Tacheles Rechtsprechungsticker KW 15/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 04.04.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) und zum Arbeitsförderungsrecht nach dem (SGB III).

1.1 – BSG, Urteil v. 04.04.2017 – B 4 AS 6/16 R

Arbeitslosengeld II – Überprüfungsantrag nach Ausscheiden aus dem Leistungsbezug – Leistungen der Unterkunft und Heizung – Fortbestehen der Hilfebedürftigkeit kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal

Kann ein nach Wegfall seiner Hilfebedürftigkeit nicht mehr Leistungsberechtigter über Anträge nach § 44 SGB X Nachzahlungen für Zeiten des Leistungsbezugs beanspruchen? (bejahend)

Eine fortbestehende Hilfebedürftigkeit als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung lässt sich den anwendbaren Verfahrensbestimmungen nicht entnehmen.

Leitsatz (Redakteur)
Die Überprüfung eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes gem § 44 Abs 1 S 1 SGB X (hier im Hinblick auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung gem § 22 SGB II) erfolgt unabhängig davon, ob sich der Antragsteller noch im Leistungsbezug nach dem SGB II befindet.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil v. 04.04.2017 – B 11 AL 19/16 R, B 11 AL 5/16 R

Sperrzeit wegen fehlenden Nachweises von Eigenbemühungen nur bei Zusage einer “Gegenleistung” durch die Arbeitsagentur

Das BSG hat entschieden, dass eine Sperrzeit bei fehlendem Nachweis von Eigenbemühungen mit der Folge eines Wegfalls des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Dauer von zwei Wochen auch dann eintritt, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen lediglich nicht nachgewiesen hat.

Dies setze aber voraus, dass in der Eingliederungsvereinbarung, in der die Eigenbemühungen und deren Nachweise konkret umschrieben seien, im Gegenzug auch bereits vermittlungsunterstützende Leistungen (Übernahme von Bewerbungskosten, Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen) zugesagt worden seien.

Quelle: Pressemitteilung des BSG v. 04.04.2017: www.juris.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.02.2017 – L 34 AS 3224/14

Übernahme einer Betriebskostenanforderung – Absenkung der Leistung für Unterkunft und Heizung im Abrechnungszeitraum – 1-Personen-Haushalt in Berlin – abstrakt angemessene Bruttokaltmiete aus den Grundlagedaten des qualitativen Berliner Mietspiegels – getrennte Ermittlung der angemessenen Heizkosten – Heizkosten nur bis zur tatsächlichen Höhe berücksichtigungsfähig

Zur Übernahme einer Betriebskostennachforderung für das Abrechnungsjahr 2010 (hier verneinend)

Hinweis Gericht
Die Fälligkeit der Nebenkostenforderung (im Februar 2012) führt nicht dazu, diesen Bedarf auch materiell diesem Monat zuzuordnen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2010 – B 4 AS 62/09 R). Vielmehr beurteilt sich die Rechtslage, also Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs, allein nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist, mithin hier dem Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2010 (vgl. auch BSG, Urteil vom 6. April 2011, B 4 AS 12/10 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2013, L 18 AS 1218/12).

Quelle: www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de

2.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.02.2017 – L 18 AS 2884/16

Arbeitslosengeld II – Freizügigkeit von Arbeitnehmern – Arbeitnehmerbegriff – rumänischer Staatsbürger

Rumänischer Antragsteller hat Anspruch auf ALG II aufgrund seiner Arbeitnehmereigenschaft. Die von ihm ausgebübte Tätigkeit stelle sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich dar.

LSG Berlin: Mit 5 Wochenstunden und 180 Euro Monatseinkommen kann EU-Arbeitnehmerinnenstatus gegeben sein. Daher SGB-II Anspruch.

Leitsatz (Redakteur)
Das BSG hat eine bestehende Arbeitnehmereigenschaft bereits bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden mit einem Monatsentgelt iHv 100,- EUR bejaht (vgl BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R). Nichts Anderes kann für die hier in Rede stehende Beschäftigung im Umfang von fünf Wochenstunden bei einem monatlichen Entgelt von 180,- EUR gelten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso im Ergebnis: Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 06.02.2017 – L 11 AS 887/16 B ER

2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.02.2017 – L 25 AS 931/16

Klagerücknahme – Gegenstand des Berufungsverfahrens – Auslegung von Prozesserklärungen – Anfechtbarkeit und Widerruf einer Klagerücknahmeerklärung – Treu und Glauben – Hinweise des Gerichts – prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts – Sprachprobleme des Rechtsmittelführers

Leitsatz (Juris)
Eine Klagerücknahme auch eines rechtlich nicht Vertretenen und rechtlich Unkundigen ist grundsätzlich auch dann wirksam, unanfechtbar und unwiderruflich, wenn sie auf einen richterlichen Hinweis hin erfolgt, der rechtlich unzutreffend ist. Offen bleibt hier, ob dies auch dann gilt, wenn sich der richterliche Hinweis auf die vermeintliche Unzulässigkeit eine Rechtsmittels bezieht, doch neigt der Senat auch für diesen Fall dazu, von einer wirksamen, unanfechtbaren und unwiderruflichen prozessbeendenden Erklärung auszugehen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 04.01.2017 – L 3 AS 1222/15 NZB – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Bedarfsgemeinschaft – Transsexueller – Möglichkeit der Eheschließung – Begründung einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft – Voraussetzungen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft

Leitsatz (Redakteur)
Auch transsexuelle Menschen können Partner/in in einer SGBII Bedarfsgemeinschaft sein.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 02.03.2017 – L 7 AS 57/17 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung – selbstständiges Probewohnen in eigener Wohnung im Rahmen des Maßregelvollzugs – Beurlaubung

Die dauerhafte Beurlaubung in eine eigene Wohnung ermöglicht eine Leistungsgewährung nach dem SGB II.

Leitsatz (Redakteur)
Das Probewohnen im Rahmen des Maßregelvollzugs stellt keinen Aufenthalt aufgrund richterlicher Freiheitsentziehung im maßregelvollzugsrechtlichen Sinne dar und begründet keinen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II (Bayerischen LSG und des LSG Niedersachsen-Bremen (Bayerisches LSG Urteil vom 17.09.2014 – L 16 AS 813/13; LSG Niedersachsen-Bremen Urteile vom 24.03.2015 – L 7 AS 1504/13 und vom 26.01.2016 – L 13 AS 309/13), wonach die dauerhafte Beurlaubung in eine eigene Wohnung eine Leistungsgewährung ermöglicht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso Sozialgericht Hamburg, Gerichtsbescheid v. 21.01.2016 – S 23 AS 3602/15 u. Landessozialgericht Hamburg, Urteil v. 24.01.2017 – Kein Leistungsausschluss v. ALG II für nicht für vom Maßregelvollzug beurlaubte Personen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen sollen.

2.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 08.03.2016 – L 12 AS 1825/16 NZB – rechtskräftig

Der seit 01.01.2016 geltende Regelbedarf ist nicht zu niedrig festgesetzt worden.

Leitsatz (Redakteur)
Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung des Regelbedarfs rechts- bzw. verfassungswidrig erfolgt wäre, sieht der Senat derzeit nicht (vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 01.12.2016, L 19 AS 2235/16 B, Urteil vom 28.11.2016, L 19 AS 1372/15 sowie Beschluss vom 27.10.2016, L 9 SO 447/16 B; Bayerisches LSG Urteil vom 14.09.2016, L 16 AS 373/16 sowie Beschlüsse vom 21.07.2016, L 18 AS 405/16 B PKH und vom 24.08.2016, L 16 AS 222/16 B PKH).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Duisburg, Urt. 24.03.2017 – S 5 AS 1078/16

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – erhöhter Raumbedarf aufgrund der Ausübung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind – Unterkunftsbedarf des umgangsberechtigten Elternteils

Für die Zeit vor Schuleintritt bestehen keine Gründe für eine Erhöhung des Wohnraumbedarfes.

Erhöhter Wohnraumbedarf ist erst für die Zeit ab Eintritt des Kindes in die Schule zu gewähren.

Leitsatz (Redakteur)
1. Es ist nicht erforderlich, dass das Kind mehr als 50% seiner Zeit bei dem Elternteil verbringt, der den erhöhten Wohnraumbedarf geltend macht. Dies ist vielmehr Abgrenzungskriterium für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes des Kindes, nicht aber für die Anerkennung einer temporären Bedarfsgemeinschaft.

2. Auch ist entgegen der Ansicht des Jobcenters die fußläufige Entfernung der klägerischen Wohnung zum Lebensmittelpunkt des Kindes kein taugliches Abgrenzungskriterium. Auch wenn staatliche Leistungen das Umgangsrecht nicht optimieren müssen, sollen sie es doch ermöglichen. Zur Ausübung des Umgangsrechts gehört zur Überzeugung der Kammer auch, dass der umgangsberechtigte Elternteil und das Kind den Alltag gemeinsam leben, wozu – entfernungsunabhängig – das Nächtigen im Haushalt des umgangsberechtigten Elternteils gehört.

3. Für eine solche temporäre Bedarfsgemeinschaft ist der hälftige anerkannte Wohnraumbedarf (derzeit ½ von 15 qm = 7,5 qm) aber erst für die Zeit ab Eintritt des Kindes in die Schule zu gewähren.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Augsburg, Beschluss v. 21.03.2017 – S 8 AS 288/17 ER

Rückausnahme vom Leistungsausschluss für Unionsbürger im SGB II

Leitsatz (Juris)
Erfüllt ein Unionsbürger die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU, ist er wegen der Rückausnahme in § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen. (redaktioneller Leitsatz)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Sozialgericht Augsburg, Beschluss v. 30.12.2016 – S 14 AS 1445/16 ER

Ausschluss der Übernahme von Arzneimittelkosten durch den Grundsicherungsträger – Ausschluss einer Kostenübernahme des Grundsicherungsträgers für Fahrkosten zur ambulanten ärztlichen Behandlung des Leistungsberechtigten – keine Übernahme der Kfz-Versicherung mit Vollkaskoversicherung und “Fremdfahrer”-Versicherung

Leitsatz (Redakteur)
1. Soweit die Antragstellerin die Übernahme von Fahrtkosten zu einer ambulanten ärztlichen Behandlung begehrt, ist festzustellen, dass es ihr als gesetzlich Krankenversicherte obliegt, die begehrten gesundheitsspezifischen Bedarfe zunächst bei der gesetzlichen Krankenversicherung geltend zu machen und ggf. mit Rechtsbehelfen durchzusetzen (vgl. zum Ganzen SG Neuruppin, Beschluss vom 06.07.2015, Az.: S 26 AS 1323/15 ER).

2. Soweit die Antragstellerin die Übernahme der Kosten für nicht von der Krankenkasse erstattungsfähige Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel begehrt, sind diese Kosten aus der Regelleistung des § 20 SGB II zu decken (ebenso SG Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 12.10.2015, Az.: S 26 AS 259/11).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Siehe dazu Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 09.03.2017 – L 7 AS 167/17 B ER – Um nicht das Tor zu einer beliebigen mit Steuermitteln finanzierten Wunschmedizin zu öffnen, kommt die Übernahme von Kosten für gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der betreffenden Behandlungsmaßnahme ein hinreichender Anlass zu der betreffenden Intervention, d.h. einer Indikation, anhand der medizinischen Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann.

3.4 – Sozialgericht Neuruppin, Beschluss v. 26.02.2016 – S 26 AS 294/16 ER – rechtskräftig

Zur Verpflichtung des Antragsgegners im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, den Antragstellern Akteneinsicht und Einsicht in die elektronisch gespeicherten Daten im Rahmen der Leistungsgewährung nach Maßgabe der Bestimmungen des SGB II zu gewähren – fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Hinweis Gericht
Der Leistungsberechtigte muss sich grundsätzlich an die Verwaltung wenden, dort einen Antrag auf die begehrte Leistung oder das begehrte Verwaltungshandeln stellen und die normale Bearbeitungszeit abwarten. Insoweit ist in der Regel zu verlangen, dass der Antragsteller, bevor er ein Verfahren des gerichtlichen Rechtsschutzes einleitet, an den Leistungsträger herantritt, versucht auf diesem Wege eine Klärung herbeizuführen, und unter gewissen Umständen eine angemessene Frist setzt, bis wann die Verwaltung eine abschließende Entscheidung mitteilen muss (vgl Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. März 2013 – L 7 AS 808/12 B).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

4.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil v. 09.02.2017 – L 3 AL 274/15 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 11 AL 4/17 AR

Sperrzeit für Arbeitslose bei Nichtteilnahme an einer Maßnahme auch rechtens, wenn die Maßnahme nicht Inhalt der EGV war.

Leitsatz (Redakteur)
Eine Agentur für Arbeit kann einer oder einem Arbeitslosen eine berufliche Eingliederungsmaßnahme auch außerhalb einer Eingliederungsvereinbarung anbieten. Die Sperrzeitregelung in § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III wiederum stellt nur darauf ab, dass eine berufliche Eingliederungsmaßnahme abgelehnt wurde, und nicht darauf, auf welcher Grundlage sie der oder dem Arbeitslosen angeboten wurde.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017 – L 8 SO 344/16 B ER

Sozialhilfe für Unionsbürger, Leistungseinschränkungen nach § 23 SGB XII in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung, Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem SGB II

LSG Niedersachsen-Bremen: Solange keine vorläufigen Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden sind, ist die Annahme einer vorrangigen – zum Leistungsausschluss nach dem SGB XII führenden – Leistungsberechtigung nach dem SGB II grundsätzlich nicht gerechtfertigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – L 15 SO 293/16 B ER –).

Leitsatz (Juris)
1. Unionsbürgern, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung unterfallen, sich seit mehr als sechs Monaten in Deutschland aufhalten und hilfebedürftig sind, sind Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für die Zeit bis zum 28. Dezember 2016 zu gewähren. Zumindest in Eilverfahren ist davon auszugehen, dass das nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eröffnete Ermessen in dieser Konstellation auf Null reduziert ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R).

2. Wenn die Voraussetzungen nach § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II für eine vorläufige Entscheidung über Leistungen nach dem SGB II vorliegen, kann für Leistungszeiträume ab dem 29. Dezember 2016 das nach § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II eingeräumte Ermessen wegen der durch die Neufassung des § 23 SGB XII eingeführten Leistungseinschränkungen ebenfalls auf Null reduziert sein mit der Folge, dass dem genannten Personenkreis vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sind.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

5.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 29.03.2017 – L 9 SO 53/17 B – rechtskräftig

Prozesskostenhilfe, für deren Bewilligung es gem. § 114 ZPO auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsstellers ankommt, ist personengebunden und nicht vererblich.

Leitsatz (Redakteur)
Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe ist somit ein höchstpersönliches Recht, das mit dem Tode des berechtigten Hilfebedürftigen endet. Dementsprechend kann einem Beteiligten für die Zeit nach seinem Tod keine Prozesskostenhilfe mehr bewilligt werden (vgl. BSG, Beschl. v. 02.12.1987 – 1 RA 25/87.; LSG NRW, Beschl. v. 29.02.2008 – L 20 B 9/08 SO; LSG Berlin-Brandenburg, Besch. v. 10.02.2015 – L 7 KA 55/12 B PKH; siehe auch Bayerisches LSG, Beschl. v. 08.04.2015 – L 3 SB 2/15 B PKH; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.01.2016 – L 3 R 466/15 B).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Aachen, Urt. v. 28.03.2017 – S 20 SO 48/16

Zum Anspruch auf Eingliederungshilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges mit der Möglichkeit des Transportes eines Elektro-(E)Rollstuhls (hier bejahend)

Auch Familienbesuche sind relevante Eingliederungsziele.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Ansicht des Sozialhilfeträgers, bei § 8 Abs. 1 EinglHV sei eine mit der Notwendigkeit für die Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbare Nutzungsintensität erforderlich, steht mit den vom BSG entwickelten Maßstäben nicht in Einklang.

2. Als “Korrektiv” gegenüber ausufernden Wünschen des Betroffenen fungiert nicht ein starrer Vergleich mit der Nutzungsintensität bei einer Teilnahme am Arbeitsleben, sondern die Notwendigkeit der Angemessenheit der Wünsche im Hinblick auf eine Eingliederung in die Gesellschaft entsprechend den im Einzelfall bestehenden Möglichkeiten und verständigen Teilhabebedürfnissen. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG kommt es auf eine Prognose an, welche Eingliederungsziele mit der begehrten Beihilfe für die Anschaffung eines KFZ verfolgt werden und ob die begehrte Eingliederungsmaßnahme für die Verfolgung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist (LSG NRW, Urteil vom 24.06.2014 – L 20 SO 388/13).

3. Es ist nicht erforderlich, dass der behinderte Mensch – wie im Arbeitsleben – beständig praktisch täglich auf das KFZ angewiesen sein muss; ein derart strenger Maßstab findet im Gesetz keine Stütze (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.09.2012 – L 2 SO 1378/11). Insbesondere kann nicht von den bisherigen Aktivitäten auf die Zukunft geschlossen und dadurch die Notwendigkeit der KFZ-Hilfe relativiert oder gar verneint werden.

4. Soweit der Sozialhilfeträger geltend macht, die von der Klägerin als Eingliederungsziel geltend gemachten familiären Kontakte erfüllten nicht die sachlichen Voraussetzungen für die begehrte Hilfe, weil diese Familienpflege keine Leistung zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben sei, verkennt er die Bedeutung und Reichweite der für diese Auffassung in Anspruch genommenen Rechtsprechung. Weder das BSG noch das LSG NRW halten Familienbesuche für anspruchshindernde Eingliederungsziele. Das BSG (vgl. Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R – Rn. 16) hält ausdrücklich auch Familienbesuche für relevante Eingliederungsziele. Das LSG NRW hat einen Bezug zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben in Bezug auf Familienbesuche nur dann verneint, wenn es einem Leistungsberechtigten “in erster Linie” darum geht, seine familiären Kontakte zu intensivieren, nicht aber Kontakte mit anderen Menschen zu fördern oder auszubauen (vgl. Urteil vom 28.05.2015 – L 9 SO 303/13 – Rn. 41). Dies trifft aber auf die Klägerin nicht zu; für sie sind Familienbesuche nur eine von vielen anderen gewünschten Aktivitäten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.   Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Asylrecht

7.1 – VG Frankfurt vom 05.04.2017 – Az. 6 L 2695/17.F.A, 2 L 2483/17.F

Ablehnung asylrechtlicher Eilanträge eines unter Terrorverdacht stehenden Tunesiers unter Schutzauflagen

Das VG Frankfurt hat einen Antrag eines tunesischen Staatsangehörigen, der im Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat steht, auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen seine Abschiebung nach Tunesien unter mehrere Bedingungen abgelehnt.

Weiter: www.juris.de

7.2 – VG Göttingen, Urteil v. 22.03.2017 – Az. 3 A 25/17

Zuerkennung des Flüchtlingsstatus für syrische Flüchtlinge
Das VG Göttingen hat eine Grundsatzentscheidung in den Aufstockungsfällen zugunsten syrischer Flüchtlinge getroffen.

Die Kläger, Eltern und drei minderjährige Kinder, waren 2015 vor dem Bürgerkrieg in Syrien über die Balkanroute nach Deutschland geflüchtet und hatten hier Asylanträge gestellt. Sie erhielten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den sog. subsidiären Schutzstatus zuerkannt. Damit ist ihre Abschiebung nach Syrien ausgeschlossen. Allerdings sind die bleiberechtlichen Rechtsfolgen (z.B. Aufenthaltsstatus in Deutschland, Familiennachzug) in diesem Fall nicht so stark ausgestaltet wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Diese Zuerkennung versagte das Bundesamt mit der Begründung, den Klägern drohe keine Verfolgung durch den syrischen Staat, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehrten.

Das VG Göttingen hat das Bundesamt verpflichtet, sämtlichen Klägern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts droht den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Syrien wegen ihrer unerlaubten Ausreise, ihrer Asylantragstellung in Deutschland und ihres langjährigen Aufenthalts im westlichen Ausland eine asylerhebliche Gefahr durch den syrischen Staat. Rückkehrer würden grundsätzlich verhört und wahllos inhaftiert und gefoltert. Dies betreffe nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder.

Das Gericht befinde sich mit dieser Entscheidung auf einer Linie mit vielen anderen Verwaltungsgerichten in Deutschland, während einige Oberverwaltungsgerichte die Frage der Rückkehrer Gefährdung derzeit anders beurteilen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann gegen diese Entscheidung einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim OVG Lüneburg stellen.

Quelle: Pressemitteilung des VG Göttingen v. 05.04.2017: www.juris.de

7.3 – Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 28.03.2017 – 18 B 274/17

Kein Freizügigkeitsrecht für Unionsbürger bei missbräuchlicher Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses

Das OVG Münster hat entschieden, dass sich eine Unionsbürgerin nicht auf die den Arbeitnehmern garantierte Freizügigkeit berufen kann, wenn die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses rechtsmissbräuchlich erfolgt ist.

Quelle: www.juris.de

8.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht und anderen Gesetzesbüchern

Der neue Kölner Erwerbslosen-Anzeiger (KEA) ist erschienen (Unabhängig und parteiisch auf der Seite der Betroffenen.)

Engagierte Zeitung von Erwerbslosen für Erwerbslose und solche, die es werden könnten.

Hier: www.die-keas.org

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de