1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 10.12.2015 – L 13 AS 34/12 – anhängig beim BSG unter Az.: B 4 AS 4/16 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vermögensberücksichtigung – selbstgenutztes Hausgrundstück – angemessene Größe – Verringerung der Personenzahl nach Bezug des Familienheims – Auszug erwachsener Kinder – Verwertung aufgrund Überschreitung der Wohnflächengrenze
Leitsatz (Juris)
Aus § 12 Abs. 3 S. 2 SGB II, wonach für die Angemessenheit die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgeblich sind, folgt zwingend, dass bei der Prüfung der angemessenen Wohnfläche für die Bestimmung der Personenzahl nicht auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Hausbaus oder des Einzugs abgestellt werden kann.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 22.03.2016 – L 13 AS 4877/13
Leitsatz (Juris)
Ein in einer Einrichtung stationär Untergebrachter erhält Leistungen nach dem SGB II nur dann, wenn er tatsächlich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Die bloße Möglichkeit der Aufnahme einer entsprechenden Erwerbstätigkeit genügt nicht (Anschluss an BSG, Urteil v. 5. Juni 2014, B 4 AS 32/13 R).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 17. März 2016 (Az.: S 75 AS 3600/16.ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat ein in sich konsistentes, konkret auf den Einzelfall zugeschnittenes Konzept zu regeln.
2. Dies ist nicht der Fall, wenn dort einer Antragstellerin es sowohl zur Pflicht gemacht wird, den aus ihrer selbständigen Tätigkeit erzielten Gewinn zu steigern und damit ihre Hilfebedürftigkeit zu senken, als auch sie monatlich “mindestens 10 Bewerbungsbemühungen” um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durchzuführen hat.
2.2 – Sozialgericht Bayreuth, Urteil vom 14. Oktober 2015 (Az.: S 17 AS 768/13):
SG Bayreuth kippt die vom Jobcenter Hof Stadt angenommenen Mietobergrenzen.
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. In Bayern ist eine Wohnfläche von bis zu 50 qm für eine alleinstehende Person als angemessen i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufzufassen. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz erfordert hier aber ebenfalls die Berücksichtigung eines besonderen, z. B. behinderungs- oder pflegebedingten Raumbedarfs, sofern dies erforderlich ist.
2. Ein Konzept des SGB II-Trägers zur Ermittlung der Grenzen der Angemessenheit von Unterkunftskosten kann nur dann als schlüssig akzeptiert werden, wenn
a) eine Datenerhebung über den gesamten regionalen Vergleichsraum durchgeführt wurde (z. B. Das ganze Stadtgebiet ohne eine Ausklammerung bestimmter Stadtteile, keine Ghettobildung);
b) eine nachvollziehbare Definition des Gegenstands der Beobachtung (z. B. Differenzierung nach Standard und Wohnungsgröße, Brutto- und Nettomiete) getätigt wird;
c) Angaben über den Beobachtungszeitraum erfolgen;
d) eine Validität der Datenerhebung sowie eine Repräsentativität des Umfangs der erhobenen Daten gewährleistet ist;
e) besondere Erkenntnisquellen (wie z. B. ein Mietspiegel) bestehen sowie
f) anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze der Datenauswertung gewahrt und die hieraus gezogenen Schlüsse (z. B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) exakt untermauert werden.
3. Nicht zu beanstanden ist bei einer solchen Analyse die Herausnahme besonderer Unterkünfte wie z. B. von Unterbringungsmöglichkeiten in Wohn- und Pflegeheimen, gewerblich oder teilgewerblich genutzte Wohnungen und mietpreisreduzierte Werkswohnungen. Ein Ausschluss sog. Luxuswohnungen darf hier allerdings nicht undifferenziert erfolgen. Eine aussagekräftige Gesamtstichprobe hat nicht nur schwerpunktmäßig Wohnungen aus dem unteren und mittleren Preissegment zu umfassen, sondern stets umfassend repräsentativ zu sein.
4. Erhobene Bestandsmieten, bei denen der Beginn des Mietverhältnisses zwischen den Jahren 1949 und 2012 (Durchschnitt: 2002) bzw. der Zeitpunkt der letzten Mietänderung zwischen 1949 und 2012 (Durchschnitt: 2007) lag, sind z. T. erheblich veraltet und haben ausgeschieden oder in einem statistischen Verfahren hochgerechnet zu werden, damit aus dem Bestandsmietendatensatz ein Schluss auf die lokal aktuell zu zahlenden Mieten gezogen werden kann.
5. Wenn die von einem SGB II-Träger als angemessen festgesetzten Kosten der Unterkunft unter den kraft § 12 WoGG vorgegebenen Tabellenwerten zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von zehn v.H. liegen, können Antragsteller/innen die Gewährung des hier ermittelbaren Differenzbetrags geltend machen.
Anmerkung:
S. dazu Beitrag der Kanzlei “Deterding”: Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 14.10.2015 (Az. S 17 AS 768/13) die vom Jobcenter Hof Stadt angenommenen Mietobergrenzen “gekippt” und das zu Grunde liegende Gutachten für nicht anwendbar erklärt, da es sich hierbei nicht um ein sog. schlüssiges Konzept handelt, wie es das Bundessozialgericht zur Bestimmung der maximal zu erstattenden (= angemessenen) Unterkunftskosten fordert.
2.3 – Keine höheren Leistungen für Hartz IV-Empfänger mit Laktoseintoleranz – Sozialgericht Darmstadt, Urteil v. 18.11.2015 – S 20 AS 331/14 – Berufung anhängig beim LSG Hessen unter dem Az. L 9 AS 201/16
Behörde: Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nur bei massivem Untergewicht
Der 54 Jahre alte Kläger bezieht seit 2008 Hartz IV und beantragte im August 2013 zusätzliche Leistungen für laktosefreie Kost. Hierzu legte er ein Schreiben seines Hausarztes vor, wonach bei ihm eine Laktoseintoleranz bestehe. Die Behörde lehnte den Antrag ab. Bei dieser weitverbreiteten Lebensmittelunverträglichkeit genüge es, milchzuckerhaltige Kost zu meiden. Dies sei nicht mit besonderen Kosten verbunden, zumal mittlerweile in vielen Discountern günstige laktosefreie Produkte angeboten würden. Ein Mehrbedarf an Leistungen könne nur anerkannt werden, wenn der Hilfeempfänger unter einem massiven Untergewicht leide und bei der Ernährungsumstellung ein Gewichtsverlust ausgeglichen werden müsse.
Sozialgericht: Laktoseintoleranz ist eine Erkrankung, die aber keine höheren Kosten verursacht
Das Sozialgericht hat in dem heute veröffentlichten Urteil im Ergebnis der Behörde Recht gegeben. Zwar stelle die Laktoseintoleranz eine Erkrankung dar. Die notwendige Krankenkost sei aber im Vergleich zur üblichen Ernährung nicht kostenaufwändiger. Nach dem aktuellen Stand der Ernährungswissenschaft erfordere die Laktoseintoleranz regelmäßig nur das Weglassen bestimmter Lebensmittel, die nicht vertragen werden. In geringen Mengen verursache Laktose meist keine Beschwerden. Daher könne auch der Kalziumbedarf in der Regel durch Milchprodukte gedeckt werden, die nur sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse).
Deshalb sei aus gesundheitlichen Gründen kein Verzehr spezieller laktosefreier Produkte nötig. Nur in Ausnahmefällen gelte etwas Anderes, etwa im Fall einer besonders schweren Laktoseintoleranz, bei der gar keine Laktose vertragen werde. Ein solcher Ausnahmefall liege bei dem Kläger nicht vor. Wenn der Kläger nicht aus gesundheitlichen, sondern aus persönlichen Gründen bestimmte Produkte – wie etwa laktosefreie Schokolade – verzehren wolle, habe er deswegen keinen Anspruch auf höhere Leistungen.
Quelle: Pressemitteilung des SG Darmstadt Nr. 1/2016 v. 31.03.2016: sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – Beibringung einer “Reiseunfähigkeitsbescheinigung” durch eine erkrankte Bezieherin von Alg II – Anmerkungen zum Beschluss des SG München vom 1.10.2015 – S 16 AS 1859/15 ER von Dr. Manfred Hammel in ZfF 3/2015
4) Resümee
Die von einem Jobcenter einem erkrankten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gegenüber für den Fall der nicht erfolgten Wahrnehmung eines Meldetermins geäußerte Aufforderung zur Beibringung einer zusätzlichen “Bettlägerigkeitsbescheinigung” oder “Reiseunfähigkeitsbescheinigung” zur Bejahung eines Rechtfertigungsgrunds nach § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist grundsätzlich als rechtswidrig aufzufassen. Dies gilt gerade für den Fall der bereits seit längerer Zeit ordnungsgemäß attestierten Arbeitsunfähigkeit, die auch noch fortlaufend andauert. Wenn ein SGB Il-Träger Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat, dann entspricht es dem selbstverständlichen Recht dieser Sozialbehörde, entsprechend § 56 Abs. 1 Satz 5 SGB II über die gesetzliche Krankenkasse des oder der Bezieher/in von Alg II diese Arbeitsunfähigkeit vom MDK überprüfen zu lassen. Es bedarf hier keiner zusätzlichen Erhebung von Gesundheitsdaten durch den SGB II-Träger, sondern dieses Kontrollverfahren erfolgt eigenständig und eigenverantwortlich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V).
Die von der Agentur für Arbeit in Sachen der “AU/Ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens im Einzelfall” in ihren zum SGB II herausgegebenen Fachlichen Hinweisen unter der Nr. 32.9 und 59.10 getätigten Ausführungen sind in entprechender Weise zu überarbeiten.
Anmerkung in diesem Heft zum Beschluss des SG München vom 1.10.2015- S 16 AS 1859/15 ER:
Es spricht viel dafür, dass die Antragstellerin sich zu Recht geweigert hat, das Formular “Reiseunfähigkeitsbescheinigung” von ihrem Arzt ausfüllen zu lassen und dem Beklagten vorzulegen, sodass ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung derzeit als ausreichende Entschuldigung anzusehen ist. Bei summarischer Prüfung bestehen daher gute Aussichten, dass die Klage in der Hauptsache erfolgreich sein wird.
Zur Thematik bereits Frau Prof. em. Dr. jur. Helga Spindler in info also 2013, 95 unter Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien
Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Bundesanzeiger
Amtlicher Teil vom 7.9.2012 B4
Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien:
Bewertungsmaßstab der Arbeitsunfähigkeit für Arbeitslose im SGB II-Bezug vom 21. Juni 2012
Auszug:
Auch wenn die Regelung ungünstig ist, so ist sie nunmehr speziell für den SGB II-Bereich konkretisiert, sodass für eine generelle Infragestellung von AU-Bescheinigungen oder Sonderwünsche wie Bettlägrigkeitsbescheinigungen kein Raum mehr ist. Zweifeln an der Bescheinigung kann allenfalls durch die Einschaltung des MDK begegnet werden, die nach § 56 Abs. l SGB II in den in § 275 Abs. la SGB V genannten Fällen gerechtfertigt ist (Geiger, Leitfaden zum Arbeitslosengeld II, 9.Aufl. 2012, S. 652). Es erscheint damit auch zweifelhaft, ob die Entscheidung des BSG vom 9.11.2010 – B 4 AS 27/10 R – für Meldetermine noch aufrecht zu erhalten ist.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
3.1 – Hessisches Landessozialgericht, Urteil v. 18.03.2016 – L 7 AL 99/14
Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit – Gründungszuschuss – Eigenleistungsfähigkeit – Ermessensfehlgebrauch
Es sei vorliegend ermessensfehlerhaft, den Antrag auf Förderung mittels Gründungszuschuss aufgrund vorhandener Eigenleistungsfähigkeit des Klägers abzulehnen.
Leitsatz (Redakteur)
1. Grundsätzlich ist es möglich im Rahmen des Ermessens eine vorhandene Eigenleistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Allerdings nur dann, wenn aus der selbständigen Tätigkeit selbst von Anfang an voraussichtlich derartige Gewinne erwirtschaftet würden, dass die Förderung mittels Gründungszuschuss nicht notwendig sei, um die Gründungsphase zu überbrücken (SG Berlin, Urteil vom 8. Februar 2010, Az. S 70 AL 3675/07).
2. Dies ergebe sich aus dem Zweck der Vorschrift, mit dem Zuschuss die wirtschaftlich in der Regel schwierige Anfangszeit einer Gründung zu überbrücken. Sei diese Phase im Einzelfall nicht wirtschaftlich schwierig, könne der Gründungszuschuss seinen Zweck nicht erfüllen und sei zur Gründung nicht notwendig. Eine solche Überlegung einzubeziehen sei nach Überzeugung des Gerichts rechtmäßig (SG München, Urteil vom 12. März 2013, S 35 AL 753/12).
3. Das SGB II stelle grundsätzlich nicht auf die Eigenleistungsfähigkeit ab (im Gegensatz zum SGB II).
4. Eine Berücksichtigung der “Eigenleistungsfähigkeit” im Rahmen des Ermessens auch in der ersten Förderphase ist nur dann möglich, wenn aus der selbständigen Tätigkeit selbst von Anfang an voraussichtlich derartige Gewinne erwirtschaftet würden, dass die Förderung mittels Gründungszuschuss nicht notwendig ist, um die Gründungsphase zu überbrücken (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 8 AL 1515/13; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. April 2014 – L 3 AL 141/12, auf die auch Hassel in: Brand, SGB III Kommentar, 7. Auflage 2015, § 93 Rn. 16a am Ende ausdrücklich verweist). So liegt der Fall hier jedoch nicht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
4.1 – SG Koblenz, Urteile vom 09.03.2016 und 23.03.2016 (Az.: S 9 AL 145/14 und S 9 AL 165/14)
SG Koblenz: Arbeitslosengeld nach Umzug erst ab Meldung der neuen Anschrift
Arbeitslose verlieren ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie der Agentur für Arbeit einen Umzug nicht rechtzeitig mitteilen. Das hat das Sozialgericht Koblenz mit zwei Urteilen vom 09.03.2016 und 23.03.2016 (Az.: S 9 AL 145/14 und S 9 AL 165/14) entschieden. Die Agentur für Arbeit müsse einen Arbeitslosen an jedem Tag, für den Arbeitslosengeld beansprucht wird, persönlich unter der von ihm angegebenen Anschrift (Wohnung) erreichen können.
Arbeitslose müssen erreichbar sein
Dies regele die sogenannte Erreichbarkeits-Anordnung, aus der sich für den Arbeitslosen verbindliche Rechte und Pflichten ergeben, so das Gericht weiter. Hierüber würden Arbeitslose regelmäßig durch das Merkblatt für Arbeitslose, das ihnen bei der Antragstellung ausgehändigt wird, ausführlich belehrt.
Anschrift und Wohnsitz müssen identisch sein
Anschrift und Wohnsitz müssten identisch sein, so das Gericht weiter. Es genüge weder, dass der Arbeitslose über “irgendeinen” nicht zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten oder über dritte Personen per Briefpost erreicht werden kann, noch dass der Arbeitslose telefonisch oder per E-Mail erreichbar ist, betont das SG Koblenz. Auch ein Postnachsendeauftrag reiche nicht aus. Die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt genüge ebenfalls nicht.
Zahlung von Arbeitslosengeld zu Recht ab Umzug eingestellt
In den entschiedenen Fällen sei die Zahlung von Arbeitslosengeld zu Recht vom Zeitpunkt des Umzugs an eingestellt worden, weil die Arbeitslosen der Agentur für Arbeit ihren Umzug nicht mitgeteilt hatten, so das SG, das sich damit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz anschließt.
Quelle: rsw.beck.de
Rechtstipp:
Ebenso: Hessisches Landessozialgericht, Urteil v. 20.06.2011 – L 7 AL 209/10 ZVW – Rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld bei nicht mitgeteiltem Wohnungswechsel
5. Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Asylrecht
5.1 – Verwaltungsgericht Minden vom 30.03.2016, Az.: 7 K 3325/15 und 7 K 2137/15 – Berufung vor den Oberverwaltungsgericht zugelassen
Jobcenter Paderborn verliert Prozess gegen Flüchtlinge
Wenn Flüchtlinge als Asylanten anerkannt sind, haben sich frühere Unterhaltserklärungen von Verwandten erledigt.
Quelle: www.nw.de
Rechtstipp:
a. A. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil v. 01.03.2016, Az.: 22 K 7814/15 – Haftung aus Verpflichtungserklärung auch nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens: www.vg-duesseldorf.nrw.de
6. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Rente bezugnehmend auf Hinzuverdienst, Arbeitslosengeld, und Krankengeld
6.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil v. 09.11.2015 – S 5 R 591/15
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung; Hinzuverdienst; Arbeitslosengeld; Krankengeld; Bemessungsgrundlage; Rücknahme des Bewilligungsbescheids; Vertrauensschutz; Verletzung der Mitteilungspflicht; Informationsdefizit der Behörde; grobe Fahrlässigkeit
Leitsatz (Juris)
1. Ein Bewilligungsbescheid kann nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X nur dann zurückgenommen werden, wenn die Verletzung der Mitteilungspflicht ursächlich für die fehlerhafte Bewilligung geworden sein; denn nur dann “beruht” der Verwaltungsakt darauf. Kausal können nur solche Vorgänge sein, die vor Erlass des rechtswidrigen Bescheids liegen; eine etwaige Verletzung der Mitteilungspflicht nach dessen Erlass ist unerheblich. Ebenso fehlt es an der erforderlichen Kausalität, wenn die der Behörde vorliegenden Informationen offenkundig unvollständig sind, die Behörde aber nicht gemäß § 16 Abs. 3 SGB I auf eine Ergänzung der unvollständigen Angaben hinwirkt, sondern ohne weiteres den begünstigenden Verwaltungsakt erlässt.
2. Für eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X genügt es nicht, dass der Begünstigte wusste oder wissen musste, dass die Behörde bei Erlass des Bewilligungsbescheids von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Hinzukommen muss die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Begünstigten, dass die darauf fußende Regelung mit der Rechtslage unvereinbar ist und ihm die bewilligte Leistung (so) nicht zusteht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
7. Juristinnenbund gegen Leistungskürzungen für Alleinerziehende im SGB II
Stellungnahme zur gesetzlichen Verankerung einer fiktiven Bedarfsgemeinschaft im Rahmen des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung, anlässlich der Verbändeanhörung durch das BMAS
Stellungnahme vom 31.03.2016: www.djb.de
Download als PDF: www.djb.de – Stellungnahme (261,98 kB)
Juristinnenbund gegen Leistungskürzungen für Alleinerziehende im SGB II
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat sich im Rahmen der am 31.03.2016 endenden Verbändeanhörung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entschieden gegen Leistungskürzungen bei Alleinerziehenden im SGB II für Zeiten des Umgangs des Kindes mit dem anderen Elternteil ausgesprochen und für die Einführung eines Umgangsmehrbedarfs plädiert. Die strenge Aufteilung des Sozialgeldes zwischen beiden Elternteilen je nach Aufenthaltstagen des Kindes führe zu einer Bedarfsunterdeckung im Haushalt des alleinerziehenden Elternteiles, warnt djb-Präsidentin Ramona Pisal.
Viele Kosten unabhängig von Anwesenheit des Kindes
Der Entwurf des Ministeriums werde die Situation Alleinerziehender, die in der sozialen Wirklichkeit weit überwiegend Mütter sind, nicht verbessern, so Pisal. Der Bedarf des Kindes sei “kein Kuchen, der einfach nach Aufenthaltstagen geteilt werden kann”. Denn bestimmte Kosten wie Strom, Telefon, Versicherungen und Vereinsbeiträge verringerten sich durch die Abwesenheit des Kindes nicht. Die von diesem Verfahren erhoffte Verwaltungsvereinfachung sei “eine Illusion” und trage zudem neue Konflikte über Geld und Umgangszeiten in die Familien.
Pauschaler Umgangsmehrbedarf könnte Verwaltungsaufwand in Jobcentern reduzieren
Eine wirkliche Reduzierung des Verwaltungsaufwandes in den Jobcentern gegenüber der gegenwärtigen richterrechtlich geprägten temporären Bedarfsgemeinschaft wäre aus Sicht des djb nur mit einem anderen klaren System wie einem pauschalen Umgangsmehrbedarf zu erreichen. Der djb fordert daher, den zusätzlichen Bedarf infolge Umgangs anzuerkennen und einen entsprechenden Anspruch auf Mehrbedarf gesetzlich zu verankern, und zwar ohne Kürzung des Sozialgeldanspruchs im Haushalt des alleinerziehenden Elternteils.
8. Das Asylbewerberleistungsrecht in der Fassung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Teil 1)
Autor: Dr. Dagmar Oppermann, Ri’inBSG, Lehrbeauftragte an der Universität Göttingen
Normen: § 25 AufenthG 2004, Art 1 GG, Art 20 GG, § 5 RBEG, § 8 RBEG, § 28a SGB 12, § 40 SGB 12, § 10 SGB 12, § 44 AsylVfG 1992, § 53 AsylVfG 1992, § 34 SGB 12, § 34a SGB 12, § 34b SGB 12, § 14 AsylVfG 1992, § 59a AsylVfG 1992, § 29a AsylVfG 1992, § 47 AsylVfG 1992, Art 16a GG, Anlage II AsylVfG 1992, § 60a AufenthG 2004, § 23 SGB 12, § 50 AufenthG 2004, § 57 AufenthG 2004, § 59 AufenthG 2004, § 1 AsylbLG, § 2 AsylbLG, § 6 AsylbLG, § 3 AsylbLG, § 1a AsylbLG, § 14 AsylbLG
I. Einleitung
Zur Bewältigung der Flüchtlingswelle in Deutschland ist am 24.10.2015 das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 in Kraft getreten (BGBl I 2015, 1722 – AsylVfBeschlG). Anders als der Titel des Gesetzes vermuten lässt, geht es nicht nur um Korrekturen des Asylverfahrensgesetzes, das zugleich in “Asylgesetz” umbenannt wurde. Vielmehr handelt es sich um ein erstes Gesetzespaket (sog. Asylpaket I), das umfangreiche Änderungen materieller Vorschriften enthält, die viele Bereiche des öffentlichen Lebens betreffen. Als ein wesentlicher Bestandteil des neuen Gesetzespaketes wurde neben dem Asyl- und Ausländerrecht auch das Sozialrecht für Flüchtlinge bzw. Asylbewerber verschärft; Regelungen in der Gesundheitsversorgung und in der Arbeitsförderung wurden angepasst. In diesem Beitrag wird das neue Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), insbesondere die Leistungsverschärfungen, vorgestellt und die weiteren Neuregelungen im Bereich des Sozialrechts werden skizziert. Angesichts der umfangreichen Änderungen wird der Beitrag in Teil 2 fortgesetzt.
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9. Rechtsanspruch auf Leistungsvereinbarung – Urteilsbegründung liegt vor – Roland Rosenow zu SG Freiburg, Urt. v. 21.01.2016 – S 12 SO 1791/14 –
Rechtsanspruch auf Leistungsvereinbarung – Urteilsbegründung liegt vor
Das SG Freiburg hat am 21.01.2016 (S 12 SO 1791/14) entschieden, dass ein geeigneter Leistungserbringer einen Rechtsanspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XII für Zuverdienstprojekte hat (Meldung vom 02.02.2016). Nun liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor und steht hier zum Download bereit.
Das Urteil ist wegweisend. Das SG Freiburg hat u.a. Folgendes herausgearbeitet:
Zuverdienstprojekte sind Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Wenn ein nachhaltiger Bedarf besteht, ist der Sozialhilfeträger verpflichtet, für diese Projekte im Rahmen seiner Gewährleistungsverantwortung für eine sachgerechte Versorgungsstruktur Leistungsvereinbarungen nach dem Recht der Sozialhilfe zu schließen.
Es ist rechtlich nicht zulässig, Leistungen der Eingliederungshilfe nur zum Teil nach dem Recht der Sozialhilfe zu behandeln. Insbesondere ist das Leistungsvereinbarungsrecht der §§ 75 ff. SGB XII immer anzuwenden.
Ein Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII kann den Anspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung, die abzuschließen der Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Gewährleistungsverantwortung verpflichtet ist, nicht beschränken. Es kommt nicht darauf an, ob der Rahmenvertrag die Leistung vorsieht.
Im Streit über den Anspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung ist zunächst darüber zu entscheiden, ob der Sozialhilfeträger verpflichtet ist, eine solche Vereinbarung überhaupt zu anzubieten (Entschließungsermessen). Die Details der Vereinbarung sind Gegenstand des Auswahlermessens. Erst dann, wenn eine Einigung über diese Details in Verhandlungen zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer nicht zustande kommt, kann das Gericht ggf. über diese Details entscheiden (pflichtgemäße Ausübung des Auswahlermessens).
Quelle: www.sozialrecht-rosenow.de
Autor des Rechtsprechungstickers: Willi 2 von Tacheles – alias Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de