Tacheles Rechtsprechungsticker KW 36/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.08.2016 – L 3 AS 376/16 B ER

BSG-Rechtsprechung überzeugt nicht.

Keine Grundsicherung für Familien arbeitsuchender EU-Ausländer

Leitsatz Gericht
Leistungsausschluss bei Aufenthaltsrecht des Kindes eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zum Schulbesuch.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30.08.2016 – L 6 AS 1549/16 B ER und L 6 AS 1550/16 B – rechtskräftig

Zur Rechtmäßigkeit eines 2 Hausverbots gegen den Leistungsbezieher (hier bejahend).

Hinweis Gericht
Materiellrechtlich verlangt der Erlass des Hausverbotes eine nachhaltige Störung des Dienstbetriebes (zum Hausverbot vgl. LSG NRW Beschluss vom 11.03.2013 – L 19 AS 30/13, juris, Hausverbot von 5 Monaten Dauer, vgl. auch Günther, DVBl. 2015, 1147 ff.,1149, 1150, mwN. sowie bereits Hammel, ZfF 2011, 223 ff, jeweils. zum Hausverbot im JobCenter), wobei der Grundsicherungsträger besondere Anstrengungen unternehmen muss, um sich anbahnende oder bereits entstandene Konflikte zu überwinden.

Hier sind keine überwiegenden Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit des Bescheides erkennbar. Denn es handelt sich in der Sache bereits um das zweite Hausverbot gegen den Antragsteller innerhalb von weniger als drei Monaten.

Zudem ist dieses weitere Hausverbot auch mit bestimmten Konkretisierungen gegenüber dem Antragsteller für die potentielle Kontaktaufnahme mit dem Antragsgegner ausgestaltet. So verbleibt dem Antragsteller die Möglichkeit, in seinen Leistungsangelegenheiten nach dem SGB II postalisch oder telefonisch mit dem Antragsgegner in Kontakt zu treten. Für etwaige Nachweise bzw. speziell Unterlagen zur Abwicklung der Fahrtkostenübernahme bei Ausübung des Umgangsrechts mit seinem minderjährigen Sohn könnte der Antragsteller erforderliche Unterlagen dann auch noch per Hausbriefkasten dem Antragsgegner zukommen lassen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Karlsruhe Entscheidung vom 27.7.2016 – S 17 AS 1318/16

Krankenversicherung – Krankenkassenwahlrecht – kein Wechsel in die Krankenkasse Deutsche Gesundheit

Leitsatz (Juris)
Die Deutsche Gesundheit unterfällt keiner der Fallgruppen des § 173 Abs. 2 Satz 1 SGB V.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Sozialgericht München, Beschluss vom 21. März 2016 (Az.: S 40 AS 555/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein wichtiger Grund im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II für die unterlassene Wahrnehmung eines Meldetermins liegt regelmäßig vor, wenn einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Anwesenheit beim Jobcenter entweder unmöglich ist oder derart erschwert wird, dass ein anderes Verhalten als unzumutbar aufgefasst zu werden hat.

Grundsätzlich sind von Leistungsbezieher/innen die anlässlich der Wahrnehmung eines Meldetermins nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 1 SGB III entstehenden Fahrkosten zunächst aus dem Regelbedarf (§ 20 SGB II) heraus zu bestreiten.

§ 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 4 SGB III stellt klar, dass vom Jobcenter nach pflichtgemäßem Ermessen eine Fahrkostenerstattung durchgeführt werden kann.

Wenn von Leistungsbezieher/innen allerdings bereits im Vorfeld des Meldetermins die wirtschaftliche Unmöglichkeit zum Erwerb des notwendigen Fahrscheins dem Jobcenter gegenüber glaubhaft geltend gemacht wird, dann kann der solchermaßen informierte SGB II-Träger hierauf in sachgerechter Weise reagieren und ggf. (als Sachleistung) einen Fahrschein oder einen Gutschein für die Fahrt zur Verfügung stellen.

Ein wichtiger Grund für das Ausbleiben beim Meldetermin kann hier dann vorliegen, wenn das Jobcenter in der Kürze der Zeit bis zum Meldetermin oder aus anderen Gründen nicht rechtzeitig reagieren kann oder nicht gehandelt hat.

2.3 – Sozialgericht Aachen, Urteil v. 09.08.2016 – S 14 AS 175/16

Keine Saldierung von Einnahmen und Verlusten aus mehreren Gewerbebetrieben.

Leitsatz (Redakteur)
1. Das SGB II lässt bei der Berechnung des der Leistungsgewährung zugrunde zu legenden Einkommens aus zwei Gewerbebetrieben keinen horizontalen Verlustausgleich zu (in Anlehnung an BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 17/15 R).

2. Die Kosten eines Monatstickets für den öffentlichen Personennahverkehr innerhalb der Städteregion Aachen sind nur zur Hälfte als Betriebsausgabe von den Betriebseinnahmen der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Lerntherapeutin abzusetzen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Sozialgericht Stuttgart, Urteil vom 14.01.2016 – S 21 AS 3791/13

Bei einer sogenannten hypokaliämischen periodischen Lähmung (ICD 10: G72.3) besteht kein Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II. Erforderlichkeit einer kostenaufwändigen Ernährung nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand nicht belegt.

Quelle: www.kostenlose-urteile.de

2.5 – SG Kiel, Beschluss vom 09.08.2016 – S 33 AS 193/16 ER

Wohnraummehrbedarf von 5 Quadratmetern bei Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem Kind, ein Beitrag von RA Helge, Hildebrandt, Kiel

Quelle: sozialberatung-kiel.de

2.6 – Sozialgericht Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 16.08.2016 – S 13 AS 941/15 – Berufung zugelassen

Kosten für Unterkunft und Heizung: SG Bayreuth bestätigt erneut fehlende Schlüssigkeit eines Gutachtens der Firma Analyse und Konzepte

SG Bayreuth kippt die vom Landkreis Hof/Jobcenter Hof Land angenommenen Mietobergrenzen (und somit natürlich auch für den gesamten Landkreis im SGB XII).

Dazu Anmerkung und Leitsätze von Rechtsanwältin Regine Deterding:
Nun hat auch das Sozialgericht Bayreuth für den Landkreis Hof/Jobcenter Hof Land in einem Gerichtsbescheid vom 16.08.2016, Az.: S 13 AS 941/15 bestätigt, dass das von der Firma Analyse und Konzepte erstellte Gutachten für die Angemessenheitsgrenzen von Mieten kein schlüssiges Konzept im Sinne des Bundessozialgerichts ist.

Hierbei wurden 3 wesentliche Aspekte kritisiert:
1. Vergleichsraum: Der Vergleichsraum ist nicht eindeutig anhand der Definition des BSG bestimmt worden als homogener Lebensraum, da dieser sich wohl nicht über den gesamten Landkreis Hof erstrecken kann. Durch die vorgenommene “Clusteranalyse”, mit der die einzelnen Wohnungsmarkttypen bestimmt werden, sind die zudem Vorgaben des Bundessozialgerichts für die Bildung des Vergleichsraums nicht erfüllt worden.

2. Fehlende Repräsentativität der Daten: Das Verhältnis der gewerblichen Vermieter einerseits und der privaten Vermieter andererseits, deren Angaben in das Gutachten eingeflossen sind, spiegeln nicht die Verhältnisse am Wohnungsmarkt wider.

3. Betriebskosten: Die ermittelten kalten Betriebskosten sind signifikant abweichend von den durch den Deutschen Mieterbund für den Freistaat Bayern festgestellten durchschnittlichen Kosten (0,88 € – 1,19 € statt 1,58 € pro qm Wohnfläche), ohne dass eine nachvollziehbare Erklärung gegeben wird.

Die Entscheidung dürfte zumindest hinsichtlich der Punkte 1 und 3 auch auf andere Städte und Landkreise zu übertragen sein.

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Verwaltungsgerichte zum Asylrecht

3.1 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 23.08.2016 – L 4 AY 4/16 B ER und L 4 AY 5/15 B

Die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG liegen nicht vor, denn der Ablauf einer Ausreisefrist soll nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht für die Leistungskürzung ausreichen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – VG Stuttgart Beschluss vom 20.8.2016, A 11 K 730/16

Abschiebungsandrohung; Wochenfrist; Ablehnung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet

Leitsatz (Juris)
Eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer nur einwöchigen Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 36 Abs. 1 AsylG setzt aufgrund der Änderungen des AsylG durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht nur hinsichtlich der ggf. beantragten Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, sondern auch hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Hiervon ist in asylrechtlichen Streitigkeiten auch dann auszugehen, wenn die streitgegenständliche Entscheidung des BAMF erging, bevor die durch das Integrationsgesetz bewirkten Änderungen des AsylG in Kraft traten.

Quelle: lrbw.juris.de

3.3 – VG Freiburg Beschluss vom 12.8.2016, A 3 K 1639/16

Leitsatz (Juris)
1. Einem Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine Abschiebungsandrohung fehlt nicht wegen der Möglichkeit des Antrags auf Wiederaufnahme gem. § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG das Rechtsschutzbedürfnis.

2. Die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG erfordert einen qualifizierten Hinweis auf die Folgen einer Nichtteilnahme an der Anhörung nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG.

Quelle: lrbw.juris.de

3.4 – VG Schwerin 3. Kammer, Beschluss vom 24.08.2016, 3 B 2176/16 As SN

Dublin-Verfahren; Überstellung nach Ungarn; flüchtiger Asylbewerber

Leitsatz (Juris)
Ein abgelehnter Asylbewerber ist auch dann flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO, wenn er sich nur vorübergehend aber für einen Zeitraum von mehr als drei Tagen außerhalb des Bezirks seiner Ausländerbehörde aufhält und ihr dies nicht gemäß § 50 Abs. 3 AufenthG angezeigt hat. Die Antragsgegnerin hat in dem Fall das Fehlschlagen des Überstellungsversuchs infolge der Abwesenheit des Asylbewerbers nicht zu vertreten. Die Mitteilung an den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin III DVO muss zwingend vor dem Ablauf der Sechsmonatsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO erfolgen. Anderenfalls geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Staat über.

4.   Allgemeines und lesenswertes zur Elternzeit, SGB II und anderen Gesetzbüchern

4.1 – Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 26. Juli 2016 (Az.: RO 4 K 16.405):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein Anspruch auf eine obdachlosenrechtliche Unterbringung kann dann nicht geltend gemacht werden, wenn es sich zum Entscheidungszeitpunkt als unklar darstellt, ob der Antragsteller tatsächlich noch obdachlos ist und am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts noch lebt.

Ein gewichtiges Indiz kann hier der Aspekt darstellen, dass dem bislang zuständigen Sozialleistungsträger die aktuelle Erreichbarkeit des Antragstellers ebenfalls nicht bekannt ist.

4.2 – LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.08.2016 – L 1 AL 61/14

Elternzeit nach dem dritten Lebensjahr des Kindes kann Arbeitslosengeldanspruch ausschließen,

Quelle: Pressemeldung des LSG Mainz Nr. 18/2016 v. 31.08.2016: www2.mjv.rlp.de

4.3 – Neufassung von § 39 SGB II erschwert den Rechtsschutz für SGB II-Empfänger, ein Beitrag von RA Mathias Klose, Regensburg

Zum 01.08.2016 hat sich die Rechtslage für Hartz IV-Empfänger deutlich verschlechtert. § 39 Nr. 1 SGB II wurde neu gefasst und der Anwendungsbereich auch auf Leistungsentziehung (§ 66 SGB I) erweitert: sozialrecht-aktuell.blogspot.de

4.4 – Hartz IV: Wo soll das enden?

Ein Kommentar zum “sozialwidrigen Verhalten”, das die Jobcenter sanktionieren sollen: aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de