Tacheles Rechtsprechungsticker KW 06/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.10.2016 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 12.10.2016 – B 4 AS 4/16 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vermögensberücksichtigung – selbstgenutztes Hausgrundstück – angemessene Größe – Verringerung der Bewohnerzahl durch Auszug der erwachsenen Kinder – Überschreitung der Wohnflächengrenze

Leitsatz (Redakteur)
1. Ein Eigenheim von Hartz-IV-Beziehern kann nach dem Auszug der Kinder unangemessen groß sein.

2. Nicht als normativer Anknüpfungspunkt für eine Erhöhung der allgemeinen Angemessenheitsgrenze kann § 82 Abs 3 S 2 II. WoBauG herangezogen werden, wonach eine Verminderung der Personenzahl nach dem erstmaligen Bezug der Wohnung für die Beurteilung der angemessenen Wohnfläche von steuerbegünstigten Wohnungen unschädlich ist.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 12.10.2016 – B 4 AS 60/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Hilfebedürftigkeit – Bedarfsgemeinschaft – Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – behauptete Trennung – Heranziehbarkeit der familienrechtlichen Regelungen zum Getrenntleben von Ehegatten

Leitsatz (Redakteur)
§ 1567 Abs 1 BGB ist für die Gesamtwürdigung, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft besteht oder nicht besteht, nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden. Dies scheitert schon daran, dass es sich um eine Regelung über die Trennung von Eheleuten handelt. Solche Regelungen des Familienrechts, die die Ehe betreffen, können auf eheähnliche Gemeinschaften gerade nicht angewendet werden.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.12.2016 – L 15 AS 257/16 B ER

Leitsatz (Redakteur)
Zur Durchsetzung angemessener Unterkunftskosten nach § 22 SGB II und hiermit in Zusammenhang stehender Fragen einer durch Verwaltungsanweisung bestimmte Mietobergrenze im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (hier verneinend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
S. a. dazu Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen v. 01.02.2017

Übernahme von Mietkosten im Stadtgebiet Bremen
Das LSG Celle-Bremen hat eine erstinstanzliche Entscheidung des SG Bremen aufgehoben, mit dem dieses im Rahmen eines Eilverfahrens das Jobcenter Bremen zur Übernahme von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten sowie einer Mietkaution als Leistungen nach dem SGB II für die von einer vierköpfigen Familie neu angemietete 75 m³ große Wohnung in Bremen verpflichtet hatte.

weiter: www.juris.de

Anmerkung:
S. a. dazu Leitsatz Dr. Manfred Hammel

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Dezember 2016 (Az.: L 15 AS 257/16 B ER):
Eine Verpflichtung eines SGB II-Trägers zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II hinsichtlich der Aufwendungen für die neuen Unterkunft kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur dann in Betracht kommen, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch auf die Übernahme der geltend gemachten Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II besteht, d. h. die Bruttokaltmiete der neu anzumietenden Wohnung die Obergrenze der für den betr. Haushalt festgesetzten Werte nicht überschreitet.

2.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.11.2016 – L 11 AS 699/15

Leitsatz (Juris)
1. Allein aus dem Umstand, dass das Jobcenter Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 7 SGB II direkt an den Vermieter überweist, ergibt sich kein eigener einklagbarer Zahlungsanspruch des Vermieters gegen das Jobcenter.

2. Bei einer vom Jobcenter gegenüber dem Vermieter abgegebenen Übernahmeerklärung (Direktzahlung der Miete gem. § 22 Abs 7 SGB II) handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Zusage.

3. Zahlungsansprüche aus einer solchen öffentlich-rechtlichen Zusage können vom Vermieter im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden. Hierfür ist der Sozialrechtsweg eröffnet.

4. Bei einer Übernahmeerklärung i.S. einer öffentlich-rechtlichen Zusage ist durch Auslegung zu ermitteln, ob sich diese Erklärung in einer Tatsachenmitteilung erschöpft oder darüber hinaus eine materiell-rechtliche Zahlungsverpflichtung des Jobcenters gegenüber dem Vermieter begründet. Es bedarf besonderer Umstände, um aus einer solchen Übernahmeerklärung eine eigenständige materiell-rechtliche Zahlungsverpflichtung herzuleiten.

5. Die Zahlungsverpflichtung aus einer Übernahmeerklärung des Jobcenters ist der Höhe nach generell auf den grundsicherungsrechtlich anzuerkennenden Umfang der Hilfebedürftigkeit begrenzt. Es besteht somit kein Anspruch auf Zahlung von Mietzins oder “Nutzungsentgelt” für Zeiten, in denen die Wohnung gar nicht mehr von den Hilfebedürftigen bewohnt wird.

6. Ein Anspruch des Vermieters auf Verzugszinsen bei verspäteter Direktzahlung der Miete besteht nicht.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.3 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.01.2017 – L 11 AS 1138/16 B ER

Leitsatz (Juris)
Bei der Prüfung des Anspruchs auf Leistungen für KdU ist entscheidend auf die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft abzustellen. Es können ausschließlich die Kosten für eine Unterkunft übernommen werden, in der sich der Leistungsbezieher überwiegend tatsächlich aufhält. Kosten für Zweitunterkünfte oder für die Beibehaltung einer früheren Wohnung – etwa um sich bei einer neu eingegangenen Partnerschaft einen Rückzugsort offen zu halten – werden nicht übernommen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
S. a. dazu Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen v. 31.01.2017

Jobcenter muss nicht für ungenutzte Wohnung zahlen
Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass Grundsicherungsempfänger nach dem SGB II nur Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer Unterkunft haben, die auch tatsächlich genutzt wird.

Weiter: www.landessozialgericht.niedersachsen.de

Hinweis:
Dazu auch Leitsätze von Dr. Manfred Hammel

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Januar 2017 (Az.: L 11 AS 1138/16 B ER):
1. Bei der Prüfung des Anspruchs auf Leistungen für die Kosten der Unterkunft (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ist entscheidend auf die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft abzustellen.

2. In diesem Rahmen können ausschließlich die Aufwendungen für eine Unterkunft, in der sich der erwerbsfähige Leistungsberechtigte überwiegend tatsächlich aufhält, übernommen werden, nicht dagegen die Kosten für Zweitunterkünfte.

3. Dies liegt dann vor, wenn ein Antragsteller seinen Lebensmittelpunkt nachweislich an einem anderen Ort hat, d. h. sowohl seine Ausbildung als auch seine Freizeit dort verbringt, und die von ihm bislang genutzte Wohnung als unbewohnt aufgefasst zu werden hat. Ein wichtiges Indiz stellt hier die absolut unzureichende Beheizung dieser Unterkunft dar.

4. Für eine nicht mehr bewohnte Wohnung besteht kein Anspruch auf Leistungen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Leistungen für die Beibehaltung einer anderen Wohnung kommen in diesem Rahmen nicht in Betracht.

2.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. vom 18.01.2017 – L 5 AS 141/16

Zur Anrechnung von Betriebs- und Heizkostenguthaben

Leitsatz RA Michael Loewy
1. Ein Betriebs- und Heizkostenguthaben ist nicht gem. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II auf einen Zeitraum von 6 Monaten gleichmäßig aufzuteilen, sondern vielmehr so aufzuteilen, dass es im Zufluss des Folgemonates zunächst auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft anzurechnen ist, bis diese vollständig entfallen. Der Restbetrag des Guthabens ist in den Folgemonaten in gleicher Weise anzurechnen bis es verbraucht ist.

2. Der Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt vom 04.02.2013 die eine Anrechnung des Betriebs- und Heizkostenguthabens unter Anwendung des § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II befürwortet, ist nicht zu folgen. Diese berücksichtigt weder den eindeutigen Wortlaut von § 11 Abs. 3 SGB II, noch den Sinn und Zweck von § 22 Abs. 3 SGB II sowie die Rechtsprechung des BSG. [noch nicht rechtskräftig]

Quelle: www.anwaltskanzlei-loewy.de

Rechtstipp:
Ebenso SG Magdeburg, Urteil vom 10.06.2016 – S 15 AS 3053/13

2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 05.01.2017 – L 25 AS 2835/16 B

Vollmachtloser Vertreter

Leitsatz (Juris)
Beschwerden gegen eine in einem Urteil/einem Gerichtsbescheid getroffene Kostenentscheidung durch erstmals belasteten Dritten
Statthaftigkeit der Beschwerde (verneint – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2016 – L 10 AS 334/16 B – juris).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 27.10.2016 – L 8 AS 1512/13 – Beschwerde beim BSG anhängig – B 14 AS 11/17 B

Überschießendes Kindergeld- Absetzung Kinderunfallversicherung vom Kindergeld

Leitsatz (Redakteur)
1. Eine Kinderunfallversicherung für ein unter 14-jähriges (hier: 1-jähriges) Kind ohne besonderes gesundheitliches Risiko stellt grundsätzlich eine dem Grunde nach unangemessene Versicherung dar, für die Beiträge nicht vom Kindergeld oder anderem Einkommen bei der Berechnung des Sozialgeldes in Abzug zu bringen sind (BSG, Urteil vom 16.02.2012 – B 4 AS 89/11 R). Dies deswegen, weil der Abschluss einer solchen Versicherung nicht zu den in der Bevölkerung üblichen Versicherungen gehört.

2. Kindergeld ist nach der Zurechnungsregel des § 62 EStG Einkommen des Kindergeldberechtigten. Eine abweichende Zurechnung erfolgt grundsicherungsrechtlich (nur) dann, wenn das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder beim jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Ist dies – wie hier – nicht der Fall, verbleibt es bei der Zurechnung nach § 62 EStG.

3. Aus der zum 01.01.2008 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1612b BGB folgt nichts anderes.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Stuttgart, Urteil vom 22. Dezember 2016 (Az.: S 19 AS 4214/15):

Konzept des Landkreises Esslingen in 2014 veraltet, es entspricht nicht den Vorgaben des BSG.

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Für einen Ein-Personen-Haushalt ist eine Wohnfläche von 45 qm angemessen. Dies entspricht den Festsetzungen des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung.

2. Den vom Bundessozialgericht an ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzwerten vertretenen Mindestanforderungen entspricht es nicht, wenn der SGB II-Träger in einer nicht nachvollziehbaren Art und Weise offenlegt, nach welchen Gesichtspunkten er die Erhebung unterkunftsbezogener Daten durchgeführt hat.

3. Dies gilt gerade dann, wenn die Definition des zu berücksichtigenden unteren Marktsegments als einfacher Wohnstandard nicht schlüssig geführt wird, z. B. auch in Wohnheimen gelegene Wohnungen und möblierter Wohnraum unberücksichtigt bleiben.

4. Erhebliche Zweifel an der Repräsentativität und Validität der amtlicherseits erhobenen Daten sind angebracht, wenn vom Jobcenter für den relevanten Vergleichsraum lediglich 17 Wohnungsannoncen für Ein-Personen-Haushalte mit einfachem Standard erfasst werden.

5. Bereits die geringe Anzahl der Daten spricht gegen ihre Repräsentativität, gerade wenn nur 60 v. H. des verfügbaren Wohnraums erfasst wurden.

6. Wenn keine Kriterien-basierte Auswahl der unterkunftsbezogenen Daten erfolgte, können diese auch nicht als Stichproben, die den Schluss auf den gesamten Wohnungsbestand gestatten, aufgefasst werden.

7. Die Berechnungsmethode ist weder transparent noch nachvollziehbar, wenn vom Jobcenter die Mietobergrenze in der Weise gewählt wurde, dass damit mindestens derart viele Wohnungen unterhalb der Mietobergrenze zur Verfügung stünden wie Bedarfsgemeinschaften aus dem Fallbestand des SGB II und SGB XII oberhalb der Mietobergrenze lägen, d. h. neuen Wohnraum suchten: Eine Einschätzung, die ohne nähere Begründung vertreten wird.

8. Aufgrund ständig ansteigender Mieten im Vergleichsraum können bereits eineinhalb Jahre Daten zu den Kosten der Unterkunft nicht die aktuelle Mietpreissituation widerspiegeln. Dies bedingt ein Verwertungshindernis.

3.2 – Sozialgericht Cottbus, Beschluss vom 12. August 2016 (Az.: S 40 AS 1768/16 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Eine Weigerung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II setzt stets die vorsätzliche Ablehnung eines bestimmten, vom Jobcenter geforderten Verhaltens oder die zielgerichtete Verweigerung, eine bestimmte Verpflichtung zu erfüllen bzw. den vom SGB II-Träger geforderten Nachweis zu führen, voraus.

2. Insbesondere die erheblichen Einschnitte in das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum als Rechtsfolgen der Sanktionierung nach Pflichtverletzungen (§ 31 SGB II i. V. m. den §§ 31a und 31b SGB II) lassen für eine Absenkung und einen Wegfall des Alg II (§ 31a Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB II) ein nur fahrlässiges Fehlverhalten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nicht ausreichen.

3. Die Beweislast für das Vorliegen einer vorsätzlichen Weigerung oder die Verhinderung der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses durch den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten liegt stets beim Jobcenter.

4. Der Tatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB Ii ist nicht erfüllt, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger sich auf einen entsprechenden Hinweis des SGB II-Trägers hin lediglich verspätet beworben hat, ohne dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er durch die verspätete Abgabe seiner Bewerbung ein Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindern wollte.

4. Dies gilt gerade dann, wenn dem Alg II-Empfänger mehrere Vermittlungsvorschläge zugestellt worden waren, und der Antragsteller auch verschiedene Eigenbemühungen unternahm.

5. Für ein lediglich fahrlässiges Verhalten spricht zudem ein umgehendes Nachholen der Bewerbung in ansprechender Form.

6. An einer Konkretheit der entsprechend § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II unabdingbaren Rechtsfolgenbelehrung fehlt es, wenn ohne Bezug zu den konkreten Mitwirkungspflichten des Adressaten des Bescheids vom SGB II-Träger dort lediglich eine Vielzahl von Sachverhaltsvarianten genannt oder der reine Gesetzestext in einer Rechtsfolgenbelehrung wiedergegeben wird, die in einer deutlich kleineren Schriftgröße gehalten ist als der Rest des Textes, was ein flüssiges Lesen und Verstehen erschwert.

3.3 – Sozialgericht Augsburg, Urt. v. 30.01.2017 – S 8 AS 1421/16

Zur Bewilligung von Einstiegsgeld für eine Tätigkeit in England (hier verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
Der Kläger hätte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des SGB I) i.V.m. § 30 Abs. 3 des SGB) nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland, hier im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Dies kollidiert mit dem Grundprinzip des SGB II, dass Leistungen nur an im Inland aufhältige Personen erbracht werden. Daraus kann auch abgeleitet werden, dass Tätigkeiten im Ausland nur dann gefördert werden sollen, wenn damit keine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland verbunden ist.

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

4.1 – LSG Hessen, Urt. v. 18.11.2016 – L 7 AL 87/15

Gewährung von Arbeitslosengeld – § 161 Abs. 2 SGB 3 – sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

Leitsatz (Juris)
1. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld kann nach § 161 Abs. 2 SGB 3 nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind.

2. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nicht nur eine Pflichtverletzung der Behörde voraus, sondern verlangt zusätzlich, dass der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil auch durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann.

3. Jedenfalls dann, wenn eine tatsächliche und für die Beklagte unverfügbare Anspruchsvoraussetzung – wie vorliegend die Verfügbarkeit – nicht vorliegt, bleibt es dabei, dass die damit verbundenen gesetzlichen Folgen nicht über einen Herstellungsanspruch korrigiert werden können.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – LSG Potsdam: Leistungskürzungen wegen Pflegebetrugs – Landessozialgericht bremst Sozialämter

Pressemitteilung vom 02.02.2017 –
www.lsg.berlin.brandenburg.de

Das LSG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Sozialamt die Sozialhilfe von Pflegebedürftigen nicht rückwirkend um Geldbeträge kürzen darf, die diese von einem kriminellen Pflegedienst als Belohnung für ihr Mitwirken beim Abrechnungsbetrug erhalten haben.
www.juris.de

Rechtstipp:
S. a. dazu Leitsätze von Dr. Manfred Hammel

LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Dezember 2016 (Az.: L 15 SO 301/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wenn eine sowohl Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII als auch der ergänzenden Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) beziehende Person dem Sozialhilfeträger gegenüber verschweigt, dass sie von ihrem Pflegedienst Zahlungen für nicht erbrachte, aber dem öffentlichen Träger gegenüber abgerechnete ambulante Pflegehilfen erhalten hat, dann steht nicht fest, ob dieser aus einem solchen „Kick-back-Geschäft“ stammende Kapitalzufluss als ein Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aufzufassen ist.

2. Hier handelt es sich um eine für den Bereich der Sozialhilfe noch nicht abschließend geklärte Auslegungsfrage.

3. Durch eine Straftat erlangte Geldmittel sind jedenfalls dann nicht als Einkommen bedarfsmindernd anrechenbar, wenn eine zivilrechtliche Rückzahlungspflicht des Sozialleistungsempfängers an den Geschädigten von vornherein feststeht.

4. Wenn eine von Leistungen der Sozialhilfe lebende Antragstellerin durch strafbare Handlungen (hier: Begehung von Betrug zum Nachteil der Pflegekasse und des Sozialhilfeträgers in Mittäterschaft bzw. Beihilfe mit den Mitarbeitern und Verantwortlichen des ambulanten Pflegedienstes entsprechend § 263 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 2 StGB – „Mittäterschaft“ – bzw. § 27 StGB – „Beihilfe“) Einkünfte erlangt hat, muss davon ausgegangen werden, dass eine Rückzahlungspflicht gegenüber den geprellten Sozialleistungsträgern besteht. Es hat hier aber offen zu bleiben, mit welchen rechtlichen Mitteln dieser Rückforderungsanspruch für die die öffentliche Hand durchsetzbar ist.

5. Eine vom Sozialhilfeträger an hilfebedürftige Personen gerichtete Forderung, solchermaßen rechtswidrig erlangte Gelder zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts einzusetzen, ist unakzeptabel.

6. Im Übrigen hat hier stets unstreitig festzustehen, dass die Antragstellerin von diesem Pflegedienst entsprechende Zahlungen im vom Sozialhilfeträger behaupteten Umfang zum jeweiligen Zeitpunkt wirklich erhalten hat.

7. Einzig Geld- oder geldwerte Mittel, die in einem Bedarfszeitraum bei bedürftigen Personen tatsächlich zugeflossen sind, können als Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bedarfsmindernd oder –ausschließend wirken.

8. Eine nach § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB XII verfügte Aufrechnung einer Erstattungsforderung des Sozialamtes in einer Höhe von 20 v. H. des Regelbedarfs (§ 28 SGB XII) senkt die der Antragstellerin zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zur Lebensführung auf ein Niveau unterhalb des verfassungsrechtlich garantierten, menschenwürdigen Existenzminimums. Dieser Aufrechnungsbetrag liegt über dem „Ansparanteil“ an der Regelleistung und beschränkt die für den täglichen Bedarf einsetzbaren Mittel.

LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2017 (Az.: L 23 SO 327/16 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Von Bezieher/innen von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII in Verbindung mit den §§ 61 ff. SGB XII aus einer mit dem ambulanten Pflegedienst gemeinschaftlich begangenen Straftat erlangte Einkünfte sind nicht als ein Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aufzufassen.

2. Aus begangenen Straftaten erzielte Gewinne können nicht als ein Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII eine Berücksichtigung erfahren.

3. Aus einem gemeinschaftlich begangenen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) stammende Mittel sind aufgrund ihrer deliktischen Herkunft mit einer Rückzahlungspflicht gemäß § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB belastet und stehen deshalb Antragsteller/innen gerade nicht zur freien Verwendung zur Verfügung.

4. Aus strafbaren Handlungen erlangte Einkünfte können von der öffentlichen Hand insbesondere dann nicht als Einsatz zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts zur Minderung eines Anspruchs auf staatliche Sozialleistungen verlangt werden, wenn gleichzeitig auch Ersatzansprüche Geschädigter (z. B. nach § 104 SGB XII) bestehen.

5.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 18.01.2017 – L 15 SO 355/16 B ER – rechtskräftig

Einstweiliger Rechtsschutz – Anordnungsgrund – Anordnungsanspruch – Einzelfallhelfer – Aufbringung der Mittel durch die Eltern

Leitsatz (Juris)
Die erforderliche Hilfe durch einen Einzelfallhelfer zur Sicherstellung der Teilnahme am Sportunterricht weist die gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII notwendige unmittelbare Verknüpfung mit dem Schulbesuch auf.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 18. Januar 2017 (Az.. S 24 SO 374/16 ER):

Weitreichender Ausschluss von EU-Ausländern aus der Sozialhilfe seit 29.12.2016 ist verfassungsgemäß.

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Die Neuregelung des § 23 SGB XII 2016 ist nicht verfassungswidrig, auch wenn § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII verfügt, dass Ausländer/innen keine Leistungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bekommen, wenn sie über kein Aufenthaltsrecht verfügen und dahingestellt bleiben kann, ob eine Einreise zum Zwecke der Erlangung von Sozialhilfe im Bundesgebiet vorliegt.

2. Entsprechendes gilt gerade dann, wenn die Rückreise in den Heimatstaat beim Eintritt von Hilfebedürftigkeit grundsätzlich möglich und zumutbar ist. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. n. Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich nicht in der Weise auslegen, dass jede nichtdeutsche Person, die sich im Bundesgebiet aufhält, unabhängig von den staatlichen Möglichkeiten zur Aufenthaltsbeendigung und unabhängig von der Frage, ob eine Rückkehr in das Herkunfts-/Heimatland innerhalb kürzester Zeit möglich ist, hier Anspruch auf eine dauerhafte staatliche Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts hat.

7.   Verschiedenes zu Hartz IV und anderen Gesetzesbüchern

BSG v. 31.05.2016 – B 1 KR 38/15 R – dejure.org/2016,11857

Aufrechnung von Ausgleichsansprüchen des Arbeitgebers aufgrund des AufAG (Erstattungsanspruch) mit Beitragsansprüchen der Krankenkasse im Rahmen des Insolvenzverfahrens – Anfechtbarkeit – Verzinsung bei verzögerter Erstattung des Aufwendungsausgleichs seitens der Krankenkasse

Leitsätze
1. Eine Krankenkasse kann mit Beitragsansprüchen gegen Ausgleichsansprüche eines Arbeitgebers durch Willenserklärung oder Verwaltungsakt aufrechnen.

2. Erlangt eine Krankenkasse durch Entgeltfortzahlung eines Arbeitgebers, gegen den ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, die Möglichkeit, mit Beitragsansprüchen gegen dessen Ansprüche auf Aufwendungsausgleich aufzurechnen, kann dies anfechtbar sein.

3. Erstattet die Krankenkasse verzögert Aufwendungsausgleich, hat der Arbeitgeber nur Anspruch auf die sozialrechtliche gesetzliche Verzinsung als Verzugsschaden.

Neue Arbeitshilfe: Die Ausbildungsduldung – Stand: 01.02.2017 – Claudius Voigt, GGUA : www.migration.paritaet.org

Der Leitfaden “Recht auf Bildung für Flüchtlinge” von Barbara Weiser liegt nun in einer vollständig überarbeiteten Neuauflage vor. Er steht bei www.asyl.net zum Download zur Verfügung.
Die Broschüre behandelt die rechtlichen Rahmenbedingungen des Zugangs zu Bildungsangeboten für die folgenden Gruppen:
•  Asylsuchende im Verfahren;
•  Personen, die einen Schutzstatus haben oder bei denen ein Abschiebungsverbot besteht;
•  Personen mit Duldung.

Betrachtet werden jeweils die Voraussetzungen für den Zugang zur Bildung für diese Gruppen in Hinblick auf die folgenden Bereiche:
•  Schule (Schulpflicht/Schulbesuchsrecht)
•  Sprachkurse, Alphabetisierungskurse
•  Vorbereitung auf das Nachholen von Schulabschlüssen
•  Schulische Berufsausbildung
•  Studium
Daneben wird auf besondere Möglichkeiten der Aufenthaltsgewährung im Zusammenhang mit Ausbildung und erworbenen Qualifikationen eingegangen (Aufenthaltsverfestigung bei gelungener Integration, Aufenthalt aufgrund qualifizierter Ausbildung). Zu den jeweiligen Bildungsangeboten werden auch Möglichkeiten der Förderung erläutert. Die Darstellung wird ergänzt durch tabellarische Übersichten.

Die Handreichung erscheint zugleich als Beilage zum Asylmagazin 1-2/2017. Im Asylmagazin wird zudem ein Themenschwerpunkt erscheinen, in dem Modelle des Zugangs zu Schule und Hochschule für Asylsuchende und Schutzberechtigte vorgestellt werden.
•  Die Broschüre steht darüber hinaus ab sofort bei www.asyl.net zum Download zur Verfügung.

Gedruckte Exemplare können beim Informationsverbund Asyl und Migration unter kontakt(at)asyl.net bestellt werden (solange Vorrat reicht). Die Broschüren sind kostenlos, wir berechnen aber eine Versandkostenpauschale von 3,00 Euro (ab 1 Exemplar) bzw. 7,50 Euro (ab 10 Exemplaren).

BVerwG zu Verpflichtungserklärung für Flüchtlinge – Einmal humanitär, immer humanitär- BVerwG, Urt. v. 26. 01.2017, Az. 1 C 10.16
Wer eine Übernahme der Lebenshaltungskosten für Flüchtlinge in Deutschland zugesagt hat, zahlt diese auch dann, wenn diesen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Urt. v. 26. 01.2017, Az. 1 C 10.16). Damit hat das Gericht Klarheit in bisher sehr unterschiedliche Rechtsprechung gebracht.

Quelle: www.lto.de

Sozialrecht – Erstattung von Rentenzahlung nach dem Tod des Rentenempfängers

Soweit Geldleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, z.B. eine Erwerbsminderungsrente, für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet (§ 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI). Ein gerichtlich bestellter Betreuer kann aber nicht als Verfügender oder Empfänger i.S.d. § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI) angesehen werden, so dass er nicht zur Erstattung der Rente herangezogen werden kann, wenn er diese verwendete, ohne Kenntnis vom Tod des Betreuten zu haben, um offenen Rechnungen zu begleichen (BSG, 14.12.2016, Az. B 13 R 9/16 R).

(30.01.2017 – Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt & Fachanwalt für Sozialrecht Mathias Klose): www.ra-klose.com

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de