Tacheles Rechtsprechungsticker KW 24/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Hamburg, Beschluss v. 27.05.2016 – L 4 AS 160/16 B ER – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
1. Art. 10 VO Nr. 492/11/EU begründet ein vom Zweck der Arbeitssuche unabhängiges Aufenthaltsrecht auch jedes Elternteils, der die tatsächliche Sorge für ein Kind ausübt, das sein Schulbesuchsrecht wahrnimmt.

2. Das Aufenthaltsrecht des Kindes – und damit auch dasjenige seiner Eltern – gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift (“beschäftigt gewesen ist”) auch für die Kinder ehemaliger Wanderarbeitnehmer.

3. Schließlich sind die Aufenthaltsrechte nach Art. 10 VO Nr. 492/11/EU nicht davon abhängig, dass Eltern und Kinder über ausreichende Existenzmittel oder einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.2.2010, Rechtssache C-310/08).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
a. Auffassung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.1.2016 – L 15 AS 226/15 B ER und Beschluss vom 16.11.2015 – L 15 AS 201/15 B ER; offen gelassen von LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.1.2016 – L 29 AS 20/16 B ER

1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 03.03.2016 – L 29 AS 404/16 B ER – rechtskräftig

Zur Ablehnung von Mietschulden – Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht

Baldige Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit droht noch nicht bereits dann, wenn eine Kündigung vorliegt und der Vermieter eine Räumungsklage – wie hier – lediglich angedroht hat.

Leitsatz (Redakteur)
1. Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für eine Verpflichtung des Leistungsträgers hinsichtlich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung und diesbezüglicher Zahlungsrückstände bedarf es des substantiierten und nachvollziehbaren Vortrages, dass eine baldige Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit konkret droht (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 2015, L 2 AS 1622/15 B ER).

2. Das ist in keiner Weise glaubhaft gemacht.

3. Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II ist allenfalls dann gerechtfertigt, wenn durch die Schuldenübernahme der Verlust der Wohnung abgewendet werden kann. Dies ist vorliegend bereits deshalb zweifelhaft, weil bereits die Kündigung der Wohnung durch den Vermieter erfolgte. In dem Kündigungsschreiben hat die Vermieterin der stillschweigenden Fortsetzung des Mietverhältnisses über den Kündigungszeitraum hinaus ausdrücklich widersprochen.

1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.03.2016 – L 7 AS 580/16 B ER – rechtskräftig

Zur Übernahme von Energieschulden – § 22 Abs. 8 SGB II – minderjährige Kinder im Haushalt – Folgenabwägung – Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren – Entstehung der Verbindlichkeiten wurde von der Mutter grob fahrlässig verschuldet – keine Anwendung des Kopfteilprinzips bei der Feststellung der Darlehensbelastung

Bei der Leistung für Energieschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist keine Kopfteilung vorzunehmen. Die minderjährigen Kinder sind nicht als Darlehensnehmer anzusehen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Schulden iSd § 22 Abs. 8 SGB II sind in aller Regel auf ein Fehlverhalten des Leistungsberechtigten zurückzuführen, allein ein solches steht einer Schuldenübernahme daher nicht entgegen (BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 58/09 R).

2. Eine mögliche Sanktion für das Verhalten der Mutter bietet § 34 SGB II (Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten). Diese Sanktionsmöglichkeit hindert aber eine Bejahung eines Anordnungsanspruchs derzeit nicht.

3. Ein Anordnungsgrund ist nicht zu verneinen, weil die Antragstellerin zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten nicht genutzt hätte (hierzu ausführlich Beschluss des Senats vom 18.08.2014 – L 7 AS 1289/124 B ER).

4. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 3/14 R) ist ein Darlehen zur Deckung von Mietschulden unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die aus dem Mietvertrag verpflichtet sind. Dieser Grundsatz ist entsprechend auf die hier streitigen Energieschulden anzuwenden

5. Bei der Leistung für Energieschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist keine Kopfteilung vorzunehmen.

6. Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip ist für diejenigen Fälle zu bejahen, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist. So liegt es auch bei der Übernahme von Energieschulden. Würde das Darlehen gemäß § 22 Abs. 8 SGB II kopfteilig auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Energieversorgungsvertrag beteiligten Kinder der Antragstellerin (§ 42a Abs. 1 S 3 SGB II).

7. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die durch den Energielieferungsvertrag zivilrechtlich verpflichtete Antragstellerin (Mutter) als Darlehensnehmer anzusehen (so auch Bittner, in: JurisPK, SGB II, § 42a Rn 29).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso im Ergebnis: Sächsisches LSG, Beschluss vom 24.02.2015 – L 2 AS 1444/14 B ER

1.4 – Hartz IV-Mietobergrenzen in der Landeshauptstadt Hannover rechtmäßig?

Hartz IV-Mietobergrenzen in der Landeshauptstadt Hannover für Einpersonenhaushalte (für die Zeit von August 2011 bis Mai 2012) sowie für Zweipersonenhaushalte (für die Zeit von September bis Dezember 2013) rechtmäßig

LSG Niedersachsen-Bremen, Pressemitteilung vom 10.06.2016 zu den L 11 AS 1788/15 und L 11 AS 611/15 vom 10.06.2016

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat mit zwei Urteilen vom 10. Juni 2016 entschieden, dass die vom Jobcenter Region Hannover für Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (“Hartz IV”) festgesetzten Mietobergrenzen rechtmäßig sind, soweit sie Einpersonenhaushalte (in der Zeit von August 2011 bis Mai 2012) bzw. Zweipersonenhaushalte (in der Zeit von September bis Dezember 2013) im Stadtgebiet Hannover betreffen.

Quelle: www.datev.de und www.landessozialgericht.niedersachsen.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Berlin, Beschluss v. 02.06.2016 – S 167 AS 7009/16 ER

Zum rechtswidrigem Eingliederungsvereinbarungsverwaltungsakt – aufschiebende Wirkung – Verhandlungsphase

Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt ohne jede vorausgehende Verhandlung ist rechtswidrig.

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt kommt damit nur in Betracht, wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen hat, mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss einer Vereinbarung als nicht sachgerecht erscheinen lassen, was im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 14.2.2013 – B 14 AS 195/11 R).

2. Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt ohne jede vorausgehende Verhandlung ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig.

Rechtstipp:
Ebenso im Ergebnis: SG Berlin, Beschluss vom 20.05.2015 – S 206 AS 7996/15 ER, n.v.; SG Stuttgart, 21.05.2014 – S 18 AS 2698/14 ER und SG Dortmund, Beschluss vom 08.04.2015 – S 35 AS 594/15 ER

2.2 – Sozialgericht Berlin, Urteil v. 20.05.2016 – S 37 AS 14517/15 – Berufung zugelassen

Auswirkungen einer Totalsanktion eines unter 25jährigen Mitglieds einer Bedarfs- und später Haushaltsgemeinschaft auf den Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.

Leitsatz (Juris)
1. Die Totalsanktion einer/eines unter 25jährigen, die/der mit den Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, begründet eine Abweichung vom Kopfteilprinzip, soweit die/der Sanktionierte über kein eigenes Einkommen verfügt.

2. Das der/dem Sanktionierten nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB 2 zugeordnete Einkommen eines Elternteils ist kein eigenes Einkommen im genannten Sinn.

3. Das gilt zumindest dann, wenn dieses Einkommen einem Sachleistungsanspruch nach § 31a Abs. 3 SGB 2 entgegengehalten wird oder der Einkommensbezieher nicht darauf hingewiesen wird, dass er das der/dem Sanktionierten zugeordnete Einkommen für die Dauer der Sanktion für deren/dessen rechnerischen Mietanteil einsetzen soll.

4. Die bedarfsbezogene Abweichung vom Kopfteilprinzip gilt auch, wenn die/der unter 25jährigen in Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern lebt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Sozialgericht Berlin, Urteil v. 27.05.2016 – S 37 AS 22238/15 – Berufung zugelassen

Zur Anrechnung von Nebeneinkommen bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosengeld nach dem SGB III (Alg I) und Grundsicherung nach dem SGB II (Alg II).

Leitsatz (Juris)
Werden ergänzend zu Nebeneinkommen aus kurzzeitiger Beschäftigung und Arbeitslosengeld nach § 136 SGB 3 SGB 2-Leistungen bezogen, ist neben dem tatsächlichen Nebeneinkommen nur das um dieses Einkommen bereinigte Arbeitslosengeld – ungeachtet des tatsächlichen Zuflusses – auf die SGB 2-Leistungen anzurechnen. (so auch Durchführungshinweisen der BA (DA 11.67).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Sozialgericht Köln, Urteil vom 20. Mai 2016 (Az.: S 37 AS 3940/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II hat seitens des Jobcenters vor dem Erlass eines entsprechenden Eingliederungsverwaltungsakts stets der Versuch unternommen zu werden, mit einem Bezieher von Arbeitslosengeld II konsensual eine Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II) abzuschließen.

2. Es besteht hier keine Gleichrangigkeit der Handlungsformen “Vereinbarung” und “Verwaltungsakt”, da auch § 15 SGB II vom Grundsatz der aktiven Mitwirkung der Leistungsberechtigten bei der gemeinsamen Ausarbeitung eines Eingliederungskonzepts geprägt ist.

3. Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt kommt nur dann in Betracht, wenn der SGB II-Träger zuvor den Versuch unternommen hat, mit Antragsteller/innen eine Vereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrags als nicht sachgerecht erscheinen lassen. Dies ist im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen.

4. Für die Durchführung entsprechender Verhandlungen trägt das Jobcenter die Beweislast.

Rechtstipp:
Im Ergebnis ebenso Sozialgericht Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2015 (Az.: S 37 AS 3523/15 ER)

2.5 – Sozialgericht Chemnitz, Urteil v. 25.05.2016 – S 35 AS 3984/14 – Berufung zugelassen

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – selbstständige Arbeit – Einkommenssteuernachzahlung ist Betriebsausgabe

Zur Anerkennung der Einkommensteuernachzahlung als notwendige betriebliche Ausgabe i.S.v. § 3 Abs. 2 ALG-II-V (hier bejahend)

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Einkommensteuernachzahlung ist als betriebsbedingte Ausgabe zu berücksichtigen (a. A. SG Karlsruhe Urteil vom 16.12.2015, S 12 AS 4451/14).

2. Von einer betriebsbedingten Ausgabe i.S.v. § 3 Abs. 2 ALG-II-V ist bei der Zahlung von Einkommensteuer insoweit auszugehen, wie sich die Einkünfte aus derselben Erwerbstätigkeit, aus der das Einkommen im Bewilligungszeitraum angerechnet wird, als Besteuerungsgrundlage zuordnen lassen.

2.6 – SG Hannover, Beschluss vom 31.05.2016 – S 43 AS 1514/16 ER

Zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Eingliederungsvereinbarung – Rechtschutzbedürfnis – Dauer des Eingliederungsverwaltungsaktes – Bewerbungskosten – Maßnahme – Eingliederungsverwaltungsakt im Ganzen rechtswidrig

Hinweis Gericht
1. Es fehlt nicht das Rechtschutzbedürfnis für ein Vorgehen gegen die Eingliederungsvereinbarung im Eilrechtschutz. Aufgrund des grundgesetzlich geschützten Grundsatzes des effektiven Rechtschutzes (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) muss dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet werden, sich gegen Maßnahmen der Verwaltung effektiv zu schützen bzw. zu wehren. Vorliegend sind bereits mit der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt Pflichten für den Antragsteller begründet worden.

2. § 15 Abs. 1 S. 3 SGB II eine Laufzeit von sechs Monaten vor. Mit dem Wort “soll” ist ein intendiertes Ermessen vom Gesetzgeber vorgesehen, mithin ist dies eine Ermessensentscheidung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.02.2013 Az.: B 14 AS 195/11 R). Im hiesigen Fall lässt der Eingliederungsverwaltungsakt keine Ermessensentscheidung erkennen. Mithin liegt ein sog. Ermessensausfall/-nichtgebrauch vor. Eine Nachholung kommt – anders als ein Nachschieben im Sinne einer Ergänzung von Ermessenserwägungen – nicht in Betracht, denn es handelt sich beim Ermessensnichtgebrauch – wie hier – nicht lediglich um einen Mangel der Ermessensbegründung, sondern bereits um einen solchen der Ermessensbetätigung; eine Heilung nach § 41 Absatz 1 Nr. 2 SGB X ist daher bereits tatbestandlich nicht möglich.

3. Die Regelung über die Höhe der erstattungsfähigen Kosten der Bewerbungsbemühungen ist zu unbestimmt (so auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4.4.2012, Az.: L 15 AS 77/12 B ER).

4. Der Gedanke der Unbestimmtheit und die Rechtsprechung des Landessozialgerichtes lässt sich auf die Kostenerstattung bei Maßnahmeteilnahme übertragen. Auch hier ist die Regelung (im notwendigen Umfang”) zu unbestimmt und mithin rechtswidrig.

Quelle: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen: www.kanzleibeier.eu

2.7 – Sozialgericht Aachen, Urteil v. 19.05.2016 – S 2 AS 305/15

Zur Bewilligung von ALG II und zur Frage, ob der Antragsteller einen wirksamen Antrag auf ALG II gestellt hat (hier bejahend)

Leitsatz (Redakteur)
Der Antrag kann auch formlos, etwa mündlich oder telefonisch, gestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 28.10.2009, B 14 AS 56/08 R). Erforderlich ist lediglich, dass aus den Erklärungen des Antragstellers der Wille hervorgeht, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen zu wollen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung nach dem SGB III

3.1 – Sozialgericht Speyer, Urteil vom 17. Februar 2016 (Az.: S 1 AL 63/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Keine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB III wegen der Kündigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses während der Probezeit durch den Arbeitnehmer und Begründung eines von Anfang an befristeten Arbeitsverhältnisses ohne konkrete Aussichten auf eine Verlängerungsmöglichkeit wegen eines wichtigen Grunds für diesen Arbeitsplatzwechsel.

2. Ein berechtigtes Interesse eines Arbeitnehmers für eine entsprechende Eigenkündigung ist dann zu bejahen, wenn eine (unterhalb des Mindestlohnniveaus) niedrig entlohnte Tätigkeit zugunsten einer erheblich höher dotierten Arbeit aufgegeben wird. Eine Lohnsteigerung von ca. 20 v. H. ist hier bereits für sich allein betrachtet als ein wesentlicher Aspekt aufzufassen. Deutlich geringere Aufwendungen für die Fahrkosten zum neuen Arbeitsplatz (anstatt 65 km nunmehr 10 km zur neuen Arbeitsstelle) sind hier ebenfalls von hoher Bedeutung, denn diese Tatsache führt zu einer erheblichen Steigerung des Nettoarbeitsentgelts, weil auch nur jeweils eine Wegstrecke steuerbegünstigt ist.

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 06.06.2016 – L 20 SO 249/16 B ER – und – L 20 SO 250/16 B – rechtskräftig

Keine Leistungen nach dem SGB XII für bulgarische Staatsangehörige, wenn Sie nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI ist, sondern nach § 8 Abs. 1 SGB II erwerbsfähig – Nahtlosigkeitsregelung – § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II ordne auch nicht nur eine bloß vorläufige Leistungspflicht i.S.d. § 43 SGB I an

Leitsatz (Redakteur)
Die Erwerbsfähigkeit der Leistungsberechtigten werde so lange fingiert, bis der Träger der anderen Leistung seine Zuständigkeit anerkannt habe oder über seinen Widerspruch entschieden worden sei (Bezugnahme auf Knapp in jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, §44a Rn. 70 ff. m.w.N.; BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 10.09.2015 – L 4 SO 225/14

Zur Rechtsfrage, ob Kosten für die Grabpflege zu den vom Sozialhilfeträger zu erstattenden Beerdigungskosten iS des § 74 SGB XII gehören (verneinend)

Beschwerde vom BSG abgelehnt (BSG, 24.02.2016 – B 8 SO 103/15 B).

Leitsatz (Redakteur)
Grabpflegekosten gehören nicht mehr zu den Kosten der Bestattung gemäß § 74 SGB XII (vgl. BSG, Urteil v. 25. August 2011 – B 8 SO 20/10 R -).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Im Ergebnis ebenso: LSG NRW, Beschluss v. 21.09.2006 – L 20 B 63/06 SO NZB

4.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 06.06.2016 – L 2 SO 1902/16 ER-B

Leitsatz (Juris)
Für die Frage, ob Personen, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben, ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsanspruch besteht, von der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R) auszugehen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.4 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.04.2016 – L 2 SO 1151/16 ER-B

Leitsatz (Juris)
Eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts eines EU-Ausländers, die nach der Rechtsprechung des BSG das Ermessen des Sozialhilfeträgers nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduzieren kann, ist nicht gegeben bei länger als sechs Monate und durchgehend bestehender Obdachlosigkeit.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen aus anderen Gesetzbüchern

5.1 – LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24. Februar 2016 (Az.: L 5 KR 18/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Eine in einer Wohngruppe einer Werkstatt für behinderte Menschen lebende behinderte Person kann im Zusammenhang mit der Versorgung mit einem Schwerkraftlagerungssitz (“Gravity Chair”) weder beim Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf die Gewährung eines entsprechenden Hilfsmittels (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) noch beim Sozialhilfeträger gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 9 Abs. 1 EinglHVO (“Andere Hilfsmittel”) geltend machen.

2. Durch diese spezielle Sitzgelegenheit wird keinem Grundbedürfnis des täglichen Lebens Rechnung getragen. Der Träger der Behinderteneinrichtung hat auf der Grundlage der mit dem Sozialhilfeträger entsprechend den §§ 75 ff. SGB XII getroffenen Vereinbarungen stets den pflegebedingt erforderlichen Personal- und Sachmittelbedarf zu decken. Dies gilt gerade für Verrichtungen, die dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienen und damit der “Heimsphäre” zuzuordnen sind.

3. Die gesetzliche Krankenversicherung hat für vollstationär untergebrachte Versicherte nur in Bezug auf diejenigen Hilfsmittel eine Zuständigkeit, die individuell angepasst ihrer Natur nach einzig für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind.

5.2 – BFH: Auch im EU-Ausland lebende Elternteile können kindergeldberechtigt sein

    zu BFH, Urteil vom 04.02.2016 – III R 17/13

Lebt ein Kind im EU-Ausland bei der geschiedenen Ehefrau, ist sie, nicht aber der in Deutschland lebende Vater kindergeldberechtigt. Dies stellt der Bundesfinanzhof klar. In dem Urteil vom 04.02.2016 (Az.: III R 17/13) folgt er der Beurteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union (DStRE 2015, 1501), an den er zuvor ein Vorabentscheidungsersuchen gerichtet hatte. Mit einem weiteren Urteil vom 10.03.2016 hat der BFH diese Rechtsprechung in einem ähnlichen Fall bestätigt (Az.: III R 62/12).

Quelle: rsw.beck.de

6.   Allgemeines uns lesenswertes aus verschiedenen Gesetzesbüchern

7. Bemerkenswerte Kritik v RiBSG Bernsdorff (12.Senat) an BSG-Rspr zu SGBXII-Leistg f EU-Bürger NVwZ 2016, 633 f.
Quelle: beck-online.beck.de

8.   BA: Arbeitsförderung für Asylsuchende und Geduldete

Hier eine hilfreiche Übersicht über die Zugänge zu den unterschiedlichen Förderinstrumenten der Bundesagentur für Arbeit für Asylsuchende und Geduldete, übersichtlich auf fünf Folien und von der BA selbst herausgegeben (Nachricht von Claudius Voigt).
ggua.de

Wichtig ist erneut der Hinweis (von Claudius Voigt):
Für sämtliche Asylsuchenden und Geduldeten besteht Zugang zum Beispiel zu Maßnahmen nach § 45 SGB III (z. B. PerJuF), zum Vermittlungsbudget, zur Einstiegsqualifizierung (EQ), sobald ein theoretischer Arbeitsmarktzugang besteht. Es gibt hierfür keine Einschränkung auf Menschen mit der berüchtigten “guten Bleibeperspektive”, auch Menschen aus den so genannten sicheren Herkunftsstaaten können gefördert werden, wenn sie vor dem 1. September 2015 einen Asylantrag gestellt haben bzw. eingereist sind.

Menschen aus Syrien, Irak, Eritrea und Iran können jedoch im Rahmen des Vermittlungsbudgets und § 45-Maßnahmen zusätzlich schon ab dem ersten Tag der Einreise und auch in der Landeseinrichtung gefördert werden, während die anderen warten müssen, bis sie drei Monate hier sind und nicht mehr in einer Landeseinrichtung leben müssen.

9.   Medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Gesundheit für Alle statt lebensgefährlicher Minimalmedizin

Georg Classen (Flüchtlingsrat Berlin) hat eine fulminante Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 08.06.2016 unter dem Titel: “Medizinische Versorgung von Flüchtlingen” verfasst. Darin kritisiert er zunächst grundsätzlich die Beschränkungen, die das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, und zitiert zustimmend den renommierte Sozialrechtler Eichenhofer:
“Das Urteil des BVerfG vom 18.7.2012 muss für den Gesetzgeber … ein Anlass sein, die Reichweite des Gesundheitsschutzes für Flüchtlinge und Asylsuchende zu überprüfen. Die Beschränkung des Anspruchs auf eine Akutbehandlung und die Versagung einer nachhaltigen Krankenbehandlung verletzt das Menschenrecht auf Gesundheit und widerspricht auch einem das Sozialleistungsrecht umfassenden Verständnis des Art. 2 11 GG. Danach ist der Staat nicht nur gefordert, sich sämtlicher Eingriffe in das Leben und die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit der Inlandsbewohner zu enthalten, sondern auch zum aktiven Schutz der kranken Menschen durch medizinische Hilfe verpflichtet. Deren Versagung stellte auch die Diskriminierung behinderter Menschen dar, die sowohl international- und europarechtlich wie nach Art. 3 III 2 GG untersagt ist.”

Ausführlich widmet sich Classen sodann dem Bundesrats-Kompromiss zum AsylbLG, der die Möglichkeit für die Länder vorsieht, elektronische Gesundheitskarten auch für Asylsuchende auf freiwilliger Basis einzuführen. Er beschreibt ausführlich den unbefriedigenden Stand in den Bundesländern (zu Niedersachsen weitere Infos hier) und kommt zu dem Ergebnis:

weiter: www.nds-fluerat.org

10.   Zeitschrift quer Ausgabe 16 ist erschienen

Die 16. Ausgabe der “quer für alle” ist online. Auch im Anbetracht der drohenden Verschärfungen im Bereich “Hartz IV” (“Rechtsvereinfachungsgesetz”) hat die quer-Redaktion ein breites Spektrum von Themen zusammengestellt.

Neben einem Überblick über das Rechtsvereinfachungsgesetz bietet diese Ausgabe einen Rückblick auf eine gelungene ALSO- Aktion zum Thema ungedeckte Stromkosten. Ebenso mehrere Hintergrundartikel, die Schlaglichter auf rassistische Strukturen in der Gesellschaft, auf die miserable Situation in Pflege und Sorgearbeit und auch einen Blick über den Gartenzaun in den Bereich der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik werfen. Wie immer stellen wir jede Menge Urteile aus dem Sozialrecht vor, die im Alltag von Erwerbslosen und Einkommensarmen bedeutsam sein könnten.

Quelle: www.also-zentrum.de

11.   Pressemitteilung: Versteckte Einschränkung des Asylrechts im Entwurf des Integrationsgesetzes grund- und menschenrechtswidrig

Berlin – Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert die im Entwurf des Integrationsgesetzes vorgesehene Änderung des § 29 Abs. 1 Nr. 4 Asylgesetz, die zu einer fundamentalen Beschneidung des Asylrechts führen könnte. Diese Regelung wurde nachträglich in den Entwurf aufgenommen und ist von der Bundesregierung bislang nicht öffentlich erwähnt worden.

Dazu erklärt das Institut: www.institut-fuer-menschenrechte.de

12.   Anmerkung zu: BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 31.03.2016 – III ZR 267/15 – Autor: Dr. Christiane Padé, Ri’inSG

Leitsätze
1. Der Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers zur Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus dessen zivilrechtlichem Vertrag mit dem Leistungserbringer (hier: Schulvertrag über die Betreuung eines behinderten Kindes) erfolgt in der Regel durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit Drittwirkung (zugunsten des Leistungserbringers). Dadurch wird zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung begründet.

2. Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid im Grundverhältnis gegenüber dem Hilfeempfänger erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung besteht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (begünstigende) Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§§ 39 Abs. 2, 44 ff. SGB X).

3. Werden der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X aufgehoben, entfällt im Verhältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für Zahlungen des Sozialhilfeträgers. Wird der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 2, 4 SGB X), sind bereits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB auszugleichen (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 07.05.2015 – III ZR 304/14 – BGHZ 205, 260).

Quelle: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de