Tacheles Rechtsprechungsticker KW 29/2016

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 17.03.2016 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 17.03.2016 – B 4 AS 32/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche – Unionsbürger – Arbeitnehmerfreizügigkeit – Wegfall der Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus nach 6 Monaten – Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses – Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung gem Art 16 EuFürsAbk – Sozialhilfeanspruch – notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers

Leitsatz (Redakteur)
Sowohl für Arbeitsuchende, als auch für Personen, die in Ermangelung von Erfolgsaussichten bei der Arbeitsuche nicht über eine Freizügigkeitsberechtigung verfügen, sind zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen, wenn ein verfestigter Aufenthalt (über sechs Monate) vorliegt. Das in der Norm vorgesehene Ermessen ist aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminium in der Weise reduziert, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten ist.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.04.2016 – L 7/14 AS 35/14 B

Leitsatz (Juris)
1. Werden von einem in einem gerichtlichen Verfahren geschlossenen Vergleich noch weitere Verfahren erfasst, entsteht die Einigungsgebühr nach dem RVG, soweit deren Voraussetzungen vorliegen, zwar grundsätzlich in jedem dieser Verfahren.

2. Bei der gebührenrechtlichen Bewertung der Mühewaltung des im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordneten Rechtsanwalts ist jedoch zu berücksichtigen, dass von dem geschlossenen Vergleich weitere Verfahren erfasst wurden, weshalb bei der Gebührenbemessung auch entsprechende Synergieeffekte für diese Verfahren einzuberechnen sind.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.06.2016 – L 7 AS 152/15 B

Leitsatz (Juris)
Der beigeordnete Rechtsanwalt hat, wenn nicht allen Streitgenossen Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, gegen die Staatskasse einen kopfteiligen Vergütungsanspruch im Prozesskostenhilfeverfahren aus dem Gesamtbetrag der anwaltlichen Kosten für die Vertretung aller Streitgenossen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 25.11.2015 – L 18 AS 1832/14

Umzugskosten – vorherige Zusicherung – geänderter Umzugsplan

Leitsatz (Redakteur)
Hinsichtlich des auf die Klägerin entfallenden (hälftigen) Anteils steht der Übernahme der weiteren Umzugskosten entgegen, dass die Klägerin insoweit nicht die vorherige Zusicherung des Jobcenters eingeholt hat und überdies die geltend gemachten Kosten nicht angemessen sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.01.2016 – L 25 AS 2531/13

Keine Bewilligung von ALG II wegen Bausparguthaben – subjektive Zweckbestimmung in Bezug auf die Bausparguthaben nicht erkennbar – Kauf Eigentumswohnung – Vermögensgegenstand für die Altersvorsorge (hier verneinend) – selbständige Tätigkeit – Ende der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Beitrittsgebiet – § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB II a. F.

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei den Bausparverträgen handelt es sich auch nicht im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB II a. F. um Vermögen, das nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt ist, soweit dieses zu Wohnzwecken behinderter oder pflegebedürftiger Menschen dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde.

2. Auch um eine Erhaltung der Eigentumswohnung geht es hier nicht. Soweit in der Kommentarliteratur und der Rechtsprechung vereinzelt angenommen wird, unter § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB II a. F. falle auch Vermögen, das nach Abschluss des Hausbaus oder Umbaus dazu dienen soll, die daraus resultierenden Schulden und die darauf zu zahlenden Zinsen zu reduzieren, dies allerdings nur, wenn die Immobilie sonst für den behinderten Menschen verloren zu gehen drohe (vgl. Geiger in Münder, Sozialgesetzbuch II, 5. Auflage 2013, § 12, Rn. 60; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2011 – L 2 AS 60/08), liegt – selbst wenn man dieser Ansicht folgen wollte – ein solcher Fall hier nicht vor, weil für einen drohenden Verlust der Eigentumswohnung des Klägers bei Nichtverwendung des Bausparvermögens zur (Teil)Abzahlung des Kredits nichts ersichtlich ist. Insbesondere war nur eine monatliche Zins- und Tilgungszahlung, nicht aber eine Sonderzahlung vereinbart.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Speyer, Beschluss v. 27.04.2016 – S 21 AS 485/16 ER

Leitsatz (Willy Voigt)
1. Es ist rechtswidrig, einem Leistungsempfänger durch einen Eingliederungsverwaltungsakt Pflichten aufzuerlegen, die objektiv unmöglich zu erfüllen sind.

2. Die auferlegten Bewerbungsbemühungen müssen zumutbar sein.

3. Etwaig vorhandene relevante Kompetenzdefizite sind von Seiten des Antragsgegners abzuklären und unter Wahrung des Grundsatzes der Nachrangigkeit geförderter Arbeitsverhältnisse und dem spiegelbildlichen Vorrang der Integration auf dem 1. Arbeitsmarkt in eine Abwägung gegenüber individuellen Förderungsmöglichkeiten, namentlich durch Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit, einzustellen.

4. Vor dem Erlass des Eingliederungsverwaltungsakts muss eine hinreichende Verhandlungsphase durchlaufen werden.

3.2 – SG Osnabrück, Urteil vom 01.06.2016 – S 22 AS 284/13

Leitsatz (Juris)
Beim Zusammentreffen von Einkünften aus Erwerbstätigkeit und Bundesfreiwilligendienst sind jeweils gesonderte Freibeträge auf die beiden verschiedenen Einkunftsarten zu gewähren.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Rechtstipp:
Ebenso SG Osnabrück, Urteil v. 01.06.2016 – S 22 AS 285/13; Thüringer LSG, Urteil vom 23.09.2015 – L 4 AS 17/15 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 4 AS 54/15 R

3.3 – SG Osnabrück, Urteil vom 28.06.2016 – S 31 AS 440/12

Leitsatz (Juris)
Eine Optionskommune nach § 6a SGB II verstößt gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Kompetenzausübungsschranke, wenn sie ihre hoheitlichen Aufgaben durch zwei rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten wahrnehmen lässt. Das widerspricht dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Einheitsprinzip für Optionskommunen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.4 – SG Heilbronn, Urteil v. 23.06.2016 – S 15 AS 133/16

2.000 Euro Verschuldenskosten für Heilbronner Jobcenter

Das SG Heilbronn hat dem Heilbronner Jobcenter 2.000 Euro Verschuldenskosten wegen missbräuchlicher Prozessführung auferlegt.

Quelle: Pressemitteilung des SG Heilbronn v. 12.07.2016: www.juris.de

3.5 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil v. 20.06.2016 – S 15 AS 3265/15

Grundsicherung für Arbeitsuchende, Maßregelvollzug, Leistungsausschluss bei Aufnahme einer Umschulung

Leitsatz (Juris)
1. Während einer gerichtlich angeordneten Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges (§ 64 StGB) greift der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II auch dann, wenn der Hilfebedürftige aus der Einrichtung heraus eine Umschulungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk aufnimmt.

2. Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.6 – SG Berlin, Beschluss v. 27.06.2016 – S 189 AS 5732/16 ER, n. v.

AV Wohnen Berlin 2015 ist schlüssig im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

Leitsatz (Redakteur)
Danach ist in Berlin für einen 1-Personen-Haushalt eine Quadratmetermiete (nettokalt) von 5,71 EUR als angemessenen anzusehen.
a. A. Sozialgericht Berlin, Urteil v. 27.05.2016 – S 37 AS 1974/16 – Die Werte der WAV sind nach Rechtsprechung des BSG unschlüssig (hier in der bis Dezember 2015 geltenden Fassung)

3.7 – Sozialgericht Hamburg, Urteil v. 19.09.2014 – S 22 AS 873/13 – rechtskräftig

Ermessensentscheidung des Grundsicherungsträgers bei der Weitergewährung von Einstiegsgeld zur Unterstützung einer selbständig ausgeübten Tätigkeit rechtswidrig

Leitsatz (Redakteur)
Der Gesetzeswortlaut bietet keinen Anhalt dafür, dass Verlängerungsentscheidungen während der Förderdauer ausgeschlossen sein sollen ((so wohl LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.08.2011, Az. L 5 AS 309/11 B ER).

Leitsatz (Juris)
Zu den Voraussetzungen einer Entscheidung über die Verlängerung der Gewährung von Einstiegsgeld. Verlängerungsentscheidungen sind bis zum Erreichen der Höchstförderdauer von 24 Monaten möglich. Die Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 16b, § 16c Abs. 3 SGB II müssen lediglich bezogen auf den Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung von Einstiegsgeld vorliegen. Dieser Zeitpunkt bleibt auch für die zu treffenden Prognoseentscheidungen maßgeblich. Damit handelt es sich bei einer Entscheidung des Grundsicherungsträgers über die Verlängerung einer Bewilligung von Einstiegsgeld in der Regel um eine Frage des Auswahlermessens bezüglich der Dauer der Förderung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso SG Hamburg, Urteil v. 19.09.2014 – S 22 AS 295/14

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Pressemitteilung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 09.06.2016 – L 7 SO 4619/15

Keine Sozialhilfe für deutschen Staatsbürger in der Ukraine

Das LSG Stuttgart hat entschieden, dass eine in der Bundesrepublik Deutschland drohende Strafverfolgung kein Rückkehrhindernis darstellt, welches die Gewährung von Sozialhilfe an im Ausland lebende Deutsche gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XII begründen könnte.

Seine ausschließlich per E-Mail geführte Klage sei außerdem bereits aus Formgründen unzulässig, entschied das Landessozialgericht.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Stuttgart v. 14.07.2016: www.juris.de

4.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.04.2016 – L 20 SO 35/15

Zur Gewährung von Leistungen nach der Haager Landkriegsordnung (HLKO) als “Sozialhilfe nach SGB XII (Bismarcksche Sozialhilfe)”, (verneinend hier).

Leitsatz (Juris)
Verfolgt ein Kläger einzig Leistungen nach der Haager Landkriegsordnung, so ist zweitinstanzlich nicht zu prüfen, ob die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sachlich zuständig sind (§ 17a Abs. 5 GVG).2. In einem solchen Fall handelt es sich nicht um ein nach § 183 SGG kostenfreies Verfahren. Vielmehr fallen Gerichtskosten nach § 197a SGG i.V.m. dem GVG an.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Detmold, Urteil v. 15.03.2016 – S 2 SO 259/15

Zur Bewilligung von Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulausbildung in Form eines Schulbegleiters für fünf weitere Stunden mit Anwesenheitspflicht in der Grundschule (hier bejahend)

Leitsatz (Redakteur)
Bei den Kosten der Schulbegleitung für die Randstunden handelt es sich um eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Bei dem Modell der rhythmisierten Ganztagsschule ist die Teilnahme an diesen Stunden anders als bei dem ursprünglichen Basismodell der Offenen Ganztagsschule (OGS) sogar Pflicht. Die Schülerin hat gar nicht die Möglichkeit, die Zeit anderweitig zu verbringen. Hier wird noch deutlicher, dass die Randstunden Teil des Schulkonzeptes sind, wie die hiesige Kammer bereits für das Basismodell der OGS im Urteil S 2 SO 285/12 vom 28.10.2014 ausführlich aufgezeigt hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   “Integrationsgesetz”: AufenthG; AsylG, AsylbLG im Fließtext – Claudius Voigt, GGUA

Hier von unserem Kollegen Volker Maria Hügel die wichtigsten Gesetze im Fließtext mit den durch das so genannte Integrationsgesetz und das “Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs” beschlossenen Änderungen.
Aufenthaltsgesetz
Asylgesetz
Asylbewerberleistungsgesetz

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de