Tacheles Rechtsprechungsticker KW 35/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil v. 03.12.2015 – L 4 AS 466/12 – rechtskräftig

Leitsatz (Redakteur)
Zur Geltungmachung von Erhaltungsaufwendungen (§ 22 Abs. 2 SGB II) bei Schimmelbefall (hier verneinend).

Leitsatz (Juris)
1. Ob zur Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen iSv § 22 Abs 2 SGB II Fachfirmen beauftragt werden können oder Arbeiten in Eigenleistung zu erbringen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

2. Aufwendungen zur Beseitigung von Schimmelbefall in der Unterkunft gehören grundsätzlich zur unabweisbaren Instandhaltung iSv § 22 Abs 2 SGB II, damit einhergehende Schönheitsreparaturen (Malerarbeiten) jedoch nicht.

3. Macht der SGB II-Leistungsbezieher im gerichtlichen Verfahren auf Nachfrage keine konkreten, prüfbaren Angaben zur geltend gemachten Zinsbelastung aus einem Privatdarlehen und benennt die Bewohnerzahl des Eigenheims im streitbefangenen Zeitraum nicht, scheidet die Gewährung weiterer KdU-Leistungen mangels feststellbarer Hilfebedürftigkeit aus.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 15. Senat, Beschluss vom 04.08.2016 – L 15 AS 166/16 B ER

Leitsatz (Juris)
1. Gegen einen sog. Hängebeschluss des Sozialgerichts (auch: Schiebeschluss oder Zwischenverfügung) steht dem als Antragsgegner beteiligten Träger von Leistungen nach dem SGB II die Beschwerde zum Landessozialgericht dann zu, wenn er nicht lediglich als prozessleitende Maßnahme den Fortgang des Verfahrens gestaltet, sondern unmittelbar in Rechte des unterlegenen Antragsgegners eingreift.

2. Ein solcher Beschluss ist aufzuheben, wenn das durch die erforderliche Klärung komplexer Sach- und Rechtsfragen folgende Hinausschieben einer gerichtlichen Entscheidung für den Antragsteller nicht mit existenziellen oder ähnlich schwerwiegenden Rechtsfolgen verbunden ist und sich der Beschluss sowohl vom zeitlichen Rahmen als auch vom Inhalt her nicht auf dringlichste Maßnahmen beschränkt.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

1.3 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 7. Senat, Beschluss vom 30.06.2016 – L 7 AS 414/16 B ER

§ 31 SGB 2, § 31a Abs 1 S 3 SGB 2

Im Rahmen eines abgestuften Sanktionssystems steht die Bestandskraft eines ersten oder zweiten Sanktionsbescheids einer gerichtlichen Überprüfung anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens gegen den dann weiteren Sanktionsbescheid nicht entgegen, wenn in diesem weiteren Verfahren geltend gemacht wird, dass bereits die erste Sanktion unberechtigt war (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Juni 2009 – L 7 AS 266/09 B ER, hier aber offengelassen).

Leitsatz (Juris)
Eine Rechtsmittelbelehrung als Voraussetzung für eine 100% Sanktion nach einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung (§ 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II) ist nur dann konkret, vollständig und einzelfallbezogen, wenn darin die maßgeblichen Vorsanktionen nach Satz 1 und 2 genau bezeichnet werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.08.2016 – L 6 AS 113/16 B ER

SH LSG zur “Erforderlichkeit” eines Umzuges nach § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel

Entscheidung zur Eheschließung ist Umzugsgrund.

Quelle: sozialberatung-kiel.de

1.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 28.07.2016 – L 25 AS 2819/15 WA

Meldeversäumnis – Minderung – Änderungsbescheide – Klageart – Meldeaufforderung – Ermessen – Inzidentprüfung – Ermessensfehler bei 21 Meldeterminen in 9 Monaten

Leitsatz (Redakteur)
Eine Meldeaufforderung ist ein Verwaltungsakt und die Verfügung einer solchen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Jobcenters. Die Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung ist als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident zu überprüfen, weil sich die Meldeaufforderung als solche durch Zeitablauf erledigt hat (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/ 14 R). Hier sind die streitgegenständlichen Meldeaufforderungen rechtswidrig, weil sie jeweils ermessensfehlerhaft sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. zu diesem Aspekt auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 Az.: L 6 AS 503/13, n. v.

1.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 28.07.2016 – L 25 AS 535/16

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung – Durchlauferhitzer – atypischer Einzelfall – konkrete Ermittlung eines höheren Bedarfs

Fehlt es an einer konkreten Erfassung der Aufwendungen für die dezentrale Warmwassererzeugung, hat es bei der Gewährung der im Gesetz geregelten Pauschalen zu verbleiben. Insbesondere eine Schätzung des Mehrbedarfs sieht das Gesetz nicht vor, zumal es, da die Schätzungsgrundlagen des Vollbeweises bedürfen, hier auch bereits an einer ausreichenden, das heißt ohne vernünftige Zweifel anzunehmenden Schätzungsgrundlage fehlt (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 26. März 2014 – S 205 AS 11970/13 -; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Januar 2014 – L 6 AS 1667/12).

Leitsatz (Redakteur)
Die Anerkennung eines von den für dezentrale Warmwassererzeugung gesetzlich normierten Pauschalen abweichenden höheren Bedarfs setzt eine konkrete Feststellung des Mehrbedarfs durch gesonderte Erfassung voraus.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.7 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 27.07.2016 – L 25 AS 1511/16 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – Sanktionsbescheid – vollständiger Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II – wiederholte Pflichtverletzung – Anforderungen an Maßnahmenangebote / Zuweisungsschreiben | § 31 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 2, § 31a Abs 1 S 3 SGB 2, § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG

Leitsatz (Redakteur)
Eine Sanktion nach § 31 SGB II kann nur eintreten, wenn das Angebot bzw. die Zuweisung zu einer Eingliederungsmaßnahme hinreichend bestimmt sind, um dem Leistungsempfänger eine Überprüfung der formellen und inhaltlichen Anforderungen zu ermöglichen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. November 2015 – Az.: L 7 AS 1519/15 B ER

1.8 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.08.2016 – L 25 AS 1611/16 B ER – rechtskräftig

Anordnung der aufschiebenden Wirkung – Weiterbildungsmaßnahme – Entzug der Zertifizierung – Inzidentprägung bei Prüfung der Aufhebung einer Bewilligung von Leistungen der Weiterbildung – keine Verwaltungsaktqualität der Zulassung einer Maßnahme – Sicherung der Finanzierung der Maßnahme – kein Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts für Leistungsberechtigte des SGB 2 – Sicherung der Lehrgangskosten durch den Europäischen Sozialfonds – Interessenabwägung

Hinweis Gericht
1. Die Auffassung, dass die gesicherte Finanzierung auch den Lebensunterhalt erfassen muss, wird zwar im Schrifttum zu § 180 Abs. 4 Satz 2 SGB III weitgehend vertreten (so etwa Schaumberg in jurisPK-SGB III, 1. Auflage, 2014, Rn. 47 zu § 180; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 180 Rz 18). Für eine Übertragung auf Leistungsberechtigte nach dem SGB II dürfte aber kein Anlass bestehen.

2. Die jetzige Regelung wurde aus § 92 Abs. 2 SGB III a.F. zunächst in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III übernommen und allein dahingehend ergänzt, dass die Finanzierung aufgrund bundes- oder landesrechtlicher Vorschriften gesichert sein soll, damit die von der Rechtsprechung teils zugelassene private Finanzierung des letzten Ausbildungsdrittels nicht mehr zu einer Förderungsfähigkeit der Maßnahme führt. Die von Anfang an vorgesehene Voraussetzung der Sicherung der Finanzierung zu Beginn der Maßnahme ist hierdurch nicht modifiziert worden. Sinn und Zweck dieser Voraussetzung war die Vermeidung eines Abbruchs der Maßnahme aus finanziellen Gründen bei Ende der Förderung (BT-Drs. 14/6944 Seite 35).

3. Insoweit ist es bei einem Leistungsbezieher nach dem SGB III zur Erreichung dieses legitimen gesetzlichen Zwecks tatsächlich zu besorgen, dass die Weiterbildung nicht zu Ende geführt wird, wenn nicht auch der Lebensunterhalt im letzten Ausbildungsdrittel anderweitig zu Beginn der Maßnahme sichergestellt ist. Bei einem Leistungsberechtigten nach dem SGB III, dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung mit dem Ende der Förderung der Maßnahme nach Maßgabe des § 148 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 SGB III regelmäßig in absehbarer Zeit ausläuft, besteht die relevante Möglichkeit, dass keine Bereitschaft besteht, eigene Mittel einzusetzen, um den Lebensunterhalt für die Restdauer der Weiterbildung zu finanzieren.

4. Für Bezieher der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld kann auch nicht im Normallfall davon ausgegangen werden, dass sie bedürftig sind und daher ohnehin Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.9 – LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.08.2016 – L 3 AS 376/16 B ER

BSG-Rechtsprechung überzeugt nicht.

Keine Grundsicherung für Familien arbeitsuchender EU-Ausländer

Das LSG Mainz hat klargestellt, dass sich der Ausschluss von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII für EU-Ausländer auch auf aus dem Recht zur Arbeitsuche abgeleitete Aufenthaltsrechte für Familienangehörige, etwa zum Zwecke des Schulbesuchs durch Kinder des Arbeitsuchenden, erstreckt.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Mainz Nr. 17/2016 v. 23.08.2016: www2.mjv.rlp.de

Rechtstipp:
Wohl anderer Auffassung: Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 01.07.2016 – L 26 AS 1421/16 B ER (m. w.H.) – Griechische Antragsteller haben Anspruch auf ALG II. Über Art 10 der VO 492/11 EU kann sich ein Aufenthaltsrecht der Eltern ableiten, wenn das Kind während der unionsrechtlich bestehenden Freizügigkeitsberechtigung des Elternteils nach einem unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust den regelmäßigen Schulbesuch aufgenommen hat.

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Stuttgart, Gerichtsbescheid v. 30.12.2015 – S 12 AS 5038/15

Grundsicherungsträger muss Kosten für Anschaffung einer Lesebrille nicht erstatten, ein Beitrag von Rechtsanwalt Philipp Adam

Nach Ansicht der Richter habe der Kläger keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Es fehle an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. Vorliegend handele es sich bei den Kosten nach Ansicht der Richter nicht um einen laufenden Mehrbedarf. Aus diesem Grund sei insbesondere eine Kostenübernahme im Wege des § 21 Abs. 6 SGB II ausgeschlossen.
Vielmehr seien Bedarfe, die sich auf Krankenbehandlung i. S. von § 27 SGB V richteten, in erster Linie durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt. Aus diesem Grund betreffe der Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses für die Anschaffung einer Lesebrille allein das Verhältnis zur Krankenkasse und nicht dasjenige zu den Leistungsträgern nach dem SGB II.

Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Quelle: www.anwalt.de

2.2 – Sozialgericht Berlin, Beschluss v. 22.08.2016 – S 37 AS 10926/16 ER 22.08.2016

Hochschwangere polnische Antragstellerin muss nicht zurück in ihre Heimat, denn “Der elementare Lebensbedarf eines Menschen muss in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht.”

Leitsatz (Juris)
1. § 7 Abs. 4 SGB 2 in der Fassung des 9. SGB 2ÄndG stellt klar, dass erwerbsfähige Personen, die von SGB 2-Leistungen ausgeschlossen sind, u. U. Sozialhilfe beanspruchen können. Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 und § 7 Abs. 4 SGB 2 weisen insoweit keine systematischen Unterschiede auf.

2. In einer Haushaltsgemeinschaft mit hilfebedürftigen SGB 2-Angehörigen bedarf es zur Begründung eines Anspruchs auf anteilige Leistungen für Unterkunft und Heizung keines Untermietvertrages.

3. Solange EU-Bürger keiner Ausreispflicht unterliegen, kann ein akuter Hilfebedarf nicht mit Verweis auf eine Rückkehr ins Herkunftsland verneint werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Sozialgericht Berlin, Beschluss v. 27.06.2016 – S 96 AS 25231/15 – rechtskräftig

Zur Erstattung von Kosten zweier vom Ast. als Naturalbeteiligten ohne anwaltliche Vertretung geführten Widerspruchsverfahren in Form einer Pauschale von jeweils 20 EUR (hier verneinend).

Für eine pauschale Erstattung von Aufwendungen ohne Nachweis der konkret angefallenen Kosten mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Hinweis Gericht
1. Eine pauschale Kostenerstattung nach Nr. 7002 VV des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) oder auf Grundlage anderer Kostengesetze, wie des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (JVEG) und des Gerichtskostengesetzes (GKG), kommt nicht in Betracht, da der Kläger nicht deren persönlichen Anwendungsbereich unterfällt.

2. Sofern das Sozialgericht Frankfurt am Main durch den nicht-richterlichen Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 11. März 2014, S 24 AS 1074/10, einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten für seine Auslagen eine Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG zubilligt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Beschluss setzt sich über den Anwendungsbereich des RVG ohne überzeugende Begründung hinweg.

3. Die Begründung, die Gewährung einer Pauschale für Porto-, Fax- und Telefonkosten in Höhe von 20 EUR sei ebenso für Kläger “angemessen”, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Auch ablehnend SG Aachen, Beschluss vom 20.04.2015 – S 11 SF 11/15 E

2.4 – SG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 18.02.2016 – S 17 AS 808/14 – Die Berufung wird zugelassen

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Angemessenheitsprüfung für die Heizkosten – Ermittlung des Grenzwertes als Anhaltspunkt für unangemessene Heizkosten bei einer Elektroheizung anhand des bundesweiten Heizspiegels

Zur Frage, wie die Angemessenheit von Heizkosten für im bundesweiten Heizspiegel nicht erwähnte Energieträger zu bestimmen ist.

Leitsatz (Redakteur)
Bei der Erfassung des Stromverbrauchs mit nur einem Zähler kann zur Differenzierung zwischen vom Regelsatz umfassten Stromkosten (Haushaltsstrom) und Stromkosten als Kosten der Unterkunft (Heizkosten) geschätzt werden ((im Anschluss an BSG Urteil vom 20.8.2009 – B 14 AS 41/08 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 02.03.2011, L 2 SO 4920/09; SG Karlsruhe, Urt. vom 28.04.2015, S 17 AS 599/14).

2.5 – Sozialgericht München, Urteil v. 22.06.2016 – S 52 AS 538/13 – rechtskräftig

1. Zum Umfangs der Kostenerstattungspflicht nach § 36a SGB II. Es ging hier vorrangig um die Beurteilung, ob tatsächlich entstandene Kosten zu übernehmen sind oder ob die Kalkulation und Angemessenheit der Kosten des Frauenhauses durch das Gericht oder den Erstattungspflichtigen überprüfbar sind.

2. Anspruch auf Kostenerstattung für den Aufenthalt einer 17-Jährigen im Frauenhaus.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

3.1 – Sozialgericht Stade, Urteil v. 15.06.2016 – S 16 AL 92/12

Zur Gewährung eines Gründungszuschusses anlässlich der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Berater (Anlageberatung ohne Vertrieb) und Seminaranbieter (hier ablehnend) – Stammrecht nicht ausreichend – konkreter Zahlungsanspruch – ruhender Arbeitslosengeldanspruch – Ermessensausübung bei der Prüfung eigener Leistungsfähigkeit – Abfindung

Leitsatz (Redakteur)
Keine Bewilligung von Gründungszuschuss nach Erhalt einer Abfindung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. dazu Hessisches LSG, Urteil vom 18. März 2016 – L 7 AL 99/14

3.2 – Sozialgericht Marburg, Urteil v. 30.05.2016 – S 2 AL 58/14 – anhängig beim LSG Hessen Az. : L 7 AL 66/16

Keine Arbeitslosengeld-Sperrzeit nach Altersteilzeit für abschlagsfreie Rente.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
S. a. Arbeitnehmer können sich auch nach einer Altersteilzeit noch eine abschlagsfreie Rente sichern, indem sie weitere Arbeitsmonate anhängen. Melden sie sich hierfür zunächst arbeitslos, darf die Arbeitsagentur keine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld verhängen.

Quelle: www.juraforum.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 14.04.2016 – L 7 SO 1119/10

Zur Eingliederungshilfe zur Beschaffung eines behindertengerecht umgerüsteten Kraftfahrzeugs

Leitsatz (Juris)
1. Mit Blick auf den bei der Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs anzulegenden individuellen, personenzentrierten Maßstab ist eine Mindesthäufigkeit der Fahrzeugnutzung nicht schematisch festlegbar. Abzustellen ist vielmehr auf den Einzelfall unter Würdigung der individuellen Lebensverhältnisse des behinderten Menschen sowie der Art und Schwere der Behinderung.

2. Zum Ermessensspielraum des Sozialhilfeträgers hinsichtlich von Art und Ausmaß der Leistungserbringung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 25.02.2016 – L 7 SO 2468/13

Leitsatz (Juris)
1. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 74 SGB XII sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehegatten zu berücksichtigen.

2. Zur Anwendung des § 44 SGB X auf den Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII bei bestandskräftig gewordenem Ablehnungsbescheid.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5.1 – Sozialgericht Landshut, Beschluss v. 10.08.2016 – S 11 AY 69/16 ER

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig weiterhin Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren (hier verneinend)

Erfolgloser Antrag auf Leistungen ohne Anspruchseinschränkung.

Hinweis Gericht
1. Die Einschränkung erfolgt, sofern aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Zu letzteren gehören alle rechtlichen und tatsächlichen Handlungen, die notwendig sind, um eine Ausreise des Ausländers herbeizuführen (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII 5. Auflage 2014, § 1a AsylbLG, Rn. 22ff m. w. N.). Vertreten müssen i. S. von § 1a Nr. 2 AsylbLG besteht dann, wenn die betreffenden Gründe ihre alleinige Ursache im Verantwortungsbereich des Ausländers haben und ihm vorgeworfen werden kann, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben.

2. Das Vertreten müssen i. S. v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a. F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft an das eigene Verhalten des Leistungsberechtigten in dem Sinne an, dass das Verhalten allgemein geeignet sein muss, sich seiner Ausreisepflicht zu entziehen. Es ist danach erforderlich, aber auch ausreichend, dass das Ergebnis der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind. Auf das Vertreten müssen im zivil- oder auf die Vorwerfbarkeit im strafrechtlichen Sinne kommt es hingegen nicht an. Der Ausländer muss bei entsprechendem Willen in der Lage und aus Rechtsgründen verpflichtet oder es muss ihm zuzumuten sein, ein Verhalten zu unterlassen bzw. ein Handeln vorzunehmen (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG i. d. F. v. 20.10.2015, Rn. 67).

3. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der ausreisepflichtige Antragsteller hat wegen fehlender Passdokumente, an deren Wiederbeschaffung er nicht mitgewirkt, obwohl sich diese Pflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG ergibt und er mehrfach von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Rechtsfolgen dazu aufgefordert wurde.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.2 – Sozialgericht Landshut, Beschluss v. 16.08.2016 – S 11 AY 64/16 ER

Zur Verpflichtung des Leistungsträgers im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragstellern (Syrische Staatsangehörige) weitere Geldleistungen nach § 3 Abs. 1 S. 5 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren (hier bejahend)

Ein Abzug der Kosten für Nachrichtenübermittlung ist nicht in Anwendung von § 3 Abs. 1 S. 6 AsylbLG vorzunehmen.

Öffentlicher WLAN-Zugang in Erstaufnahmeeinrichtung befreit nicht von Leistungen an Asylbewerber für Telekommunikation

Leitsatz (Redakteur)
1. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben (§ 3 Abs. 1 S. 6 AsylbLG) hält es das Gericht grundsätzlich für möglich, dass Positionen, die den notwendigen persönlichen Bedarf betreffen, durch Sachleistungen gewährt werden.

2. Wenn diese sodann auf den pauschal berechneten Geldbetrag angerechnet werden sollen, muss zunächst auch sichergestellt werden, ob die Sachleistung zumindest in Höhe der in der EVS 2008 zugrunde gelegten Höhe in Anspruch genommen wurde. Nur dann wäre eine Anrechnung in der dort angesetzten Höhe (inkl. der Fortschreibung) auf den notwendigen persönlichen Bedarf denkbar.

3. Die komplette Herausnahme der Ausgaben für die Abt. 8 alleine wegen der Bereitstellung von WLAN ist ausgeschlossen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Anmerkung zu: BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 173/15, Autor: Dr. Dietrich Beyer, RiBGH a.D.

Fristlose und ordentliche Kündigung wegen verspäteter Mietzahlungen des Jobcenters

Leitsätze
1. Eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen erbringt, wird nicht als Erfüllungsgehilfe des Mieters tätig, wenn sie für ihn die Miete an den Vermieter zahlt (Bestätigung der Senatsurteile v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 – NJW 2009, 3781 Rn. 27 ff.; sowie v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14 – BGHZ 204, 134 Rn. 20).

2. Ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung i.S.d. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB kann auch – unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Mieters – allein in der objektiven Pflichtverletzung unpünktlicher Mietzahlungen und den für den Vermieter daraus folgenden negativen Auswirkungen liegen, wenn die Gesamtabwägung ergibt, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar ist. Bei der – dem Tatrichter obliegenden – Abwägung kann von Bedeutung sein, ob zahlreiche Verspätungen aufgetreten sind, diese jeweils einen erheblichen Zeitraum und erhebliche Beträge betreffen oder der Vermieter in besonderem Maße auf den pünktlichen Erhalt der Miete angewiesen ist, beispielsweise weil er daraus seinen Lebensunterhalt bestreitet oder hiermit Kredite bedienen muss. Zudem kann es eine Rolle spielen, ob das Mietverhältnis abgesehen von den unpünktlichen Zahlungen bisher störungsfrei verlaufen ist oder kurze Zeit vorher bereits eine berechtigte fristlose Kündigung ausgesprochen worden ist, die erst durch eine Zahlung innerhalb der Schonfrist während des Räumungsprozesses unwirksam geworden ist.

Quelle: www.juris.de

7.   Sozialgericht Frankfurt am Main, Urteil v. 29.04.2015 -  S 30 SO 14/12

Sozialhilfe: Auskunftspflicht entfällt bereits bei Formfehler, ein Beitrag von Rechtsanwalt Markus Karpinski

Wenn von den Eltern einer Leistungsempfängerin Auskunft über deren Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse verlangt wird, dann muss dieses Verlangen auf die richtige Rechtsgrundlage gestützt werden. Beruft sich das Jobcenter auf eine falsche Rechtsgrundlage, ist das Auskunftsverlangen fehlerhaft und damit rechtswidrig. Es muss aufgehoben werden. Das gilt für das gesamte Auskunftsverlangen und nicht nur für den fehlerhaften Teil.
Das heißt, die Eltern einer Leistungsempfängerin müssen keine Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse geben, wenn das Auskunftsverlangen in irgendeiner Weise fehlerhaft ist.

Quelle: www.anwalt.de

8.   Diese Leistung für arme Familien kennt fast niemand

Um Familien an der Armutsgrenze zu helfen, gibt es den Kinderzuschlag. Doch nur 30 Prozent aller Berechtigten bekommen das Geld ausgezahlt: Die Leistung ist kaum bekannt und sehr schwer zu beantragen.

Quelle: www.welt.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de