Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2016

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 18.05.2016 – L 5 AS 168/16 B ER – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
1. Der Widerspruch gegen einen Versagungsbescheid über die Leistungen nach dem SGB II bei fehlender Mitwirkung im Rentenantragsverfahren hat aufschiebende Wirkung.

2. Weil beim Rentenversicherungsträger ein Antrag auf Vorschussleistungen gestellt werden kann, entfällt in der Regel der Anordnungsgrund im auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gerichteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 16.08.2016 – L 4 AS 225/16 B ER – rechtskräftig

Zur Übernahme der Unterkunftskosten bei nur gelegentlich selbst genutztem Wohnraum (hier bejahend).

Leitsatz (Juris)
1. Für die Frage, ob eine Mietwohnung tatsächlich in dem Umfang genutzt wird, dass die hierfür anfallenden Kosten einen Bedarf iSv § 22 Abs 1 SGB II begründen, kommt es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die aktuellen tatsächlichen Verhältnisse sowie auf eine Prognose für den streitgegenständlichen – künftigen – Leistungszeitraum. Die Verhältnisse in der (jüngeren) Vergangenheit haben allenfalls indizielle Bedeutung.

2. Dabei steht der Annahme eines hinreichenden Nutzungsumfangs nicht grundsätzlich entgegen, dass der Leistungsberechtigte mit einer aktuell intensivierten Wohnungsnutzung (auch) auf eine diesbezügliche rechtliche Auseinandersetzung mit dem SGB II-Leistungsträger reagiert hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 24.08.2016 – L 6 AS 487/13

Leitsatz (Juris)
In das vom Gesetzgeber als Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums festgelegte Anspruchsniveau darf ohne gesetzliche Grundlage nicht eingegriffen werden. Eine analoge Anwendung der Sanktionsbestimmung des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung auf ein Zuwiderhandeln gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt scheidet aus.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 25.08.2016 – L 7 AS 432/15

Bewilligung einer Mietkaution als Zuschuss anstelle einer darlehensweisen Bewilligung (hier verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei Fehlen atypischer Umstände ist gem. § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II das Jobcenter nicht für verpflichtet, Leistungen als Zuschuss zu erbringen oder Ermessen auszuüben.

2. Weder ein zu erwartender längerfristiger Leistungsbezug noch das Fehlen von Eigenmitteln noch die zu erwartende Aufrechnung nach § 42a SGB II begründen hier eine Atypik.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die darlehensweise Bewilligung von Leistungen zur Deckung einer Mietkaution hat der Senat nicht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 12.09.2016 – L 7 AS 1605/16 B – rechtskräftig

Leitsatz (Redakteur)
Wenn sich der Leistungsberechtigte gegen eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wendet, handelt es sich um eine Klage, die im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft (vergl. Urteil vom 29.01.2015 – L 7 AS 1306/14).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
a. A. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss v. 20.06.2016 – L 9 AS 318/16 B

1.6 – LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2016 (Az.: L 19 AS 1085/16 B):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die aus dem eine Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ersetzenden Verwaltungsakt (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II a. F. – § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n. F.) hervorgehende Regelung zu den zur Eingliederung ein Arbeit von einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten durchzuführenden Anstrengungen ist rechtswidrig, wenn dort nur die sich aus § 2 SGB II (Grundsatz des Forderns) ergebende Arbeitsobliegenheit eines Leistungsempfängers umschrieben wird, ohne dass das Jobcenter an dieser Stelle auch die individuellen Verhältnisse des Alg II-Empfängers näher berücksichtigt.

2. Amtlicherseits sind hier stets individuelle, konkrete und verbindliche Leistungsangebote zur Eingliederung in Arbeit als grundsätzlich notwendige Bestandteile einer solchen Verfügung mit aufzunehmen.

3. Ein Fehlen der in § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a. F. (§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II n. F.) geforderten Konkretisierungen der Obliegenheit zur Umsetzung von Eigenbemühungen führt dazu, dass dieser Verwaltungsakt als nicht inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X aufzufassen ist.

4. Vom Jobcenter sind hier jeweils z. B. die Häufigkeit der von leistungsberechtigten Personen dem SGB II-Träger gegenüber nachzuweisenden Bewerbungsbemühungen, die Art der Bewerbungen (schriftlich, digital, telefonisch) sowie die bestehenden Zumutbarkeitskriterien (Bewerbung auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen, bei Zeitarbeitsfirmen, auf geringfügige, an- und ungelernte Tätigkeiten) näher zu bezeichnen.

1.7 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 07.07.2016 – L 4 AS 123/15

Aufhebung und Erstattung von SGB II-Leistungen – Beweislastumkehr – Aufbewahrung der Kontoauszüge – Mitwirkung (hier rechtens)

Leitsatz (Redakteur)
1. Zwar liege die objektive Beweislast der Rechtmäßigkeit der Aufhebung und der Erstattungsforderung grundsätzlich bei dem Jobcenter. Es komme im vorliegenden Fall aber zu einer Beweislastumkehr. Diese habe das Bundessozialgericht für tatsächliche Fallgestaltungen anerkannt, in denen der Gegner der beweisbelasteten Partei den Beweis vereitelt oder erschwert habe oder die Beweisführung unmöglich sei, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich des Gegners abgespielt hätten und dieser an der ihm möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht mitgewirkt habe (Urteil vom 10.9.2013, B 4 AS 89/12 R).

2. Es ist zwar richtig, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, seine Kontoauszüge aufzubewahren. Dies führt dann allerdings im Falle der Nichterweisbarkeit einer Tatsache dazu, dass der Kläger die diesbezügliche Beweislast trägt und die Nichterweisbarkeit zu seinen Lasten geht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. zu § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist eine Beweislastumkehr gerechtfertigt – LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 07.03.2016 – L 1 AS 296/15; BSG, Urteil vom 15.6.2016 – B 4 AS 41/15 R, Rz. 30-31 – Beweislastentscheidung zu Lasten des Leistungsberechtigten

1.8 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 02.09.2016 – L 16 AS 144/16 NZB

Zur Frage, ob ein Betriebskostenguthaben lediglich im Monat nach der Rückzahlung anzurechnen sei.

Ein Betriebskostenguthaben, welches eine monatliche Mietzahlung übersteigt, ist durch eine Anrechnung auf mehrere Monate zu verteilen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Diese Frage stellt keine ungeklärte Rechtsfrage dar

2. Das BSG geht von einer vollständigen Anrechnung des Betriebskostenguthabens aus, da Sinn und Zweck des Gesetzes die vollständige Berücksichtigung des Einkommens ist. Dies kann bei Beträgen, die eine monatliche Mietzahlung übersteigen, nur durch eine Anrechnung, die auf mehrere Monate verteilt wird, erreicht werden. Dies entspricht auch dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Das Urteil vom 16.05.2012, B 4 AS 132/11 R bestätigt diese Auffassung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. dazu auch Thüringer Landessozialgericht, Urteil v. 20.07.2016 – L 4 AS 225/14 – rechtskräftig – Übersteigt das Guthaben – wie hier – die Aufwendungen des Folgemonats, erfolgt die Anrechnung des übersteigenden Betrages bis zur vollständigen Abschmelzung des Gesamtrückzahlungsbetrages in den darauffolgenden Monaten.

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urteil v. 09.09.2016 – S 29 AS 4295/13

Keine Anrechnung von Zinsen aus Opferentschädigungsleistungen als Einkommen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die monatliche Grundrente nach dem OEG i.V.m. dem BVG ist gem. § 11a Abs. 1 Nr. 2 SGB II nicht zu berücksichtigten. Entsprechendes gilt für die Nachzahlung der Grundrente.

2. Die Zinsen auf die nachgezahlte Grundrente gem. § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) sind ebenfalls nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

3. § 11a SGB II zielt darauf ab, bestimmte Einnahmen aus systematischen oder sozialpolitischen Gründen zu privilegieren. Die Privilegierung der Grundrente nach dem OEG iVm dem BVG gem. § 11a Abs. 1 Nr. 2 SGB II erfolgt aus sozialpolitischen Gründen. Den OEG-Leistungen kommt eine besondere Stellung deshalb zu, weil sie eine Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität darstellen und Mehraufwendungen ausgleichen soll, die der Geschädigte infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.10.2013, B 14 AS 58/12 R m.w.N.).

4. Ist die Hauptleistung privilegiert, muss dies auch für die Zinsen gelten (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2016, L 9 AS 4918/14). Im vorliegenden Fall resultierten die Zinsen aus OEG-Leistungen, die privilegiert sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Sozialgericht München, Gerichtsbescheid v. 10.08.2016 – S 13 AS 2433/14 – rechtskräftig

Streit über Rechtmäßigkeit eines Aufhebungsbescheids

Leitsatz (Juris)
1. An eine rechtmäßige Rechtsfolgenbelehrung sind auch formale Anforderungen zu stellen. Bei einer Minderung in Höhe von mindestens 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs hat der Leistungsträger eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Miete an den Vermieter direkt überwiesen wird. (amtlicher Leitsatz)

2. Eine Rechtsfolgenbelehrung erfüllt ihre Warnfunktion nicht, wenn sie formal in einer Schriftgröße gehalten ist, die deutlich unterhalb der Schriftgröße des übrigen Schreibens liegt.

3. Es bedarf einer Entscheidung über die Direktüberweisung des § 31a Abs. 3 Satz 3 SGB II. Das Abweichen vom Regelfall ist zu begründen. (Orientierungssatz des Gerichts)

4. Der soziale Schutzzweck, aus dem die Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung hergeleitet werden, spielt bei existenzsichernden Sozialleistungen, wie denen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, typischerweise eine noch größere Rolle als bei den klassischen Leistungen des Arbeitsförderungsrechts. (redaktioneller Leitsatz)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – SG Würzburg, Beschluss v. 22.09.2016 – S 16 AS 391/16 ER

Einstweiliger Rechtsschutz – Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Darlehen für Stromschulden – Energiekostenrückstand – Sperre Stromanschluss – Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorger wurde vom Antragsteller nicht eingehalten – minderjähriges Kind im Haushalt – Folgenabwägung

Zur Frage im einstweiligen Rechtschutz, ob Stromschulden darlehnsweise durch das Jobcenter zu übernehmen sind, wenn diese durch den Antragsteller vorgerufen wurden durch die Nichteinhaltung der Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorger und der Stromanschluss gesperrt ist.

Leitsatz (Redakteur)
1. Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs 8 Satz 2 SGB II kann nur erfolgen, wenn diese objektiv geeignet ist, die derzeit bewohnte Wohnung als Unterkunft langfristig und dauerhaft zu sichern, der Leistungsberechtigte seine zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und zudem Wohnungslosigkeit droht (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 17.02.2016 – L 4 AS 345/15 B ER).

2. Hier ist die Sperrung nicht nur angekündigt, sondern bereits durchgeführt. Dies entspricht jedenfalls in der Situation der Bedarfsgemeinschaft (BG) des Ast. mit einem minderjährigen Kind einer Wohnungslosigkeit i. S. v. § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II (vgl. hierzu Beschluss des LSG NRW, v. 25.05.2016 – L 7 AS 580/16 B ER).

3. Die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung des Vermieters des Ast. steht der Gewährung eines Darlehens nicht entgegen, denn der Ast. und seine Tochter können nicht darauf verwiesen werden, auf Strom verzichten zu müssen.

4. Da bereits eine Stromsperre besteht, erscheint zum jetzigem Zeitpunkt ein Anbieterwechsel als nicht aussichtsreich (vgl. SG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015 – S 37 AS 26006/15 ER).

5. Da ein minderjähriges Kind im Haushalt lebt, ist im Rahmen der Folgenabwägung eine Versorung mit Strom sicherzustellen, insbesondere auch um eine Beleuchtung in der dunklen Jahreszeit und das Zubereiten der Mahlzeiten sicherzustellen.

Quelle: RA Volker Albrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Anwaltskanzlei Hörnlein & FeylerKasernenstraße 14, D-96450 Coburg

2.4 – SG Mainz, Gerichtsbescheid v. 14.06.2016 – S 14 AS 57/16

Auswirkung der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts per Fax auf die Klagefrist

Eine gefestigte Rechtsprechung zur Frage, ob ein Fax die Zustellfiktion auslöst, existiert nicht.

Leitsatz (Juris)
Die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 2 SGB X gilt nicht bei einem per Fax übermittelten Verwaltungsakt. Es handelt sich hierbei nicht um eine elektronische Bekanntgabe sondern um eine schriftliche Bekanntgabe auf sonstige Weise. Dies ist bei der Berechnung der Klagefrist (§ 87 Abs. 2 SGG) zu beachten. Da die Frage derzeit durchaus noch unterschiedlich beurteilt wird, entspricht es anwaltlicher Vorsicht, die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe durch Fax zu erheben.

Quelle: www2.mjv.rlp.de

Rechtstipp:
Ebenso: SG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2016 – S 26 AS 26429/14

2.5 – SG Mainz, Urteil v. 23.08.2016 – S 4 AS 921/15

Hartz IV-Empfänger muss Pflichtteil aus Berliner Testament geltend machen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein “Hartz IV”-Empfänger muss im Falle eines Berliner Testaments seinen Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Erstverstorbenen dann geltend machen, wenn ausreichend Barvermögen vorhanden ist, um den ausgeschlossenen Erben auszuzahlen.

2. Das Jobcenter könne zwar im Falle eines Berliner Testaments von einem Leistungsempfänger grundsätzlich nicht verlangen, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Das sei nicht zumutbar, weil damit der ausdrücklich vereinbarte Wille der Eltern unterlaufen würde. Eine Ausnahme gelte jedoch, wenn ausreichend Barvermögen vorhanden sei, um den ausgeschlossenen Erben auszuzahlen, ohne dass z.B. ein Grundstück verkauft oder beliehen werden müsse.

Quelle: Pressemitteilung des SG Mainz Nr. 13/2016 v. 27.09.2016: www2.mjv.rlp.de

Rechtstipp:
BSG, Urteil vom 6.5.2010, B 14 AS 2/09 R – Die Verwertung eines Pflichtteilsanspruchs, der aus einem Berliner Testament resultiert, bedeutet eine besondere Härte, wenn der Anspruch nur durch eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung des begünstigten Elternteils zu realisieren ist.

2.6 – SG Dortmund, Urteil v. 19.09.2016 – S 19 AS 1803/15

Hartz IV: Leistungsbegrenzung wegen unangemessener Wohnkosten für Hauseigentümer nur nach vorheriger Kostensenkungsaufforderung

Leitsatz (Redakteur)
Das Jobcenter muss die Kosten für die Erneuerung einer defekten Gasheizung ungeachtet der Frage der Angemessenheit der Wohnkosten tragen, wenn es zuvor der langzeitarbeitslosen Hauseigentümerin keine Kostensenkungsaufforderung zugestellt hat.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dortmund v. 26.09.2016

Rechtstipp:
BSG, Urteil vom 18.9.2014, B 14 AS 48/13 R – Unabweisbare Aufwendungen für die Instandsetzung oder Instandhaltung von selbst bewohntem Wohneigentum sind auch vor dem 1.1.2011 als Bedarf für die Unterkunft anzuerkennen und vorbehaltlich einer Kostensenkungsaufforderung nicht auf die Höhe der angemessenen Aufwendungen begrenzt – Eine Kostensenkungsaufforderung ist auch erforderlich bei Wohnungseigentümern.

Zwar ist am 01.01.2011 die heutige Fassung des § 22 Abs. 2 SGB II in Kraft getreten. Durch das In-Kraft-Treten von § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II hat sich jedoch nichts an dem Erfordernis einer Kostensenkungsaufforderung geändert (so wohl auch Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, Bd. 2, 50. Ergänzungslieferung Oktober 2012, § 22 Rn. 188; offen gelassen von Sozialgericht [SG] Leipzig, Beschluss vom 21.01.2016, S 22 AS 4239/15 ER).

Volltext der Entscheidung: sozialgerichtsbarkeit.de

2.7 – Sozialgericht Karlsruhe, Gerichtsbescheid v. 26.08.2016 – S 14 AS 3067/15

Lernförderung, Nachhilfekosten, wesentliches Lernziel, Förderschule, § 28 SGB II

Zur Kostenübernahme für Nachhilfe in Mathematik (hier verneinend) – Besuch der Förderschule aufgrund Erkrankung Dyskalkulie

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Klägerin besucht aufgrund ihrer Dyskalkulie die Förderschule. Diese ist vorrangig zuständig zur bedarfsgerechten Förderung im Bereich Mathematik.

2. Nur wenn das wesentliche Lernziel allein durch die Förderung der Schule gefährdet / nicht erreicht wird, kann die Lernförderung im Rahmen des § 28 Abs. 5 SGB II überhaupt eingreifen. Die Förderung durch die Schule im Bereich Mathematik war jedoch hier ausreichend für die Erreichung der durch die Schule individuell festgelegten wesentlichen Lernziele.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

3.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 29.06.2016 – L 2 AL 57/15

Zur Bewilligung eines Gründungszuschusses (hier verneinend) – Ermessensausübung – Ermessensreduzierung auf Null

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei der Entscheidung über die Bewilligung eines Gründungszuschusses darf die Agentur für Arbeit im Rahmen ihres Ermessens der Vermittlung in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis Vorrang vor der Förderung einer selbständigen Existenzgründung einräumen.

2. Beim Anspruch nach § 57 SGB III a.F. kann eine Ermessensreduzierung in der Regel nur dann angenommen werden kann, wenn eine Selbstbindung im Einzelfall entweder durch eine entsprechende mündliche Zusage (vgl. SG Regensburg, Urteil vom 18. Dezember 2013 – S 16 AL 38/12) eingetreten ist oder wenn es sich bei der von der Klägerin aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2015 – L 13 AL 1924/14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2013 – L 18 AL 5/13 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 01.09.2016 – L 4 SO 49/15 ZVW

§ 34 Abs. 1 SGB XII a. F. – Direktzahlung an den Vermieter – Zweifel an der zweckentsprechenden Verwendung der Leistungen (hier bejahend) – § 35 Abs. 1 S. 4 SGB XII

Zur Zahlung von Sozialhilfeleistungen in Form einer Mietschuldenübernahme an die Eigentümerin der vom Kläger bewohnten Wohnung (hier verneinend)

Eine Direktzahlung der Unterkunftskosten an den Vermieter ist bei konkreter Gefahr der zweckwidrigen Mittelverwendung geboten.

Leitsatz (Redakteur)
1. Weder § 34 Abs. 1 SGB XII a.F. noch § 36 Abs. 1 SGB XII enthalten – anders als noch § 15a BSHG – eine Ermächtigung zur Auszahlung der Leistungen an Dritte.

2. Die Direktzahlung der Leistung an die Vermieterin ohne Einverständniserklärung des Klägers kann sich jedoch auf § 29 Abs. 1 Satz 6 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) bzw. nunmehr auf § 35 Abs. 1 Satz 3 – 5 SGB XII (seit der Fassung vom 24.3.2011) stützen. Diese Bestimmungen finden als allgemeine, die Leistungen für die Unterkunft regelnde Bestimmung auch im Rahmen der Mietschuldenübernahme Anwendung.

3. Hintergrund für diese Regelung ist, dass die Sicherung der Unterkunft gefährdet sein kann, falls der Leistungsberechtigte Leistungen des Sozialhilfeträgers für die Unterkunft nicht an den Vermieter weiterleitet. Die Vorschrift ist restriktiv auszulegen ist, da sie die Gefahr einer Entmündigung der Hilfebedürftigen in sich trägt bzw. zumindest die Gefahr, vom Hilfebedürftigen entsprechend wahrgenommen zu werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 – L 12 AS 2016/11). Erforderlich ist deshalb das Bestehen einer konkreten Gefahr der Nichtweiterleitung an den Vermieter.

4. Auch bei restriktiver Auslegung sind die Voraussetzungen für eine Direktzahlung an die Vermieterin hier erfüllt. Die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen durch den Kläger war nämlich nicht sichergestellt (Bestehen von Mietrückständen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen – § 35 Abs. 1 S. 4 SGB XII).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 01.09.2016 – L 4 SO 65/15

Leitsatz (Redakteur)
§ 30 SGB XII a.F. sieht für Träger des Merkzeichens “H” keinen zusätzlichen und gesonderten Mehrbedarf vor.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. August 2016 (Az.: L 9 SO 124/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der Bemessung des persönlichen Budgets gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB IX in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 2 SGB IX für die Betreuung einer seelisch wesentlich behinderten Person (§ 3 Eingliederungshilfe-Verordnung) ist maßgeblich darauf abzustellen, welchem Anforderungsprofil die erforderliche Hilfsperson im Einzelnen zu entsprechen hat. Hier müssen nicht nur Schwierigkeiten bei der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten wie z. B. bei der Begleitung zum Einkaufen oder zum Arzt, sondern insbesondere auch die Besonderheiten des jeweiligen Krankheitsbildes der betreuungsbedürftigen Person eine eingehende Berücksichtigung erfahren. Dies gilt gerade bei einer Betroffenheit mit einem vielschichtig schwierigen psychiatrischen Krankheitsbild.

2. In einem solchen Fall können die erforderlichen Assistenzleistungen nicht durch studentische Aushilfen bzw. Minijobber ohne spezifische Kenntnisse und Erfahrungen durchgeführt werden, auch wenn es sich bei den erforderlichen Hilfeleistungen grundsätzlich um einfache handwerkliche Arbeiten handelt. Für eine solche Assistenzkraft ist ein Stundenlohn in einer Höhe von EUR 13,61 (Arbeitnehmer-brutto) bzw. EUR 15,64 (Arbeitgeber-brutto) vertretbar.

Hinweis: Bundesverfassungsgericht stärkt Menschen mit Behinderung beim Streit ums Persönliche Budget: www.aerztezeitung.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Dortmund, Urteil v. 20.09.2016 – S 62 SO 403/16

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Sozialhilfe – Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2

Sozialhilfe für arbeitssuchende EU-Bürger: Auch SG Dortmund stellt sich gegen BSG-Urteil

Leitsatz (Juris)
1. § 21 S 1 SGB 12 gilt auch für erwerbsfähige Unionsbürger, die nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sind.

2. Die vom BSG vorgenommene Auslegung des § 23 SGB XII hat zur Folge, dass in den ersten drei Monaten ein gebundener Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlichem Umfang besteht, vom vierten bis zum sechsten Monat nur ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, und nach Ablauf von insgesamt sechs Monaten eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf eine Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlichem Umfang. Ein solches Ergebnis erscheint kaum nachvollziehbar.

3. Ein Aufenthaltsrecht aus § 7 Abs. 1 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes oder § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aufgrund einer angekündigten Eheschließung setzt voraus, dass sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die Eheschließung zeitnah bevorsteht, d.h. dass der Eheschließungstermin feststehen oder jedenfalls verbindlich bestimmbar sein muss.

4. Dass der Gesetzgeber mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

5. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2. Die Situation eines Asylbewerbers ist nicht mit der eines EU-Bürgers vergleichbar. Während ein Asylbewerber, der sich auf eine politische Verfolgung in seinem Heimatland beruft, regelmäßig nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, ist dies dem EU-Bürger, der von seinem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche Gebrauch gemacht hat und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, grundsätzlich ohne weiteres möglich.

6. Für eine Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren besteht nur dann Raum, wenn dem erkennenden Spruchkörper eine Klärung der Sach- und Rechtslage in der in diesem Verfahren zur Verfügung stehenden Zeitspanne nicht möglich ist.

7. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Ihr Geltungsanspruch über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist der Rechtsprechung der an diesem Verfahren nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht beteiligten Revisionsinstanz keine weitergehende Bindungswirkung einzuräumen, als ihr im Übrigen zukommt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 01.09.2016 – L 4 AY 1/15

Zur Frage, ob der Klägerin im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rückwirkend höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren sind (verneinend hier) – Selbstabmeldung aus dem Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG

Leitsatz (Redakteur)
1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts scheidet eine Nachzahlung von Leistungen nach dem AsylbLG aus, wenn die Bedürftigkeit inzwischen vorübergehend oder auf Dauer entfallen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9.6.2011 – B 8 AY 1/10 R unter Berufung auf das Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 16/08 R; Urteil vom 20.12.2012 – B 7 AY 4/11 R und Urteil vom 26.6.2013 – B 7 AY 3/12 R).

2. Die Bedürftigkeit der Klägerin war hier entfallen und zwar unabhängig davon, über welchen Aufenthaltsstatus sie zum damaligen Zeitpunkt verfügte bzw. bis heute verfügt und aus welchem Gesetz sich deshalb der Maßstab für die Bedürftigkeitsprüfung ergibt. Denn sowohl nach dem AsylbLG als auch nach dem SGB XII und dem SGB II ist Voraussetzung für die Hilfebedürftigkeit, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht auseichend aus eigenen Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann (§ 7 Abs. 1 AsylbLG, § 19 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII, § 9 Abs. 1 SGB II).

3. Sind mangels durchgehender Bedürftigkeit der Klägerin vom Beklagten Leistungen rückwirkend nicht zu erbringen, so besteht unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsentscheidungen für die streitgegenständlichen Zeiträume kein Anspruch auf Rücknahme dieser Bewilligungsentscheidungen nach § 44 Abs. 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 16/08 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 13.09.2016 – L 8 AY 21/16 B ER

Erfolglose Beschwerde gegen Nichtgewährung von Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz – die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 3 AsylbLG lagen nicht vor

Leitsatz (Redakteur)
Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG ist über einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu suchen. Der Antrag ist auf die Verpflichtung der zuständigen Asylbehörde zur Gewährung uneingeschränkter Leistungen nach dem AsylbLG gerichtet.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.   Verschiedenes zu Hartz IV und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – Flüchtlingskrise und Justiz “Jede staatliche Leistung steht unter Vorbehalt” – Interview mit dem Präsidenten des BSG Rainer Schlegel

Flüchtlingskrise und Justiz

“Jede staatliche Leistung steht unter Vorbehalt”
Der neue Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, über Flüchtlinge, Deutschlands soziale Standards und seine Leistungsfähigkeit sowie über Kameras in Gerichtssälen.

Lesen: www.faz.net

7.2 – SGB II Leistungen auch bei Klage gegen Erteilung nur des subsidiären Schutzes: Klärung auf Bundesebene

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat sich nach Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) über die strittige Rechtsfrage positioniert.

Bei sog. gespaltenen Behördenentscheidungen (z.B. Ablehnung Asyl bzw. Flüchtling und gleichzeitige Anerkennung subsidiärer Schutz) wird der Wechsel durch die positive Entscheidung der Behörde (Anerkennung subsidiärer Schutz) ausgelöst. Rechtsmittel gegen den negativen Teil der Entscheidung (z.B. Ablehnung Asyl, Ablehnung der Anerkennung als Flüchtling) der Behörde haben keine Auswirkungen auf den Rechtskreiswechsel.

Das bedeutet, dass in den Fällen der Anerkennung von subsidiärem Schutz ab dem Ablauf des Monats der Bekanntgabe (Zugang des BAMF-Bescheides) die Leistungsberechtigung im AsylbLG entfällt. Betroffene sind dann leistungsberechtigt im SGB II.

Insofern ist die bisherige Rechtsauffassung der Bundesagentur für Arbeit und der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland, dass bei Einlegung von Rechtsmitteln erst nach der gerichtlichen Entscheidung der Rechtskreiswechsel stattfindet, nicht mehr anzuwenden. Die aktuelle Rechtsauffassung ist ab sofort anzuwenden.

Sollten etwaige Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X beim Träger des Asylbewerberleistungsgesetzes angemeldet worden sein, so sind diese nicht weiter zu verfolgen.

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Vogt
Leiter des Referates 641-2 Grundsatzfragen der Sozialhilfe, Leistungsrecht SGB II

7.3 Vom Kämpfen und Klagen gegen das Jobcenter – “Menschen am Siedepunkt” – “Ich würde zuschlagen, wenn ich könnte”

Quelle: www.sueddeutsche.de

7.4 – Wohnsitzregelung / SGB II: Weisung BMAS, BA – Claudius Voigt, GGUA

Gestern ist ein Rundschreiben des Bundesarbeitsministeriums / der Bundesagentur für Arbeit erschienen, das bundeseinheitliche Regelungen zur Zuständigkeit der Jobcenter in Zusammenhang mit Wohnsitzauflagen nach § 12a AufenthG enthält. In allen Fällen, in denen Betroffene entgegen einer Wohnsitzauflage an einen anderen Ort umgezogen sind, müssen zumindest vorläufige Leistungen analog § 43 SGB I für in der Regel sechs Wochen erbracht werden, in besonderen Fällen auch länger. Die Höhe der vorläufigen Leistungen müssen sich “an den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II orientieren”.

“Normalfälle” (ab dem 1. Oktober anerkannt):
Neu erteilte Aufenthaltserlaubnisse sollen ab dem 1. Oktober standardmäßig im elektronischen Aufenthaltstitel (eAT) und auf einem Beiblatt Angaben zum Bestehen einer Wohnsitzauflage enthalten. Wenn bei ab jetzt anerkannten Schutzberechtigten im Aufenthaltstitel oder auf dem Beiblatt keine Wohnsitzauflage vermerkt ist, existiert diese somit auch nicht und sie sind bundesweit freizügigkeitsberechtigt und leistungsberechtigt.

“Übergangsfälle”(zwischen dem 6. August und dem 30. September anerkannt):
Falls ein SGB II-Antrag in einem anderen Bundesland gestellt wird, als in demjenigen, wo auch das Asylverfahren durchlaufen wurde, muss das Jobcenter bei der Ausländerbehörde anfragen, ob eine Wohnsitzauflage besteht. Falls die Ausländerbehörde nicht innerhalb von vier Wochen antwortet, gilt die “Vermutung”, dass keine Wohnsitzauflage besteht.

“Altfälle” (zwischen dem 1. Januar und dem 5. August anerkannt):
Auch hier muss die ABH angefragt werden, wenn ein SGB-II-Antrag in einem anderen Bundesland als dem der asylrechtlichen Zuweisung gestellt wird. Die Frist für eine Antwort der ABH soll ebenfalls max. vier Wochen betragen, ansonsten gilt die Vermutung, dass keine Wohnsitzauflage existiert.

Für die Fälle, dass auch der Umzug in ein anderes Bundesland bereits vor dem 6. August 2016 erfolgt ist, haben einige Bundesländer bereits die “Rückwirkung” der Wohnsitzregelung ausgeschlossen, unserer Kenntnis nach bislang Niedersachsen und Berlin (S. 106ff); NRW zumindest “in der Regel” dann, wenn schulpflichtige oder kleinere Kinder betroffen wären oder bereits ein Integrationskurs begonnen wurde. Das BMAS verweist dabei ausdrücklich auf die Möglichkeit der Bundesländer, in den Rückwirkungsfällen eine pauschale Regelung treffen zu können, nach der “die zuständige Landesregierung die Jobcenter darüber informiert hat, dass in den Altfällen eine Rückfrage bei der zuständigen ABH nicht geboten ist” – also die Wohnsitzauflage in dem jeweiligen Bundesland in Rückwirkungsfällen automatisch erloschen oder als geändert gilt.

Nach einer Bund-Länder-Besprechung vom 13. September besteht zudem unter allen Bundesländern Einigkeit, dass stets von einem Härtefall auszugehen sei, wenn jemand
“zwischen dem 1.1.2016 und 6.8.2016 (Inkrafttreten des Integrationsgesetzes) im Vertrauen auf den Fortbestand des in dieser Zeit geltenden Rechtszustands rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Bundesland verlagert hat; es wird vermutet, dass durch einen Rückumzug eine bereits begonnene Integration unterbrochen würde. Die betroffene Person unterliegt einer neuen Wohnsitzverpflichtung in dem Bundesland, in dem sie ihren Wohnsitz begründet hat.”

Insofern ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass sämtliche Bundesländer zwecks Verwaltungsvereinfachung die oben genannte Möglichkeit einer Globalentscheidung nutzen werden, nach der die Wohnsitzauflage in Altfällen und einem Umzug vor dem 6. August aus Gründen des Vertrauensschutzes, des Verhältnismäßigkeitsprinzips, des Kindeswohls usw. nicht anwendbar sein kann.

Apropos Verwaltungsvereinfachung: Das BMAS-Rundschreiben enthält ein Prüfschema für die Jobcenter, anhand dessen die Zuständigkeit im Falle einer Wohnsitzauflage ermittelt werden soll.

7.5 – Zugang Arbeitsmarkt und Leistungen des SGB II/III für Ausländer/innen

Die gemeinsam von der Agentur für Arbeit Osnabrück und dem Caritasverband f.d. Diözese Osnabrück e.V. herausgegebene tabellarische Übersicht über Zugänge von Ausländer/innen zum Arbeitsmarkt und zu Leistungen des SGB II/III liegt nunmehr in der aktualisierten Fassung vor. Die Aktualisierung berücksichtigt aktuellen rechtlichen Änderungen.

Hier geht es zum Download: www.nds-fluerat.org

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de