BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
des Herrn xxx,
Kläger,
bevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
das Hessische Landeskriminalamt,
Beklagter,
wegen Ordnungsrechts
hat das Verwaltungsgericht Kassel durch Vorsitzenden Richter am VG xxx als Berichterstatter anstelle der 2. Kammer am 17. März 2016 beschlossen:
Das in der Hauptsache erledigte Verfahren wird eingestellt.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
GRÜNDE
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden. Unter Billigkeitserwägungen fallen diese dem Beklagten zur Last, da dieser ausgehend von der Sach- und Rechtslage, wie sie sich bis zu dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses (= Löschung der im POLAS-HE über den Kläger gespeicherten Daten mit Ablauf der Aussonderungsprüffrist) dargestellt hat, bei streitiger Entscheidung aller Voraussicht nach unterlegen wäre.
Die angegriffene Datenspeicherung ist auf der Grundlage des § 20 Abs. 4 HSOG erfolgt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können die Polizeibehörden, soweit Bestimmungen der Strafprozessordnung oder andere gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen, personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Verfolgung von Straftaten gewonnen haben, u. a. zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten speichern oder sonst verarbeiten. Die Speicherung oder sonstige Verarbeitung in automatischen Verfahren ist nur zulässig, wenn es sich um Daten von Personen handelt, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben; entfällt der Verdacht, sind die Daten zu löschen (Satz 2 der Regelung).
Im Rahmen der Anwendung vorgenannter Bestimmungen gebieten es eine verfassungskonforme Auslegung und der auch hier geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass Bagatell- und Fahrlässigkeitsdelikte nicht zur landesweiten Datenverarbeitung führen dürfen (vgl. dazu Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 20 Rdnr. 64). Dem trägt auch § 15 Abs. 1 Satz 2 HSOG-DVO Rechnung, wonach sich die Prüffrist zur Aussonderung in Fällen geringer Bedeutung bei erwachsenen Personen bis zum Alter von siebzig Jahren von zehn Jahren auf drei Jahre verkürzt.
Ausgehend davon ergibt sich ein Rechtsfehler des angefochtenen Bescheids vom 4. Juli 2013 in der Fassung des ebenfalls angegriffenen Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2014 allerdings nicht bereits aus der hierin getroffenen Feststellung, der Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, werde nicht bereits dadurch ausgeräumt, dass es in Bezug darauf zu einer Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153 ff. StPO gekommen sei. Die von dem Beklagten vertretene Rechtsansicht, auch bei Verfahrensbeendigung auf diese Weise sei der Tatverdacht nicht notwendig ausgeräumt, steht mit der hierzu in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung in Einklang (vgl. Meixner/Friedrich, HSOG, 11. Aufl., § 20 Rdnr. 17 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen, a. A. wohl nur Hornmann, a. a. 0.).
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass aus § 28 Abs. 1 und 2 HVwVfG auch – und gerade – in einem solchen Fall die behördliche Verpflichtung abzuleiten ist, die für und gegen eine Datenverarbeitung nach § 20 Abs. 4 Satz 2 HSOG sprechenden Umstände im Einzelfall zu ermitteln. Es sind tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, um die Verdachtsprognose hinreichend zu stützen, bloße Vermutungen reichen hier nicht aus (vgl. Hornmann, a. a. 0. Rdnr. 63). Dass die zu Lasten des Klägers vorgenommene Datenerfassung auf einer Ermittlung und – an § 15 Abs. 1 Satz 2 HSOG-DVO gemessenen – Bewertung der tatsächlichen Umstände beruht hätte, die zur Einleitung der – später nach §§ 153 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (29. März 2003 in Hanau) und Hausfriedensbruch/Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (10. Februar 2005 in Frankfurt am Main) geführt haben, kann der Begründung der streitbefangenen Verfügungen nicht entnommen werden. Auch die bei dem Verwaltungsvorgang befindlichen Unterlagen geben hierüber keinerlei Auskunft.
Hinzu tritt, dass weitere tatbestandliche Voraussetzung für die Datenverarbeitung in automatisierten Systemen ist, dass eine Wiederholungsgefahr besteht. Anderenfalls ist diese ungeeignetes Mittel und damit rechtswidrig. Auch diesbezüglich ist seitens der Polizeibehörde nach Aufklärung des Sachverhalts eine Prognoseentscheidung zu treffen. Eine gleichsam schematisierte Datenverarbeitung in automatisierten Dateien ist unzulässig (vgl. nochmals Hornmann, a. a. 0. Rdnr. 69). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass nach den gesamten Umständen des Falles begründete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass im Fall des Klägers die Annahme gerechtfertigt erschien, dieser werde wieder strafrechtlich in Erscheinung treten. Jedenfalls gibt die Begründung der angegriffenen Bescheide für diese Annahme nichts her.
Damit deuten die Gesamtumstände vorliegend darauf hin, dass eine an den Vorgaben aus § 15 Abs. 1 Satz 2 HSOG-DVO orientierte Prüfung hier letztlich unterblieben ist, was die Datenspeicherung rechtsfehlerhaft erscheinen lässt.
Der von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 9. März 2016 mitgeteilten Einschätzung, dass der Kläger angesichts der Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Datenspeicherung die Kosten des Verfahrens zu tragen gehabt hätte, wenn sich der Rechtsstreit nicht im Hinblick auf den Ablauf der Aussonderungsprüffrist erledigt hätte, kann damit im Ergebnis nicht gefolgt werden.
Den in diesem Schriftsatz enthaltenen Hinweis darauf, der Beklagtenseite sei innerhalb einer Verfahrensdauer von fast zwei Jahren – bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses – keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden, versteht der Berichterstatter in der Weise, dass hiermit offenbar Kritik an der Art der Verfahrensbearbeitung und überlangen Dauer des Verfahrens zum Ausdruck gebracht werden soll. Ob diese Kritik berechtigt erscheint, mag dahinstehen. Die Möglichkeit, die an Billigkeitsgesichtspunkten zu orientierende Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers zu treffen, ist hierdurch jedenfalls nicht eröffnet. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der nunmehr zur Entscheidung berufenen Kammer eine zögerliche Bearbeitung des Verfahrens und dadurch letztlich herbeigeführte “Verfahrensbeendigung durch bloßen Fristablauf” wohl auch kaum angelastet werden kann. Denn die Streitsache ist erst im Rahmen der Neufassung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2016 mit Wirkung zum 1. Januar 2016 von der vormals zuständigen 5. Kammer auf die 2. Kammer übergegangen. Eine prozessleitende Verfügung durch den Berichterstatter ist dann nach erstmaliger Aktendurchsicht und hieraus gewonnener Erkenntnis über den zwischenzeitlich eingetretenen Sachstand bereits unter dem 12. Januar 2016 ergangen und an die Beteiligen übermittelt worden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 52, 63 GKG.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.