Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Az.: L 8 AY 24/16 NZB

In dem Rechtsstreit

1. xxx
2. xxx
3. xxx
– Kläger und Beschwerdeführer –

4. xxx
– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-4: Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Göttingen, xxx
– Beklagter und Beschwerdegegner –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 23. September 2016 in Celle durch die Richter xxx, xxx und xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde der Kläger zu 1 bis 3 wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. April 2016 zugelassen.

GRÜNDE
I.
Die Kläger zu 1 bis 3 wenden sich gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 8. April 2016, mit dem die auf die Verzinsung einer Nachzahlung von Leistungen nach dem AsylbLG gerichtete Klage abgewiesen worden ist.

Die Kläger wandten sich mit einer am 14. August 2013 beim SG erhobenen Klage gegen die Ablehnung eines auf § 44 SGB X gestützten Überprüfungsantrages, mit dem sie die rückwirkende Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit von Juni 2009 bis Dezember 2010 begehrt hatten (- S 42 AY 86/13 -). Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass höhere Unterkunftskosten zu berücksichtigen gewesen wären. Der Beklagte gab in diesem Klageverfahren mit Schreiben vom 20. Januar 2015 ein von den Klägern zur Erledigung des Rechtsstreits angenommenes Anerkenntnis ab, wonach im streitigen Zeitraum Unterkunftskosten nach “§ 12 WoGG plus 10%” übernommen wurden. In Ausführung des Anerkenntnisses bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 11. März 2015 eine Nachzahlung in Höhe von 1.045,00 €. Den mit Schreiben vom 13. März 2015 gestellten Antrag, die Nachzahlung zu verzinsen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2015 ab.

Am 4. Januar 2016 haben die Kläger hiergegen beim SG Klage erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, dass die Nachzahlung nach § 44 SGB I oder §§ 288, 291 BGB zu verzinsen sei. Mit Urteil vom 8. April 2016 hat das SG der Klage der Klägerin zu 4 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin zu 4 habe im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG gehabt, daher sei die auf sie entfallende Nachzahlung nach Maßgabe des § 44 SGB I zu verzinsen. Demgegenüber fehle eine Rechtsgrundlage für einen Zinsanspruch der Kläger zu 1 bis 3, die Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hätten. § 44 SGB I sei nicht, auch nicht analog anwendbar. Eine Verzinsung nach §§ 288, 291 BGB komme nur in Verfahren nach § 197a SGG in Betracht, wozu das vorliegende Verfahren nicht gehöre. Die Zulassung der Berufung hat das SG abgelehnt.

Gegen das am 20. April 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Mai 2016 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zu 1 bis 3. Sie sind der Auffassung, dass der Rechtsfrage, ob § 44 SGB I auf Nachzahlungen nach dem AsylbLG zumindest analog anwendbar ist, eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG), denn die Berufung gegen das Urteil vom 20. April 2016 bedarf der Zulassung. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Rechtsstreit betrifft zudem keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), auch wenn sich der geltend gemachte Zinsanspruch auf Leistungen für mehr als ein Jahr bezieht (BSG, Beschluss vom 28. Januar 1999 – B 12 KR 51/98 B – juris Rn. 7).

Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Zulassungsgrund vor, die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist. Es muss zu erwarten sein, dass die erstrebte Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Die aufgeworfene Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rn. 28 m.w.N.).

Die Rechtsfrage, ob Leistungen nach dem AsylbLG im Falle der Nachzahlung zu verzinsen sind, ist klärungsbedürftig. Allerdings ist § 44 SGB I nicht direkt anwendbar, denn das AsylbLG ist kein Teil des SGB (vgl. § 68 SGB I) und § 44 SGB I gehört nicht zu den Vorschriften, deren entsprechende Anwendung im Rahmen des AsylbLG gesetzlich angeordnet ist (vgl. § 9 Abs. 3 AsylbLG in der seit dem 1. März 2015 geltenden Fassung; § 7 Abs. 4 AsylbLG in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung). Auch eine analoge Anwendung des § 44 SGB I dürfte mangels planwidriger Regelungslücke (vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie: BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R – juris Rn. 16) nicht in Betracht kommen. Es ist aber nicht geklärt, ob sich ein Zinsanspruch aus der analogen Anwendung des § 291 BGB ergeben kann. Das BSG hat die Rechtsfrage, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Mehrere Revisionsverfahren hierzu endeten, indem sich die Beteiligten im Vergleichswege auf die Zahlung von Prozesszinsen (§ 291 BGB) einigten (BSG, Termin-bericht Nr. 53/13 vom 30. Oktober 2013 zu den Verfahren B 7 AY 8/12 R, B 7 AY 1/13 R, B 7 AY 2/13 R). Im Übrigen geht das BSG davon aus, dass im Anwendungsbereich des AsylbLG allenfalls ein Anspruch auf Prozesszinsen bestehen kann (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 2/12 R – juris Rn. 31), eine Klärung der Rechtslage ist insoweit aber noch nicht eingetreten. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass ein Anspruch auf Prozesszinsen in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile anerkannt ist (einen Zinsanspruch ablehnend: Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 26. November 2014 – L 9 AY 70/12 – juris Rn. 61).

Die dargestellte Rechtsfrage dürfte im vorliegenden Verfahren auch entscheidungserheblich und damit klärungsfähig sein.

Mit der Zulassung der Berufung wird das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt, der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (145 Abs. 5 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsverfahren vorbehalten (Leitherer, a.a.O., § 145 Rn. 10).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).