Tacheles Rechtsprechungsticker KW 30/2016

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 09.03.2016 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 3/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen – Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente – Ermessensausübung – Vermeidung unbilliger Härten – Verfassungsmäßigkeit

Leitsatz (Redakteur)
1. Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit des Klägers nach dem SGB II. Insoweit ist nur auf ihn und nicht auch auf seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau abzustellen. § 12a Satz 1 SGB II bietet mit Blick auf die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente keinen Ansatz dafür, dass nicht auch insoweit nur auf den je individuellen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abzustellen ist, der das SGB II prägt (BSG Urteil vom 19.8.2015 – B 14 AS 1/15 R).

2. Der Verpflichtung des Klägers zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände (BSG Urteil vom 19.8.2015 – B 14 AS 1/15 R -) vorliegt

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 14.07.2016 – L 7 AS 1186/14 B PKH – rechtskräftig

Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren.

Leitsatz (Redakteur)
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entfällt, wenn dem unbemittelten Rechtsschutzsuchenden schon ein Kostenerstattungsanspruch zusteht (vgl. ThürLSG, Beschluss vom 13.02.2012 – L 4 AS 1197/11 B; so auch SächsLSG, Beschluss vom 28.05.2008 – L 2 AS 112/09 B PKH, S. 4, nicht veröffentlicht).

2. Danach entfällt das Schutzbedürfnis, wenn der Unbemittelte einem Kostenrisiko im Hauptsacheverfahren nicht – mehr – ausgesetzt ist, weil ein Verfahrensbeteiligter zur Kostenerstattung verpflichtet ist, dem gegenüber der Anspruch ohne Weiteres durchgesetzt werden kann. Dies gilt jedenfalls für die Konstellationen, in denen wie hier – das Kostenrisiko tatsächlich vollständig entfallen ist (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 25.08.2015 – 1 BvR 3474/13).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil v. 21.04.2016 – L 3 AS 419/12

Zur Übernahme von Renovierungskosten (hier verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
Die Aufwendungen für die Fußbodenverlegearbeiten, bei denen es sich um Instandhaltungsmaßnahmen handelt, sind nicht vom Jobcenter zu tragen. Denn solche Maßnahmen obliegen mietrechtlich dem Vermieter. Eine abweichende Regelung wurde für Instandhaltungsarbeiten im Mietvertrag zwischen dem Kläger und seinem Vermieter nicht getroffen. Eine mündliche Absprache zur Durchführung der konkreten Maßnahme, die den Kläger zur Kostentragung hätte verpflichten können, ließ sich nicht belegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 13.05.2016 – L 9 AS 4940/15

Leitsatz (Redakteur)
Nach § 21 Abs. 5 SGB II wird Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung “bedürfen”. Dies setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung voraus. Ein solcher Zusammenhang zwischen der Hauterkrankung und der Notwendigkeit zu besonderer, kostenaufwändiger Ernährung lässt sich vorliegend nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 10.05.2016 – L 9 AS 1136/16 ER-B

Zur Interessenabwägung im Eilverfahren in Bezug auf die Leistungsberechtigung eines isländischen Staatsangehörigen, der sich allein zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhält (hier bejahend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Auch die im Beschluss genannten vom BSG abweichenden Entscheidungen sind nicht ohne Kritik geblieben (vgl. ausführliche Darstellung bei Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 04.05.2016, § 23 SGB XII, Rdnr. 63.1 ff.) und Greiser in jurisPK-SGB XII 2. Aufl. Anhang zu § 23 SGB XII – Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts, Rn 119.3 – Rn 119.7

2.5 – LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.05.2016 – L 9 AS 5116/15

Jobcenter muss keine Unterkunftskosten für Pritschenwagen zahlen

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein Hartz-IV-Leistungsempfänger, der in der Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens nächtigt, kann von dem zuständigen Jobcenter keine Kosten der Unterkunft verlangen.

2. Denn der offene Pritschenwagen stellt keine Unterkunft im Sinne des SGB II dar, für die Kosten übernommen werden können.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 21.06.2016 – L 9 AS 4918/14 – Die Revision wird zugelassen.

Zur Anrechnung von Zinsen aus einer Nachzahlung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Einkommen (hier verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
Zinsen, die auf verspätete oder Nachzahlungen von SGB II-Leistungen gewährt werden, sind nicht bedarfsmindernd als Einkommen anzurechnen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.7 – LSG München, Beschluss v. 04.07.2016 – L 11 AS 369/16 NZB

Unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde wegen Übernahme von Unterkunfts- und Heizungskosten

Leitsatz (Juris)
Die Frage, ob es sich um ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten handelt, stellt keine Rechtsfrage, sondern eine Frage der tatrichterlichen Beweiswürdigung dar.

Quelle: dejure.org

2.8 – LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. Mai 2016 (Az.: L 6 AS 181/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erlassener Eingliederungsverwaltungsakt ist bereits deswegen rechtswidrig, wenn keine entsprechenden Vorverhandlungen, geführt zwischen dem SGB II-Träger und dem einzelnen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, vorangingen.

2. Eine konsensuale Lösung hat hier stets Vorrang gegenüber einem hoheitlichen Handeln per Verwaltungsakt.

2.9 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. April 2016 (Az.: L 4 AS 182/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Um Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu sein, was bei einem nichtdeutschen Antragsteller zu einer Unanwendbarkeit der aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hervorgehenden Ausnahmenorm führt, hat diese Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen Menschen nach dessen Weisung Leistungen zu erbringen, für die als Gegenleistung eine Vergütung gewährt wird.

2. Auch bei “geringfügig Beschäftigten” ist hier stets zu prüfen, ob die jeweils verrichtete Tätigkeit auf der Grundlage einer Gesamtbewertung – trotz geringer Arbeitszeiten – als “tatsächlich und echt” aufgefasst werden kann. Dies ist z. B. der Fall bei einer 11 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit mit einem Monatsverdienst von EUR 451,-.

3. Wenn bedingt durch eine arbeitgeberseitig ausgesprochene Kündigung das Beschäftigungsverhältnis nur fünf Wochen bestanden hat, dann spricht dies nicht gegen die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers.

2.10 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Juli 2016 (Az.: L 9 AS 310/1 6 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wird eine Unterkunft von mehreren Personen bewohnt, sind die Aufwendungen im Regelfall unabhängig vom Alter und der Nutzungsintensität sowie davon, ob die betr. Personen Mitglieder einer (gemeinsamen) Bedarfsgemeinschaft sind, anteilig pro Kopf aufzuteilen.

2. Für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hat die Anzahl der Bewohner/innen eine ausschlaggebende Bedeutung. Auch hier wirkt es sich nicht aus, wenn ein Bewohner keine Leistungen nach dem SGB II bezieht.

3. Die Angemessenheitsgrenze für die Kosten der Unterkunft (Mietobergrenze) ist schließlich anhand der neuen Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG 2016 zuzüglich eines Sicherheitszuschlags in einer Höhe von 10 v. H. zu bestimmen.

2.11 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.06.2016 – L 31 AS 802/16 NZB – rechtskräftig

Rechtsfrage – grundsätzliche Bedeutung

Leitsatz (Juris)
Die Einschätzung des erkennenden Gerichts, dass die Mietspiegel 2011 und 2013 nicht zur Grundlage eines schlüssigen Konzepts i.S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gemacht werden können, wirft keine Rechtsfrage auf, denn es geht dabei nur um die Klärung von Tatsachenfragen mit verallgemeinerungsfähigem Inhalt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.12 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 21.01.2016 – L 31 AS 1974/15

Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein (AVSG) – erfolgreiche Vermittlung – Beginn des Beschäftigungsverhältnisses

Leitsatz (Juris)
Was unter einer erfolgreichen Vermittlung zu verstehen ist, bestimmt sich maßgeblich nach dem Inhalt des Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheins (AVGS), der vom objektiven Empfangshorizont auszulegen ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Berlin, Beschluss v. 08.07.2016 – S 63 AS 7815/16 ER

Jobcenter darf Kindergeldnachzahlung nicht auf 6 Monate verteilen.

In der anwaltlichen Praxis machten wir die Erfahrung, dass Jobcenter Kindergeldnachzahlungen als Einkommen werteten und auf 6 Monat verteilten. Dies ist nicht erlaubt – wie kürzlich das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 08. Juli 2016, Az. S 63 AS 7815/16 ER, entschieden hat.

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und Sozialgerichts Berlin
Nach der Rechtsprechung des BSG sind laufende Einnahmen solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden, bei einmaligen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung. Diese Abgrenzung bedarf einer weitergehenden Präzisierung der Fälle, in denen die regelmäßige Erfüllung von Ansprüchen, die aus demselben Rechtsgrund herrühren, Störungen unterworfen ist. In diesen Fällen kommt dem Rechtsgrund der Zahlungen die maßgebende Bedeutung zu.

Für die Qualifizierung einer Einnahme als laufende Einnahme reicht es danach aus, wenn sie zwar nicht “laufend”, sondern in einem Gesamtbetrag erbracht wird, aber nach dem zugrunde liegenden Rechtsgrund regelmäßig zu erbringen gewesen wäre. Diese entscheidend auf den Rechtsgrund abstellende Sichtweise ermöglicht auch in Fällen mit Leistungsstörungen eine klare und praktisch gut handhabbare Abgrenzung, denn Rechtgrund und vereinbarter Turnus von Zahlungen sind in der Regel einfach feststellbar (BSG, Urteil vom 24. April 2015 – B 4 AS 32/14 R, juris, Rn. 16 f.).

weiter im Beitrag von Rechtsanwalt René Piper, Berlin: www.anwalt.de

Rechtstipp aktuell:
Ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 27.06.2016 – L 1 AS 4849/15; BSG, Beschluss vom 17.03.2016 – B 4 AS 694/15 B; SG Lüneburg, Beschluss v. 31.03.2016 – S 23 AS 103/16 ER; SG Berlin, Beschluss vom 12.11.2015 – S 61 AS 22013/15 ER und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2015 – L 19 AS 924/15

3.2 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2016 (Az.: S 24 AS 5811/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Wenn noch nicht feststeht, ob eine Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II, deren Kernstück die Obliegenheit zur Teilnahme an einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (“Integration durch Praxis”) bei einer privaten Firma ist, wirklich zustande kommt, d. h. bereits während der Verhandlungsphase eine sanktionsbewehrte Teilnahmeverpflichtung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) begründet werden soll, hat das Jobcenter hierauf innerhalb des Zuweisungsschreibens gesondert und unmissverständlich hinzuweisen.

3.3 – Sozialgericht Köln, Beschluss vom 4. Juli 2016 (Az.: S 15 AS 2459/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein die Eingliederungsvereinbarung (EGV – § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ersetzender Verwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II kommt nur in Betracht, wenn der SGB II-Träger zuvor den Versuch unternommen hat, mit dem Antragsteller eine EGV abzuschließen, oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die die Verhandlung einer EGV als nicht sachgerecht erscheinen lassen. Dies ist vom Jobcenter im nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erlassenen Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen.

2. Die Verfügung eines Eingliederungsverwaltungsakts ist dann nicht gerechtfertigt, wenn der Antragsteller in Bezug auf den ihm vorgelegten Entwurf einer EGV grundsätzliche Bedenken äußerte und eine Gegenzeichnung dieses Papiers ausdrücklich ablehnte. In dieser Situation liegt es aber nahe, dass sich der SGB II-Träger vor dem Erlass eines Verwaltungsakts gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II mit dem Antragsteller in Verbindung setzt, um dessen Einwände eingehend zu erörtern.

3. Ein Eingliederungsverwaltungsakt kann auch dann rechtswidrig sein, wenn aus dieser Verfügung nicht hervorgeht, welche individuellen, konkreten und verbindlichen Unterstützungsleistungen vom Jobcenter für die vom Antragsteller im Einzelnen verlangten Bewerbungsbemühungen gewährt werden.

4. Wenn ein Antragsteller unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Jobcenter gegenüber vorgebracht hat, nicht zur Abfassung von Bewerbungen in der Lage zu sein, dann ist der amtlicherseits dennoch verfügte Erlass eines Verwaltungsakts nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II rechtswidrig.

3.4 – SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 27.04.2016 – S 35 AS 159/15

Sozialgericht Düsseldorf wirft Jobcenter Wuppertal Rechtsbruch vor und verurteilt es zu Mutwillkosten wegen Rechtsmissbrauch

Eigentlich ein einfacher Fall: Ein Hartz IV-Bezieher muss sein Warmwasser mit einer Gastherme dezentral zubereiten. Das Gesetz besagt in solchen Fällen, dass die dafür anfallenden Kosten zu übernehmen sind, nur das Jobcenter Wuppertal sieht das mal wieder anders.

Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Gericht das Jobcenter Wuppertal mehrfach auf die Sach- und Rechtslage aufmerksam gemacht und die “Fortführung des Verfahrens aus Sicht des Beklagten” als “rechtsmissbräuchlich” gebrandmarkt. “Obwohl der Beklagte gegen die insoweit eindeutigen dienstlichen Anweisungen der Bundesagentur zu § 20, 21 und 22 SGB II verstößt, hat der Beklagte das Verfahren sinnloserweise fortgeführt und damit absichtlich bei Gericht Kosten verursacht”, führt das Gericht in dem Gerichtsbescheid aus und verurteilt das Jobcenter Wuppertal nicht nur zur Nachzahlung der tatsächlichen Warmwasserkosten in Höhe von über 300 EUR, sondern auch zu einer Rechtsmissbrauchsgebühr.

Quelle: tacheles-sozialhilfe.de

Leitsatz (Redakteur)
Pauschalierter Mehrbedarf für die Warmwasserkosten rechtswidrig, wenn per Abrechnung ein höherer Mehrbedarf nachgewiesen wird.

Rechtstipp:
Ebenso Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 23.01.2015 – S 14 AS 4603/12 – Die Warmwasserbereitungskosten sind dann nicht pauschal, sondern konkret zu bestimmen, wenn die konkreten Wassererwärmungskosten durch eine technische Vorrichtung genau bestimmt werden können (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B und LSG NRW, Urteil vom 30.01.2014 – L 6 AS 1667/12).

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Sozialgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 27. April 2016 (Az.: S 35 AS 159/15):

1. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II regelt, dass Heizungskosten, zu denen auch die Warmwasserkosten zu zählen sind, vom SGB II-Träger in tatsächlicher Höhe anerkannt werden müssen.

2. Dies gilt auch dann, wenn ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in seiner Wohnung Warmwasser mittels eines dort installierten Gas-Geysers, der mit einer besonderen Ablesevorrichtung ausgestattet ist, aufbereitet.

3. Ein Jobcenter hat einen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung entsprechend § 21 Abs. 7 Satz 1 SGB II nur dann zur gewähren, wenn die Kosten für das Warmwasser nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II übernommen werden können, weil hier das Warmwasser nicht zentral aufbereitet wird, weshalb die Aufwendungen für die Erzeugung des warmen Wassers nicht gesondert feststellbar sind.

4. Ein Jobcenter, das – trotz deutlicher Hinweise – an seinem in dieser Beziehung in rechtswidriger Weise ungeschmälert vertretenen Standpunkten weiterhin festhält, verhält sich im sozialgerichtlichen Verfahren rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG und hat deshalb eine Sondergebühr nach § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG zu entrichten.

3.5 – Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 29. Juni 2016 (Az.: S 21 AS 1258/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der Entscheidung über die Gültigkeitsdauer einer Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II – EGV) und des diese EGV gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ersetzenden Verwaltungsakts ist das Ermessen des Jobcenters entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II gebunden.

2. Behördlicherseits ist hier im Regelfall stets eine Laufzeit von sechs Monaten zu beachten. Eine Überschreitung dieser Frist ohne die Darlegung gesonderter Ermessenserwägungen hat als rechtswidrig aufgefasst zu werden.

3. Die Verbindung der Gültigkeitsdauer eines Eingliederungsverwaltungsakts mit der Dauer einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit stellt eine sachfremde Erwägung dar. Es besteht kein rechtlich relevantes Bedürfnis des Jobcenters, die Geltungsdauer der Verfügung nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II auf die sich auf mehr als sechs Monate belaufende Arbeitshilfemaßnahme auszurichten.

4. Ein Antragsteller hat überdies, bevor Bewerbungs- und Fahrkosten sowie mit der Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme zusammenhängende Aufwendungen entstehen, zumindest annähernd abschätzen zu können, welche Kosten er bei Stellung eines entsprechenden Erstattungsantrags er vom Jobcenter ersetzt erhält.

5. Das Kostenrisiko für die Durchführung der erforderlichen Eigenbemühungen trägt stets der Antragsteller, weshalb der SGB II-Träger hier in Beachtung des § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vorher in hinreichend bestimmter Art und Weise eine Entscheidung zu treffen hat.

3.6 – Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 14. Juni 2016 (Az.: S 37 AS 1854/13):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Für eine ordnungsgemäße Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist eine fehlerfreie, durch den SGB II-Träger ausgefertigte Rechtsfolgenbelehrung zwingend erforderlich.

2. Von einer sanktionsfähigen Pflichtverletzung kann nur ausgegangen werden, wenn die leistungsberechtigte Person trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis das behördlicherseits jeweils missbilligte Verhalten praktiziert.

3. Eine Fehlerhaftigkeit einer Rechtsfolgenbelehrung resultiert daraus, wenn das Jobcenter lediglich – in der Möglichkeitsform – ausführt, dass der “Anspruch auf Arbeitslosengeld II bei einer ersten Mitwirkungspflichtverletzung für die Dauer von drei Monaten um 30 % der Regelleistung gekürzt” werden “würde”, und der Beginn des Sanktionszeitraums (§ 31b Satz 1 und 2 SGB II) in keiner Weise mitgeteilt wird.

4. Aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der Herabsetzung von nach den §§ 19 ff. SGB II gewährten Leistungen sind hier strenge Anforderungen an den Inhalt einer Rechtsfolgenbelehrung zu stellen.

3.7 – Sozialgericht Magdeburg, Urteil vom 10. Juni 2016 (Az.: S 15 AS 2184/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein Jobcenter hat der Bestimmung der Angemessenheit unterkunftsbezogener Kosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stets ein überprüfbares “schlüssiges Konzept” zugrunde zu legen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden.

2. Als örtlicher Vergleichsraum ist hier in erster Linie der Wohnort des einzelnen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten maßgebend. An dieser Stelle sind für die repräsentative Bestimmung des Mietpreisniveaus ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen – insgesamt betrachtet – homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden.

3. Eine mehr als 20.000 Einwohner umfassende Stadt stellt einen solchen ausreichend großen Raum dar.

4. Einzig die Tatsache, dass es in diesem Landkreis auch kleine Gemeinden gibt, die über keinen ausreichend repräsentativen Wohnungsmarkt verfügen, führt nicht dazu, dass der gesamte Kreis als nur ein Vergleichsraum aufgefasst zu werden hat.

5. Hier ist es z. B. vertretbar, wenn mehrere dieser kleinen Gemeinden zu einem ausreichend großen Raum zusammengefasst werden.

6. Wenn das Konzept des SGB II-Trägers als unschlüssig aufgefasst zu werden hat, ist zur Ermittlung des maximal angemessenen Mietpreises auf die Tabelle zu § 12 WoGG zurückzugreifen, hier aber noch ein Sicherheitszuschlag von 10 v. H. Vorzunehmen.

7. Die als angemessen anerkannte Wohnfläche kann nicht pauschal wegen der Schwerbehinderung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft erhöht werden. Diesem Aspekt hat vom Jobcenter im Rahmen einer streng einzelfallbezogen durchgeführten Angemessenheitsprüfung sachgerecht Rechnung getragen zu werden.

3.8 – Sozialgericht Magdeburg, Urteil vom 10. Juni 2016 (Az.: S 15 AS 3053/13):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Für die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 3 SGB II ist einzig das Datum des Nettokapitalzuflusses (hier: das auch einer Betriebskostenabrechnung erlangte Guthaben) und nicht der Aspekt, auf welche Zeit dieser Betrag zurückgeführt werden kann, vo maßgebender Bedeutung.

2. Das Jobcenter hat auch für als Ergebnis von Betriebs- und Heizkostenabrechnungen entstehende Nachzahlungsforderungen entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufzukommen, die sich ihrerseits auf Zeiträume beziehen, in denen Leistungen gemäß dem SGB II nicht beantragt waren und Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II nicht bestand.

3. Im Zusammenhang mit der Anrechnung eines Betriebskostenguthabens findet § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II keine Anwendung. Diese Vorschrift dient der Verhinderung insbesondere von sozialversicherungsrechtlichen Schwierigkeiten, entstehend aus einem kurzzeitigen Wegfall des Leistungsanspruchs, für Antragsteller/innen.

4. Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II ist ein entsprechendes Betriebskostenguthaben einzig auf die Kosten für Unterkunft und Heizung anzurechnen, d. h. mit den unterkunftsbezogen in den Folgemonaten entstehenden tatsächlichen Aufwendungen vollständig zu verrechnen.

3.9 – Sozialgericht München, Urteil vom 18. Mai 2016 (Az.: S 13 AS 935/16):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. § 20 Abs. 2 und 5 SGB II in Verbindung mit der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2016 ist nicht verfassungswidrig.

2. Der Gesetzgeber unterlag hier nicht der Pflicht, einen neuen, höheren Regelbedarf bereits zum 1. Januar 2016 anhand der EVS 2013 zu ermitteln.

3. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Neuermittlung der Regelbedarfshöhe sehen keinen festen Zeitpunkt vor, bis zu dem diese genau zu erfolgen hat.

4. Es ist zu akzeptieren, wenn eine Neufestsetzung der Regelbedarfe nach der Neuermittlung jeweils zum 1. Januar des auf das Vorliegen der Ergebnisse der EVS folgenden Jahres durchgeführt wird.

5. Sowohl die Fortschreibung als auch die Neuermittlung der Regelbedarfe hat stets zum 1. Januar zu erfolgen.

6. Der Gesetzgeber verfügt hier über einen Gestaltungsspielraum in Bezug auf Nacherhebungen. Es ist ihm nicht im Einzelnen vorgeschrieben, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und berechnet zu werden hat.

3.10 – Sozialgericht Speyer, Beschluss vom 27. April 2016 (Az.: S 21 AS 485/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erlassener Eingliederungsverwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn hierin Leistungsempfänger/innen Pflichten auferlegt werden, deren Erfüllung objektiv unmöglich ist, weil der maßgebliche Zeitpunkt bereits in der Vergangenheit liegt.

2. Die im Rahmen eines Eingliederungsverwaltungsakts Leistungsempfänger/innen auferlegten Bewerbungsbemühungen dürfen sich nur auf zumutbare Beschäftigungsverhältnisse richten.

3. Hier sind von einem Jobcenter zunächst stets die auf Seiten von Antragsteller/innen bestehenden, einer beruflichen Eingliederung entgegen stehenden Kompetenzdefizite zu ermitteln und unter Wahrung des Grundsatzes der Nachrangigkeit geförderter Arbeitsverhältnisse (wie Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II) sowie dem spiegelbildlichen Vorrang der Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt in eine sachgerecht durchzuführende Abwägung gegenüber den bestehenden individuellen Fördermöglichkeiten zur Eingliederung in Arbeit (§§ 16 ff. SGB II) einzustellen.

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Asylrecht

4.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. März 2016 (Az.: L 8 AY 53/15 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Es spricht vieles dafür, dass auch eine Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer/innen nach § 15a AufenthG eine örtliche Zuständigkeit gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG begründen kann.

2. Der als Voraussetzung für eine Leistungseinschränkung entsprechend § 11 Abs. 2 AsylbLG erforderliche Verstoß gegen eine asylrechtliche räumliche Beschränkung nach § 56 AsylG liegt dann nicht vor, wenn Antragsteller/innen mangels eines Asylantrags nicht im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG) sind und keine weitergehende räumliche Beschränkung entsprechend § 61 AufenthG besteht, d. h. die zuständige Behörde weder eine Anordnung nach § 61 Ic AufenthG noch eine Wohnsitzauflage gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen hat.

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5.1 – Sozialgericht Stade, Beschluss vom 17. März 2016 (Az.: S 19 AY 1/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Verzichtet die staatliche Gewalt zeitweise darauf, die Ausreisepflicht durchzusetzen, dann handelt die einzelne nichtdeutsche Person in keiner Weise rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

2. Entsprechendes ist auch gegeben, wenn die Ausländerbehörde ein Kirchenasyl tatsächlich beachtet und den Aufenthalt des Ausländers während der Dauer des Kirchenasyls duldet.

3. Dass Kirchen nichtdeutschen, mit einer drohenden Abschiebung konfrontierten Personen ein Kirchenasyl anbieten, ist mit den moralischen Werten unserer Gesellschaft vereinbar und wird auch von den Behörden respektiert.

4. Dies gilt gerade dann, wenn das Kirchenasyl dem Ausländeramt sofort zur Kenntnis gegeben und von den zuständigen Ämtern toleriert wird.

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de