URTEIL
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn xxx
xxx Göttingen,
Klägers und Berufungsklägers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
die Polizeidirektion Göttingen,
Groner Landstraße 51, 37081 Göttingen,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Streitgegenstand: Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Zwangsmaßnahme
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – 11. Senat – auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht xxx, die Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx, den Richter am Oberverwaltungsgericht xxx sowie die ehrenamtliche Richterin xxx und den ehrenamtlichen Richter xxx für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen – 1. Kammer – vom 1. Oktober 2014 wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs am 17. Januar 2013 in Form einer schmerzhaften Nervendrucktechnik über der Nase des Klägers durch einen Beamten der Beklagten rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
TATBESTAND
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine Maßnahme unmittelbaren Zwangs rechtswidrig war.
Am 16. Januar 2013 fand in Göttingen eine Demonstration zum Thema „Gute Bildung und Wohnraum für alle“ statt. Im Anschluss daran kam es zu der Hausbesetzung eines leerstehenden ehemaligen Studentenwohnheims der Universität Göttingen in der Geiststraße 10 in Göttingen. Hieran war auch der Kläger beteiligt. Am Morgen des 17. Januar 2013 erschienen Vertreter der Universität Göttingen vor Ort und forderten die Hausbesetzer mehrfach vergeblich auf, das Gebäude zu räumen. Die letzte Aufforderung erfolgte am 17. Januar 2013, 10.00 Uhr, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Fristsetzung bis 11.30 Uhr. Anschließend stellte die Universität einen Strafantrag.
Als die Polizei am 17. Januar 2013 vor Ort erschien, hielten sich in dem Gebäude noch elf Personen, unter ihnen der Kläger, auf dem Boden sitzend in einem Raum im ersten Obergeschoss auf. Sie wurden von der Polizei zweimal, zuletzt unter Androhung unmittelbaren Zwangs, vergeblich aufgefordert, das Gebäude zu räumen. Danach wurden sie von Polizeibeamten hinausgetragen. Der Kläger wurde von Polizeikommissar xxx und Polizeikommissar xxx als erste Person aus dem Gebäude gebracht. Die Polizeibeamten forderten ihn vorher auf, freiwillig mitzukommen; andernfalls müsse er mit Zwangsmaßnahmen rechnen. Da der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, trugen die beiden Polizeibeamten ihn bis zu der Treppe, die in das Erdgeschoss führt. Wegen der großen Rutschgefahr erklärte sich der Kläger bereit, die Treppe eigenständig hinabzusteigen. Im Erdgeschoss ließ sich der Kläger am Treppenabsatz wieder zu Boden fallen. Die Polizisten versuchten daraufhin, ihn aufzurichten und wegzutragen. Da ihnen dies zunächst nicht gelang, wandte xxx gegenüber dem Kläger eine Nervendrucktechnik an. Hierbei drückte er mit seiner linken geöffneten Hand gegen den Hinterkopf des Klägers und legte die rechte geöffnete Hand auf dessen Nase, um diesen zum eigenständigen Aufstehen zu bewegen. Hierdurch erlitt der Kläger neben Schmerzen leichte Hautabschürfungen zwischen Nase und Oberlippe in der linken Gesichtshälfte sowie leichtes Nasenbluten. Nachdem auch diese Drucktechnik ebenso wie der Versuch, dem Kläger Handfesseln anzulegen, nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatte, gelang es den Polizeibeamten schließlich, den Kläger zum Hinterausgang des Gebäudes zu tragen. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und inwieweit der Kläger am Treppenabsatz im Erdgeschoss und insbesondere vor und während der Anwendung der Nervendrucktechnik Widerstand leistete und in welchem Umfang im Erdgeschoss aufgrund der winterlichen Witterung eine gesteigerte Rutschgefahr bestand.
Der Kläger hat am 11. Juli 2013 Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anwendung der Nervendrucktechnik erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die Anwendung der schmerzhaften Nervendrucktechnik sei unverhältnismäßig gewesen. Die Polizisten hätten ihn auch ohne deren Einsatz die noch verbleibenden zehn Meter zum Ausgang des Gebäudes tragen können und letztlich auch tatsächlich getragen. Der Einwand der Beklagten, er habe durch seine Körperhaltung, insbesondere durch das Verschränken seiner Arme vor dem Oberkörper, sein Wegtragen verhindert, überzeuge nicht.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einer schmerzhaften Nervendrucktechnik über seine Nase durch einen Beamten der Beklagten am 17. Januar 2013 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und darauf verwiesen, dass es sich bei der Nervendrucktechnik um die Anwendung unmittelbaren Zwangs handele und dieses Zwangsmittel ermessensfehlerfrei angewendet worden sei. Unerheblich sei, dass die Polizeibeamten abwechselnd verschiedene Zwangsmittel wie das Wegtragen und die Nervendrucktechnik angewandt hätten. Zwangsmittel könnten so lange wiederholt und gewechselt werden, bis der zu vollstreckende Verwaltungsakt umgesetzt sei. Zwar sei das Wegtragen grundsätzlich ein milderes Mittel als die Anwendung der Nervendrucktechnik. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass in dem besetzten Gebäude insbesondere im Erdgeschoss aufgrund der winterlichen Witterungsverhältnisse eine große Rutschgefahr bestanden habe. Da der Kläger keine Tragepunkte an seinem Körper zum Wegtragen zur Verfügung gestellt habe, sei das Wegtragen mit wesentlich höheren Risiken für alle Beteiligten verbunden gewesen.
Sowohl der Kläger als auch die beiden Polizeibeamten haben wechselseitige Strafanzeigen gestellt. Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat beide Strafverfahren (32 Js 5063/13 und 32 Js 8042/13) mit Blick auf das vorliegende gerichtliche Verfahren gemäß § 154d StPO vorläufig eingestellt.
Mit Urteil vom 1. Oktober 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht bewiesen, dass die streitgegenständliche Zwangsmaßnahme unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen sei. Bei der von den Polizeibeamten bei dem Kläger angewandten Nervendrucktechnik habe es sich um die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach § 69 Abs. 1 und 2 Nds. SOG gehandelt. Die formalen Voraussetzungen für dieses Zwangsmittel hätten vorgelegen. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei mündlich gegenüber den Hausbesetzern angedroht worden. Die Zwangsmittelandrohung sei zudem wegen Vorliegens einer gegenwärtigen Gefahr entbehrlich gewesen. Bei Zugrundelegung der Angaben der beiden Polizeibeamten wäre der Einsatz der Nervendrucktechnik verhältnismäßig gewesen, weil das Wegtragen des Klägers als mildere Ausführungsform des unmittelbaren Zwangs nicht möglich und geeignet gewesen wäre, die Pflicht des Klägers, das Gebäude zu verlassen, durchzusetzen. Nach der Darstellung der beiden Polizeibeamten hätten sich die Verhältnisse im Erdgeschoss und im Obergeschoss erheblich unterschieden. Im Erdgeschoss wäre das Verletzungsrisiko beim Wegtragen für den Kläger wegen des rutschigen Bodens und seines körperlichen Widerstandes wesentlich höher gewesen. Die Polizeibeamten hätten deshalb entschieden, zunächst durch den Einsatz von Armbeugehebel, durch die Anwendung der Nervendrucktechnik an der Nase und durch Handfesseln zu versuchen, den Kläger zum Aufstehen und selbstständigen Gehen zu bringen. PK xxx hätte in der konkreten Situation die Nervendrucktechnik gegenüber dem Wegtragen als das mildere Zwangsmittel angesehen. Die abweichende Darstellung des Klägers führe zu keinem anderen Ergebnis. Hiernach habe er sich völlig friedlich verhalten. Er habe keinen Anlass gegeben, ihn unter anderem durch Einsatz der Nervendrucktechnik zum Aufstehen zu bewegen. Das Gericht habe nicht die notwendige Überzeugung gewinnen können, dass die Darstellung des Klägers richtig und die der Polizeibeamten falsch sei. Die als Zeugen geladenen Polizeibeamten hätten sich in der mündlichen Verhandlung mit Blick auf das von der Staatsanwaltschaft Göttingen gegen sie eingeleitete Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt gemäß §§ 98 VwGO, 384 Nr. 2 ZPO in zulässiger Weise auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Deshalb sei es nicht möglich gewesen, die Polizeibeamten mit der abweichenden Darstellung des Klägers zu konfrontieren und etwaige weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Das Gericht könne nicht beurteilen, welche der zwei sich widersprechenden Sachverhaltsdarstellungen der Wahrheit entspreche. Deshalb gehe das Klageverfahren zu Ungunsten des Klägers aus. Er trage für die von ihm behaupteten Tatsachen die Beweislast und habe den notwendigen Beweis nicht erbringen können.
Zur Begründung seiner von dem Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Ungeachtet der Fragen, ob zwischen seiner und der Darstellung der beiden Polizeibeamten ein entscheidungserheblicher Widerspruch bestehe und wer darlegungs- und beweispflichtig sei, stehe fest, dass PK xxx die Nervendrucktechnik nicht zur Brechung seines Widerstandes eingesetzt habe, sondern um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Bei der Anwendung der mit Schmerzen verbundenen Nervendrucktechnik handele es sich nicht um unmittelbaren Zwang nach § 69 Abs. 1 und 2 Nds. SOG, wenn – wie in seinem Fall – eine Handlung, nämlich das selbständige Gehen zum Ausgang des Gebäudes, und nicht ein Unterlassen erzwungen werden solle. Einziges Ziel dieser Technik sei die Zufügung von Schmerzen, um den Betroffenen nach Beendigung der Schmerzen durch die Bedrohung mit weiteren Schmerzen zu einer bestimmten Handlung zu zwingen. Die Nervendrucktechnik mit dem ausdrücklichen Ziel der Schmerzzufügung werde in dem Katalog des § 69 Abs. 3 Nds. SOG nicht ausdrücklich benannt. Zudem liege es näher, diese Technik wegen der hierfür notwendigen Ausbildung der Polizeibeamten als Waffe im Sinne des § 69 Abs. 4 Nds. SOG einzuordnen. Ihm sei von den Polizeibeamten die Anwendung der einzig auf Schmerzen ausgerichteten Nervendrucktechnik zudem nicht gesondert angedroht worden. Die Zufügung von Schmerzen stelle aber gegenüber dem bloßen Wegtragen eine selbständige und gravierendere Vollstreckungsmaßnahme dar, die zuvor nach §§ 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG gesondert angedroht werden müsse. Eine allgemeine Androhung unmittelbaren Zwangs umfasse nicht automatisch jedwede Form des unmittelbaren Zwangs. Der einheitliche Vollstreckungsauftrag in Gestalt des Befehls der Räumung des Gebäudes mache unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine solche zusätzliche Androhung nicht entbehrlich. Zudem sei die angewandte Nervendrucktechnik in der konkreten Situation zum Erzwingen seines Aufstehens unverhältnismäßig gewesen. Sie sei bereits nicht geeignet gewesen, ihn unmittelbar zum Aufstehen und eigenständigen Verlassen des Gebäudes zu veranlassen. Da er letztlich durch die Polizeibeamten weggetragen worden sei, sei sie auch nicht erforderlich gewesen. Die Alternative des Wegtragens im Erdgeschoss des Gebäudes sei auch nicht wegen erschwerter äußerer Bedingungen ausgeschlossen gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen – 1. Kammer – vom 1. Oktober 2014 zu ändern und festzustellen, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einer schmerzhaften Nervendrucktechnik über seine Nase durch einen Beamten der Beklagten am 17. Januar 2013 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Dem Kläger sei darin zu folgen, dass die Tatsachen, die die Verhältnismäßigkeitserwägungen des Einsatzes stützten, im Wesentlichen feststünden und nicht streitig seien. Entgegen seiner Darstellung habe der Kläger aktiven Widerstand geleistet. Die Androhung unmittelbaren Zwangs umfasse auch den Nervendruckgriff. Der Kläger habe damit rechnen müssen, dass auch Grifftechniken zur Anwendung kämen, die mit einem gewissen Schmerz verbunden seien, zumal er durch sein Verhalten ein einfaches Wegtragen unmöglich gemacht und damit weitergehende Maßnahmen vorhersehbar provoziert habe. Die angewandte Drucktechnik sei verhältnismäßig gewesen. Ihr primärer Zweck habe nicht in der Zufügung von Schmerzen, sondern in der Durchsetzung einer Verfügung bestanden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die strafrechtlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Göttingen – 32 Js 5063/13 und 32 Js 8042/13 – verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
Die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einer schmerzhaften Nervendrucktechnik über der Nase des Klägers durch einen Beamten der Beklagten am 17. Januar 2013 war rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht hat die zutreffend als zulässig angesehene Feststellungsklage des Klägers daher zu Unrecht als unbegründet abgewiesen.
Bei der streitgegenständlichen Nervendrucktechnik handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers um eine Maßnahme des unmittelbaren Zwangs im Sinne der §§ 65 Abs. 1 Nr. 3, 69 Nds. SOG (dazu 1.). Die Voraussetzungen für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs lagen indes nicht vollständig vor (dazu 2.).
1. Die Nervendrucktechnik stellt eine Maßnahme des unmittelbaren Zwangs dar. Nach § 69 Abs. 1 Nds. SOG ist unmittelbarer Zwang als Zwangsmittel im Sinne des § 65 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG die Einwirkung unter anderem auf Personen durch körperliche Gewalt, durch ihre Hilfsmittel und durch Waffen. Körperliche Gewalt ist nach der Legaldefinition des § 69 Abs. 2 Nds. SOG jede unmittelbare körperliche Einwirkung unter anderem auf Personen. Diese Einwirkung erfolgt – anders als bei der Anwendung von Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt und Waffen, bei der die Einwirkung lediglich „vermittelt“ geschieht – durch unmittelbare Anwendung von Körperkräften der Polizeibeamten, darunter fällt auch die Anwendung von Polizeigriffen (Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Abschn. E, Rdnr. 831).
Dies gilt nicht nur dann, wenn ein Unterlassen erzwungen werden soll, sondern auch für den Fall, dass dem Pflichtigen ein aktives Tun, mithin eine Handlung wie das selbständige Aufstehen und Verlassen des besetzten Gebäudes abverlangt wird. Dies ergibt sich bereits aus dem in § 64 Abs. 1 Nds. SOG gesetzlich umschriebenen Wesen des Verwaltungszwangs, der der zwangsweisen Durchsetzung eines Verwaltungsaktes dient, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist. Dass die Nervendrucktechnik in den Katalogen des § 69 Abs. 3 und 4 Nds. SOG nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist entgegen der Auffassung des Klägers unerheblich. In § 69 Abs. 3 Nds. SOG werden bestimmte Hilfsmittel der körperlichen Gewalt genannt. Hierzu gehört die Nervendrucktechnik nicht, wobei die Aufzählung wegen der Verwendung der Formulierung „insbesondere“ nur beispielhaft und nicht abschließend ist. Demgegenüber ist zwar die Aufzählung der Waffen in § 69 Abs. 4 Nds. SOG abschließend. Die Anwendung der Nervendrucktechnik stellt aber nicht den Einsatz einer Waffe dar. Bei der Nervendrucktechnik handelt es sich um eine Maßnahme, bei der durch die Erzeugung von Druck auf empfindliche Stellen des Körpers ein Schmerzgefühl hervorgerufen wird. Es wird somit durch die direkte Anwendung von Körperkraft der handelnden Polizeibeamten auf den Körper des Betroffenen eingewirkt.
Gegen die Subsumtion der Nervendrucktechnik unter den Begriff der körperlichen Gewalt im Sinne des § 69 Abs. 2 Nds. SOG spricht nicht, dass diese Technik mit der Zufügung von Schmerzen verbunden ist. Die Schmerzzufügung stellt – anders als der Kläger meint – nicht den „Zweck“ der Nervendrucktechnik dar, schon gar nicht den „einzigen“ Zweck. Sie ist vielmehr „Mittel zum Zweck“, wie dies auch in den von dem Kläger angeführten Beispielen des Handauflegens, Wegführens, Wegtragens und des Polizeigriffs der Fall ist. Wie bei diesen steht bei der Anwendung der Nervendrucktechnik der Handlungserfolg – hier das selbständige Aufstehen und Verlassen des besetzten Gebäudes – im Vordergrund.
2. Die Voraussetzungen für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs waren nicht insgesamt erfüllt.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein nach § 64 Abs. 1 Nds. SOG vollziehbarer Verwaltungsakt in Gestalt der für sofort vollziehbar erklärten mündlichen Aufforderung seitens der Universität Göttingen, das besetzte Gebäude innerhalb eines genau bezeichneten Zeitraums zu räumen, vorgelegen hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung nicht. Daher macht sich der Senat die entsprechenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen.
Im vorliegenden Fall hätte die Nervendrucktechnik in der konkreten Einsatzsituation von PK xxx gegenüber dem Kläger gesondert angedroht werden müssen. Unmittelbarer Zwang ist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG vor seiner Anwendung anzudrohen. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG muss sich die Androhung auf bestimmte Zwangsmittel beziehen. Diese Regelung im Vollstreckungsrecht ist Ausdruck des in § 37 Abs. 1 VwVfG allgemein normierten Gebots der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Das Bestimmtheitsgebot soll die Vorhersehbarkeit polizeilichen Handelns sicherstellen. Bei Anwendung unmittelbaren Zwangs soll der Betroffene Klarheit über die zu erwartenden Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit erhalten. Hierbei reicht es grundsätzlich aus, wenn hinreichend deutlich die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht wird. Es muss in der Regel nicht vor jeder einzelnen körperlichen Einwirkung auf die Person der Einsatz einer bestimmten Form des unmittelbaren Zwangs angedroht werden. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine einheitliche Vollstreckungsmaßnahme ohne zeitliche Zäsur handelt. Im Vorfeld der Anwendung unmittelbaren Zwangs lässt sich nicht immer überblicken, welche Anwendungen im Einzelnen geboten sind. Sollen Hilfsmittel der körperlichen Gewalt nach § 69 Abs. 3 Nds. SOG oder Waffen nach § 69 Abs. 4 Nds. SOG zum Einsatz kommen, sind diese allerdings bei der Androhung unmittelbaren Zwanges zu nennen (Rachor, in: Lisken/Denninger, a. a. O., Abschn. E, Rdnr. 867 und 868).
Eine Ausnahme von dem vorgenannten Grundsatz, dass in Fällen der Einwirkung auf Personen durch körperliche Gewalt nach § 69 Abs. 1 und 2 Nds. SOG die Ankündigung, es werde unmittelbarer Zwang angewendet, ausreicht, ist geboten, wenn der Betroffene – wie hier – durch die Anwendung einer Nervendrucktechnik zur Vornahme einer Handlung gezwungen werden soll. Mit der vorgenannten Grifftechnik wird empfindlich in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen eingegriffen. Durch den Druck auf Nervenpunkte wird ihm unmittelbar ein nicht unerheblicher Schmerz zugefügt. Mit einer solchen schmerzhaften Behandlung muss der Betroffene nicht unbedingt rechnen. Der Grundsatz der Vorhersehbarkeit polizeilichen Handelns gebietet es deshalb, die bewusste und gewollte Zufügung von nicht lediglich unerheblichen Schmerzen durch die Anwendung einer Nervendrucktechnik im Rahmen des unmittelbaren Zwangs gesondert anzudrohen. Nur durch eine derartige vorherige Androhung wird der Betroffene in die Lage versetzt, die Zufügung von Schmerzen dadurch zu verhindern, dass er die geforderte Handlung vornimmt. Hierdurch kann zudem die Beugefunktion des Zwangsmittels besser verdeutlicht werden.
Nach diesen Grundsätzen genügte die Vorgehensweise der Polizeibeamten im Obergeschoss des besetzten Gebäudes gegenüber den sich dort befindlichen Hausbesetzern und damit auch gegenüber dem Kläger zwar den Anforderungen an die vorherige Androhung von Zwangsmitteln. Sowohl die Gruppe der Hausbesetzer insgesamt als auch der Kläger persönlich wurden von der Polizei zu Beginn der Räumung aufgefordert, das Gebäude freiwillig zu verlassen, wobei mündlich jeweils die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht wurde. Diese allgemein gehaltene Androhung hätte PK xxx im Erdgeschoss des Gebäudes aber durch die Ankündigung gegenüber dem Kläger ergänzen müssen, er setze jetzt eine Nervendrucktechnik ein, die schmerhaft sein könne, falls der Kläger nicht freiwillig aufstehe und das Gebäude verlasse. Ob der Kläger aktiven Widerstand gegen ein Wegtragen geleistet hat, ist unerheblich. Nach der Darstellung von PK xxx beschränkte sich der Widerstand des Klägers darauf, seine Arme anzuspannen, sich aus der sitzenden Position auf die Seite zu legen oder sich von der Seite unter Verschränkung der Arme auf die Brust in die Bauchlage zu drehen. In dieser Einsatzsituation war die Androhung der Anwendung der Nervendrucktechnik noch möglich.
Die vorherige Androhung der Anwendung der Nervendrucktechnik war im vorliegenden Fall auch nicht gemäß § 70 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG entbehrlich, weil die Umstände sie nicht zuließen, insbesondere die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig war. Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1b Nds. SOG ist eine gegenwärtige Gefahr eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine derartige Sachlage lag am Einsatztag nicht vor, als PK xxx bei dem Kläger die Nervendrucktechnik anwandte. Der Kläger, der als erster der Gruppe der Hausbesetzer die Treppe hinabgeleitet wurde, ließ sich nach dem freiwilligen und eigenständigen Hinabsteigen der Treppe im Erdgeschoss zwar am Treppenabsatz sofort wieder auf den Boden fallen. Es ist aber nicht erkennbar, dass durch dieses Verhalten des Klägers auf der Treppe die Bildung eines Rückstaus drohte, der die unmittelbar nachfolgenden Polizeibeamten und die übrigen Hausbesetzer auf der rutschigen Treppe der Gefahr des Ausgleitens und der Gefahr, sich dadurch erheblich zu verletzen, aussetzte. Dieser Gefahr konnte ohne Weiteres dadurch begegnet werden, dass die Nachfolgenden kurzzeitig vor oder auf der Treppe verharren, ohne Schaden zu nehmen, bis der Bereich an der Treppe im Erdgeschoss wieder frei war.
Da die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Gestalt der Nervendrucktechnik über der Nase des Klägers bereits den Anforderungen an die Androhung einer Zwangsmaßnahme nicht genügt, kommt es nicht entscheidungserheblich auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage an, ob diese Drucktechnik verhältnismäßig war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.