1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.11.2016 – L 9 AS 2282/16 B ER rechtskräftig
Zur Übernahme der Mietschulden als Darlehen – zur Berücksichtigung von Kindern in der Bedarfsgemeinschaft – Verweis auf § 22 Abs. 9 SGB II ungeeignet, Wohnungslosigkeit zu verhindern – Vorlage aktueller Kontoauszüge grundsätzlich nicht für erforderlich – Kopfteilprinzip – Fehlverhalten des Hilfebedürftigen
Darlehen zur Deckung von Mietschulden sind unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die aus dem Mietvertrag verpflichtet sind.
Im vorliegenden Fall war zu berücksichtigen, dass einerseits die Antragstellerin durch eigenes Fehlverhalten an der Entstehung der Mietschulden maßgeblich mitgewirkt hat, andererseits auch das beigeladene Land in seiner Funktion als Jugendhilfeträger und Dienstherr bzw. Arbeitgeber des für den Antragsteller bestellten Amtsvormunds durch pflichtwidriges Verhalten für die besonderen finanziellen Engpässe der Antragsteller mitverantwortlich ist.
Leitsatz (Juris)
1. Für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 22 Abs. 8 SGB II ist es ohne Bedeutung, ob wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag (Anschluss an BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R).
2. Allein der Umstand, dass die Amtsgerichte nach § 22 Abs. 9 SGB II zur Information der Grundsicherungsträger verpflichtet sind, verhindert noch keine Wohnungslosigkeit. In Verfahren auf Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II ist der Hinweis auf § 22 Abs. 9 SGB II regelmäßig verfehlt, weil eine Bereitschaft des ggf. zu informierenden Grundsicherungsträgers, Mietschulden zu übernehmen, offenkundig nicht besteht.
3. Die Vorlage aktueller Kontoauszüge zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ist in der Regel nicht erforderlich, wenn die Antragsteller aktuell im Leistungsbezug stehen.
4. Dass Kläger / Antragsteller einer Weitergabe ihrer beim Sozialgericht eingereichten Kontoauszüge an den Beklagten / Antragsgegner widersprechen, ist irrelevant, wenn dieser ohnehin regelmäßig Einsicht in die Kontoauszüge erhält.
5. Ein Amtsvormund, der Unterhalt nicht an sein Mündel weiterleitet und es hierdurch der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzt, handelt pflichtwidrig.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 19.09.2016 – L 18 AS 441/16
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung bzw -berechnung bei selbstständiger Arbeit – Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte sind keine Betriebsausgaben
Leitsatz (Redakteur)
1. Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte sind keine Betriebsausgaben im Rahmen der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin.
2. Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte sind nach § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b SGB II zu berücksichtigen, mithin weder als notwendige Betriebsausgaben unmittelbar vom Einkommen abzusetzen noch als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung gemäß § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Dezember 2014 – L 12 AS 1858/13 – sowie auch Schmidt in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 11 b Rn. 16, wonach allenfalls § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II als Absetzungsnorm erwogen wird).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 14.12.2016 – L 31 AS 1607/16 B
Leitsatz (Juris)
1. Gegen den Beschluss, mit dem sich ein Sozialgericht nach Verweisung des Rechtsstreits durch ein Amtsgericht für unzuständig erklärt, ist die Beschwerde zum Landessozialgericht gegeben.
2. Die Sache ist dem Bundessozialgericht nur dann zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen, wenn beide Beschlüsse der Gerichte mangels Anfechtung durch die Beteiligten rechtskräftig sind; im Übrigen entscheidet das Landessozialgericht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 13. Senat, Urteil vom 14.12.2016 – L 13 AS 92/15 – Die Revision wird zu gelassen
Arbeitslosengeld II – Sonderbedarf – Reparaturkosten einer Brille
Leitsatz (Redakteur)
1. Reparaturkosten einer Brille können einen Sonderbedarf i. S. d. § 24 Abs.3 S. 1 Nr. 3 SGB II darstellen.
2. Ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II aus, weil diese Bestimmung einen laufenden Bedarf voraussetzt.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
1.5 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 18.04.2016 – L 15 AS 257/15 B ER
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche – Sozialhilfe – Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 – Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 – keine Ermessensreduzierung auf Null nach mehr als sechsmonatigem Aufenthalt
Leitsatz (Juris)
Der Sozialhilfeanspruch von EU-Bürgern, die durch § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom ALG II -Bezug ausgeschlossen werden, ist gemäß § 23 Abs. 3 S. 1 und Abs. 1 S. 3 SGB XII auch bei einem mehr als sechsmonatigen Aufenthalt im Bundesgebiet auf eine fehlerfreie, von den Umständen des Einzelfalles abhängige Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers beschränkt. Von einer mit dem Beginn des siebten Aufenthaltsmonats einsetzenden, regelhaften Verpflichtung, im Wege der Ermessensreduzierung auf Null laufende Leistungen nach Maßgabe des Dritten Kapitels SGB XII zu gewähren, ist entgegen der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R) nicht auszugehen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.6 – LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 30.05.2016 – L 11 AS 39/14 NK
Leitsatz (Redakteur)
Satzung über Wohnkosten für „Hartz IV“- und Sozialhilfe Empfänger in Neumünster unwirksam.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
S. a. : Grundsatzurteil : Hartz-IV-Mieten: Gericht kippt Kostensatzung: www.shz.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urteil v. 24.11.2016 – S 3 AS 2553/13 – Die Berufung wird zugelassen.
Zur Frage, ob für den hier streitigen Zeitraum vom 01.04.2013 bis zum 30.09.2013 von einem schlüssigen Konzept für die Stadt Wuppertal ausgegangen werden kann im Hinblick auf Wohnraum in der Größenordnung um 50 qm.
Leitsatz (Redakteur)
1. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Berücksichtigung der Bedarfe für seine Unterkunft unter Zugrundelegung der Wohngeldtabelle zuzüglich eines 10 % igen Zuschlags.
2. Denn die Ermittlung des angemessenen qm Preises durch den Grunsicherungsträger beruht bei Wohnungen für Ein-Personenhaushalte in der Größenordnung um die 50 qm nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
3. Offen bleiben kann, ob der von dem Beklagten zugrunde gelegte Mietspiegel 2010, der auf einer Datenerhebung aus dem Jahre 2009 beruht, überhaupt noch geeignet ist zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Jahre 2013. Die Kammer geht davon aus, dass die 2009 erhobenen Daten jedenfalls für Zeiträume ab Ende 2014 nicht mehr ausreichen zur Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten (vgl. Urteil des SG Düsseldorf vom 24.11.2016, S 3 AS 489/15 sowie vom 04.07.2016, S 13 AS 3749/15).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – Sozialgericht Nordhausen, Urteil v. 26.10.2015 – S 31 AS 818/14 – rechtskräftig
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Ablehnung der Erstattung von Vorverfahrenskosten – Rechtsanwaltsvergütung – Möglichkeit der Verjährungseinrede – Kostenminderungspflicht
Leitsatz beck-online
1. Ein Anspruch auf Freistellung vom Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten nach § 63 SGB I ist ausgeschlossen, wenn der Mandant im Zeitpunkt des Kostenerstattungsantrages die Einrede der Verjährung erheben könnte. (amtlicher Leitsatz)
2. Der Beklagte ist berechtigt, die Erstattung der Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten unter Hinweis auf die Kostenminderungspflicht abzulehnen. (amtlicher Leitsatz)
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp: Schneider, Norbert
Urt mit Anmerkung | Ablehnung der Kostenerstattung bei Möglichkeit der Verjährungseinrede | AGS 2016, 550-552
2.3 – Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 16. Dezember 2016 (Az.: S 19 AS 3947/16):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Entscheidung über die (Nicht-) Erteilung der Zustimmung nach § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II ist inzident, im Rahmen des gegen die Aufhebungs- bzw. Bewilligungsentscheidung geführten Hauptsacheverfahrens zu prüfen.
2. Die Regelungen zur Ortsabwesenheit bezwecken weder eine Sanktion für ein nicht konformes Verhalten noch eine Belohnung für ein konformes Verhalten.
3. Eine Ortsabwesenheit darf aber die berufliche Eingliederung von Leistungsempfänger/innen nicht beeinträchtigen.
4. Dies ist nicht der Fall, wenn bei der Beantragung der Zustimmung nach § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II lediglich einzelne Bewerbungen des Antragstellers noch liefen, der SGB II-Träger der hilfebedürftigen Person nur zwei Vermittlungsvorschläge unterbreitete, und der Leistungsbezieher der Arbeitsvermittlung erst wieder nach Krankheit uneingeschränkt zur Verfügung stand.
5. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass die Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz trotz länger andauernder Arbeitslosigkeit in den ersten Monaten nach einer Erkrankung erneut steigen. Erfahrungsgemäß sind die Chancen auf eine Eingliederung in Arbeit in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit am größten.
6. Auch für arbeitslose Personen ist Urlaub notwendig.
2.4 – Sozialgericht Dortmund, Beschluss v. 29.11.2016 – S 32 AS 4478/16 ER
Leitsatz (Juris)
1. Zum Zusammenhang zwischen der Befugnis zur Verurteilung (oder Verpflichtung durch einstweilige Anordnung) von “unecht” notwendig Beigeladenen/Beizuladenden gem. § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG und dem Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) bei “parallel” geführten, separaten Klage- oder Eilverfahren gegen Beklagte/Antragsgegner, die alternativ als leistungspflichtige Sozialleistungsträger in Betracht kommen können – hier: Leistungsträger nach dem SGB II und nach dem SGB XII im Zusammenhang mit § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und §§ 21 Satz 1, 23 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 3 SGB XII.
2. Das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit steht der Zulässigkeit des jüngeren (später anhängig gemachten) Verfahrens schon in Bezug auf die mit dem Hauptantrag betriebene Rechtsverfolgung gegenüber dem Beklagten/Antragsgegner entgegen, wenn im Hinblick auf den Streitgegenstand des jüngeren Verfahrens im Verhältnis zwischen Kläger/Antragsteller und Beklagtem/Antragsgegner in dem anderen, älteren (früher anhängig gemachten) Verfahren in Anwendung von § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG die Beiladung dieses Beklagten/Antragsgegners als alternativ leistungspflichtig “in Betracht” kommender Sozialleistungsträger erforderlich ist – weil sich gegen ihn nach der Sach- und Rechtslage die ernsthafte Möglichkeit eines Leistungsanspruchs abzeichnet – und dort anschließend in Anwendung von § 75 Abs. 5 SGG dessen Verurteilung/Verpflichtung möglich ist. Das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit steht der Zulässigkeit des jüngeren Verfahrens hingegen nur teilweise, nämlich nur im Hinblick auf eine hilfsweise Rechtsverfolgung gem. § 75 Abs. 5 SGG gegenüber einem nach § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG beigeladenen oder beizuladenden anderen Leistungsträger, entgegen, wenn es sich insoweit um denselben Streitgegenstand handelt wie bei dem des älteren Verfahrens im Verhältnis zwischen dem dortigen Kläger/Antragsteller und dem dortigen Beklagten/Antragsgegner. In solchen Fällen ist das jüngere Verfahren (nur) im Hinblick auf das Hilfsrechtsschutzbegehren unzulässig und das Bestehen eines Anspruchs (bzw. Anordnungsanspruchs und -grundes) gegenüber dem im jüngeren Verfahren nach § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG Beizuladenden/Beigeladenen allein in dem älteren Verfahren, in dem dieser Beklagter/Antragsgegner ist, sachlich zu prüfen und darüber zu entscheiden; nach § 75 Abs. 5 SGG darf dann in dem jüngeren Verfahren nicht verfahren werden.
3. Ist ein Verfahren gegen einen Leistungsträger bereits anhängig, so ist ein separates Verfahren gegen den beigeladenen/beizuladenden anderen Leistungsträger wegen anderweitiger Rechtshängigkeit des Streitgegenstands in dem früher anhängig gemachten Verfahren, in dem die Beiladung erfolgt ist oder noch erfolgen muss, unzulässig ist (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.09.2011 – L 1 AL 70/11 B -; LSG NRW, Beschluss vom 18.09.2013 – L 9 SO 192/13 -; BSG, Urteil vom 29.03.2001 – B 7 AL 14/00 R -; BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 13/10 R -). Entgegen der wohl h. M. stellt die Rechtshängigkeit eines gegen den Beigeladenen eingeleiteten (älteren) Verfahrens ein Hindernis für seine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG dar; die anderweitige Rechtshängigkeit wird nicht nur “mit der Verurteilung gegenstandslos” (entgegen BSG, Urteil vom 19.05.1982 – 11 RA 37/81 -; BSG, Urteil vom 24.05.1984 – 7 RAr 15/82 -; BSG, Urteil vom 15.11.2012 – B 8 SO 3/11 R -; BSG, Urteil vom 27.08.2011 – B 4 AS 1/10 R -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06.2016 – L 7 SO 1741/12 -; LSG NRW, Beschluss vom 26.02.2013 – L 9 SO 437/12 B -).
4. Nur durch die konsequente Ansehung allein des früher anhängig gemachten Verfahrens als zulässig wird dem Sinn und Zweck sowohl von § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG als auch von § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG, die jeweils mehrere Gerichtsverfahren und die Gefahr widersprechender Entscheidungen vermeiden sollen, praktikabel und (zumindest weitgehend) widerspruchsfrei Rechnung getragen. Andernfalls käme es zu einem ggf. jahrelangen “Nebeneinanderher-Arbeiten” mehrerer Gerichte, u. a. zu doppelter Amtsermittlung, und würde letztlich nach dem “Windhundprinzip” verfahren. 5. Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen hinreichender Erfolgsaussichten einer “hilfsweisen” Rechtsverfolgung gegenüber einer gem. § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG notwendig Beigeladenen/Beizuladenden im Hinblick auf § 75 Abs. 5 SGG (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 04.03.2010 – L 1 B 34/09 AS -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.09.2011 – L 1 AL 70/11 B -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.09.2013 – L 8 SO 10/13 B -) – hier bejaht wegen der weitgehend fehlenden Klärung des Verhältnisses zwischen §§ 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG und § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG und der i. S. v. § 114 ZPO vertretbaren Rechtsprechung des BSG, nach der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasste Personen auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Leistungen von dem beigeladenen SGB XII-Leistungsträger beziehen können.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.5 – SG Leipzig, Urt. v. 10.10.2016 – S 17 AS 1584/13
SG Leipzig: Ausnahme vom “Kopfteilprinzip” bei Lebensgemeinschaft mit einkommens- und vermögensloser EU-Ausländerin
Quelle: Pressemitteilung 12.01.2017: www.justiz.sachsen.de
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
3.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.11.2016 – L 18 AL 38/16
Richtlinie 2003/88/EG – Urlaubsabgeltung – Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – Altersrente
Die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III verstößt auch nicht gegen europarechtliche Regelungen.
Leitsatz (Redakteur)
1. § 157 Abs. 2 SGB III führe weder zu einer Verkürzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs noch zu einer Reduzierung des Jahresmindestanspruchs des Klägers auf Urlaub. Eine Anrechnung der Urlaubsabgeltung auf den Alg-Anspruch des Klägers finde nicht statt, weil das Ruhen gemäß § 157 Abs. 2 SGB III nur den Beginn der Alg-Zahlung verschiebe, jedoch nicht eine Verkürzung oder Minderung der Anspruchsdauer zur Folge habe.
2. Aufgrund dieses Anspruchs gegen den ehemaligen Arbeitnehmer ruhte der Anspruch auf Alg – unabhängig davon, ob dieser Anspruch von seinem ehemaligen Arbeitgeber erfüllt werden würde, wobei der Ruhenszeitraum gemäß § 157 Abs. 2 Satz 2 SGB III mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folgt beginnt – und kalendermäßig abläuft (zur Berechnung des Ruhenszeitraums vgl Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 29. März 2001 – B 7 AL 14/00 R).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.2 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 16.12.2016, L 8 AL 4082/15
Leitsatz (Juris)
1. Das in § 44 SGB X geregelte Zugunstenverfahren dient grds. der Herstellung materieller Gerechtigkeit.
2. Die gesetzliche Wertung des § 42 Satz 2 SGB X gibt jedoch dem Verfahrensfehler einer fehlenden Anhörung bei Erlass des im Zugunstenverfahren zu prüfenden belastenden Verwaltungsakts auch dann Bedeutung und Gewicht, wenn selbst bei stattgefundener Anhörung eine andere Verwaltungsentscheidung nicht hätte getroffen werden dürfen. Der Bescheid ist insoweit formell rechtswidrig, was aber auch die rechtliche Wertung bedingt, dass die Entscheidung zu Unrecht getroffen worden war und nach § 44 SGB X aufzuheben ist.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 05.09.2016 – L 20 SO 194/14 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. : B 8 SO 29/16 R
Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – längerer Auslandsaufenthalt (mehere Monate) – Territorialitätsprinzip – gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland – Sozialhilfe für Deutsche im Ausland – Leistungsausschluss nur bei Nichtbestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland – abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs – erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf – geringere Lebenshaltungskosten – Gegenrechnung der Reisekosten
Leitsatz (Redakteur)
Eine Ortsabwesenheit von längerer Dauer in Thailand hebt den gewöhnlichen Aufenthalt nicht auf, wenn die Absicht oder Wahrscheinlichkeit besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren, und gefestigte Beziehungen dorthin aufrecht erhalten blieben.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen der Landes- und Sozialgerichte zum Asylrecht
5.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. Dezember 2016 (Az.: L 8 AY 51/16 B ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Inhaber/inner einer Duldung nach § 60a AufenthG sind als gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtige Personen nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG erfasst.
2. Wenngleich Inhaber/innen einer Duldung entsprechend § 60a AufenthG im Regelfall auch vollziehbar ausreisepflichtig sind, weil die Ausreisepflicht einer ausländischen Person, deren Abschiebung ausgesetzt ist, nach § 60a Abs. 3 AufenthG unberührt bleibt, ist die Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 2 Satz 1 auf diese zugleich nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigte Personengruppe unanwendbar.
3. Die Heranziehbarkeit des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG setzt voraus, dass sich die Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG ausschließlich aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG ergeben muss.
4. Diese Norm ist unanwendbar, wenn ein Antragsteller zugleich auch im Besitz einer Duldung ist.
5. Durch eine entsprechende Anerkennung wird die Unmöglichkeit der Durchführung einer Abschiebung dokumentiert, was der Heranziehbarkeit des § 1a Abs. 2 AsylbLG entgegen steht.
5.2 – Sozialgericht Landshut, Urteil v. 16.12.2016 – S 11 AY 74/16
Welche Auswirkung die Bereitstellung von WLAN auf die Höhe des Barbetrages hat ist weder vom Bayerischen Landessozialgericht noch vom Bundessozialgericht bisher entschieden. Nachdem viele Personen in Aufnahmeeinrichtungen potentiell betroffen sind, besteht ein Klärungsbedürfnis, dass über das Individual Interesse der Kläger hinausgeht.
Ein Abzug der Kosten für Nachrichtenübermittlung ist nicht in Anwendung von § 3 Abs. 1 S. 6 AsylbLG vorzunehmen.
Leitsatz (Redakteur)
1. Die Bereitstellung eines WLAN-Zuganges ohne die Sicherstellung, dass der Zugang tatsächlich in Anspruch genommen wurde bzw. werden konnte, stellt keine Deckung des existenzsichernden Bedarfs der Kläger dar.
2. Die Entscheidung des Gesetzgebers in § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG, zur Deckung des existenzsichernden Bedarfs vorrangig Sachleistungen vorzusehen, wird nicht alleine durch die Bereitstellung von WLAN ausgefüllt.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Ebenso SG Landshut, Beschluss v. 16.08.2016 – S 11 AY 64/16 ER
S. a. dazu Leitsätze von Juris
Einfache Bereitstellung von WLAN in Erstaufnahmeeinrichtung reicht nicht zur Bedarfsdeckung aus.
1. Durch die Bereitstellung von WLAN werden nicht alle Positionen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Nachrichtenübermittlung (Abteilung 8) abgedeckt. (amtlicher Leitsatz)
Orientierungsätze:
Die Bereitstellung von WLAN stellt zunächst ein Angebot zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs dar.
Wenn Positionen, die den notwendigen persönlichen Bedarf betreffen, durch Sachleistungen gewährt werden und sodann auf den pauschal berechneten Geldbetrag angerechnet werden sollen, muss sicher sein, dass die Sachleistungen zumindest in der zugrunde gelegten Höhe in Anspruch genommen wurden.
5.3 – Sozialgericht Magdeburg, Urteil vom 10. November 2016 (Az.: S 25 AY 29/16 WA):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Bei der aus § 1a AsylbLG (Anspruchseinschränkung) hervorgehenden Vorschrift stehen gerade keine migrationspolitischen Erwägungen im Vordergrund, sondern es können auf dieser Grundlage im besonders begründeten Einzelfall Sanktionen verhängt werden.
2. Es handelt sich hier um eine Einzelfallregelung mit hohen Anforderungen an die tatbestandliche Voraussetzung einer Einschränkung.
3. Eine Nichtanwendbarkeit des § 1a AsylbLG hätte eine unbegründete und ungerechtfertigte Privilegierung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gegenüber dem Adressatenkreis der Sanktionen nach den §§ 31 ff. SGB II zur Folge.
4. Wenn es über ein psychologisch-psychotraumatologisches Gutachten verifiziert ist, dass bedingt durch schwere seelische Leiden (insbesondere eine posttraumatische Belastungsstörung) ein Vollstreckungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG besteht, dann kann amtlicherseits nicht von einer bewussten Verhinderung des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen i. S. d. § 1a Abs. 2 / Abs. 3 AsylbLG ausgegangen werden.
5. Für eine leistungsmissbräuchliche Einreiseabsicht i. S. d. § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG kann ebenfalls sprechen, wenn eine nichtdeutsche Person unmittelbar oder relativ kurz nach der Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf Leistungen nach dem AsylbLG stellt, oder wenn die nichtdeutsche Person mit geringen oder überhaupt keinen Eigenmitteln in die BR Deutschland eingereist ist.
6. Beruht die Einreise in das Bundesgebiet auf mehreren Motiven, hat die für die Durchführung des AsylbLG zuständige Behörde im Wege einer umfassenden Einzelfallbetrachtung zu prüfen, welcher der für die Einreise ausschlaggebenden Gründe von ausschlaggebender Bedeutung war.
7. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Praktizierung eines Rechtsmissbrauchs obliegt der für die Durchführung des AsylbLG zuständigen Behörde.
8. Bei einer Reiseunfähigkeit liegen die Voraussetzungen des § 1a Abs. 2 Satz 1 / Abs. 3 Satz 1 AsylbLG nicht vor.
6. Verschiedenes zu Hartz IV u. a. Gesetzesbüchern
VG Saarlouis, 16.09.2016 – 5 N 2073/15: Vollstreckung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Drei Monate nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses muss nicht mehr gemahnt werden!
Leitsätze
Die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens gemäß §§ 170 VwGO gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist auch ohne eine vorherige zusätzliche Mahnung zulässig, wenn seit der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses bereits mehr als 3 Monate vergangen sind, ohne dass die Vollstreckungsschuldnerin den von ihr geschuldeten Betrag gezahlt hat. Insoweit ist davon auszugehen, dass allein auf Grund des Zeitablaufes der Vollstreckungsschuldnerin ausreichend Gelegenheit gegeben worden ist, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden. Es ist dann nicht mehr erforderlich, dass der Vollstreckungsgläubiger vor Einleitung der Vollstreckung die Vollstreckungsschuldnerin zusätzlich zur Zahlung aufgefordert und gemahnt hat.
Quelle: community.beck.de
BayLSG: Blindengeld auch für schwer demente Menschen
Nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz erhalten blinde Menschen zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld in Höhe von € 579. Nicht erforderlich ist dabei, dass tatsächlich behinderungsbedingte Mehraufwendungen anfallen. Für die Leistung muss die Blindheit durch eine medizinische Beurteilung nachgewiesen sein. Dieser Nachweis ist dann besonders schwierig, wenn die Betroffenen krankheitsbedingt nicht an der Untersuchung mitwirken können.
BayLSG, Pressemitteilung v. 13.01.2017 zum Urt. v. 19.12.2016 – L 15 BL 9/14 (nicht rechtskräftig): bayrvr.de
SG Berlin, 01.12.2016 – S 9 R 1113/12 WA – Entscheidung über die Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten – Güterabwägung
Leitsatz (Juris)
1. Ein Verwaltungsakt, mit dem die Akteneinsicht abgelehnt wird, ist selbständig mit der Klage anfechtbar, wenn zwar eine Sachentscheidung ergangen ist, diese den Kläger jedoch nicht beschwert und von ihm im Klageverfahren deshalb auch nicht angegriffen wird.
2. Die Entscheidung über die Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten an den betreffenden Versicherten im Wege der Akteneinsicht erfordert eine Güterabwägung zwischen den in § 25 Abs. 3 SGB 10 genannten Geheimhaltungsinteressen und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen. Jenseits der ausdrücklichen gesetzlichen Übermittlungsbefugnisse kommt ein überwiegendes Interesse des Betroffenen, Kenntnis von dem Namen eines Behördeninformanten zu erhalten, lediglich unter engen Voraussetzungen in Betracht, und zwar insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche – namentlich rufschädigende – Behauptungen aufgestellt hat oder wenn er als Zeuge in Betracht kommt.
Quelle: dejure.org
Anmerkung:
Zum SGB II- SG Aachen S 8 AS 48/06 vom 08.12.2006 – Hat der wegen Leistungsmissbrauchs Angezeigte Anspruch auf Namensnennung des Anzeigenden? – Schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse; und zum SGB III – SG Stade, Urteil vom 23.02.2006, S 6 AL 112/02 – Akteneinsicht und Auskunft über den Namen eines Behördeninformanten
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de