarfssatzes aus § 20 Abs 2 Satz 1 SGB 2 in einer gemischten Bedarfsgemeinschaft zu einer Besserstellung gegenüber dem in § 20 Abs 4 SGB 2 geregelten Fall führen, weil den Partnern auf diese Weise zusammen mehr als 180 Prozent des Regelbedarfssatzes aus § 20 Abs 2 Satz 1 SGB 2 zur Verfügung stehen (hier: nicht der Fall).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso: Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 05.02.2014 – S 32 AS 5467/13 ER

2.6 – Sozialgericht Leipzig, Urteil vom 24.09.2015 – S 25 AS 2228/14

Insbesondere zur Beantwortung der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Vergleichsraumdifferenzierung über mietpreisbildende Faktoren den Anforderungen höchstrichterlicher Rechtsprechung an ein schlüssiges Konzept genügt (bejahend).

Leitsatz (Redakteur)
1. Das Konzept beruht auf einer nachvollziehbaren und nicht zu beanstandenden Bestimmung des Vergleichsraumes.

2. Hinsichtlich der Bildung des Vergleichsraumes über den gesamten Landkreis existiert bisher keine Rechtsprechung des BSG. Gemäß Beschluss vom 5.06.2014 – B 4 AS 349/13 B ist der gesamte Landkreis als Vergleichsraum jedenfalls nicht ausgeschlossen.

3. Als maßgeblicher Vergleichsraum ist bei der Ermittlung der angemessenen Miete auf das räumliche Gebiet des gesamten Landkreises Nordsachsen abzustellen.

4. Das vorgelegte Konzept ist schlüssig im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2016 – L 20 SO 517/15 B ER – rechtskräftig

Prüfung der Erwerbsfähigkeit – Zuständigkeitskonflikt des Leistungsträgers nach dem SGB XII mit dem Jobcenter hinsichtlich Erbringung der Grundsicherung –

Eine – Leistungen nach dem SGB XII ausschließende – Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin ist nicht nach § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II zu unterstellen (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 17.04.2014 – L 19 AS 485/14 B ER).

Sozialhilfeträger muss für die Antragstellerin Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII erbringen, denn der SGB XII-Träger hat trotz Kenntnis den Feststellungen der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nicht gemäß § 44a Abs. 1 S. 2 SGB II widersprochen.

Hinweis Gericht
1. Selbst wenn der SGB II-Träger über den Wortlaut des § 44a SGB II hinaus verpflichtet wäre, auch ohne das Vorliegen eines Widerspruchs Nahtlosigkeitsleistungen zu erbringen, wenn er zwar vom Fehlen der Erwerbsfähigkeit ausgeht, die Zuständigkeit aber nicht mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Träger geklärt hat, kann dies jedenfalls nicht gelten, wenn – wie hier – dem SGB II-Träger eine Klärung mit dem SGB XII-Träger bereits im Vorfeld verwehrt ist, weil einerseits der Hilfebedürftige die dafür notwendige datenschutzrechtliche Einwilligung nicht erteilt hat, und andererseits der SGB XII-Träger trotz Kenntnis den Feststellungen der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nicht gemäß § 44a Abs. 1 S. 2 SGB II widerspricht.

2. Insofern ist zu berücksichtigen, dass das in § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I geregelte “Beschleunigungsgebot” auch die zügige Klärung der Zuständigkeit zwischen zwei Sozialleistungsträgern umfasst. Hieran hat auch der SGB II-Leistungsträger ein berechtigtes Interesse; denn dessen Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger beginnt gemäß § 44a Abs. 3 S. 2 SGB II erst mit dem Tag des Widerspruchs des Sozialhilfeträgers. Ohnehin sind die Leistungsträger bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zur engen Zusammenarbeit verpflichtet (vgl. § 86 SGB X).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Detmold, Beschluss vom 05.11.2015 – S 2 SO 340/15 ER – rechtskräftig

Anspruch auf Gewährung von Genossenschaftsanteilen als Darlehen

Leitsatz (Redakteur)
Genauso wie der Anspruch auf Rückzahlung der gewöhnlichen Mietkaution an das leistungsgewährende Amt abgetreten werden kann, geht dies auch mit dem Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Genossenschaftsanteile. Genossenschaftsanteile stehen auch nach der Rechtsprechung des LSG NRW der Mietkaution gleich (vgl. LSG NRW vom 26.04.2007 zu Aktenzeichen L 9 SO 25/06).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp zum SGB II:
Folgende Rechtsfrage ist beim BSG anhängig: B 4 AS 24/15 R
Vorinstanz: LSG Essen, L 7 AS 1451/14

Handelt es sich bei den Kosten für Genossenschaftsanteile, die bei Anmietung einer neuen Unterkunft erworben werden müssen, um Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne von § 22 Abs 6 S 1 SGB 2 oder um mit einer Mietkaution vergleichbare Aufwendungen, die in entsprechender Anwendung von § 22 Abs 6 S 3 SGB 2 nur darlehensweise übernommen werden sollen?

4.2 – Sozialgericht Fulda, Beschluss vom 28.01.2016 – S 7 SO 55/15 ER

Landkreis muss Kosten für Hilfe bei Mahlzeiten im Kindergarten zahlen

Leitsatz (Juris)
1. Benötigt ein behindertes Kind aufgrund einer angeborenen Erkrankung (hier: Fehlbildung der Luft- und Speiseröhre) eine ständige Beaufsichtigung bei den Mahlzeiten, unterfallen die Kosten für eine erforderliche persönliche Assistenz des Kindes während des Besuchs eines Kindergartens den Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und nicht den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung.

2. Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig (§ 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI). Das behinderte Kind kann daher nicht darauf verwiesen werden, das von der Pflegekasse gewährte Pflegegeld ganz oder teilweise bedarfsmindernd zur Deckung der Kosten für die persönliche Assistenz in Anspruch zu nehmen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

S.a.: Landkreis muss Kosten für Hilfe bei Mahlzeiten im Kindergarten zahlen: osthessen-news.de

5.   Hartz holt auch noch das Letzte raus – Betroffene sollen Leistungen erstatten, wenn sie einen? Job nicht annehmen

Es soll die ganze große Nummer werden: Wer künftig die Annahme eines Jobangebotes verweigert oder gekündigt wird, der muss sich auf langfristige und folgenreiche Kürzungen des Regelsatzes einstellen.

Weiter: www.neues-deutschland.de

Dazu Bernd Eckhardt, Nürnber, Sozialpädagogische Beratung in Sozialrecht Justament 1/2016, S. 24 – www.sozialrecht-justament.de

Sozialwidrig soll in Zukunft nicht nur die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit sein, sondern auch deren Beibehaltung oder Nichtverringerung (§ 34)

Die neue Regelung versieht gewissermaßen die zentrale programmatische Rechtsnorm des § 2 Absatz 1 S. 1 mit einer Rechtsfolge. Im § 2 des SGB II wird ausgeführt, dass Hilfebedürftige alles unternehmen müssen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu reduzieren. Bisher stellte der Sanktionsparagraf die einzige Konkretisierung und Einschränkung dieser programmatischen Forderung dar. So hat es der Gesetzgeber bisher auch explizit in der Gesetzesbegründung gesehen.

Die Entgrenzung des § 34 SGB II macht nun jegliches Handeln, das die Hilfebedürftigkeit nicht reduziert, zumindest grundsätzlich als sozialwidriges Handeln sanktionierbar. In der Gesetzesbegründung werden folgende Beispiele genannt, die nun zu einem Ersatzanspruch führen:

Hierzu zählen u.a. Fälle, bei denen eine nicht bedarfsdeckende Beschäftigung während eines Leistungsbezuges ohne wichtigen Grund aufgegeben wird (die erhöhten Leistungszahlungen können als Erstattungsanspruch geltend gemacht werden), in denen eine Beschäftigung ohne wichtigen Grund abgelehnt wird und dadurch die Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten bleibt oder in denen der Wechsel in eine günstigere Steuerklasse verweigert wird.

Die praktischen Folgen der Neuformulierung und deren politische Reichweite sind den AutorInnen des Gesetzentwurfs offenbar nicht bewusst. Im neugefassten § 34 SGB II verdichtet sich ein totalitäres Aktivierungspostulat. Neben den Sanktionen nach § 31 SGB II müsste nun immer zudem ein Ersatzanspruch – also ob grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz vorzuwerfen ist – geprüft werden, wenn durch Verhalten, die Hilfebedürftigkeit nicht reduziert wurde.

Der neue § 34 SGB II verdoppelt gewissermaßen die Sanktionsmöglichkeiten. Vollkommen unklar bleibt, wie denn die erhöhten Leistungszahlungen berechnet werden sollen. Das Problem der permanenten Bedarfsunterdeckung wird durch den neuen § 34 SGB II wesentlich verschärft, da diese Ersatzansprüche mit 30 % des Regelbedarfs auf den Leistungsanspruch aufgerechnet werden können.

6.   Hartz IV: Frühe Eingliederungsvereinbarungen helfen nicht immer – IAB-Studie

Frühe Eingliederungsvereinbarungen helfen nicht immer

Eingliederungsvereinbarungen dokumentieren sowohl die Unterstützungsaktivitäten der Arbeitsvermittler bei der Jobsuche als auch die Eigenbemühungen der Arbeitsuchenden. Ihr Abschluss ist vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Ein Forscherteam des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Universität Mannheim hat untersucht, ob ein möglichst frühzeitiger Abschluss der Eingliederungsvereinbarung die Beschäftigungschancen verbessert. Das Ergebnis lautet: In manchen Fällen ja, aber nicht immer.

Insbesondere männliche Arbeitslose mit Förderbedarf, bei denen beispielsweise Fortbildungen zur Verbesserung der Chancen am Arbeitsmarkt erforderlich sind, profitieren von einem frühzeitigen Abschluss der Eingliederungsvereinbarungen. Sie sind schneller wieder beschäftigt, wenn die Eingliederungsvereinbarung möglichst früh und nicht erst nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit abgeschlossen wird.

Bei Männern, die von vornherein sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, aber auch bei Männern, bei denen aufgrund mehrerer Vermittlungshemmnisse eine Arbeitsaufnahme innerhalb eines Jahres unwahrscheinlich ist, ist eine frühe Eingliederungsvereinbarung dagegen nicht hilfreich. Bei arbeitsuchenden Frauen spielt der Zeitpunkt ganz generell kaum eine Rolle.

Aufgrund der Forschungsergebnisse hat die Bundesagentur für Arbeit die bisherige Regelung, mit allen Arbeitslosen Eingliederungsvereinbarungen bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit oder zeitnah danach abzuschließen, flexibilisiert.

Die IAB-Studie ist im Internet abrufbar unter doku.iab.de.

Quelle: Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 9.2.2016 www.iab.de

7.   Arbeitslose bekommen Geld geschenkt Klageflut soll Hartz IV revolutionieren

Von weniger als 404 Euro im Monat kann man nicht leben. “Existenzminimum” nennt das der Gesetzgeber und hat den Hartz-IV-Regelsatz deshalb auf genau diese 404 Euro festgelegt. Trotzdem müssen rund fünf Prozent aller Arbeitslosen mit weniger leben, weil das Jobcenter ihnen die Leistungen kürzt – zum Beispiel für einen versäumten Termin. Das sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, meint die neuen Initiative “sanktionsfrei.de”. Sie will eine Klageflut auslösen und lockt Arbeitslose mit Geldgeschenken.

von Ludwig Bundscherer, MDR INFO
weiter: www.mdr.de

Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de