Tacheles Rechtsprechungsticker KW 38/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – LSG NRW, Beschluss v. 02.09.2016 – L 19 AS 1085/16/B

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Eingliederungsverwaltungsakt genügt hinsichtlich der Eigenbemühungen nicht dem Bestimmtheitserfordernis.

2. Hinsichtlich der Ausführungen des Jobcenters in dem Eingliederungsverwaltungsakt zur genehmigten Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei nicht um hoheitliche Regelungen der Behörde mit Außenwirkung im Einzelfall (§ 31 SGB X handelt, sondern lediglich um Erläuterungen zur Rechtslage (Vgl. BSG Urteil vom 15.06.2016 – – B 4 AS 45/15 R).

Dazu RA Jens Hake, Stade
Schlappe für das Jobcenter Warendorf (und Sozialgericht Münster) bei Eingliederungsverwaltungsakten: Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (L 19 AS 1085/16/B Beschluss vom 02.09.2016) hält einen Eingliederungsverwaltungsakt des Jobcenter für rechtswidrig und gewährt dem Kläger entgegen der Entscheidung des Sozialgerichtes Prozesskostenhilfe.

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1.2 – LSG Halle, Urteil v. 26.02.2016 – L 4 AS 159/12 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 15/16 R

Ist die vom Arbeitgeber eingeräumte Möglichkeit der privaten Nutzung eines Dienstfahrzeugs entsprechend der steuerrechtlichen Bewertung nach § 8 Abs 2 S 2 iVm § 6 Abs 1 Nr 4 S 2 EStG als zu berücksichtigendes Einkommen iS des § 11 SGB 2 anzusehen?

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Einnahmen in Geld oder Geldeswert – Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber auch zur privaten Nutzung durch den Arbeitnehmer – steuerrechtlicher geldwerter Vorteil – keine geldwerte Einnahme iS § 11 SGB 2 – fehlender Marktwert – keine Minderung des pauschalierten Regelbedarfs

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei dem Bruttolohnbestandteil Kfz-Gestellung handelt es sich nicht um eine Einnahme in Geldeswert (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2016 – L 9 AS 2108/13).

2. Bei Einnahmen in Geldeswert handelt es sich um Waren und Dienstleistungen, die einen Marktwert haben und sich daher in Geld tauschen lassen. Der Klägerin steht ein Fahrzeug zur Verfügung, das sie kostenfrei auch privat nutzen kann. Sie erspart dadurch eigene Aufwendungen für die Anschaffung und den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs. Diese Einnahme ist eine Gegenleistung für die geleistete Arbeit und daher materieller Bestandteil des Arbeitsentgelts nach § 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Gleichwohl handelt es sich nicht um eine den Bedarf mindernde Einnahme nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

3. Die private Nutzbarkeit des Kfz durch die Klägerin kann hier nicht als Einkommen angerechnet werden. Denn die Möglichkeit, den Pkw auch privat kostenfrei zu nutzen, hat keinen Marktwert. Die Klägerin konnte den ihr gestellten Pkw zwar vollständig kostenfrei privat nutzen, kann diese Privatnutzung jedoch weder veräußern noch in Geld tauschen. Denn nach dem Dienstwagenvertrag darf sie den Pkw Dritten nicht zur Verfügung stellen. Auch eine Überlassung an Familienangehörige ist nicht gestattet. Sie hatte auch keine Möglichkeit, den Dienstwagen abzulehnen und sich stattdessen ein höheres Gehalt auszahlen zu lassen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil v. 23.06.2016 – L 5 AS 20/15 – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
1. Ein Antrag nach § 44 SGB X muss grundsätzlich bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens hinreichend konkretisiert sein, anderenfalls ist er unzulässig.

2. Ausnahmsweise ist eine Nachholung der Konkretisierung im Klageverfahren unter den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zulässig. Eine Pflichtverletzung aus einem Sozialrechtsverhältnis kann in der verweigerten Akteneinsichtsgesuch liegen. Erforderlich ist eine Kausalität zwischen der unterbliebenen Konkretisierung des Antrags und der verweigerten Akteneinsicht. Dann ist der Antragssteller so zu stellen, als hätte er den Antrag fristgerecht, also vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens konkretisiert.

3. Mit Beginn des Vorverfahrens durch Einlegung des Widerspruchs gilt für die Akteneinsicht von bevollmächtigten Rechtsanwälten gemäß § 84a iVm § 120 Abs 2 Satz 2 SGG ein anderer Maßstab als in § 25 SGB X. Über das Ersuchen auf Akteneinsicht durch Übersendung in die Geschäftsräume der Rechtsanwälte ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Sofern eine Übersendung der Akten nicht ausnahmsweise untunlich ist, hat die Behörde dem Gesuch zu entsprechen.

4. Enthält der Widerspruchsbescheid nach Ablehnung des Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X wegen der erstmals im Widerspruchsverfahren begehrten und nicht gewährten Akteneinsicht eine selbstständige formelle Beschwer, ist die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids mit der Verpflichtung der Behörde zur Bescheidung über den Widerspruch im Überprüfungsverfahren möglich.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.04.2016 – L 2 AS 412/15 NZB – rechtskräftig

Zur der Frage, ob die Kosten einer Intensivreinigung vom Grundsicherungsträger zu übernehmen sind.

Gehören laufende Reinigungskosten nicht zu den angemessenen KdU, kann hieraus geschlossen werden, dass sie auch im Falle des Anfallens im Zuge eines Auszugs nicht zu den angemessenen KdU zu zählen sind.

Leitsatz (Juris)
1. Die Aufwendungen für eine Auszugsrenovierung als Schönheitsreparatur gehören dem Grunde nach zu den Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Was dabei Gegenstand von Schönheitsreparaturen sein kann, ist § 28 Abs 4 Satz 3 II. BV zu entnehmen. Die übliche Reinigung der Wohnung wegen sich allmählich ansammelnden Schmutzes zählt nicht dazu.

2. Die Kosten der Reinigung der Wohnung zählen auch sonst nicht zu den angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne der Vorschrift, und zwar unabhängig davon, ob sie wegen des Auszugs aus der Wohnung anfallen. Das gilt auch dann, wenn sie vom Vermieter gegenüber dem Mieter im Rahmen eines Schadensersatzanspruches geltend gemacht werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 22.07.2016 – L 4 AS 381/16 B – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
Hat der Leistungsberechtigte nach Ablehnung der Zusicherung der Übernahme von Umzugskosten durch den Grundsicherungsträger den Umzug durchgeführt und die hierdurch entstandenen Kosten selbst übernommen, so muss das Begehren auf Erteilung der Zusicherung gemäß § 22 Abs 6 SGB II umgestellt werden auf die unmittelbare Geltendmachung der Erstattung der verauslagten Umzugskosten. Dieses Ziel ist im gerichtlichen Klageverfahren mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.6 – LSG München, Beschluss v. 09.08.2016 – L 16 AS 366/16 B ER

Leitsatz (Juris)
1. Auszubildende, deren Ausbildung nach den §§ 51, 57 und 58 SGB II förderungsfähig ist, sind nach § 7 Abs. 5 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung von über § 27 SGB II hinausgehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. (amtlicher Leitsatz)

2. Sie sind in § 7 Abs. 5 SGB II in der ab dem 01.08.2016 geltenden Fassung nicht mehr genannt und können daher bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Arbeitslosengeld II aufstockend zu ihrer Ausbildungsvergütung und einer ggf. zu beanspruchenden Berufsausbildungsbeihilfe, die gemäß § 11a Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen ist, erhalten. (amtlicher Leitsatz)

3. Fiktive Einnahmen aufgrund etwaiger nicht realisierter Unterhaltsansprüche sind grundsätzlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen. (amtlicher Leitsatz)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.7 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. August 2016 (Az.: L 6 AS 113/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Das Erfordernis der Durchführung eines Umzugs im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II liegt vor bei einer glaubhaft gemachten Entscheidung zur Eheschließung und Gründung einer eigenen Familie.

1.8 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil v. 11.08.2016 – L 3 AS 10/12

Die Ernährung mit einer sogenannten “Vollkost” bei Diabetes mellitus Typ I und II ist, wie das Bundessozialgericht bereits im Urteil vom 10. Mai 2011 entschieden hat, keine kostenaufwändige Ernährung im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II a. F… Denn es handelt sich nicht um eine Krankenkost, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 100/10 R). Deshalb ist die Vollkost aus der Regelleistung zu bestreiten.

Leitsatz (Redakteur)
1. Dass bei Diabetes Mellitus, wenn keine Besonderheiten vorliegen, kein Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II besteht, wird seit langem in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten (vgl. z. B. Sächs. LSG, Beschluss vom 27. August 2010 – L 3 AS 245/08 – juris Rdnr. 23 ff.; Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Februar 2010 – L 3 AS 780/09 NZB – juris Rdnr. 26; Sächs. LSG, Beschluss vom 26. Februar 2009 – L 2 AS 152/07 – juris Rdnr. 33 ff.; Bay. LSG, Urteil vom 23. April 2009 – L 11 AS 124/08 – juris Rdnr. 30; Bay. LSG, Urteil vom 6. Juni 2011 – L 8 AS 770/10 – juris Rdnr. 22; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Oktober 2009 – L 12 AS 4179/08- juris Rdnr. 22 ff.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Juni 2011 – L 19 AS 1023/11 B ER – FEVS 63, 371 ff. = juris Rdnr. 31; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Januar 2012 – L 19 AS 1747/11 B – juris Rdnr. 4; LSG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2011 – L 5 AS 83/11 – juris Rdnr. 25; LSG Hamburg, Urteil vom 19. März 2015 – L 4 AS 333/12 – juris Rdnr. 38; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. März 2016 – L 6 AS 403/14 – juris).

2. Eine von § 21 Abs. 5 SGB II abweichende Bestandsschutzregelung des Inhalts, dass ein einmal bewilligter Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei unveränderter gesundheitlicher Beeinträchtigung unabhängig vom aktuellen – gegebenenfalls gegenüber einem früheren veränderten – wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu gewähren wäre, gibt es nicht. Ein Anspruch auf Bestandsschutz besteht auch nicht auf Grund verfassungsrechtlicher Vorgaben, insbesondere denen aus Artikel 1 Abs. 1 des GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG. Denn das Grundgesetz enthält nur ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Braunschweig, Beschluss vom 5. September 2016 (Az.: S 44 AS 322/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Eilbedürftigkeit einer Sozialrechtssache resultiert daraus, wenn ein über 25jähriger erwerbsfähiger Antragsteller von seinen Eltern aufgenommen und verköstigt wird, über keinerlei eigenes Einkommen verfügt, um seinen notwendigen Lebensunterhalt decken zu können, elterlicherseits nur kleinere Barbeträge auf sein Girokonto erhält sowie – mangels Leistungsbezugs – der Leistungsanspruch des Antragstellers gegenüber seiner gesetzlichen Krankenkasse aufgrund aufgelaufener Beitragsrückstände ruht (§ 16a Abs. 3a SGB V).

2. Solange im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der wahre Marktwert des vom Antragsteller noch gehaltenen Kraftfahrzeugs nicht feststeht, ist davon auszugehen, dass es sich hier um ein angemessenes Kraftfahrzeug im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II handelt.

3. Wenn die aufnehmenden Eltern ihrem erwachsenen Sohn die Kosten der Unterkunft offensichtlich gestundet haben, droht diesem Antragsteller aktuell keine Wohnungslosigkeit und besteht kein Anordnungsgrund.

2.2 – Sozialgericht Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 16. August 2016 (Az.: S 13 AS 941/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wenn bei einer aus insgesamt vier Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft die angemietete, insgesamt 147 qm umfassende Wohnung die unter Bezug auf § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vertretene Angemessenheitsgrenze von 90 qm deutlich übersteigt, dann führt dies nicht per se zu einer Unangemessenheit der geltend gemachten Kosten der Unterkunft.

2. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt insbesondere auf die Kostenangemessenheit im Ergebnis und nicht auf die Angemessenheit einzelner Faktoren ab. Auch bei einer Überschreitung der angemessenen Wohnfläche können – bei einer entsprechend niedrigen Wohnungsmiete – angemessene Unterkunftskosten vorliegen. Hier ist einzig das Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, von entscheidender Bedeutung.

3. Das für die Festlegung der angemessenen Mietobergrenze (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) erforderliche schlüssige Konzept ist fehlerhaft, wenn es an der Bildung und Definition eines Vergleichsraums fehlt. Hier sind in erster Linie die Gegebenheiten am Wohnort der leistungsberechtigten Personen von maßgebender Bedeutung. Ein Umzug in eine andere Kommune, was mit einer vollkommenen Aufgabe des bisherigen sozialen Umfelds verbunden wäre, kann von Leistungsempfänger/innen in der Regel nicht verlangt werden.

4. Bei der Bildung des räumlichen Vergleichsmaßstabs kann es aber – gerade im ländlichen Raum – geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsräume zusammenzufassen, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen – insgesamt betrachtet – homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden.

5. Wenn vom SGB II-Träger ein gesamter Landkreis zum Vergleichsraum erhoben wird, ohne dass der Nachweis eines in sich homogenen Lebens- und Wohnbereichs innerhalb dieser Kommune schlüssig geführt werden kann, dann liegt keine sachgerechte Vergleichsraumbildung vor.

6. Auch in ländlichen Gebieten haben Leistungsempfänger/innen ein zu respektierendes Recht auf Verbleib in ihrem sozialen Umfeld, wobei ihnen durchaus nach einem Wohnungswechsel Anfahrtswege zum sozialen Umfeld zuzumuten sind wie die bei erwerbstätigen Personen (Pendlern) und Schüler/innen der Fall ist.

7. Eine über das Verfahren “Clusteranalyse” durchgeführte Wohnungsmarkttypenbildung ist ungeeignet, um einen Vergleichsraum zur Bildung der Referenzmiete zu begründen, wenn in diesem Rahmen im Wesentlichen nur mietpreisbildende Faktoren eine Berücksichtigung erfahren. Die wichtigeren Kriterien sind hier Erreichbarkeit, verkehrstechnische Verbundenheit und Homogenität. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der Planung und Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs um eine Aufgabe des Landkreises handelt.

8. Angemessenheitsrichtwerte lassen sich nicht lediglich aufgrund von Bestandsmieten ermitteln. Es müssen hier stets auch Angebotsmiete eine Berücksichtigung erfahren. Ein entsprechendes Fehlen macht das vom Jobcenter umgesetzte Bewertungskonzept rechtswidrig.

9. Schließlich hat die Festlegung des abstrakt angemessenen Quadratmeterpreises auch unter Einschluss eines Referenzwertes für die kalten Betriebskosten zu erfolgen. Hier muss eine Datenerhebung von mindestens 10 v. H. des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestands erfolgen.

2.3 – Sozialgericht Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2016 (Az.: S 17 AS 808/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Prüfung der Angemessenheit der Heizkosten entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat getrennt von derjenigen der Bruttokaltmiete zu erfolgen.

2. Ein Anspruch auf Leistungen für Heizung besteht grundsätzlich in Höhe der konkret-individuell geltend gemachten tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind.

3. Bedarfsrelevant sind hier einzig die antragstellerseitig zu leistenden Vorauszahlungen. Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung ist so lange zu bejahen, wie die Kosten unter dem Grenzbetrag eines kommunalen oder des bundesweiten Heizspiegels liegen.

4. Im Fall der Beheizung einer 84 qm großen Vierzimmerwohnung, die von einer allein erziehenden Mutter mit ihrem Kleinkind bewohnt wird, mit strombetriebenen Nachtspeicheröfen ist zur Ermittlung des nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II berücksichtigungsfähigen Bedarfs für Heizung vom aus dem Regelbedarf finanzierten Jahresverbrauch an Strom ein Schätzwert in einer Höhe von 2.800 kWh als Anteil für Haushaltsstrom in Abzug zu bringen.

2.4 – Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 9. August 2016 (Az.: S 33 AS 193/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist von einem erhöhten, nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen anerkennungsfähigen Wohnraumbedarf auszugehen, wenn sich bei einem grundsätzlich allein lebenden Antragsteller regelmäßig auch sein noch minderjähriger, im Übrigen bei der Kindsmutter wohnhafter Sohn aufhält, nämlich jede Woche von Mittwoch ab ca. 17.30 Uhr bis Donnerstag um ca. 7.45 Uhr, von Samstag ab ca. 13.00 Uhr bis Sonntag um ca. 16.00 Uhr sowie während der Hälfte der Schulferien.

2. Diese Tatsachen rechtfertigen es, hier von einem Bestehen einer temporären Bedarfsgemeinschaft auszugehen. An dieser Stelle reicht ein dauerhafter Zustand in der Form, dass ein Kind mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil lebt, d. h. nicht nur sporadische Besuche durchgeführt werden, dafür aus, dass eine Erhöhung der für allein stehende Hilfebedürftige bestehenden Wohnflächengrenze geboten ist.

3. Bei einem entsprechenden Zusammenleben von einem Kindsvater mit seinem minderjährigen Sohn ist allerdings – in ausdrücklicher Abweichung von der für einen Zwei-Personen-Haushalt prinzipiell bestehenden Wohnflächenbegrenzung von 60 qm lediglich eine Wohnfläche von 55 qm als angemessen einzuschätzen.

4. Die Wahrnehmung des grundgesetzlich geschützten Umgangs- und Elternrechts einer hilfebedürftigen Person (Art. 6 Abs. 1 GG) erfordert es hier nicht, dauerhaft den vollen Raumbedarf eines Zwei-Personen-Haushalts als angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufzufassen.

5. Der Anerkennung eines erhöhten Unterkunftsbedarfs steht in solchermaßen gelagerten Fällen – trotz § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II – die Zubilligung eines nur reduzierten zusätzlichen Wohnbedarfs nicht entgegen. Es ist hier unvertretbar, die Maßstäbe durchgängiger Bedarfsgemeinschaften undifferenziert zur Anwendung gelangen zu lassen.

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Sozialgericht Freiburg, Beschluss v. 29.07.2016 – S 7 SO 2727/16 ER – rechtskräftig

Keine vorläufige Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB XII für serbische Staatsangehörige.

Leitsatz (Juris)
1. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die in der Bundesrepublik über kein Aufenthaltsrecht verfügen und keine Asylbewerber sind, haben keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII gilt im Wege des “Erst-recht-Schlusses” auch für Nicht-EU-Ausländer, denen gar kein Aufenthaltsrecht (mehr) zusteht.

2. Die neuere Rechtsprechung des BSG zum Sozialhilfeanspruch für EU-Bürger, denen kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach den europarechtlichen Freizügigkeitsregelungen (mehr) zusteht (Urteile vom 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R = B 4 AS 59/13 R), ist auf Nicht-EU-Bürger ohne Aufenthaltsrecht nicht übertragbar. Denn diese Rechtsprechung basiert auf der Fortwirkung eines ursprünglich bzw. zumindest theoretisch gegebenen Aufenthaltsrechts aufgrund der europarechtlichen Freizügigkeit, in deren Genuss Nicht-EU-Bürger von vorneherein gar nicht kommen können.

3. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII einen Nachrang des deutschen Sozialsystems gegenüber dem des Herkunftslandes des betroffene Ausländer normiert; auch wenn der dortige Standard vom deutschen abweicht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

4.1 – Sozialgericht Landshut, Beschluss vom 17. August 2016 (Az.: S 11 AY 65/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bei einem in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebenden Asylbewerber ist ein Abzug der Kosten für Nachrichtenübermittlung nicht in Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG vorzunehmen.

2. Es ist ausgeschlossen, einzelne Ausgaben regelbedarfsrelevanter Positionen mit der Begründung herauszurechnen, dass nicht jeder Leistungsempfänger jeden Bedarf gleichzeitig hätte, nachdem dieser Ansatz bereits im Rahmen der Bemessung des Regelbedarfs herangezogen wurde.

3. Es bleibt den Leistungsbeziehern überlassen, wie sie ihr soziokulturelles Existenzminimum im Einzelnen ausfüllen, z. B. ob von ihnen wirklich das Internet genutzt wurde und wird.

4. In jedem Einzelfall muss eine gewisse Disponibilität gewährleistet sein, dass leistungsberechtigte Personen durch die eigenverantwortliche Verwendung der pauschalierten Geldleistung einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich ausgleichen können.

5.   Rechtsprechung, Allgemeines und Nützliches zum SGB II und anderen Gesetzesbüchern wie Kindergeld und Rente

5.1 – OVG Sachsen, Beschluss vom 26. Januar 2016 (Az.: 3 B 358/15):

1. Eine unfreiwillige Obdachlosigkeit ist geeignet, die Gesundheit oder gar das Leben desjenigen zu gefährden, der keine Unterkunft hat, und stellt damit eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar.

2. Ihrer gesetzlichen Pflicht, die sich aus der Obdachlosigkeit ergebenden Gefahren zu verhindern, erfüllt die zuständige Behörde durch die Einweisung der einzelnen obdachlosen Person in eine menschenwürdige Unterkunft, die vorübergehend Schutz vor den Unannehmlichkeiten des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt.

3. Örtlich zuständig zur Abwehr der mit der Obdachlosigkeit verbundenen Gefahr für Leben und Gesundheit ist nicht die Gemeinde, in der diese Gefahr erstmals eingetreten ist, sondern die Kommune, in der diese Gefahr aktuell eintritt.

4. Dies ist die Gemeinde, wo der einzelne obdachlose Mensch sich gerade aufhält. Diese Gemeinde kann der Gefahr grundsätzlich am Effektivsten begegnen.

5. Hier ist aber stets der Wille der obdachlosen Person in Bezug auf die Wahl des Ortes des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) und die konkrete Umsetzung dieser Motivation von ausschlaggebender Bedeutung.

6. Auch ein anerkannter Flüchtling kann seinen Aufenthalt im Bundesgebiet frei wählen.

5.2 – Voraussetzungen der Gewährung von PKH

1. Keine PKH-Bewilligung bei unvollständigen Angaben zum Einkommen
Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, wenn der Antragsteller die Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen nur zum Teil und diejenigen zu seinen Vermögenswerten und Wohnkosten vollständig nicht belegt hat und die Angaben zum Einkommen zudem unvollständig sind. Nach den – mit § 2 Abs. 2 der Prozesskostenhilfeformularverordnung (PKHFV) übereinstimmenden – Hinweisen in einer Formblatterklärung sind nur Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII von dem Ausfüllen der Abschnitte E bis J – und demgemäß auch von der Beifügung von Unterlagen zum Beleg dieser Angaben – vorbehaltlich einer ausdrücklichen gerichtlichen Aufforderung befreit, und auch dies nur unter der Voraussetzung, dass sie den aktuellen Bescheid einschließlich des Berechnungsbogens vollständig beifügen.

2. Dieser Hinweis im aktuellen PKH-Formular, wonach Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen die Abschnitte E bis J nicht auszufüllen brauchen, bezieht sich nicht sinngemäß auch auf Leistungen nach dem SGB II.

Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.05.2016, Az.: 18 A 2206/12

Quelle: www.jurion.de

5.3 – BMAS-Verordnung schafft “Zwangsverrentung” ab

Jobcenter sollen nicht mehr auf vorgezogene Altersrente verweisen, wenn Bedürftigkeit droht

BMAS, Pressemitteilung vom 14.09.2016
Quelle: www.juris.de

S. a.: Stefan Sell
“Rente mit 63” – die einen wollen, die anderen müssen, aber auch nicht alle. Die “halbierte” Zwangsverrentung von Hartz IV- Empfängern als Beispiel für eine verirrte Sozialpolitik

Quelle: stefan-sell.com

5.4 – SG Gießen, Urteil v. 14.06.2016 – S 17 R 391/15

Abschlagfreie Altersrente: Berechnung der Wartezeit bei Arbeitslosengeld I-Bezug

Das SG Gießen hat § 51 Absatz 3a Nummer 3 SGB VI für verfassungsgemäß erklärt und entschieden, dass für die Inanspruchnahme einer abschlagfreien Altersrente der Arbeitslosengeld I-Bezug nicht auf die Wartezeit angerechnet werden kann, es sei denn der Bezug war durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des SG Gießen v. 12.09.2016

5.5 – SG Gießen: Keine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei einer Untätigkeitsklage

VV Vorbem. 3 IV RVG

Das Widerspruchsverfahren ist auf Entscheidung in der Sache gerichtet, während die Untätigkeitsklage das Ziel hat, überhaupt eine Entscheidung herbeizuführen. Es handelt sich nicht um dieselbe Angelegenheit. Daher ist eine im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr nicht nach VV Vorbem. 3 IV RVG auf die Verfahrensgebühr für eine auf Erteilung des Widerspruchsbescheids gerichtete Untätigkeitsklage anzurechnen. (von der Schriftleitung bearbeiteter Leitsatz des Gerichts)

SG Gießen, Beschluss vom 01.08.2016 – S 23 SF 48/14, BeckRS 2016, 71369

Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 19/2016 vom 14.9.2016

Praxistipp
Bereits unter der Rechtslage vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG war in der Sozialgerichtsbarkeit streitig, ob bei Untätigkeitsklagen nur eine verminderte Verfahrensgebühr anzusetzen ist (so LSG Hessen BeckRS 2011, 79259 mAnm Mayer FD-RVG 2012, 326718; Beck RS 2012, 69086 einerseits und LSG NRW BeckRS 2008, 56088 andererseits; vgl. auch Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, § 3 Rn. 24).

Das LSG Hessen hat zum neuen Recht in der Entscheidung BeckRS 2016, 69760 (mAnm Mayer FD-RVG 2016, 379783) die Auffassung vertreten, mit der durch das 2. KostRMoG eingeführten Anrechnungslösung habe der Gesetzgeber ebenso wie bei VV 3103 RVG aF die Arbeitsersparnis des Rechtsanwalts pauschal berücksichtigen wollen.

Gegen diesen Ansatz wendet sich das SG Gießen in der berichteten Entscheidung mit zutreffender Begründung und arbeitete heraus, dass es sich bei der Untätigkeitsklage um eine formelle Bescheidungsklage handelt und nennenswerte Synergieeffekte nicht gegeben sind.

rsw.beck.de

5.6 – Rechtsänderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) – von Astrid Radüge, Ri’inLSG bei juris

Rechtsänderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.07.2016 (BGBl I 2016, 1824) hat das SGB II umfangreiche Änderungen erfahren, die nach dessen Art. 4 im Wesentlichen bereits zum 01.08.2016 in Kraft getreten sind. Maßgebliche Zielsetzung ist nach der Gesetzesbegründung eine Rechtsvereinfachung des Leistungsrechts, die Entschärfung der Schnittstelle zwischen der Ausbildungsförderung und der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie eine Verbesserung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Die maßgeblichen Gesetzesmaterialien finden sich in der BT-Drs. 18/8041 und der BT-Drs. 18/8909.

Die nachfolgende Darstellung umfasst nur die wichtigsten Neuregelungen.

www.juris.de

5.7 – BRAK, Nachrichten aus Berlin v. 14.09.2016 Ausgabe 18/2016 v. 14.09.2016 – Änderung der Leistungen für Asylbewerber

Änderung der Leistungen für Asylbewerber

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat einen Referentenentwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorgelegt. Damit sollen die Bedarfssätze aufgrund der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 neu ermittelt werden. Ferner enthält der Entwurf Detailregelungen zu Strom- und Instandhaltungsbedarfen sowie zur Festlegung von Bedarfsstufen. Auch die Abzugsbeträge bei anteiligem Bezug von Sachleistungen sollen angepasst werden. Neu geschaffen werden soll eine Freibetragsregelung für die Anrechnung von Einkommen bei ehrenamtlicher Tätigkeit. Das Gesetz soll bereits zum 1.1.2017 in Kraft treten. Die BRAK wird sich mit dem Gesetzesvorhaben intensiv befassen.

Weiterführender Link:
Referentenentwurf

www.brak.de 

5.8 – Leitfaden zum Asylrecht

Das Internetportal anwalt.org stellt auf seiner Seite einen Leitfaden zum Asyl- und Ausländerrecht zur Verfügung. Die Handreichung richtet sich vor allem an Flüchtlinge und ehrenamtliche Helferinnen. Themen sind unter anderem das Asylverfahren, das Asylbewerberleistungsgesetz und die staatlichen Integrationsangebote.

anwalt.org: Asylrecht in Deutschland (PDF, 10,2 MB)
www.anwalt.org

5.9 – Radiobeitrag im @DLF zu fragwürdigen “Maßnahmen” für HartzIV-Bezieher

Leben mit Schikanen
Bewerbungstrainings, Computerkurse, Eignungsfeststellungen: Jobcenter verpflichten arbeitslose Hartz-IV-Empfänger zu zahlreichen Maßnahmen – auch wenn diese im Einzelfall nicht immer sinnvoll sind. Für die Betroffenen hat das oft schwerwiegende Folgen.

Von Axel Schröder: www.deutschlandfunk.de

Verfassungswidrige Rückwirkung der neuen Wohnsitzauflage nach § 12 a AufenthG als Ergebnis eines übereilten Gesetzesvorhabens

www.migrationsrecht.net

S.a.: Arbeitshilfe “Die neuen Wohnsitzauflagen und ihre sozialrechtlichen Auswirkungen”
tacheles-sozialhilfe.de

5.10 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil v. 23.06.2016 – L 5 KG 1/15 – rechtskräftig

Kindergeldrecht ohne § 6a BKGG – (KG)

Leitsatz (Juris)
1. Kindergeld für sich selbst erhält nicht, wer den Aufenthalt seiner Eltern kennt. Dem steht ein missbräuchliches “sich verschließen” vor der Kenntnis gleich. Maßgeblich zur Abgrenzung gegenüber grob fahrlässig verschuldeter Unkenntnis des Aufenthalts sind die vom BGH entwickelten Kriterien zu § 852 Abs 1 BGB aF. Dabei ist auch auf Prozessbevollmächtigte als sog Wissensvertreter abzustellen.

2. Ein “sich verschließen” liegt vor, wenn der Aufenthalt der Eltern durch eine einfache Nachfrage bei einer Behörde hätte ermittelt werden können. Dies ist etwa der Fall, wenn eine ältere Wohnanschrift bekannt ist und das Einwohnermeldeamt Auskunft erteilen könnte, oder wenn das BAföG-Amt Ermittlungen zum Elterneinkommen durchgeführt und dieses in die BAföG-Berechnung des Kindes eingestellt hat.

3. Der bloße Wunsch, nicht mit den Eltern Kontakt aufnehmen zu müssen, rechtfertigt für sich noch keine Ausnahme von einem “sich verschließen”, wenn die Identität der Eltern bekannt ist. Das gleiche gilt, wenn der Antrag auf Kindergeld an sich selbst gestellt wird, um die Mühen eines Antrags anstelle der Eltern bei gleichzeitigem Abzweigungsantrag zu umgehen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.11 – Einen Schritt vor, zwei zurück [1] – oder wie das Bundesverfassungsgericht Hartz IV-Familien zerstört und das Willkürverbot ad absurdum führt, ein Beitrag von Herbert Masslau

Quelle: www.herbertmasslau.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de