Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2016

1.   Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung (SGB II)

1.1 – BVerfG, Beschluss v. 04.10.2016 – 1 BvR 1704/16

Formularmäßig erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das SGB II-Rechtsvereinfachungsgesetz unzulässig

Wer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erheben will, muss konkret darlegen, inwiefern das Gesetz bereits für den Beschwerdeführer unmittelbar, selbst und gegenwärtig eine Verletzung in Grundrechten bewirkt. Das gilt auch bei Nutzung einer im Internet verfügbaren „Vorlage“ für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit eine unmittelbar gegen das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Rechtsvereinfachungsgesetz) gerichtete, formularmäßig erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Pressemitteilung Nr. 76/2016 vom 26. Oktober 2016
Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Elterngeld

2.1 – BSG, Urteil v. 27.10.2016 – B 10 EG 5/15 R

Für das Elterngeld sind auch Verluste “Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit”

Hinweis Gericht
Auch Verluste aus einer selbstständigen Tätigkeit sind Einkommen im Sinne des Elterngeldrechts und können zur Verschiebung des Bemessungszeitraums für das Elterngeld führen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.09.2016 – L 7 AS 484/16 B ER

Leitsatz (Juris)
1. Der Antrag auf aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage umfasst auch die Anordnung über die Aufhebung der Vollziehung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG.

2. Ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII beim Sozialhilfeträger wirkt auch als Antrag auf Arbeitslosengeld II nach § 37 SGB II gegenüber dem Grundsicherungsträger.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 11. Senat, Urteil vom 27.09.2016, L 11 AS 1004/14

Leitsatz (Juris)
Der Anspruch auf Erstattung von vorläufig gewährten Leistungen (§ 328 Abs 3 Satz 2 SGB III) unterliegt nicht der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.3 – Thüringer Landessozialgericht, Urteil v. 18.08.2016 – L 9 AS 366/15 – rechtskräftig

Kosten der Unterkunft; Aufteilung nach Kopfteilen – wehrdienstleistender Sohn – zur fehlenden Haushaltszugehörigkeit eines 200 km von der Wohnung der Eltern entfernt Wehrdienstleistender

Leitsatz (Redakteur)
Keine Berücksichtigung eines Grundwehrdienst leistenden Familienangehörigen bei der Aufteilung der Kosten der Unterkunft nach Kopfteilen, denn im hier vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der wehrdienstleistende Sohn der Kläger nicht dem Haushalt der Eltern angehörte, sondern einen eigenständigen Wohnsitz am Ort der über 200 km entfernten Kaserne hatte.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 03.04.2008 – L 2 AS 56/06

3.4 – Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 08.09.2016 – L 4 AS 567/15 u. – L 4 AS 569/15

Zur Anrechnung von Pflegegeld als Einkommen – Pflegegeldeinnahmen sind nur privilegiert bei der Pflege von Angehörigen

Leitsatz (Redakteur)
Zur Anrechenbarkeit weitergeleiteten Pflegegeldes auf die der Pflegeperson zustehenden laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
vgl. Hessisches LSG, Urteil vom12.11.2014 – Az.: L 6 AS 491/11 und LSG NRW, Beschluss vom 20.05.2014 – L 2 AS 2105/13 B

3.5 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2016 (Az.: L 14 AS 2033/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Regelungen des § 12a SGB II zur Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen anderer Träger sowie der auf der Grundlage des § 13 Abs. 2 SGB II erlassenen Unbilligkeitsverordnung sind verfassungsrechtlich unbedenklich.

2. Die Forderung nach der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente durch eine Alg II-Bezieherin ist gemäß § 2 UnbilligkeitsVO unbillig, wenn dies bei der Antragstellerin zum Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I führen würde, weil sie aktuell einem Freiwilligendienst entsprechend dem Bundesfreiwilligendienstgesetz, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, nachgeht.

3. Nach Ablauf dieses einjährigen Dienstes kann diese Person einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I geltend machen. Diese Möglichkeit ging bei einer Verpflichtung zu einer vorzeitigen Renteninanspruchnahme verloren.

3.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.09.2016 – L 31 AS 300/15

Stromkosten für den Betrieb einer Gastherme – kein separater Stromzähler für die Erfassung des Betriebsstromes – Schätzung

Stromkosten für den Betrieb einer Gastherme können die Höhe von 5 % der Heizkosten anerkannt werden.

Leitsatz (Redakteur)
1. Auch nach der Rechtslage ab dem 1.1.2011 sind die Aufwendungen eines Hauseigentümers für den Strom zum Betrieb einer Heizungsanlage in die Berechnung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II einzustellen.

2. Diese Aufwendungen sind der Höhe nach grundsätzlich einer Schätzung zugänglich (Anlehnung an BSG, Urteil vom 3.12.2015, B 4 AS 47/14 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – SG Schleswig, Beschluss v. 21.10.2016 – S 1 AS 185/16 ER

Umzugskosten – Kosten für Umzugshelfer, zusätzlicher Helfer, pro Helfer 20€ Verköstigungspauschale, 60 Umzugskartons für 113,40€, Sicherheitsgurte Pauschalbetrag 20€, Halteverbotsschilder, Anmietung für 75€

Leitsatz (Redakteur)
Zur Übernahme weiterer Umzugskosten im einstweiligem Rechtsschutz (hier bejahend).

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Umzugskosten im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 1, 1. HS SGB II sind nur insoweit als Bedarf anzuerkennen wie sie grundsicherungsrechtlich angemessen sind.

2. Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im jeweils zu beurteilenden Einzelfall ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass ein Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II („Grundsatz des Forderns“) alles zu unternehmen hat, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern.

3. Auch ein nach § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II notwendiger Umzug ist deshalb von einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten grundsätzlich selbst zu organisieren und auszuführen.

4. Im Fall der Erkrankung oder Behinderung eines Alg II-Empfängers kann die Übernahme der Aufwendungen für einen gewerblich durchgeführten Umzug in Betracht kommen. Das Jobcenter hat die in diesem Zusammenhang entstehenden Aufwendungen allerdings nur im angemessenen Umfang zu übernehmen.

5. Das SGB II gewährt auch hier nur das Notwendige, nicht aber den „Umzug de luxe“.

6. Wenn ein gesundheitlich angeschlagener erwerbsfähiger Leistungsberechtigter seit ca. 15 Jahren kein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mehr geführt hat, kann ihm nicht zugemutet werden, ein relativ großes Transportfahrzeug im Rahmen eines erfahrungsgemäß kraft- und nervenraubenden Umzugs als erstes Fahrzeug nach vieljähriger Pause im öffentlichen Straßenraum zu führen.

7. Vor dem Hintergrund der grundsicherungsrechtlichen Kostenminimierungspflicht ist hier aber nicht auf professionelle Umzugshelfer zurückzugreifen. Es reicht die Inanspruchnahme von über das Onlineportal „E-Bay-Kleinanzeigen“ sich anbietender Umzugshelfer unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung eines Transporters zu einem Preis „ab EUR 35,-/Stunde zuzüglich MWSt.“ aus.

8. Für die Verköstigung der Helfer ist ein Pauschalbetrag von EUR 40,- als angemessen zu erachten. Hinzu kommen noch Kosten für Verpackungsmaterial sowie für die Transportsicherung. Bei einer schwierigen Parkplatzsituation am bisherigen Wohnort sind auch zwei Parkverbotsschilder (Kosten: EUR 75,-) als notwendiger Umzugsbedarf anzuerkennen.

4.2 – Sozialgericht Hannover, Gerichtsbescheid vom 4. Oktober 2016 (Az.: S 38 AS 324/16):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wenn ein Antragsteller um eine rückwirkende Bewilligung von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II nachsucht, so ist dieses Begehren als ein Antrag auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auszulegen.

2. Die Erhebung einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG hat zwar zur Voraussetzung, dass ein Sozialleistungsträger in einer Antragssache mindestens sechs Monate nach Antragstellung untätig geblieben ist. Dieser Mangel wird aber dadurch geheilt, wenn während des Klageverfahrens diese sechsmonatige Frist abläuft, ohne dass die Sozialbehörde in dieser Leistungsangelegenheit tätig wird.

3. Eine durch das wegen Untätigkeit anhängige Gerichtsverfahren sich einstellende Verzögerung bei der Sachbearbeitung stellt keinen zureichenden Grund gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG für eine behördliche Untätigkeit in der Antragssache dar.

Leitsatz RA Michael Loewy
Eine anfänglich unzulässige Untätigkeitsklage wird nach Ablauf der Sperrfrist des § 88 Abs. 1 SGG zulässig. 2. Für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage kommt es nicht darauf an, dass der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst hat oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat.

Quelle: anwaltskanzlei-loewy.de

4.3 – Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 29. September 2016 (Az.: S 41 AS 1834/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann das Jobcenter eigene Berechnungen, Gutachten oder Untersuchungen heranziehen und die solchermaßen auf ein „schlüssiges Konzept“ zurückführbaren Daten und Fakten zur Grundlage einer zu § 22 SGB II erlassenen Verwaltungsanweisung machen.

2. Nach Ablauf von mehr als zwei Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Anweisung und dreieinhalb Jahre nach der dieser Vorschrift zu Grunde liegenden Nacherhebung kann diese Verwaltungsanweisung allerdings keine umfassende Gültigkeit mehr beanspruchen.

3. Auch ursprünglich durchaus schlüssige Konzepte haben keine unbegrenzte Geltungsdauer. § 22c Abs. 2 SGB II schreibt eine in einem mindestens zweijährigen Interwall durchzuführende Überprüfung der vom Jobcenter durch Satzung bestimmten Werte für die Unterkunft vor.

4. Untersuchungen des Wohnungsmarktes können nur dann dauerhafte Geltung beanspruchen, sofern sie auch fortlaufend eine Überprüfung erfahren.

5. Die Sozialverwaltung hat deshalb stets Vorkehrungen zu treffen, um gerade auf Änderungen in Form von Mietsteigerungen zeitnah zu reagieren, damit zu jeder Zeit die Erfüllung des aktuellen Bedarfs an Unterkunftskosten sichergestellt ist.

6. Wenn ein schlüssiges Konzept nicht (mehr) besteht, hat der SGB II-Träger zur sachgerechten Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den jeweiligen Höchstbetrag der Wohngeldtabelle zurückzugreifen. Hierbei ist aber auch ein Sicherheitszuschlag in einer Höhe von zehn von Hundert stets zu berücksichtigen.

4.4 – SG Bremen, Beschluss vom 08.09.2016 – S 6 AS 1654/16 ER

Beschaffung eines Kühlschranks im Rahmen der Wohnungserstausstattung mit Haushaltsgeräten

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die Erstbeschaffung eines Kühlschrankes zu.

2. Der Umstand, wonach die Ast. in den vergangenen zwei Jahren in ihrer Wohnung ohne eine Kühlungsmöglichkeit für Lebensmittel gelebt haben will, begegnet gewissen Zweifeln. Diese Zweifel müssen jedoch im Hinblick auf die Bedeutung eines Kühlschrankes für eine ordnungsgemäße Lebensführung zurücktreten. Es kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, auch in der Zukunft ohne Kühlschrank leben zu müssen und insoweit das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Insofern genügt im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes die Glaubhaftmachung durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung.

3. Die Antragstellerin hat durch diese auch glaubhaft gemacht, dass der vom Sperrmüll beschaffte Kühlschrank von Anfang an funktionsuntüchtig war, so dass insoweit nicht von einer Ersatzbeschaffung, sondern von einer Erstbeschaffung auszugehen war.

Quelle: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen: www.kanzleibeier.eu

Rechtstipp:
vgl. SG Bremen, Urteil vom 23.07.2015 – S 27 AS 160/12: War die vorhandene (vom Sperrmüll kommende) Waschmaschine nicht mehr funktionstüchtig, ist von einem bestehenden Erstausstattungsbedarf auszugehen.

4.5 – Sozialgericht Berlin, Beschluss v. 02.03.2016 – S 96 AS 646/16 ER

Bulgarischer Staatsangehöriger hat Anspruch auf ALG II aufgrund seines Arbeitnehmerstatus.

Leitsatz (Juris)
1. Der Schutz des unverschuldet an der Wiederherstellung seines Arbeitnehmerstatus gehinderten Unionsbürgers gebietet es, die Verlängerung des Aufenthaltsrechts bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfalls nach § 2 Abs. S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU auch dann eingreifen zu lassen, wenn die Erwerbsminderung nicht bereits während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, sondern innerhalb von sechs Monaten nach der unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU eintritt.

2. Für das Eingreifen des Fortbestehens des Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU wegen vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall ist es daher ausreichend, dass seine Voraussetzungen (hier die vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit) während der sechsmonatigen Frist eintreten, in der dem Antragsteller sein Arbeitnehmerstatus erhalten bleibt. Es ist nicht erforderlich, dass der sich der Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt des festgestellten Eintritts der Arbeitsunfähigkeit noch in einem Arbeitsverhältnis befindet und Arbeitnehmer im originären Sinn ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

5.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 18.10.2016 – L 13 AL 1634/15

Leitsatz (Juris)
Die Unmittelbarkeit im Sinne von § 26 Abs. 2a Nr. 1 SGB III ist auch dann gewahrt, wenn eine Mutterschutzfrist (§ 3 Abs. 2 MuSchG) direkt an eine Zeit angrenzt, in der Versicherungspflicht wegen der Erziehung eines Kindes bestand, auch wenn die zeitliche Lücke bis zur nachfolgenden Kindererziehungszeit mehr als einen Monat beträgt (Anschluss an LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. Mai 2011, L 1 AL 43/10).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Detmold, Urteil v. 02.02.2016 – S 2 SO 157/12 – rechtskräftig

Übergangsgeld und Anrechnung auf Grundsicherungsleistungen – 3. Kapitel SGB XII

Leitsatz (Redakteur)
Beim Antragsteller ist das bezogene Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger vollumfänglich als Einkommen neben der Rente in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich aus dem unterhaltssichernden Charakter des Übergangsgeldes, das die Rentenversicherung leistet. Es handelt sich nicht um Werkstatteinkommen im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 3 SGB XII.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.2 – Sozialgericht München, Urteil vom 2. Juli 2015 (Az.: S 51 SO 531/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Bewilligungsentscheidung über die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) darf entsprechend § 32 Abs. 1 SGB X nur dann mit einer Nebenbestimmung – wie z. B. mit einer Befristung gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X – versehen werden, wenn diese inhaltliche Ergänzung des Verwaltungsakts durch eine Rechtsvorschrift zugelassen ist oder hierdurch sichergestellt werden soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Entscheidung über die Leistung erfüllt werden.

2. Beide Befristungsgründe liegen nicht vor, wenn bei einer pflegebedürftigen Person anhand der vorliegenden Atteste und Gutachten sowie der bisherigen Dauer des Leistungsbezugs behinderungs- und lebenslagenbedingt nicht zu erwarten ist, dass sich die gesundheitliche Situation wesentlich verbessert und der Umfang der Pflege reduziert werden könnte.

3. Wenn sich – wider Erwarten – eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation dieses pflegebedürftigen Menschen einstellen sollte, dann verfügt der Sozialhilfeträger über die Möglichkeit der Anordnung einer Aufhebung des Bewilligungsverwaltungsaktes entsprechend § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wegen einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen.

6.3 – Sozialgericht Braunschweig, Beschluss vom 9. September 2016 (Az.: S 32 SO 129/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) sind von § 37 Abs. 1 SGB XII mit umfasst.

Von gemäß § 19 Abs. 2 SGB XII hilfebedürftigen Personen kann ein Anspruch auf ergänzende Hilfe in der Form eines Darlehens zur rechtzeitigen Deckung eines unstreitigen Bedarfs geltend gemacht werden, wenn die bezogene Rente zur vollständigen Begleichung der Miet- und Energiekosten im Fälligkeitszeitpunkt noch nicht zur Verfügung steht. Es bedarf hier einer Bewilligung überbrückender Leistungen auf Darlehensebene bis zum Erhalt der nächsten Rentenzahlung.

7.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Asylrecht

7.1 – LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Juni 2016 (Az.: L 20 AY 38/16 B ER und L 20 AY 43/16 B):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein Frauenhaus stellt eine Einrichtung im Sinne des § 10a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG dar, die zwar nicht der Krankenbehandlung, aber anderen Maßnahmen nach dem AsylbLG dient:

2. Frauenhäuser dienen – anders als Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 AsylVfG – nicht nur der Gewährung einer Unterkunft zu gemeinschaftlichen Wohnzwecken, sondern deren Selbstverständnis besteht darin, von häuslicher und sexueller Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern einen anonymen Schutz vor weiteren Angriffen und Gefährdungen sowie eine sachangemessene Betreuung und Beratung der aufgenommenen Personen zu gewährleisten. Es handelt sich hier um eine sonstige Leistung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylbLG zur Sicherung der Gesundheit.

3. Regelmäßig gilt – unabhängig von den tatsächlichen Lebensumständen, insbesondere den Aufenthaltsorten unmittelbar vor der Aufnahme in das Frauenhaus – als gewöhnlicher Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) bei Personen, für die eine Wohnsitzauflage für einen bestimmten Bereich besteht, dieser Bereich als ihr gewöhnlicher Aufenthalt mit der Folge der Zuständigkeit der Behörde dieses Ortes für sämtliche erforderliche Leistungen (§ 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG).

4. Anderes gilt nur in einem Eilfall (§ 10a Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. AsylbLG).

5. Hier ist im Zweifelsfall diejenige Behörde zuständig, in deren Bereich sich eine leistungsberechtigte Person tatsächlich aufhält (§ 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG).

6. Diese Behörde hat nicht nur in dem Fall einzutreten, wenn die gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG eigentlich zuständige öffentliche Stelle des Ortes des letzten gewöhnlichen Aufenthalts zu einer sofortigen Leistungserbringung außer Stande ist, und die Gewährung der nachgesuchten Leistung bei objektiver Betrachtung keinen Aufschub duldet. Gleiches gilt auch, wenn die beiden beteiligten Leistungsträger die Bewilligung von Hilfen unter Verweis auf ihre angebliche örtliche Unzuständigkeit ablehnen, die Klärung dieses Kompetenzkonflikts aber wegen des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistungen von der Antragstellerin aber nicht abgewartet werden kann.

7.2 – Sozialgericht Hannover, Urteil vom 5. Oktober 2016 (Az.: S 53 AY 20/16):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des AsylbLG ist einzig auf den Zeitpunkt der Formulierung des Asylbegehrens anzuknüpfen. Der Aufenthalt eines Ausländers ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG beim erstmaligen Nachsuchen um Asyl zu gestattet.

2. Erwachsene alleinstehende Leistungsberechtigte erhalten Grundleistungen gemäß der Bedarfsstufe 1 (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG), sofern sie nicht als „weitere erwachsene Leistungsberechtigte“ entsprechend § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AsylbLG (Bedarfsstufe 3) keinen eigenen Haushalt führen, weil sie in einen fremden Haushalt eingegliedert sind und sich deshalb an den wesentlichen haushaltsbezogenen Ausgaben zu beteiligen haben.

3. Eine entsprechende gemeinschaftliche Haushaltsführung ist bei einer reinen Wohngemeinschaft mit anderen Asylbewerbern, wo jede Person über ein eigenes Zimmer verfügt sowie Küche und Bad geteilt werden, von der zuständigen Behörde jeweils gesondert festzustellen.

4. Die Bejahung einer gemeinsamen Haushaltsführung außerhalb der Partnerhaushalte steht einer Anwendung der Regelbedarfsstufe 3 entgegen.

5. Für die Bildung eines Mischregelsatzes bedarf es, soweit dieser Richtsatz in die Rechtsstellung des leistungsberechtigten Ausländers eingreift, einer gesonderten Rechtsgrundlage. Eine solche geht aber aus dem AsylbLG nicht hervor.

6. Die entsprechend § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII mögliche abweichende Bemessung des Regelbedarfs findet im Bereich des AsylbLG mangels einschlägiger Rechtsgrundlage ebenfalls keine Anwendung.

Rechtstipp:
a. A.: LSG NSB, 14.12.2015 – L 8 AY 55/15 B ER – Bedarfsstufe 3 für Leistungsberechtigte nach § 3 AsylblG; keine Anwendung der Urteile des BSG (u.a. B 8 SO 5/14 R)

8.   Verschiedenes zu Hartz IV und anderen Gesetzesbüchern

Unzulässiges Formular
Jobcenter Stade muss sich für Sexfragen entschuldigen
Das Jobcenter in Stade wollte von einer Hartz-IV-Empfängerin wissen, mit wem sie geschlafen hat. Mittlerweile entschuldigte sich der Geschäftsführer.

Quelle: www.spiegel.de

Alltag in einem Jobcenter “Ich habe Kollegen, da möchte ich nicht Kundin sein”
Blick hinter die Kulissen eines Jobcenters: Martina Haase will Arbeitslosen helfen, doch kommt vor lauter Bürokratie kaum dazu. Verzweifelt steckt sie Menschen in Maßnahmen – auch wenn die sinnlos sind.

Quelle: www.spiegel.de

Pressemeldung 21/2016 Landessozialgericht RP
Finanzierung eines Studiums zum Webdesigner durch Augensteuerung
Das LSG Mainz hat entschieden, dass die Bundesagentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen, der wegen seiner Erkrankung seinen Computer nur noch mit den Augen steuern kann, eine berufliche Ausbildung zum Webdesigner (Fernstudium) finanzieren muss, wenn noch die Chance einer beruflichen Tätigkeit besteht und sie andere geeignete Maßnahmen nicht benennen kann.

Urteil vom 27.10.2016, Aktenzeichen: L 1 AL 52/15: www2.mjv.rlp.de

Pressemitteilung des BVerwG Nr. 91/2016 v. 27.10.2016
Schadensersatzpflicht eines Vaters bei BAföG-Leistungen wegen unvollständiger Angaben
Beruht die Leistung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) an einen Auszubildenden darauf, dass dessen Vater vorsätzlich unvollständige Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen gemacht hat, und ist dieser deshalb zur Leistung von Schadensersatz gegenüber dem Amt für Ausbildungsförderung verpflichtet, hat er nicht auch den Betrag zu ersetzen, den der Sohn bei vollständigen Angaben als Ausbildungsförderung hätte erhalten müssen, so das BVerwG.

BVerwG 5 C 55.15 – Urteil vom 27. Oktober 2016: www.bverwg.de

SGB III, VI: Teilhabe am Arbeitsleben – Kosten der Unterkunft während der Schließzeiten des Internats, ein Beitrag von Rechtsanwalt Raik Pentzek, ETL Rechtsanwälte GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Für den Fall einer geförderten Berufsausbildung mit Unterbringung in einem Internat und ständiger Vorhaltung einer eigenen Unterkunft wegen Heimfahrten während der Schließzeiten hat das Landessozialgericht Hamburg wie folgt entschieden (LSG Hamburg, Urt. v. 29.6.2016 – L 2 AL 41/15):
Der Kläger hat während der Schließzeiten einen Anspruch auf Sicherung seines Unterkunfts- und Verpflegungsbedarfs. Dies bedeutet, dass durch die Verknüpfung von Ausbildung und Rehabilitation die Unterkunft und die Verpflegung während einer Internatsunterbringung nicht versagt werden dürfen. Deckt die von der Beklagten gewählte Form der Leistungserbringung nicht den gesamten Bedarf ab, dann ist die Beklagte nach dem Grundsatz einer umfassenden Leistungspflicht zu einem Gesamtleistungspaket zu verschiedenen Leistungen verpflichtet. Mittels dieser Verpflichtung kann der Kläger die Zeiträume überbrücken, in denen er nicht in einem Wohnheim, Internat oder einer anderen Einrichtung für behinderte Menschen untergebracht und verpflegt wird.

Ergänzende Hinweise des Experten für Sozialversicherungsrecht
Die hier entschiedene Rechtsfrage wird oft anders beurteilt. Nach dem Gesetz werden pauschalisierte Leistungen erbracht. Eine individuelle Berücksichtigung von Kosten erfolgt oft nicht. Daher hat das LSG die Revision zugelassen.

Quelle: www.anwalt.de

Hinweis:
Revision anhängig beim BSG Az.: B 11 AL 15/16 R
Vorinstanz: LSG Hamburg, L 2 AL 41/15
Hat ein behinderter Mensch im Falle einer geförderten Berufsausbildung mit Internatsunterbringung einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für die ständige Vorhaltung einer eigenen Unterkunft wegen Heimfahrten während der Schließzeiten?

In Düsseldorf werden die Mietobergrenzen für Empfänger von Hartz IV oder Grundsicherung angepasst und um rund 15 Cent pro Quadratmeter angehoben.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziales hat in seiner Sitzung am Mittwoch, 26. Oktober, die neuen Sätze, die ab sofort gelten, zur Kenntnis genommen.
Bei einer Einzelperson gelten beispielsweise zukünftig bis zu 415 Euro (bisher 407 Euro) als angemessen. Für einen Haushalt mit zwei Personen sind es maximal 514 Euro (bisher 504 Euro). Bei einer Familie mit zwei Kindern oder vier Personen im Haushalt können bis zu 805 Euro (bisher 790 Euro) anerkannt werden. Bei einer Bedarfsgemeinschaft mit fünf Haushaltsmitgliedern wird mit bis zu 1.060 Euro (bisher 1.040 Euro) gerechnet. Die Grenzwerte beziehen sich auf Miete plus Nebenkosten ohne Heizung (Bruttokaltmiete). Die Heizkosten werden je nach Art der Heizung zusätzlich berücksichtigt.

Quelle: www.stadt-news.de und www.jobcenter-duesseldorf.de

Auch ALG I Empfänger werden sanktioniert – Sanktionen auch in der Arbeitslosenversicherung: Sperrzeiten treffen Hunderttausende

Quelle: www.o-ton-arbeitsmarkt.de

“Hartz IV vor Gericht” – Radio-Feature u.a. zur Situation am Sozialgericht Berlin
Quelle: @sgleipzig: twitter.com oder www.deutschlandradiokultur.de

Kölner Hartz IV-Bezieher bekommen endlich höhere Miete erstattet – Neuer Grenzwert bleibt aber hinter Gerichtsbeschlüssen zurück – Neue Mietwerte ab 01. November – Sie sehen vor, dass für Alleinstehende auch eine Wohnung für 522 Euro kalt komplett vom Jobcenter bezahlt wird

Quelle: leo-koeln.org

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de