Tacheles Rechtsprechungsticker KW 25/2017

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 0902.2017 – L 3 AS 432/14 – Revision zugelassen

Zur Frage, ob in Haushaltsgemeinschaften vom Kopfteilprinzip abzuweichen ist, wenn in Folge einer Versagung oder aus einem sonstigen Grund einem Mitglied der Haushaltgemeinschaft keine Leistungen nach dem SGB II erbracht werden.

Zur Abweichung vom Kopfteilprinzip bezüglich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Falle einer Leistungsversagung nach § 66 SGB I gegenüber einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (bejahend hier).

Leitsatz (Redakteur)
1. In Haushaltsgemeinschaften ist vom Kopfteilprinzip abzuweichen, wenn in Folge einer Versagung oder aus einem sonstigen Grund einem Mitglied der Haushaltgemeinschaft keine Leistungen nach dem SGB II erbracht werden.

2. Hier liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen vor, denn das Kind der Kläger ist nicht Partei des Mietvertrages und mithin nicht (Miet-)Schuldner des Mietzinses gegenüber dem Vermieter.

3. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen bewirkt hier, dass der tatsächliche Bedarf der Kläger unterdeckt und der des Sohnes erhöht wird. Diese Abweichung vom Prinzip der Bedarfsdeckung ist ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität allenfalls so lange hinnehmbar, wie die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in der Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft in der Summe auch in tatsächlicher Höhe gedeckt sind. Wenn, wie hier, aber für einen Teil der Bedarfsgemeinschaft (den Sohn) Leistungen nicht erbracht werden, sei es infolge einer Sanktionierung nach §§ 30 ff. SGB II oder infolge einer Entscheidung nach § 66 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Sinne einer Versagung oder Entziehung einer Leistung, ist es den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft, sofern sie – wie hier – im Außenverhältnis allein für die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung haften, nicht zumutbar, die nicht gedeckten Kosten aus ihrer Regelleistung zu bestreiten oder gar eine Verschuldung mit dem Risiko des Verlustes der Wohnung hinzunehmen.

Rechtstipp:
Ebenso SG Berlin, Urt. v. 20.05.2016 – S 37 AS 14517/15 – Die bedarfsbezogene Abweichung vom Kopfteilprinzip gilt auch, wenn die/der unter 25jährigen in Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern lebt.

1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26.05.2016 – L 34 AS 1350/11 – rechtskräftig

Hilfebedürftigkeit – Vermögensaufbau aus angeblich darlehensweise überlassenen Mitteln – Anforderung an eine Treuhandvereinbarung

Leitsatz (Redakteur)
1. Kein Anspruch des Antragstellers auf zuschussweise Leistungen nach dem SGB II, denn der Kläger ist nicht hilfebedürftig, da er über die Freibeträge übersteigendes Vermögen verfügt. Das Vermögen aus dem Bausparvertrag gehört zum Vermögen des Klägers. Er selbst ist Vertragspartner der BHW Bausparkasse geworden und – unabhängig davon, wer die in dem Vertrag vereinbarten Einzahlungen tatsächlich vorgenommen hat – aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet und somit Inhaber der Forderung in der in den Kontoauszügen ausgewiesenen Höhe.

2. Für das Bestehen des Vermögens kommt es auch nicht auf die Frage an, ob der Kläger die Forderung durch – was der Senat offen lässt – darlehensweise gewährte Einzahlungen des Vaters erlangt hat. Selbst wenn ein solches Darlehen gewährt worden sein sollte, minderte dies nicht das Vermögen des Klägers.

3. Rückzahlungsverpflichtungen aus Darlehensverbindlichkeiten sind Schulden, welche grundsätzlich in die Vermögensbewertung nicht einfließen. Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II ist nämlich nicht die Bilanz aus aktiven und passiven Vermögenswerten, sondern allein die Summe der vorhandenen aktiven Vermögenswerte. Dies folgt aus der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge, welche erst eingreifen soll, wenn der Hilfebedürftige ihm zur Verfügung stehende Mittel verbraucht hat. Die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Feststellung der vorhandenen Vermögenswerte nach § 12 SGB II ist allenfalls geboten, wenn eine Verbindlichkeit unmittelbar auf dem fraglichen Vermögensgegenstand (z. B. eine auf ein Grundstück eingetragene Hypothek) lastet, da der Vermögensgegenstand in diesem Fall nicht ohne Abzüge veräußert werden kann (BSG, Urteil vom 11.12.2012 – B 4 AS 29/12 R). Eine etwaige Rückzahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber seinem Vater aus ratenweise gewährten Darlehenszahlungen würde jedoch nicht in dieser Weise auf der Forderung aus dem Bausparvertrag lasten, denn sie könnte gegenüber der Bank ohne Abzüge durch den Kläger geltend gemacht werden.

4. Dafür, dass sich Rückzahlungsansprüche aus Darlehen von anderen Passiva in einer Weise unterscheiden, die eine andere Behandlung und eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz, dass keine Gesamtsaldierung vorzunehmen ist, rechtfertigten, ist nichts erkennbar. Dem (Darlehens)Schuldner steht es beispielsweise – ebenso wie anderen Schuldnern – frei, vor Beantragung der Leistungen das Darlehen aus dem Vermögen zu tilgen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31.05.2017 – L 31 AS 1027/17 B – rechtskräftig

Zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 100,00 EUR in einem Klageverfahren, in welchem der Kläger die Überprüfung eines Sanktionsbescheides wegen eines Meldeversäumnisses begehrte (hier Ordnungsgeld rechtswidrig)

Leitsatz (Juris)
Kann das Gericht in der Sache abschließend entscheiden, ohne dass es einer Mitwirkung des säumigen Beteiligten bedurfte, so ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in der Regel ermessenfehlerhaft und muss aufgehoben werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 16.02.2017 – L 7 AS 1299/15

Leitsatz (Redakteur)
1. Gem. § 17 Abs. 2 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden und damit für den vorliegenden Fall maßgeblichen, bis heute insoweit unveränderten Fassung sind die Träger der Leistungen nach dem SGB II zur Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Dritten oder seinem Verband eine Vereinbarung insbesondere über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Nr. 1), die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzen kann (Nr. 2) und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Nr. 3) besteht, sofern – wie hier – im SGB III keine Anforderungen geregelt sind, denen die Leistung entsprechen muss.

2. Ohne die Vereinbarung besteht keine Vergütungspflicht, die dennoch gezahlt Vergütung ist in diesem Fall rechtswidrig (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.05.2015 – L 12 AS 1955/14).

3. An einer derartigen Vereinbarung fehlt es hier.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Speyer, Beschluss v. 06.06.2017 – S 21 AS 598/17 ER

EGV-VA darf nicht einfach fortgeschrieben werden

Hinweis Gericht
Er lässt nämlich in Abweichung zu der den Leistungsträger treffenden Verpflichtung (Änderung des § 15 SGB II zum 01.08.2016, vorliegend maßgeblich: § 15 Abs. 3 SGB II) nicht erkennen, dass die getroffenen Festlegungen regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Der vorliegende Eingliederungsverwaltungsakt statuiert vielmehr, dass zwar die einseitige (gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II ersatzweise) Bestimmung durch Verwaltungsakt ggf. angepasst werde, eine Aufhebung gleichwohl aber nur dann in Betracht komme, wenn der Leistungsempfänger Einvernehmen mit einer vertraglichen Vereinbarung signalisiere. Dies entspricht indes nicht dem gesetzlich intendierten Verfahrensablauf und trägt dem Vorrang einer einvernehmlichen Eingliederungsvereinbarung bzw. einer einvernehmlichen zukünftigen Überprüfung nach neuer Rechtslage (was dem Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung nach Ablauf der Geltungsdauer nach alter Gesetzesfassung entspricht) als dem maßgeblichen Werkzeug zur Planung und Gestaltung des Eingliederungsprozesses (BT-Drs. 18/8041, S. 37) nicht hinreichend Planung.

2.2 – Sozialgericht Gießen, Urteil v. 05.05.2017 – S 28 AS 579/16

Darlehensweise Gewährung von ALG II rechtswidrig, denn es lag ein Härtefall vor i. S. d. § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II – Verwertung Zweifamilienhaus mit einer Wohnfläche von 175 Quadratmetern – kurzer Leistungsbezug (5 Monate)

Zuschussweise Gewährung von ALG II bei absehbar kurze Leistungsdauer.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Leistungsgewährung an die Kläger ist rechtswidrig, weil das Hausgrundstück durch die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II privilegiert ist und daher bei der Leistungswährung nicht zu berücksichtigen ist.

2. Eine absehbar kurze Leistungsdauer kann die Annahme einer besonderen Härte gemäß § 12 Abs. 3 S 1 Nr. 6 Alt 2 SGB 2 rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2014 (Az.: B 14 AS 10/13 R).

3. Das Argument des Beklagten unter Bezugnahme auf das oben genannte Urteil, dass bei Antragstellung die Kürze des Leistungsbezuges nicht absehbar gewesen sei und deshalb nur eine Leistungsgewährung auf Darlehnsbasis eröffnet sei, greift unter Verweis auf die BSG Rechtsprechung zu kurz.

4. Für die Anwendung im vorliegenden Fall spricht zum einen, dass die Kläger die Leistungsgewährung für weniger als fünf Monate in Anspruch nahmen. Zum anderen ist bei der Abwägung die geringe Höhe des Anspruches mit zu berücksichtigen. Die Kläger machen keine Ansprüche im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft geltend.

5. Des Weiteren spricht gegen die restriktive Auslegung des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB VI durch den Beklagten, dass für die Härtefallregelung quasi keinen Anwendungsraum mehr eröffnet wäre.

6. Da die Härtefallregelung des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II greift, ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig, denn das Vermögen der Kläger ist bei der Leistungsgewährung nicht zu berücksichtige, weshalb diese als Zuschuss zu gewähren ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Wohl möglich a. A. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 03.05.2016 – L 12 AS 1794/1 – Der Antragsteller hatte keinen Anspruch auf Leistungen als Zuschuss, denn bei der Antragstellung war es noch offen gewesen, ob der Kläger tatsächlich nur für kurze Zeit Leistungen beanspruchen würde (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2014, B 14 AS 10/13 R).

2.3 – Sozialgericht München, Urt. v. 10.03.2017 – S 46 AS 372/15

Nur bei Gegenseitigkeit von Gegenforderung der Behörde und Hauptforderung des Leistungsempfängers ist eine Aufrechnung möglich

Leitsatz (Juris)
1. Nur bei Gegenseitigkeit von Gegenforderung der Behörde (hier Erstattungsforderung) und Hauptforderung des Leistungsempfängers (hier laufendes Arbeitslosengeld II) ist eine Aufrechnung nach § 43 SGB II möglich. Eine Verrechnung mit Gegenforderungen einer anderen Behörde (so § 52 SGB I) gestattet § 43 SGB II nicht.

2. Eine Aufrechnung einer Gegenforderung einer anderen gemeinsamen Einrichtung eröffnet § 43 SGB II nicht. Dies gilt auch für eine Teilaufrechnung, soweit eine Erstattungsforderung auf die Bundesagentur für Arbeit als Träger der gemeinsamen Einrichtung entfällt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Sozialgericht München, Beschluss v. 31.05.2017 – S 40 AS 1142/17 ER – rechtskräftig

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid wird angeordnet, soweit die Sanktion und die Aufhebung der Leistungsbewilligung 30 v.H des Regelbedarfs übersteigen – § 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II – wiederholte Pflichtverletzung – Umdeutung nach § 43 SGB X eines fehlerhaften Sanktionsbescheides in einen rechtmäßigen Bescheid durch das Sozialgericht möglich

Die Annahme einer zweiten wiederholten Pflichtenverletzung kommt nur dann in Betracht, wenn zuvor ein erster wiederholter Pflichtenverstoß nicht nur begangen, sondern auch festgestellt worden ist.

Die Festsetzung einer vollständigen Sanktion führt, wenn nur eine 30 %-Sanktion rechtmäßig gewesen wäre, nicht zur Rechtswidrigkeit des gesamten Sanktionsbescheids. Eine wiederholte Sanktion kann teilweise aufgehoben bzw. in eine erste Sanktion umgedeutet werden.

Leitsatz (Redakteur)
Liegt eine wiederholte Pflichtverletzung nicht vor, beispielsweise weil die Sanktion – wie hier – nicht vor der erneuten Pflichtverletzung festgestellt wurde, ist eine Umdeutung eines fehlerhaften Sanktionsbescheides in einen rechtmäßigen Bescheid durch das Sozialgericht nach § 43 Abs 1 SGB 10 statthaft (so SG Duisburg Urteil vom 12.02.2016 – S 5 AS 1356/14; a. A. SG Dresden, Urteil vom 14.07.2014 – S 20 AS 1356/14).

2.5 – Sozialgericht Dortmund, Gerichtsbescheid v. 11.05.2017 – S 32 AS 5543/16

Vollständiger Wegfall des Leistungsanspruchs (100 % Minderung) – zur Rechtmäßigkeit des dieser Sanktion zugrundeliegenden, den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes (Eingliederungsverwaltungsakt) nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II a. F. (heute: § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n. F.).

SG Dortmund: 100% Sanktion verfassungsgemäß

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Voraussetzungen für eine 100 %-Sanktion nach § 31a Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB II – eine weitere wiederholte Pflichtverletzung und eine bereits erfolgte vorangegangene Minderungsfeststellung wegen zumindest einer ersten wiederholten Pflichtverletzung – liegen vor.

2. Zum einen liegt eine wiederholte Pflichtverletzung vor.

3. Dies ist nicht nur der Fall, wenn exakt dieselbe oder eine gleichartige Pflicht oder eine durch denselben oder einen vergleichbaren Eingliederungsverwaltungsakt (oder eine entsprechende einvernehmliche Eingliederungsvereinbarung) begründete Pflicht verletzt worden ist, sondern schon dann, wenn irgendein Sanktionstatbestand nach § 31 SGB II bereits zuvor verwirklicht worden ist  und deshalb vor der nächsten Pflichtverletzung durch Verwaltungsakt eine Sanktion / Minderung festgestellt worden ist.

4. Dies ist hier der Fall.

5. Die Sanktionsregelungen des SGB II betreffend die Minderung des Leistungsanspruchs für Dauer von drei Monaten sind auch verfassungsgemäß (vgl. LSG NRW, Urteil vom 29.02.2016 – L 19 AS 1536/15 – ; BSG, Urteile vom 29.04.2015 – B 14 AS 20/14 R – und – B 14 AS 19/14 R – ; a. A. SG Gotha, Vorlagebeschluss vom 26.05.2015 – S 15 AS 5157/14 –  (vgl. dazu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.05.2016 – 1 BvL 7/15 –) und weiterer Vorlagebeschluss vom 02.08.2016 – S 15 AS 5157/14 –  (Az. beim BVerfG: 1 BvL 7/16)).

6. Das gilt auch für 100 %-Sanktionen wie die hier fragliche, also Sanktionen, die den vollständigen Wegfall des Leistungsanspruchs nach sich ziehen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.07.2015 – L 16 AS 381/15 B ER; Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 22.2 m. w. N.).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 2.5.2017, L 8 AL 2132/16 – Revision zugelassen

Leitsatz (Juris)
Die allgemeine Regelung in § 159 Abs. 2 S. 1 SGB III zum Beginn der Sperrzeit mit dem Tage nach dem sperrzeitbegründenden Ereignis erfährt durch den Sperrzeittatbestand in § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB III dahingehend eine Einschränkung, dass die Sperrzeit bei verspäteter Arbeitssuchendmeldung abweichend hiervon erst bei Eintritt der Beschäftigungslosigkeit beginnt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
(vgl. zum Ganzen auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.01.2017 – L 3 AL 8/15; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.09.2014 – L 9 AL 236/13)

Hinweis:
Rechtzeitige oder verspäte Arbeitslosmeldung? Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitslosmeldung setzt zumindest leichte Fahrlässigkeit voraus, ein Beitrag von www.etl-rechtsanwälte.de

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat im Leitsatz entschieden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 25.09.2014 – L 9 AL 236/13):

„Auch bei vermeintlich angesichts Alters oder Schwerbehinderung offensichtlich aussichtslosen Vermittlungsbemühungen besteht die Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung uneingeschränkt.“

Autor(en)
Raik Pentzek Raik Pentzek
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Sozialrecht
ETL Rechtsanwälte GmbH, Greifswald, Rostock

Quelle: www.etl-rechtsanwaelte.de

3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 27.04.2017 – L 9 AL 54/15 – Die Revision wird zugelassen.

Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld nach Ende der Altersteilzeit möglich

Leitsatz (Redakteur)
Ein Arbeitnehmer, der sich nach dem Ende der Altersteilzeit arbeitslos meldet, muss mit einer Sperrzeit rechnen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2017 – L 8 AL 3805/16 u. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.06.2016 – L 1 AL 48/15).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
a. A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.11.2016 – L 18 AL 96/16

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – SG Aurich, Urteil vom 15.12.2016 – S 13 SO 86/14

Leitsatz (Juris)
Der Absatz von Beiträgen zur Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung von Renteneinkünften im Rahmen des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII kann auch ohne Vorliegen einer besonderen Gehbehinderung bereits gerechtfertigt sein, wenn am Wohnort der Leistungsempfänger nur ein äußerst reduziertes Angebot an öffentlichem Nahverkehr vorhanden ist und eine Notwendigkeit zur Mobilität besteht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – SG Aurich, Beschluss vom 21.03.2017 – S 13 SO 9/17 ER

Leitsatz (Juris)
1. Das Bestehen einer rechtlichen Betreuung mit dem Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“ kann einem Begehren auf Erhalt tatsächlicher Hilfeleistungen der Eingliederungshilfe für die Wohnungssuche nicht entgegengehalten werden (Anschluss an BSG, Urteil vom 30.06.2016 – B 8 SO 7/15 R und BGH, Urteil vom 02.12.2010 – III ZR 19/10).

2. Bei Weigerung eines Leistungserbringers der stationären Eingliederungshilfe, bestimmte Leistungen zu erbringen, kann diese Weigerung vom Leistungsträger im Außenverhältnis zur Anspruch stellenden Person dem Begehren nicht entgegengehalten werden. Sofern die Weigerung rechtswidrig im Verhältnis zum Leistungsträger sein sollte, könnte dies im Wege der Erstattung der Kosten geklärt werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – SG Gießen, Urt. v. 09.05.2017 – S 18 SO 14/15

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Verwirkung eines Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen

Leitsatz (Gericht)
Ein Anspruch des Leistungsträger gegen eine Hilfebedürftige ist dann verwirkt, wenn neben einem gewissen Zeitablauf und der Untätigkeit des Trägers noch besondere Umstände hinzutreten, die den Schluss rechtfertigen, dass die spätere Geltendmachung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – Ein Kämpfer, ein liebevoller Vater, kämpft gegen Goliath – Jobcenter – Mietkosten

Jobcenter zahlen zu wenig für Mieten – In Herbert Masslaus Wohnung stapeln sich die Akten. Er verklagt den Landkreis Göttingen regelmäßig auf die komplette Übernahme seiner Wohnkosten und gewinnt vor Gericht.

Weiter: www.ndr.de

5.2 – Pressemitteilung VG Leipzig – 14.06.2017 – Verwaltungsgericht Leipzig billigt syrischen Wehrpflichtigen/Reservisten Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG zu

Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Leipzig hat gestern mehrere Fälle syrischer Asylantragsteller verhandelt und mit Grundsatzurteilen zu Gunsten der Kläger entschieden. Die Urteilstenöre sind den Beteiligten heute bekannt gegeben worden.
Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Leipzig hat sich damit u.a. der aktuellen Rechtsprechung des VGH München, VGH Kassel und VGH Baden-Württemberg angeschlossen. Weil die Frage in Sachsen unterschiedlich beantwortet wird – so hat das Verwaltungsgericht Dresden entsprechende Klagen abgewiesen, dagegen das Verwaltungsgericht Chemnitz den Klagen stattgegeben – hat die 7. Kammer die Berufung gegen die noch zuzustellenden Urteile zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht Bautzen zugelassen.

7 K 1733/16.A, 7 K 1521/16.A, 7 K 809/16.A und 7 K 836/16.A

Quelle: www.justiz.sachsen.de

5.3 – Anmerkung zu: EuGH 2. Kammer, Urteil vom 02.03.2017 – C-496/15 – Autor: Dr. Friedrich L. Cranshaw, RA

Vereinbarkeit des § 167 Abs. 2 SGB III für Grenzgänger mit dem Unionsrecht trotz Nichterreichens des bisherigen Nettoentgelts („Eschenbrenner/Bundesagentur für Arbeit“)

Orientierungssatz zur Anmerkung
Das Insolvenzgeld eines Grenzgängers (hier: Wohnort in Frankreich, Arbeitsstätte in Deutschland) wird bei Ausschluss einer Versteuerung im Wohnsitzstaat unter Anrechnung einer fiktiven Einkommensteuer im Inland nach § 167 Abs. 2 SGB III berechnet, auch wenn dadurch seine bisherigen Nettobezüge unterschritten werden. Dies stellt keinen Verstoß gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten der Union (hier: Freizügigkeit der Arbeitnehmer) dar. Darauf, ob der betroffene Arbeitnehmer einen Bruttorestlohnanspruch in Höhe der fraglichen Steuer gegen den (insolventen) Arbeitgeber behält, kommt es unionsrechtlich nicht an. § 167 Abs. 2 SGB III ist rechtssystematisch dem Steuerrecht zuzuordnen.

Quelle: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de