1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 15.06.2016 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil v. 15.06.2016 – B 4 AS 41/15 R
Zur Berücksichtigung von Spielgewinnen und -verlusten bei der Berechnung des Arbeitslosengeld II.
Hinweis Gericht:
Glücksspielgewinne sind bei Hartz-IV-Empfängern nahezu komplett als Einkommen anzurechnen. Lediglich der Spieleinsatz für das konkrete gewinnbringende Spiel kann abgezogen werden, die Einnahmen aus Spielgewinnen sind als einmalige Einnahmen im Regelfall auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem Teilbetrag anzusetzen.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
1.2 – BSG, Urteil v. 15.06.2016 – B 4 AS 36/15 R
Ist die Klage gegen eine sogenannte Kostensenkungsaufforderung, hilfsweise eine Feststellungsklage zulässig, um vor einer Leistungskürzung bzw vor einem Wohnungswechsel zu klären, ob die Kosten der Unterkunft und Heizung angemessen iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 sind?
Feststellungsklage gegen Kostensenkungsaufforderung KdU zulässig.
Hinweis Gericht
Die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens einer Kostensenkungsobliegenheit war zulässig, denn nur durch eine Feststellungsklage kann hier dem verfassungsrechtlichen Gebot aus Art 19 Abs 4 GG, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, Rechnung getragen werden.
Eine Kostensenkungsaufforderung ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG, die zu ändern kein Anlass bestanden hat, nicht als Verwaltungsakt anzusehen.
Die auf eine Kostensenkungsobliegenheit gerichtete Feststellungsklage ist jedoch nur dann zulässig, wenn – wie hier – durch sie eine Klärung des Streites im Ganzen ermöglicht wird.
Sie ist zugleich ultima ratio und kann nicht mit der allgemeinen Behauptung begründet werden, der Beklagte habe der Kostensenkungsaufforderung eine unzutreffende Angemessenheitsgrenze zugrunde gelegt.
Ein Feststellungsinteresse besteht nur dann, wenn eine Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Kostensenkung geltend gemacht wird.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 – L 6 AS 503/13, n. v.
Keine Eingliederungsvereinbarung ohne Verhandlung (hier EGV rechtswidrig) – mehrere Meldetermine (11 Meldeaufforderungen in 4 Monaten) – Rechtmäßigkeit der Meldeversäumnisse – Ermessensunterschreitung
Leitsatz (Redakteur)
1. Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II sprechen überwiegend dafür, dass ein die Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ersetzender Verwaltungsakt nur dann in Betracht kommt, wenn der SGB II-Träger zunächst den Versuch unternommen hat, mit dem Antragsteller eine entsprechende Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss einer solchen Vereinbarung als nicht sachgerecht auffassen lassen (Anlehnung BSG, Urteil vom 14.02.2013 – B 14 AS 195/11 R).
2. Der Senat schließt sich hier aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles der Auffassung des 14. Senats an.
3. Die mit dem Instrument der Eingliederungsvereinbarung beabsichtigte passgenauere Betreuung und Vermittlung von Arbeitsuchenden macht grundsätzlich ein gemeinsames Aushandeln der Inhalte der Eingliederungsvereinbarung erforderlich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht Einzelfälle und besondere Umstände geben kann, die es einem Grundsicherungsträger erlauben, ausnahmsweise von Verhandlungen abzusehen.
4. Umgekehrt ist der Grundsicherungsträger auch bei einem Scheitern von Verhandlungen nicht in jedem Fall verpflichtet, eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt zu erlassen, wie sich aus der Formulierung des § 15 Abs. 1 Satz 6 als Sollvorschrift ergibt.
5. Auch die Meldeaufforderungen, deren Rechtmäßigkeit grundsätzlich als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident zu überprüfen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R), waren im Hinblick auf die mit ihnen verfolgten Meldezwecke und die erforderliche Ermessensausübung rechtmäßig.
6. Als weitere Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine Meldeaufforderung hat das BSG eine Ermessensausübung durch den Grundsicherungsträger angesehen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R). Vorliegend ist ein Ermessensnichtgebrauch bei den Meldeaufforderungen nicht gegeben.
7. Der Senat geht im Übrigen auch davon aus, dass die Meldeversäumnisse dem Kläger subjektiv vorwerfbar waren (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.11.2010 -B 4 AS 27/10 R).
8. Der Grundsicherungsträger muss nach einer dritten erfolglosen Meldeaufforderung seine bisherige Ermessensausübung überprüfen (vgl. BSG, Urteil v. 29.4.2015, B 14 AS 19/14 R, hier nicht geschehen).
9. Die Abfolge von elfmal derselben Meldeaufforderung mit denselben Zwecken in einem Zeitraum von 4 Monaten an die Kläger verstößt gegen die vor einer Meldeaufforderung notwendige Ermessensausübung wegen einer Ermessensunterschreitung, weil relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt worden sind.
10. Insbesondere erscheint es nicht notwendig, die Revision wegen der in dem Urteil vom 22.09.2009 (B 4 AS 13/09 R) geäußerten abweichenden Auffassung des 4. Senats des BSG im Hinblick auf das Verhältnis von Eingliederungsvereinbarung und Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt zuzulassen. Die Ausführungen des 4. Senats in dem nunmehr mehr als sechs Jahre zurückliegenden Urteil waren nicht entscheidungserheblich, so dass auch der hiervon abweichende 14. Senat in seinem Urteil vom 14.02.2013 (B 14 AS 195/11 R) sich nicht zu einer Anfrage beim 4. Senat des BSG nach § 41 Abs. 3 Satz 1 SGG veranlasst gesehen hat. Aufgrund des großen Zeitablaufs und der veränderten Besetzung des 4. Senats, aber auch aufgrund der überzeugenden Ausführungen des 14. Senats in dem oben zitierten Urteil erscheint es wenig wahrscheinlich, dass es in Zukunft zu divergierenden Entscheidungen kommen wird.
2.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 09.06.2016 – L 31 AS 1158/16 B ER – rechtskräftig
Kein SGB II- Anspruch – Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU verneint wegen fehlender Unterhaltsgewährung der Eltern – kein SGB XII Anspruch wegen Rückkehr nach Bulgarien mit Inanspruchnahme des dortigen Sozialhilfesystems zumutbar – verfestigter Aufenthalt
Leitsatz (Redakteur)
1. 21. jährige bulgarische Antragstellerin hat keinen Anspruch auf ALG II, weil Sie keinen Unterhalt von den Eltern erhält – Unterhaltsgewährung im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU.
2. Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
3. Der Senat folgt den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Urteile vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015 B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R und vom 20. Januar 2016 B 14 AS 15/15 R, B 14 AS 35/15 R) zur vorliegenden Problematik jedenfalls nicht in vollem Umfang.
4. Zum einen verneint der hier erkennende Senat einen verfestigten Aufenthalt der Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland auch im Sinne der genannten BSG-Rechtsprechung, der zu einem Anspruch nach dem SGB XII führen könnte, zum anderen hält er die Rückkehr nach Bulgarien mit Inanspruchnahme des dortigen Sozialhilfesystems im Rahmen einer die Bedürftigkeit verhindernden Selbsthilfe für ohne weiteres zumutbar.
5. Von einem verfestigten Aufenthalt in Deutschland kann auch nach Ablauf von 6 Monaten nicht ausgegangen werden, wenn der Antragsteller zu den Weihnachtsfeiertagen zu seinen Eltern eingereist ist und bereits einen Monat später Leistungen nach dem SGB II beantragt hat.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Vgl. dazu auch: LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2015 – L 7 AS 372/15 B ER und – L 7 AS 373/15 B – rechtskräftig – Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an EU-Ausländer bei Aufenthalt wegen Familiennachzug zu einem erwerbstätigen Angehörigen – Weil die Tochter der Antragstellerin zumindest 100,- EUR im Monat an Unterstützung zukommen lässt, handelt es sich bei der Antragstellerin um eine Familienangehörige in diesem Sinne.
2.3 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 27.05.2016 – L 9 AS 1782/14 B
Gerichtsbescheid – Antrag auf mündliche Verhandlung – Entscheidung durch Beschluss oder durch Urteil
Leitsatz (Juris)
1.) Beantragt ein Kläger nach dem Erlass eines Gerichtsbescheides die mündliche Verhandlung und trägt vor, dass der Beschwerdewert des § 144 SGG nicht erreicht werde, muss das Sozialgericht mündlich verhandeln, wenn es vor Erlass des Gerichtsbescheids keine konkreten abweichenden Feststellungen zur Höhe des Beschwerdewertes getroffen und dem Kläger hierzu kein rechtliches Gehör gewährt hat.
2.) Zur Entscheidung über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG durch Beschluss.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26.05.2016 – L 31 AS 2471/15
Keine darlehensweise Übernahme der Kosten einer künstlichen Befruchtung. Jobcenter muss nicht für künstliche Befruchtung zahlen (ebenso SG Berlin, 14.09.2015 – S 127 AS 32141/12)
Leitsatz (Redakteur)
1. Die Leistungen der künstlichen Befruchtung sind nicht vom Regelbedarf umfasst und schon deshalb kann kein Darlehen gewährt werden.
2. Weiterhin fehlt es an der zweiten Voraussetzung des § 24 Abs. 1 Satz 1, da der Bedarf nach den Umständen unabweisbar sein muss. Eine Unabweisbarkeit ist aber dann nicht gegeben, wenn die Entstehung der Kosten vorhersehbar ist und der Leistungsberechtigte sich rechtzeitig darauf einstellen kann.
2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v, 08.06.2015 – – rechtskräftig
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Antrag – Auslegung eines Antrages – Abfindung – Anrechnung als Einkommen oder Vermögen – Verteilzeitraum – Überwindung der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat – sozialrechtlicher Herstellungsanspruch – Prozesskostenhilfeantrag – hinreichende Erfolgsaussicht einer Klage
Leitsatz (Redakteur)
1. Gewährung von PKH, denn es dürfte jedenfalls im für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichenden Maße trotz gewisser Bedenken dahingehend, ob ein SGB II-Leistungsträger wirklich auf alle Möglichkeiten einer “Leistungsoptimierung” hinzuwirken hat, vertretbar sein, hier von einer nahe liegenden Gestaltungsmöglichkeit auszugehen.
2. Denn es ging den Klägern auch ausweislich ihres bereits zitierten handschriftlichen Zusatzes in ihrem Antrag ersichtlich darum, eine Anrechnung der dem Kläger zugeflossenen Abfindung als Einkommen auf ihren Leistungsanspruch zu verhindern.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.6 – LSG München, Beschluss v. 11.04.2016 – L 16 AS 203/16 B ER
Zurückverweisung an SG bei unterlassener Sachaufklärung auch im einstweiligen Rechtsschutz zulässig
Leitsatz (Juris)
1. Auch im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes ist die Zurückverweisung entsprechend § 159 SGG zulässig. (amtlicher Leitsatz)
2. Entscheidet das Sozialgericht auf einen unbestimmten Antrag, mit dem auf Anträge des vergangenen Jahres Bezug genommen wurde, ohne weitere Ermittlungen oder Nachfragen, dass die Angelegenheit offensichtlich nicht eilbedürftig sei und Anhaltspunkte für einen den erforderlichen Beschwerdewert von 750 Euro übersteigenden Streitgegenstand, nicht vorliegen, liegt darin ein Verstoß gegen die in § 106 SGG verankerte Verpflichtung, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken und gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG), der die Zurückverweisung rechtfertigen kann. (amtlicher Leitsatz)
3. Schwere Verfahrensmängel rechtfertigen auch in Verfahren nach § 86b SGG die Zurückverweisung an die erste Instanz entsprechend § 159 SGG. (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu den eine Zurückverweisung begründenden Verfahrensmängeln zählen Verstöße gegen das Gebot rechtliches Gehör zu gewähren, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken sowie bei unklaren Anträgen den Streitgegenstand zu ermitteln. (redaktioneller Leitsatz)
Fehlen sozialgerichtliche Ermittlungen zu Streitgegenstand und Streitwert ist eine beschwerdefähige Entscheidung anzunehmen, falls keine Anhaltspunkte für ein Begehren von unter 750 € erkennbar sind. (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.7 – LSG NRW, Beschluss v. 01.06.2016 – L 19 AS 277/16 B, n. v.
Leitsatz RA Lars Schulte-Bräucker, 58640 Iserlohn-Kalthof
Für Streitigkeiten über ein Hausverbot, das von einem Jobcenter gegenüber einem Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II ausgesprochen wurde, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig und nicht die allgemeinen Verwaltungsgerichte oder die ordentlichen Gerichte; an dieser schon mit Beschluss vom 1.4.2009 (B 14 SF 1/08 R – SozR 4-1500 § 51 Nr 6) begründeten Rechtsprechung ist entgegen der hieran geübten Kritik (vgl etwa LSG Hamburg Beschluss vom 8.7.2013 – L 4 AS 214/13 B, aufgehoben durch Beschluss des Senats vom 21.07.2014 – B 14 SF 1/13 R, festzuhalten.
2.8 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 24.05.2016 – L 13 AS 5120/14
Leitsatz (Juris)
Bei der Schätzung des Einkommens im Rahmen einer endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Voraussetzungen, Durchführung und Ergebnis der Schätzung sind gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundsicherungsträger hat die Grundlagen seiner Schätzung zu ermitteln und nach vorheriger Anhörung des Leistungsempfängers im Bescheid diese Grundlagen darzulegen die daraus vorgenommene Schätzung zu begründen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Ebenso Urteil des Senats vom 28. August 2014, L 13 AS 2522/13, n. v.
2.9 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 13. Senat, Urteil vom 27.04.2016 – L 13 AS 172/13
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Anrechnung Urlaubsabgeltung als Einkommen – einmalige Einnahme – Unterbrechung Verteilzeitraum
Leitsatz (Juris)
1. Eine Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs 4 BUrlG stellt keine zweckbestimmte Einnahme dar und ist regelmäßig als Einkommen in Form einer einmaligen Einnahme bei der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung zu berücksichtigen.
2. Eine Unterbrechung des Verteilzeitraums wegen Überwindung der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat liegt nicht vor, wenn die Hilfebedürftigkeit zeitlich bereits vor Beginn des Verteilzeitraumes der einmaligen Einnahme durch eine andere Einnahme unterbrochen war und unabhängig davon auch keine echte Überwindung der Hilfebedürftigkeit vorlag (vgl BSG vom 10.9.2013 – B 4 AS 89/12 R = SozR 4 4200 § 11 Nr 62).
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
Rechtstipp:
Eine Urlaubsabgeltung stellt keine zweckbestimmte Einnahme dar und ist regelmäßig als Einkommen in Form einer einmaligen Einnahme bei der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung zu berücksichtigen (i.E. ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – L 2 AS 1112/14 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.05.2014 – L 12 AS 2197/13 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – L 11 AS 683/14 NZB; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. August 2013 – L 5 AS 729/13 B ER; SG Duisburg, Urteil vom 10. März 2014 – S 38 AS 4626/13).
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil v. 13.04.2016 – S 13 AS 3066/15
Kostensenkungsaufforderung – Netto-Kaltmietzins- subjektive Unmöglichkeit -tatsächliche Kosten der Unterkunft und Heizung
Aufgrund einer unvollständigen Kostensenkungsmitteilung war es der Hilfebedürftigen subjektiv unmöglich, eine kostengünstigere Wohnung zu finden.
Ohne einen Wert, der die kalten Betriebskosten beinhaltet, kann eine Wohnungssuche nicht vernünftig betrieben werden, weil diese Kosten einen ganz erheblichen Teil der Unterkunftskosten ausmachen.
Leitsatz (Redakteur)
1. Belehrt das Jobcenter in einer Kostensenkungsaufforderung lediglich über die angemessene Höhe der Netto-Kaltmiete, ist dem Leistungsberechtigten eine Wohnungssuche subjektiv unmöglich
2. Der angegebene Wert muss jedenfalls die Kaltmiete und die kalten Betriebskosten ausweisen (vgl. LSG NRW 6. 10. 2010 -L 12 AS 35/08; BSG, Urteil vom 10.09.2013-B 4 AS 77/12 R), wenn auch nicht notwendigerweise getrennt.
3. Unzutreffende, insbesondere irreführende Angaben des Grundsicherungsträgers zur Angemessenheit des Wohnraums können einen den Regelfall des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II durchbrechenden Anspruch auf Übernahme unangemessener Kosten der Unterkunft (nur) begründen, wenn diese Angaben zur Unmöglichkeit von Kostensenkungsmaßnahmen führen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.2 – SG Cottbus, Beschluss v. 30.03.2016 – S 30 SF 380/16 AB
Sozialgerichtliches Verfahren: Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit
Leitsatz (Michael Pies – Richter am SG Leipzig)
Keine Befangenheit eines Richters in Kostensachen, der (auch) Jobcenter-Mitarbeiter zum Thema geschult hat.
Quelle: dejure.org
3.3 – Sozialgericht Halle (Saale), Urteil v. 01.06.2015 – S 32 AS 5010/12 – Berufung zugelassen
Zur Frage, ob in Fällen einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft auch für Kalendermonate, die 31 Tage haben, Leistungen nach dem SGB II für nur 30 Tage zu bewilligen sind.
Anzahl der Tage darf nicht fiktiv berechnet werden.
Leitsatz (Redakteur)
1. Eine verfassungskonforme Auslegung der Sätze 1 und 2 von § 41 Absatz 1 ergibt, dass in Fällen temporärer Bedarfsgemeinschaften der Alleinerziehenden Zuschlag für das Elternteil, welches in der zweiten Monatshälfte das Kind bei sich hat, Tag genau abzurechnen ist, unter Beachtung der tatsächlichen Kalendertage des jeweiligen Monats.
2. Für das jeweilige Kind, welches Anspruch nach dem SGB II auf das sogenannte Sozialgeld hat, ergibt sich die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung schon aus dem Grundsatz des sogenannten “bereiten Mittels”.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 09.06.2016 – L 7 SO 4619/15
Leitsatz (Juris)
1. Zur Bezeichnung des Klägers gehören grundsätzlich die Angabe des vollständigen Namens und der ladungsfähigen Anschrift, die bloße Angabe einer Email-Adresse, einer Telefonnummer oder eines Postfachs genügen nicht. Unterlässt der Kläger die Angabe seiner Anschrift, ist das Rechtsschutzbegehren grundsätzlich unzulässig. Die Schriftform der Klage ist durch einfache – ohne qualifizierte elektronische Signatur versehene – Email nicht gewahrt. Auch der Ausdruck einer elektronisch übermittelten Bilddatei wahrt nicht das Schriftformerfordernis, wenn diese die Unterschrift lediglich in Form einer Bilddatei mit zuvor eingescannter Unterschrift enthält.
2. Eine in der Bundesrepublik Deutschland drohende Strafverfolgung stellt kein Rückkehrhindernis dar, welches die Gewährung von Sozialhilfe an im Ausland lebende Deutsche gem. § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XII begründen könnte.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 25.05.2016 – L 7 SO 661/16 ER-B
Leitsatz (Juris)
Eine außergewöhnliche Notlage, welche die Gewährung von Sozialhilfe an im Ausland lebende Deutsche rechtfertigen kann, setzt voraus, dass ohne die Hilfeleistung eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter, mithin Leben, Gesundheit oder sonstiger elementarer Grundvoraussetzungen der menschlichen Existenz, unmittelbar droht. Es verstößt nicht gegen supranationales Recht, Sozialhilfe nur in engen Ausnahmefällen an in Unionsstaaten lebende Deutsche zu gewähren.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4.3 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.02.2016 – L 8 SO 366/14
Bei Aufnahme einer pflegebedürftigen Person im Krankenhaus ist die Pflege grundsätzlich vom Krankenhaus sicherzustellen
Leitsatz (Juris)
1. Während der Dauer des Aufenthaltes in einer stationären Einrichtung ist der Anspruch auf häusliche Pflege nach dem SGB XII grundsätzlich ausgeschlossen. Die Rückausnahme des § 63 Satz 4 SGB XII i.V.m. § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB XII erfasst nur die besondere Versorgungsform im Wege des Arbeitgeber- oder Assistenzmodells.
2. Die Aufnahme einer pflegebedürftigen Person im Krankenhaus kann nicht dazu führen, dass diese für den Zeitraum des stationären Aufenthaltes selbst die Pflege sicherstellen muss. Solange die Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung besteht, ist die Pflege vom Krankenhaus sicherzustellen, das aufgrund des pauschalierenden Systems auch für schwere Fälle entgolten wird.
Quelle: dejure.org
4.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.02.2016 – L 8 SO 52/14
Integrationshilfe für den Besuch des Konfirmandenunterrichts ist grundsätzlich keine privilegierte Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung
Leitsatz (Juris)
1. Die grundsätzliche Abhängigkeit des Eingliederungshilfeanspruchs von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist verfassungsrechtlich zulässig und insbesondere mit dem Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vereinbar. Die UN BRK steht der grundsätzlichen Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen ebenfalls nicht entgegen. Die sich aus der UN BRK ergebenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten stehen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der verfügbaren Mittel (Art. 4 Abs. 2 UN BRK), so dass Leistungseinschränkungen nicht von vornherein unzulässig sind.
2. Eine für den Besuch des Konfirmandenunterrichts erforderliche Integrationshilfe stellt jedenfalls dann keine nach § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII privilegierte Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung dar, wenn der Konfirmandenunterricht nicht in einem schulischen Rahmen durchgeführt und nicht Bestandteil der Schulbildung ist. Es ist unbeachtlich. ob der Konfirmandenunterricht seinem Inhalt und seinen Rahmenbedingungen nach dem Schulunterricht angenähert ist.
3. Art. 24 UN BRK, der die Bildung von Menschen mit Behinderungen betrifft, begründet keinen Leistungsanspruch. Er hebt den Schulbesuch aus der Vielzahl der grundsätzlich erfassten Bildungsmöglichkeiten hervor. Die Unterscheidung von schulischen und anderen Bildungsmöglichkeiten ist auch in Art. 24 UN BRK angelegt und entspricht der Privilegierung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
4.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 08.06.2016 – L 15 SO 74/16 B ER – rechtskräftig
Unionsbürger – einstweilige Anordnung – Sozialhilfe – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes – Ermessensleistungen – Verlustfeststellung – verfestigter Aufenthalt – Prozesskostenhilfe – hinreichende Erfolgsaussicht
Bulgarische Antragstellerin erfüllt die die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (s. dazu ausführlich LSG Berlin-Brandenburg vom 13. April 2016 – L 23 SO 46/16 B ER und L 15 SO 53/16 B ER; ferner etwa Bayerisches LSG; Beschluss vom 25. April 2016 – L 16 AS 221/16 B ER -, Abs. 24: “Aufgabe des einstweiligen Rechtschutzes ist nicht die abschließende Auseinandersetzung mit schwierigen und strittigen Rechtsfragen, sondern die vorläufige Regelung eines streitigen Sachverhalts (hier im Sinne der Behebung einer gegenwärtigen Notlage) unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens”).
Leitsatz (Juris)
1. Im Rahmen einer Ermessensentscheidung über Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII kann bei Unionsbürgern zu beachten sein, dass ihre Ausreisepflicht von einer Verlustfeststellung zum Aufenthaltsrecht durch die Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU) abhängt.
2. Ob sich eine “Ermessensreduzierung auf Null” bereits dann ergeben kann, wenn der Aufenthalt von Unionsbürgern in Deutschland noch nicht als verfestigt anzusehen ist, bleibt mangels Entscheidungserheblichkeit offen.
3. Wenn sich in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betreffend existenzsichernde Leistungen ein Anordnungsanspruch aus einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben kann, hat im Sinne der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe die Rechtsverfolgung unabhängig davon hinreichende Aussicht auf Erfolg, ob das Instanzgericht eine abweichende Rechtsauffassung vertreten will.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
5. Gemischtes aus anderen Gesetzesbüchern
5.1 – EuGH: Anspruch auf Kindergeld darf von Aufenthaltsrecht abhängen
Das Vereinigte Königreich darf den Anspruch auf Kindergeld oder eine Steuergutschrift für Kinder von einem Aufenthaltsrecht des Antragstellers in seinem Hoheitsgebiet abhängig machen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.06.2016 entschieden. Zwar beinhalte diese Regelung eine mittelbare Diskriminierung. Diese sei aber zum Schutz der Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats gerechtfertigt, da die Prüfung des Aufenthaltsrechts nicht systematisch, sondern nur im Zweifelsfall und damit im Einklang mit den Anforderungen der Freizügigkeitsrichtlinie erfolge (Az.: C-308/14).
Quelle: rsw.beck.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de