Tacheles Rechtsprechungsticker KW 11/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 08.12.2016 und vom 19.10.2016 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 08.12.2016 – B 4 AS 59/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Absetzung der Versicherungspauschale – Beiträge für eine nur in Baden-Württemberg angebotene Zusatzversicherung zur privaten Schülerunfallversicherung für einen Minderjährigen

Keine Absetzung des Pauschalbetrags in Höhe von 30 EUR für eine private Schülerunfallversicherung mit einem geringfügigen Beitrag.

Leitsatz (Redakteur)
Für den geringfügigen Beitrag zur baden-württembergischen Schülerzusatzversicherung ist der Pauschalbetrag von 30 EUR monatlich nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 nr. 2 Alg II-V vom Einkommen des Minderjährigen – nicht abzusetzen, denn es handelt sich insoweit nicht um eine die Pauschale auslösende Versicherung im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V. Bei dem eher symbolischen Jahresbeitrag von 1 Euro handelt es sich nicht um einen Versicherungsbeitrag, der in einem synallagmatischen Verhältnis zu den abgesicherten Risiken steht.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil v. 19.10.2016 – B 14 AS 40/15 R

Sozialgerichtliches Verfahren – Beiladung – Beteiligte – Klagehäufung – Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Auszubildende – Ausbildungsgeldbezug eines behinderten Kindes während der Teilnahme an einer Berufsvorbereitungsmaßnahme mit Internatsunterbringung – Unterkunftskostenanteil des Kindes in der Elternwohnung – Darlehen gem § 27 SGB 2 – Beschränkung der Minderjährigenhaftung

Besonderer Härtefall nach § 27 Abs. 4 SGB II
Es kann ein Anspruch gegen den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Übernahme der Aufwendungen der bisherigen Wohnung in Form eines Darlehens nach § 27 Abs. 4 S. 1 SGB II wegen eines besonderen Härtefalls bestehen.

Leitsatz (Redakteur)
Der Antragsteller der aufgrund des bewilligten Berufsvorbereitungslehrgangs mit internatsmäßiger Unterbringung dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 SGB II unterfällt, hat Anspruch auf Leistungen nach § 27 Abs 4 SGB II aF, der vom Gesetzgeber geschaffen wurde, um in Härtefällen das Existenzminimum der betreffenden Person sicherzustellen. Einen hierauf gestützten Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ist dem Kläger vom Jobcenter als Darlehen zu gewähren.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.08.2016 – L 3 AS 2476/16 ER-B

Der aus dem Erbe erworbene Motorroller stellt ein Surrogat der geerbten Geldbeträge und dementsprechend Einkommen dar

Leitsatz (Juris)
1. Zur Frage der Abgrenzung von Einkommen und Vermögen bei einer Erbschaft.

2. Eine einmalige Einnahme darf über den (hier sechsmonatigen) Verteilzeitraum nur bedarfsmindernd berücksichtigt werden, soweit sie als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (Anschluss an BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 33/12 R).

3. Ein mit Geldmitteln aus dem Erbe erworbener Motorroller stellt als Surrogat der geerbten Geldmittel während des Anrechnungszeitraums Einkommen dar, das bei Verwertbarkeit weiterhin dem Bedarf des Antragstellers entgegengehalten werden kann.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 26.01.2017 – L 7 AS 1192/13

Leitsatz (Redakteur)
Zur Berücksichtigung einer kapitalbildenden Lebensversicherung als verwertbares Vermögen nach § 12 SGB II (hier bejahend Scheingeschäft)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 24.08.2016 – L 3 AS 2104/15

Leitsatz (Juris)
1. Keine Anwendung der Jahresfrist bei Aufhebung von Bescheiden des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bei vorläufiger Leistungsgewährung nach § 328 SGB III

2. Ein Zeitraum von 2 Jahren zwischen der Einreichung der eine abschließende Beurteilung erlaubenden Unterlagen des Klägers und Zugang des Bescheides, mit dem der Beklagte endgültig gem. § 328 Abs 2 und 3 SGB III über den Anspruch des Klägers entschieden und eine Erstattung geltend gemacht hat, begründet für sich genommen keine Verwirkung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urt. v. 29.11.2016 – L 3 AS 137/14

LSG Rheinland-Pfalz bestätigt Konzept des Donnersbergkreises zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten

Leitsatz (Redakteur)
Donnersbergkreis hat schlüssiges Konzept für angemessene Unterkunftskosten nach dem SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

S.a. Pressemitteilung 2/2017 des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz: lsgrp.justiz.rlp.de

2.5 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil v. 14.02.2017 – L 7 AS 2055/13

Zur Anrechnung einer Lohnnachzahlung, welche nach Antragstellung zugeflossen ist.

Leitsatz (Redakteur)
1. Das BSG entscheide in ständiger Rechtsprechung, dass für zurückliegende Zeiträume nachgezahltes Arbeitsentgelt, Übergangsgeld, Krankengeld bzw. nachgezahlte Arbeitslosenhilfe, welches nach Antragstellung zugeflossen sei, als laufende Einnahme im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 AlgII-V a.F. bzw. im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung im Zuflussmonat in voller Höhe zu berücksichtigen sei und keine einmalige Einnahme im Sinne des § 2 Abs. 4 Alg-II-V a.F. bzw. in Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung darstelle.

2. Erst ab 01.08.2016 hat der Gesetzgeber eindeutig geregelt, dass zu den einmaligen Einnahmen auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen gehören, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden (§ 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II in der Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.07.2016, BGBl. I S. 1824, 2718). Obwohl der Gesetzgeber von einer klarstellenden Ergänzung spricht (BT-Drucks. 18/8041 S. 33), erlaubte der Gesetzwortlaut bis zum 31.07.2016 eine Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung als Einkommen nur nach den Regelungen in § 11 Abs. 2 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2017 – L 13 AS 26/17 B ER

Grundsicherungsrecht – Einstweiliger Rechtsschutz – Anordnungsgrund in Bezug auf vergangene Zeiträume

Leitsatz (Juris)
1. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird. Nicht ausreichend ist das Bestehen von Verbindlichkeiten.

2. Lediglich aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes werden vergangene Zeiträume ab Eingang des Eilantrags bei Gericht ebenfalls berücksichtigt, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht waren (vgl. hierzu den grundlegenden Senatsbeschluss vom 3. März 2008 – L 13 AS 295/07 ER – juris Rn. 16 ff.).

3. Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes ist es im Leistungsrecht des SGB II regelmäßig, einem Antragsteller (lediglich) diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die er zur Behebung aktueller, d. h. gegenwärtig bestehender Notlagen benötigt, um ein menschenwürdiges Leben aufrechterhalten zu können.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Hamburg, Urt. v. 10.07.2015 – S 22 AS 684/10 – Berufung zugelassen

Zur Frage des Anspruchs auf den Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII für den Zeitraum vor Erlass eines Feststellungsbescheides – Anwendbarkeit des § 16 Abs 2 S 2 SGB 1- rückwirkende Leistungserbringung – Berücksichtigung – nicht – erst ab Vorlage des Nachweises

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Sinn und Zweck der Regelung in § 16 Abs. 2 SGB I ist es, die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Begehren nach Sozialleistungen nicht an den Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung scheitern zu lassen (BSG, Urt. v. 26.08.2008, B 8/9b SO 18/07 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 22.01.2014, L 13 AS 190/12). Insofern kann es im Verhältnis der verschiedenen Sozialbehörden zu Bürgerinnen und Bürgern nicht darauf ankommen, ob die fälschliche Annahme einer Zuständigkeit in sorgfältiger oder sorgfaltswidriger Weise erfolgte.

2. Ein Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs als Schwerbehinderter besteht auch für die Zeit vor dem Erlass des Feststellungsbescheides, da die Vorschrift im Gegensatz zu früheren Fassungen den “Besitz” eines entsprechenden Dokumentes nicht voraussetzt. (ebenso Simon, in: Coseriu/Eicher, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 30 Rn. 46; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.09.2013, L 2 SO 404/13; SG Wiesbaden, Urt. v. 30.04.2014, S 30 SO 47/12).

3. Unter Beachtung des Meistbegünstigungsprinzips kann ein Antrag auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII so ausgelegt werden, dass er alle in Betracht kommenden Leistungen, auch Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII, umfasst (SG Karlsruhe, Urt. v. 30.01.2014, S 1 SO 3002/13).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
SG Landshut, Urteil v. S 5 SO 70/14 – anhängig beim BSG unter dem Az. – B 8 SO 25/16 R

(Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Mehrbedarf bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G – rückwirkende Bewilligung – Mitumfassung durch den ursprünglichen Leistungsantrag – Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10)

Kommt es für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen erheblicher Gehbehinderung nach § 30 Abs 1 SGB 12 auf den Zeitpunkt der Vorlage des Schwerbehindertenausweises oder eines entsprechenden Bescheides beim Sozialhilfeträger oder auf den im Bescheid festgelegten Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen für das Merkzeichen G an?

Leitsatz (Juris)
1. § 30 Abs 1 SGB XII setzt für den Beginn der Gewährung des Mehrbedarfes nicht ausdrücklich den Nachweis über die Feststellung des Merkzeichens G und die Aktenkundigkeit beim zuständigen Sozialhilfeträger voraus. Der Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte lassen keinen entsprechenden sicheren Schluss zu. (Rn.21)

2. Es ist vielmehr für den Zeitpunkt des Entstehens des Anspruches eine strenge Trennung zwischen dem Zeitpunkt der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens G und dem Zeitpunkt des Nachweises vorzunehmen. (Rn.25)

3. Ein Nachweis hat zwar gegenüber dem Sozialhilfeträger zwingend zu erfolgen, dieser kann aber nach teleologischer Auslegung des § 30 Abs 1 SGB XII auch für einen zurückliegenden Zeitraum erbracht werden. (Rn.25)

Orientierungssatz
1. Ein Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist stets so auszulegen, dass er alle in Betracht kommenden Leistungen, insbesondere die die Regelleistung anhebenden Zuschläge gemäß § 30 SGB 12 mit umfasst. (Rn.29)

2. Obwohl die Voraussetzungen für das Merkzeichen G schon vor Erlass des Bewilligungsbescheides eingetreten sind, ist vorliegend dennoch von einer nachträglichen Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB 10 auszugehen, weil die Änderung erst durch einen Bescheid des Versorgungsamtes festgestellt wurde, der während des laufenden Bewilligungszeitraums ergangen ist und damit bei Erlass des Bewilligungsbescheides noch keine Berücksichtigung finden konnte. (Rn.33)

3.2 – Sozialgericht Hamburg, Urt. v. 06.07.2015 – S 49 AS 4183/13

Zur Anrechnung von Betriebskostenguthaben i. S. d. § 22 Abs. 3 SGB II.

Für eine hälftige Aufteilung des Betriebskostenguthabens und entsprechende hälftige Anrechnung in zwei Monaten fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.

Leitsatz (Redakteur)
1. Das Betriebskostenguthaben in Höhe von insgesamt 424,40 Euro ist nicht in zwei gleichen Teilbeträgen auf die Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung für November und Dezember 2011 anzurechnen, sondern in der Weise, dass für November 2011 keine Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erbringen gewesen wären und für Dezember 2011 der Restbetrag der Gutschrift in Höhe von 11,80 Euro anzurechnen war. In dieser Weise ist die Anrechnungsregelung in § 22 Abs. 3 SGB II anzuwenden (vgl. SG Hamburg, Urteil vom 14.03.2014 – S 22 AS 2940/12).

2. Im Falle eines Betriebskostenguthabens, welches dem Leistungsempfänger nicht durch den Vermieter zurückgezahlt wird, sondern als Gutschrift berücksichtigt wird, erfolgt der tatsächliche Zufluss nicht mit der Bekanntgabe des Guthabens in der Betriebskostenabrechnung, sondern mit der erstmaligen Verrechnungsmöglichkeit. Denn erst die Verrechnungsmöglichkeit mindert die tatsächlichen Mietaufwendungen des Leistungsempfängers und stellt dann einen wertmäßigen Zuwachs dar (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS 139/11 R; LSG Hamburg, Urteil vom 19.03.2015 – L 4 AS 12/14).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – SG Karlsruhe, Urteil v. 24.01.2017 – S 4 AS 1827/16 -, nicht rechtskräftig

Anspruch eines syrischen Flüchtlings mit EU-Staatsangehörigkeit auf aufstockende Leistungen nach dem SGB II bei nur geringfügiger Beschäftigung

Hinweis Gericht
Der Kläger, so die Kammer, ist als EU-Angehöriger grundsätzlich freizügigkeitsberechtigt und konnte nur unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II a.F. von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden, wenn sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergab.

Mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 252 € lag bereits ein hinreichender Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt im Sinne der europäischen Freizügigkeitsregelungen vor, nach denen der Kläger bereits als Arbeitnehmer und nicht mehr (nur) als Arbeitsuchender zu beurteilen war.

Nach der einschlägigen Rechtsprechung sei insoweit eine Gesamtbeurteilung der Integration in den Arbeitsmarkt vorzunehmen, wobei auch schon monatliche Einkünfte von weniger als 200 € als ausreichend für die Arbeitnehmereigenschaft durch die Rechtsprechung anerkannt worden seien. Beim Kläger komme hinzu, dass er einen unbefristeten Arbeitsvertrag habe, täglich Deutschunterricht nehme und eine Zusicherung des Arbeitgebers habe, bei einer Verbesserung seiner Deutschkenntnisse auch mehr Arbeitsstunden leisten zu können.

Nicht gehört wurde das beklagte Jobcenter mit dem Argument, beim Kläger sei ein höheres monatliches Einkommen zu verlangen, weil er für eine fünfköpfige Familie verantwortlich sei. Für die Frage des ausreichenden Bezugs einer Person zum Arbeitsmarkt erachtete die Kammer das Vorliegen von Unterhaltsverpflichtungen für irrelevant.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

3.4 – Sozialgericht Gelsenkirchen, Beschluss v. 07.03.2017 – S 31 AS 370/17 ER

Zur Übernahme von Mietschulden i. S. d. § 22 Abs. 8 SGB II, hier verneinend wegen Leistungsausschluss

Leitsatz (Redakteur)
1. Für die Antragstellerin folgt der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b) SGB II in der ab dem 29.12.2016 geltenden Fassung. Darüber hinaus steht den Antragstellern auch kein Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – Sozialhilfe – in der ab dem 29.12.2016 geltenden Fassung zu.

2. Der Leistungsausschluss von ausländischen Unionsbürgern nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, die sich allein zum Zwecke der Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (vgl. zur geltenden Rechtslage ebenso SG Dortmund, Beschluss vom 31.01.2017 – S 62 SO 628/16 ER; siehe auch zur alten Rechtslage Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Kassel, Beschluss v. 21.02.2017 – S 12 SO 8/17 ER

Bulgarische Antragsteller haben Anspruch auf die jeweiligen Regelleistungen Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.

SG Kassel zum Unionsbürgerausschlussgesetz: Zweifelhafte Verfassungsmäßigkeit und daher Leistungsanspruch nach dem 3. Kap. SGB XII

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Kammer folgt der Auffassung der 11. Kammer, Beschluss vom 15. Februar 2017 (Az.: S 11 SO 9/17 ER):

Leitsätze dort von Dr. Manfred Hammel
Trotz der Bestimmung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, wonach Ausländer/innen, die ins Bundesgebiet eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthalt sich einzig aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sind die Sozialhilfeträger weiterhin zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII verpflichtet.

Dies gilt gerade dann, wenn sich das Aufenthaltsrecht der von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen nichtdeutschen Person im Bundesgebiet verfestigt hat. Dieser Aufenthaltsverfestigung kann nur ausländerbehördlich entgegengetreten werden.

Die vom Gesetzgeber mit § 23 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 3a SGB XII vorgesehenen Überbrückungsleistungen stellen keinen verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich für den Wegfall der grundsätzlichen Hilfeleistung von einem Tag auf den anderen dar.
 
Anmerkung:
S.a. dazu: Leitsatz (Juris)
1. Zur formellen und materiellen Bestandskraft rechtskräftiger sozialgerichtlicher, vorläufig bewilligender Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz, der rechtlichen Wirkung eines hierauf beruhenden Ausführungsbescheides, der ungenutzten Möglichkeit einer gerichtlichen Abänderung entsprechender Entscheidungen durch die Verwaltung, einer durch die Verwaltung ohne Einschaltung des Gerichts erfolgenden Abänderung/Aufhebung eines solchen Ausführungsbescheides, der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Aufhebung/Änderung einer solchen ohne gerichtliche Entscheidung erfolgenden Verwaltungsentscheidung, der erstmaligen Anordnung der sofortigen Vollziehung des Aufhebungs-/Änderungsbescheides im Widerspruchsbescheid und den Rechtsfolgen einer wider besseren Wissens im Vorverfahren nicht nachgeholten Anhörung einer zuvor rechtswidrig unterbliebenen Anhörung.

2. Zum möglichen verfassungskonformen Anspruch auf Weitergewährung von Sozialhilfe zumindest im einstweiligen Rechtsschutz durch solche EU-Bürger, die bei Inkrafttreten des § 23 SGB XII in der ab 29. Dezember 2016 geltenden Fassung bereits ohne rechtlich zulässige Befristung im laufenden Bezug von Sozialhilfe gestanden haben bzw. nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zuvor einen entsprechenden Anspruch gehabt haben (vgl. SG Kassel, Beschlüsse vom 16. Dezember 2016, S 12 SO 38/16 ER, vom 13. Februar 2017, S 11 SO 7/17 ER und vom 14. Januar 2017, S 4 AS 20/17 ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte, Sozialgerichte und Verwaltungsgerichte  zum Asylrecht

5.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 8. Senat, Beschluss vom 12.12.2016, L 8 AY 51/16 B ER

Zum persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Abs. 2 AsylbLG

Leitsatz (Juris)
1. Inhaber einer Duldung sind als Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG erfasst.

2. Bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes i.S. des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist, soweit es um die Bewilligung von laufenden lebensunterhaltssichernden Leistungen geht, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich von einer Leistungsdauer von (maximal) zwölf Monaten auszugehen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

5.2 – Sozialgericht Hamburg, Beschluss v. 17.01.2017 – S 10 AY 92/16 ER

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet – Aussetzung der Vollziehung – Rücknahmebescheid rechtswidrig – kein Härtefall i. s. d. § 22 Abs. 1 SGB XII – dem Leistungsanspruch des Antragstellers steht § 22 Abs. 1 SGB XII entgegen

Keine Sozialhilfeleistungen für einen geduldeten Ausländer nach Aufnahme einer überbetrieblichen Berufsausbildung

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides folgt daraus, dass er die Ausübung von Ermessen nicht erkennen lässt.

2. Die Aufhebung von Beginn an rechtswidriger, bestandskräftiger Bescheide setzt also die Ausübung von Ermessen voraus; dem steht die Formulierung in § 45 Abs. 4 SGB X (“wird”) nicht entgegen. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Ermessenserwägungen können dem Bescheid jedoch nicht entnommen werden.

3. Dem vom Leistungsausschluss Betroffenen mutet das Gesetz zu, auf die Aufnahme bzw. Fortführung einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu verzichten und sich stattdessen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.

4. Bei den in § 59 Abs. 2 SGB III statuierten Merkmalen handelt es sich um individuelle Voraussetzungen für eine Förderung nach dem SGB III. Ihr Fehlen hat keinen Einfluss auf die grundsätzliche – abstrakte – Förderungsfähigkeit des in Rede stehenden Ausbildungsberufes. Der Grund, aus dem der Antragsteller nach dem SGB III nicht gefördert wird, ist in seiner Person, nicht in der Art der Ausbildung, begründet (aA SG Hamburg, Beschluss vom 07.09.2016 – S 28 AY 56/16 ER: Bei der Versagung des Leistungsanspruchs nach § 59 Abs. 2 SGB III handele es sich nicht um einen individuellen Versagensgrund, weil der geduldete Ausländer bereits im Hinblick auf seinen aufenthaltsrechtlichen Status nicht zum förderungsfähigen Personenkreis nach dem SGB III gehöre).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.01.2017 – L 7 AY 18/17 ER-B – Der Ausschluss von Leistungen nach dem BAföG nach Maßgabe des § 8 BAföG für ausländische Studierende begründet grundsätzlich keinen Härtefall i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.

5.3 – Pressemitteilung 08.03.2017 – VG Chemnitz trifft Grundsatzentscheidung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Asylantragsteller aus Syrien die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verlangen könne – Urteile vom 07.03.2017 – (Az.: 6 K 720/16.A und 6 K 885/16.A)

Zwar drohe aus Syrien geflüchteten Asylantragstellern nicht schon allein wegen ihrer Ausreise und Asylantragstellung in Deutschland bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung. Soweit Rückkehrer Gefahr liefen, bei ihrer Ankunft – insbesondere am internationalen Flughafen in Damaskus – willkürlichen Befragungen und auch Folter unterworfen zu werden, erfolge dies wahllos und basiere daher nicht zwingend auf einer dem Rückkehrer durch das syrische Regime unterstellten politischen Gesinnung.

Etwas Anderes gelte jedoch, wenn besondere gefährdungserhöhende Merkmale in der Person des Asylantragstellers vorlägen. Davon sei u.a. dann auszugehen, wenn ein Asylantragsteller zur Gruppe der in Syrien zum Wehrdienst verpflichteten Personen gehöre. Nach Auswertung aller dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel (u.a. Berichte des Auswärtigen Amtes, Gutachten von Amnesty International und anderer Menschenrechtsorganisationen, Stellungnahmen des UNHCR, Auskünfte verschiedener Nichtregierungsorganisationen und  Sachverständiger)  kam die 6. Kammer zu der Überzeugung, dass das Verlassen Syriens trotz bestehender Wehrpflicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von der dortigen Staatsführung als regimefeindliches Verhalten angesehen werde.

Quelle: www.justiz.sachsen.de

5.4 – OVG Lüneburg, Beschluss v. 10.03.2017 – Az. 2 ME 63/17

Abschiebung eines Teils einer Familie nach Bulgarien
Das OVG Lüneburg hat entschieden, dass eine teilweise nach Bulgarien abgeschobene Familie die Abschiebung dulden muss.

Quelle: Pressemitteilung des OVG Lüneburg v. 10.03.2017: www.juris.de

5.5 – VG Münster, Urteil v. 08.03.2017 – Az. 8a K 3540/16.A – VG Münster widerspricht der Rechtsprechung des OVG Münster

Weiterhin voller Flüchtlingsschutz für Syrer
Das VG Münster hat entschieden, dass syrische Flüchtlinge einen generellen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben.

Mit diesem Urteil hat das VG Münster der Rechtsprechung des OVG Münster widersprochen, das mit Urteil vom 21.02.2017 (14 A 2316/16.A) einen generellen Anspruch syrischer Flüchtlinge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint hatte.

Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung an das OVG Münster beantragt werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des VG Münster v. 10.03.2017: www.juris.de

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht und anderen Gesetzesbüchern

BVerfG v. 14.02.2017: Verfassungsbeschwerde betreffend die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erfolgreich

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit durch Versagung von PKH für sozialgerichtliches Eilverfahren bzgl Ansprüchen eines polnischen Staatsangehörigen auf ALG II bzw Sozialhilfe – unzulässige Beweisantizipation, Entscheidung im PKH-Verfahren trotz ungeklärter und schwieriger Rechtslage – Rüge einer Verletzung des Rechtsschutzanspruchs durch Verweigerung von Eilrechtsschutz mangels hinreichender Substantiierung unzulässig – Gegenstandswertfestsetzung

Quelle: dejure.org

Bundesregierung bestätigt: Regelbedarfsstufe 1 für Partnerinnen, wenn der andere Partner noch auf der Flucht ist, ein Beitrag v. Claudius Voigt,GGUA

Liebe Kolleginnen,
die Bundesregierung hat nun klargestellt, dass Partner*innen, die vorübergehend getrennt leben, weil der oder die andere Partner*in noch gar nicht in Deutschland lebt (noch im Herkunftsland, einem Flüchtlingslager in einem Nachbarstaat oder auf der Flucht) oder in Deutschland einem anderen Ort zugewiesen worden ist, stets den vollen Regelbedarf nach dem SGB II erhalten müssen (Regelbedarfsstufe 1). Für eine Gewährung der Regelbedarfsstufe 2 sieht die Bundesregierung keinen Raum. Dies geht aus den Antworten der Bunderegierung auf zwei schriftliche Fragen von Jan Korte (Die Linke) und Brigitte Pothmer (Grüne) hervor.
Anlass für die Klarstellung waren die Hinweise mehrerer Beratungsstellen, nach denen die Jobcenter in diesen Fällen nur den Partner*innen-Regelbedarf ausgezahlt und zum Teil sogar den Mehrbedarf für Alleinerziehende gestrichen hätten. Diese – rechtswidrige – Praxis geht zurück auf eine Weisung der Bundesagentur für Arbeit (Kapitel 6.1), nach der für derartige Fälle eine Bedarfsgemeinschaft angenommen werden solle. Auch das Bundessozialgericht hatte jedoch eine Kürzung der Regelbedarfe in einem Urteil vom 16. April 2013 (B 14 AS 71/12 R) in vergleichbaren Fällen für unzulässig erklärt. Die Bundesregierung hat dies nun bekräftigt und für Klarheit gesorgt.

Sozialrecht – Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde führt nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes (GG) enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Eine Verfassungsbeschwerde ist also in der Regel unzulässig, wenn ein Rechtsmittel, hier die Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision zum Bundessozialgericht (§ 160a SGG) in einer unfallversicherungsrechtlichen Streitigkeit, durch dessen Gebrauch die behaupteten Grundrechtsverstöße hätten ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt. Auch wenn die Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde als solche nicht in jedem Falle ausreicht, um von der Unzulässigkeit auch der nachfolgenden Verfassungsbeschwerde auszugehen, muss ein Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde seinen Vortrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedenfalls im Wesentlichen mitteilen, so dass für das Bundesverfassungsgericht nachvollziehbar wird, ob die Nichtzulassungsbeschwerde offenbar unzulässig war und ob der Beschwerdeführer die verfassungsrechtliche Problematik zumindest der Sache nach dem Rechtsmittelgericht unterbreitet hat (BVerfG, 23.12.2016, Az. 1 BvR 1723/14)

(01.03.2017 – Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt & Fachanwalt für Sozialrecht Mathias Klose): www.ra-klose.com

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de