Tacheles Rechtsprechungsticker KW 26/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 23.02.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 23.02.2017 – B 4 AS 57/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Ablehnung der Überprüfung bzw Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für die Vergangenheit im Zugunstenverfahren wegen Versäumung der auf ein Jahr verkürzten Ausschlussfrist – Anwendung des § 44 Abs 4 SGB 10 bei vorangegangener Aufrechnung der Erstattungsforderung

Hinweis Gericht
1. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind. Dies ist hier jedoch ausgeschlossen.

2. Sind die vorläufig einbehaltenen SGB II-Leistungen wegen des streitigen Bescheides nicht – nachträglich – ausgezahlt worden, sind Sozialleistungen gegebenenfalls zu Unrecht nicht erbracht worden. Schon eine Rücknahmeentscheidung ist daher nicht mehr zu treffen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.032017 – L 31 AS 359/15

Löschung von Sozialdaten – Entfernung von Kontoauszügen aus Verwaltungsvorgängen

Die Klägerin begehrt die Entfernung ihrer Kontoauszüge aus der Verwaltungsakte des Beklagten (ablehnend) – Empfehlungen der Datenschutzbeauftragten

Der Verbleib der Kontoauszüge in den Verwaltungsakten ist wegen ihrer Relevanz für Folgeverfahren jedenfalls in all denjenigen Fällen, in denen der Bevollmächtigte des Klägers in Erscheinung tritt, nicht nur hinzunehmen, sondern geradezu geboten.”

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Hinweise der Landesbeauftragten für den Datenschutz zur datenschutz-gerechten Ausgestaltung der Anforderung von Kontoauszügen bei der Beantragung von Sozialleistungen stellen nicht justiziable Handlungsempfehlungen im Sinne des § 23 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten im Land Brandenburg dar. Die fehlende Verbindlichkeit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Hinweise selbst (‚sollten die folgenden Hinweise für eine datenschutzgerechte Verfahrensweise bei der Anforderung von Kontoauszügen beachtet werden‘). Mit der fehlenden Verbindlichkeit korrespondiert die nicht bestehende rechtliche Handhabe zur Durchsetzung der Handlungsempfehlungen. Die Behörde, an die sich die Handlungsempfehlung richtet, muss die Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten auch befolgen.

2. Die Empfehlungen der Datenschutzbeauftragten halten einer Überprüfung am Maßstab der Lebenswirklichkeit jedenfalls im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht stand. Der Verbleib der Kontoauszüge in den Verwaltungsakten ist wegen ihrer Relevanz für Folgeverfahren jedenfalls in all denjenigen Fällen, in denen der Bevollmächtigte des Klägers in Erscheinung tritt, nicht nur hinzunehmen, sondern geradezu geboten.”

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 27.04.2017 – L 28 AS 30/15

Rückwirkung des Leistungsantrages – Einkommen – Vermögen – Steuerrückerstattung

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Steuerrückerstattung war anrechenbares Einkommen und gem. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II auf 6 Monate aufzuteilen.

2. Auch wenn der Leistungsanspruch erst nach dem Zufluss im Laufe eines Monats beginnt oder der Antragsteller erst für einen späteren Zeitraum im Antragsmonat Leistungen begehrt, sind vor der Anspruchsentstehung zugeflossene Einnahmen Einkommen und kein Vermögen (so BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 36/13 R).

3. Der Hilfesuchende ist nicht einmal befugt, die Anrechnung mit einer Rücknahme des Arbeitslosengeld II-Antrags zu umgehen (BSG, Urteil vom 24. April 2015 – B 4 AS 22/14 R), was vorliegend durch die Klägerinnen auch nicht erfolgt ist. Allerdings konnten die Klägerinnen die leistungsrechtliche Wirkung ihres Antrags auf Arbeitslosengeld II auf einen bestimmten – späteren – Zeitpunkt beschränken. Denn ein Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II kann im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit durch seinen Antrag bestimmen, ab welchem Zeitpunkt er einen Leistungsanspruch geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 36/13 R -).

4. Eine solche Bestimmung eines Leistungsbeginns ist jedoch weder dem Antrag der Klägerinnen noch weiteren Umständen zu entnehmen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. April 2017 (Az.: L 1 AS 854/17 ER-B):

Zur Bejahung eines Leistungsanspruchs eines kroatischen Antragstellers, der infolge einer nur sehr kurzen Beschäftigungszeit im Bundesgebiet und seiner Arbeitslosigkeit sein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FreizügG/EU verloren hat, gemäß § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II auf Bewilligung vorläufiger Hilfen.

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Auch die Geltendmachung eines vorläufigen Anspruchs gegenüber dem Jobcenter bewirkt entsprechend § 21 Satz 1 SGB XII einen Leistungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger.
Ob die aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hervorgehende Ausschlussnorm mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar ist, stellt eine umstrittene Fragestellung dar, die höchstrichterlicher Klärung bedarf.

2. Ein Anspruch auf vorläufige Leistungen gemäß § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II ist gerade dann als begründet aufzufassen, wenn bei einem wirtschaftlich (und nicht medizinisch) indizierten Abbruch einer unabdingbar notwendigen Therapie mit einer erheblichen Verschlechterung des Krankheitsbildes, mit dem der Antragsteller gegenwärtig konfrontiert ist, gerechnet zu werden hat. Dies gilt gerade dann, wenn im Heimatstaat keine angemessene medizinische Versorgung gewährleistet ist.

2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.01.2017 – L 6 AS 1920/16

Zur Gewährung höherer Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts (ablehnend)

Der Ansatz einer Pauschale von 0,20 EUR pro gefahrenem Kilometer sei nicht zu beanstanden.

Leitsatz (Redakteur)
Auf diese Kilometerpauschale kann bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf zurückgegriffen werden (BSG Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 30/13 R; vgl. auch BT-Drucks. 17/1465, S. 9). Denn dieser Pauschalbetrag setzt anders als § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG bei der tatsächlich zurückgelegten Strecke und damit am tatsächlichen Bedarf an. Er berücksichtigt anders als § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG über die Wegstrecke hinaus nicht etwa auch noch Anschaffungs- und/oder Unterhaltungskosten. In der Erfassung grundsätzlich nur der tatsächlich notwendigen Kosten bietet die Kilometerpauschale des § 5 Abs. 1 BRKG im Ausgangspunkt die notwendige Übereinstimmung mit der Ausrichtung des SGB II, dessen Leistungen grundsätzlich nur der Existenzsicherung und nicht der Vermögensbildung oder -sicherung dienen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 11. Senat, Beschluss vom 19.05.2017, L 11 AS 247/17 B ER

Leitsatz (Juris)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II in der seit 29. Dezember 2016 geltenden Fassung ist verfassungsgemäß.

2. Bei der Prüfung des Anspruchs auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 41a Abs 7 SGB II ist das Ermessen nicht allein aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II stets auf Null reduziert. Es müssen weitere gewichtige Gründe hinzutreten, um eine Ermessensreduzierung auf Null zu begründen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG NSB vom 9. Mai 2017 – L 11 AS 169/17 B, n. v.

Anmerkung:
Die Verpflichtung zur Leistungsgewährung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (vgl. so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 – L 13 AS 113/17 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. April 2017 – L 9 AS 165/17 B ER; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Februar 2017 – L 8 SO 344/16 B ER).

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Dortmund, Beschl. v. 13.06.2017 – S 19 AS 2057/17 ER

Verschuldenskosten gegen Jobcenter wegen missbräuchlicher Rechtsverteidigung

Leitsatz (Redakteur)
1. Das Sozialgericht kann einem Jobcenter bereits im Eilverfahren wegen missbräuchlicher Rechtsverteidigung Verschuldenskosten auferlegen, wenn das Jobcenter EU-Ausländern, die wegen eines Minijobs als Arbeitnehmer anzusehen sind, aufstockendes Arbeitslosengeld II verweigert, ohne hierfür eine Stütze im Gesetz oder in der Rechtsprechung zu finden.

2. Das Verhalten der Behörde erweckt den Eindruck, dass sie es in einer Vielzahl derartiger Fälle regelmäßig darauf anlegt, nur zu leisten, wenn sie von dem Gericht dazu verpflichtet wird. Das Jobcenter Hagen behindere damit die Gewährung effektiven sozialgerichtlichen Rechtsschutzes.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dortmund v. 22.06.2017: www.juris.de

Volltext: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Mainz, Urteil vom 13. April 2017 (Az.: S 10 AS 463/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wer als nichtdeutscher Antragsteller in keiner Weise als dem Grunde nach leistungsberechtigt entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (a. F.) aufzufassen ist und sich auch durchgehend auf der Grundlage seines Aufenthaltsrechts zum Zwecke der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a) FreizügG/EU in Verbindung mit § 2 Abs. 1 FreizügG/EU stets sehr um Arbeit bemüht hat, bei dem ist die aus § 21 Satz 1 SGB XII hervorgehende Ausschlussnorm nicht dahingehend auszulegen, dass bereits ein Bestehen einer Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB II eine Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistungen gemäß dem SGB XII (Sozialhilfe) ausschließt.

2. Der Wortlaut des § 21 Satz 1 SGB XII verweist nicht ausschließlich auf die Erwerbsfähigkeit, sondern vielmehr auf einen Anspruch dem Grunde nach.

3.3 – Pressemitteilung 5/2017 des Sozialgerichts Mainz – Künstler muss sich Preisgeld auf das Arbeitslosengeld 2 anrechnen lassen

Das Sozialgericht Mainz hat entschieden, dass Geld, das aus dem Gewinn eines Kunstpreises resultiert, Einkommen im Sinne des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) ist und als solches anzurechnen ist (Urteil vom 09.06.2017, Aktenzeichen S 15 AS 148/16).

Zwar gebe es Fälle, bei denen das Gesetz die Berücksichtigung einer Einnahme ausschließt, etwa bei Zuwendungen die ohne eine rechtliche oder sittliche Pflicht erbracht werden – zum Beispiel in den Fällen der vom Kläger erwähnten Zahlungen der Katastrophenhilfe. Im Falle des Klägers sei es aber bereits zweifelhaft, ob der Kunstverein nicht rechtlich verpflichtet war, das Preisgeld an die jeweiligen Gewinner auszuzahlen, da er die Preisgelder öffentlich ausgelobt hatte. Zudem könne eine Anrechnung nach den gesetzlichen Regelungen nur unterbleiben, wenn sie grob unbillig sei. Dies könne im Rahmen des öffentlich finanzierten Arbeitslosengelds 2 nur in wenigen Ausnahmefällen angenommen werden, unter anderem bei Zuwendungen aufgrund besonderer Anlässe oder Verdienste wie Ehrengaben oder dem Künstlerehrensold. Hiermit sei der Kunstpreis nicht vergleichbar.

Quelle: sgmz.justiz.rlp.de

3.4 – Sozialgericht Chemnitz, Beschluss vom 14. März 2017 (Az.: S 26 AS 405/17):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Die aus § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II hervorgehende Ausschlussvorschrift gelangt nicht zur Anwendung, wenn eine dauerhaft im Bundesgebiet lebende tschechische Staatsangehörige sich auf ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU berufen kann.
Wenn nach einer über einjährigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, wobei hier kein zusammenhängender Zeitraum vorzuliegen hat, die Bundesagentur für Arbeit dieser nichtdeutschen Person Arbeitslosengeld I mit einer Anspruchsdauer von 180 Tagen gewährt, dann steht fest, dass diese Antragstellerin unfreiwillig arbeitslos im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU war.

3.5 – Sozialgericht Hamburg, Urt. v. 20.07.2015 – S 35 AS 2224/13, bestätigt durch Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 09.12.2016 – L 4 AS 437/15

Versagung von Leistungen der Grundsicherung bei fehlender Mitwirkung des Antragstellers bei der Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit – Rechtmäßige Rückforderung bereits erbrachter vorläufig bewilligter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II

Leitsatz (Redakteur)
Wird entgegen der vorgelegten vertraglichen Vereinbarung die Miete nicht oder nur teilweise gezahlt, ohne dass dies zu mietrechtlichen Konsequenzen führt, so spricht dies gegen eine ernsthafte rechtliche Verpflichtung (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.07.2013 – L 2 AS 1021/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2012 – L 2 AS 5209/11).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.6 – SG München, Beschl. v. 26.05.2017 – S 46 AS 843/17 ER

Leitsatz (Juris)
1. Der seit 29.12.2016 gültige Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 SGB XII ist weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich zu beanstanden.

2. Ein leistungsbegründendes Aufenthaltsrecht mittels selbständiger Erwerbstätigkeit setzt eine tatsächliche Teilnahme am Wirtschaftsleben voraus. Die Existenz einer Anwaltszulassung und eines Büros allein genügen dafür nicht.

3. Es besteht auch kein Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 41a Abs. 7 SGB II, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen. Die ab 29.12.2016 gültigen entscheidungserheblichen Vorschriften sind nicht Gegenstand eines Verfahrens am BVerfG oder BSG.

4. Weil Arbeitslosengeld II grundsätzlich keine ins Ausland zu exportierende Leistung ist, ergibt der bestehende Leistungsausschluss nur für in Deutschland lebende Ausländer Sinn. Auch aus diesem Grund kann der Nichtvollzug einer eventuellen Ausreiseverpflichtung keinen Leistungsanspruch begründen.

Rechtstipp:
a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017 – L 8 SO 344/16 B ER – Wenn die Voraussetzungen nach § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II für eine vorläufige Entscheidung über Leistungen nach dem SGB II vorliegen, kann für Leistungszeiträume ab dem 29. Dezember 2016 das nach § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II eingeräumte Ermessen wegen der durch die Neufassung des § 23 SGB XII eingeführten Leistungseinschränkungen ebenfalls auf Null reduziert sein mit der Folge, dass dem genannten Personenkreis vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sind.

4.   Entscheidungen zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – Anmerkung zu: LSG München 10. Senat, Urteil vom 15.02.2017 – L 10 AL 25/16

Autor: Thomas Neumair, RA und FA für Arbeitsrecht

Leitsatz
Eintritt einer Sperrzeit bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages, mit dem das Arbeitsverhältnis zu einem früheren Zeitpunkt beendet wird, als zu dem eine ordentliche Arbeitgeberkündigung gedroht hätte.

Orientierungssatz zur Anmerkung
Kein wichtiger Grund bei “Vorverlegung” des Beendigungsdatums im Vergleich zu drohender Kündigung.

Quelle: www.juris.de

4.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 03.05.2017 – L 14 AL 52/17 B ER – rechtskräftig

Keine Berufsausbildungsbeihilfe – Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung – relativ sicheres Herkunftsland (Kamerun)

Leitsatz (Redakteur)
Der Antragsteller gehöre nicht zum förderfähigen Personenkreis nach § 59 Abs. 1-3 SGB III und auch die Sonderregelung für die Ausbildungsförderung von Ausländern nach § 132 SGB III greife für ihn nicht. Das BAMF lege halbjährlich fest, welche Menschen aus welchen Herkunftsländern eine gute Bleibeperspektive hätten. Für Menschen aus Kamerun gelte dies nicht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.032017 – L 23 SO 288/14

Zur Überleitung eines Rückforderungsanspruchs des Beklagten wegen Verarmung des Schenkers (Voraussetzungen für die Überleitung liegen vor).

Leitsatz (Redakteur)
Zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Überleitungsanzeige des Sozialhilfeträgers (hier vorliegend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – Sozialgericht Stade, Beschluss vom 10. Mai 2017 (Az.: S 19 AY 19/17 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Es ist zweifelhaft, ob eine Absenkung auf das physische Existenzminimum gemäß § 1a Abs. 4 AsylbLG verfassungsgemäß ist.

2. Die Verfassung gewährleistet zwar nicht die Gewährung einer bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistung.

3. Nach § 1 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigten Personen ist aber neben dem physischen Existenzminimum immer auch ein soziokulturelles Existenzminimum zu gewährleisten.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass höchstrichterlich die Pflicht zur Gewährung von Ermessensleistungen gemäß § 1a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG dahingehend verfassungskonform ausgelegt wird, dass den betroffenen Leistungsempfänger/innen Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zumindest als Sachleistungen zu gewähren sind.

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – Anmerkung zu Sozialgericht Augsburg, Beschluss v. 30.12.2016 – S 14 AS 1445/16 ER – bestätigt durch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 09.03.2017 – L 7 AS 167/17 B ER – Keine Wunschmedizin vom Jobcenter

Für Gesundheitsleistungen müssen sich auch Hilfebedürftige an ihre Krankenkasse wenden. In Ausnahmefällen müssen die Jobcenter (JC) zusätzlich zu den Leistungen der Krankenkasse Leistungen erbringen, wenn diese von den Krankenkassen nicht übernommenen Kosten „unabweisbar“, also unbedingt notwendig, sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass die JC Gesundheitskosten für jede Art von Wunschmedizin übernehmen müssen.

Die Entscheidung
Das Landessozialgericht hat – ebenso wie in der Vorinstanz das Sozialgericht Augsburg – den Antrag auf Übernahme der Kosten für die CMD-Behandlung im Eilverfahren abgelehnt. Zwar sei es nicht ausgeschlossen, dass Gesundheitskosten, die von der Krankenkasse nicht übernommen würden, vom JC im Rahmen der Sicherstellung des Existenzminimums zu übernehmen seien. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Mehrbedarfe unabweisbar seien. Nur wenn eine hinreichende medizinische und ärztliche Indikation vorliege, komme die Übernahme von Kosten für gesundheitsbedingte Mehrbedarfe in Betracht. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Notwendigkeit der Heilmittel sei erforderlich.

Daran fehle es hier. Medizinische Belege für die Wirksamkeit der von CMD-Spezialisten angewendeten Methoden zur Behandlung gäbe es nicht. Insoweit handle es sich um eine Wunschmedizin, die vom Steuerzahler nicht finanziert werden müsse.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.2 – Weiter Streit um die 40-Euro-Pauschale, von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 21.06.2017

Rechtsgebiete: Bürgerliches Recht / Arbeitsrecht
Ob die 40-Euro-Pauschale (§ 288 Abs. 5 BGB) auch im Arbeitsverhältnis, insbesondere bei Verzug des Arbeitgebers mit der Lohnzahlung, beansprucht werden kann, ist nach wie vor umstritten (ausführlich jüngst Witschen/Röleke NJW 2017, 1702). Das LAG Köln (Urt. vom 22.11.2016 – 12 Sa 524/16, BeckRS 2016, 74899) hatte diese Frage bejaht und die Revision zugelassen, diese ist aber offenbar nicht eingelegt worden. Ebenso hatte sich das LAG Baden-Württemberg positioniert (Urt. vom 13.10.2016 – 3 Sa 34/16, BeckRS 2016, 73949). In diesem Verfahren ist es ebenfalls nicht zu einem Urteil des BAG gekommen, weil die Parteien sich am 7.6.2017 vor dem Siebten Senat verglichen haben (7 AZR 796/16).

Vielleicht hat das Gericht aber demnächst erneut Gelegenheit, eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat jetzt entschieden:

1. Die Beitreibungskostenpauschale von 40 € gemäß § 288 Abs. 5 BGB kann auch im Arbeitsverhältnis verlangt werden.

2. Bei fehlerhafter oder unterlassener Abrechnung fällt sie in der Regel monatlich erneut an.

Die Revision wurde zugelassen.

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 22.3.2017 – 15 Sa 1992/16, BeckRS 2017, 110569: community.beck.de

7.3 – Schnellinfo 05/2017, 20.06.2017 – Flüchtlingsrat NRW e.V

hier: www.frnrw.de

7.4 – Juris Die Monatszeitschrift JM 6 Juni 2017

hier: www.juris.de

7.5 – Das Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (MuSchG 2018) – Autor: Prof. Dr. Katja Nebe

hier: www.juris.de

7.6 – AG Essen: Flüchtlingsberatungsstelle der freien Wohlfahrtspflege andere Hilfsmöglichkeit für Asylbewerber

BerHG § 1 I Nr. 2
1. Ob einem Asylbewerber die Inanspruchnahme der Beratung durch die Ausländerbehörde als andere Hilfsmöglichkeit zuzumuten ist, erscheint fraglich.

2. Die Flüchtlingsberatungsstellen der freien Wohlfahrtspflege und die Beratungsstellen im Rahmen eines städtischen Betreuungskonzeptes können eine andere Hilfsmöglichkeit im Sinne von § 1 I Nr. 2 BerHG darstellen. (Leitsätze des Gerichts)

AG Essen, Beschluss vom 29.05.2017 – 141 II 3309/16, BeckRS 2017, 111907 (AG Essen, 29.05.2017 – 141 II 3309/16 – dejure.org/2017,17278)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Praxistipp
Ob die Beratung und Auskunft der Ausländerbehörde für die Stellung eines Asylantrags als der Beratungshilfe gleichwertige Alternative der Rechtsberatung anzusehen ist, ist umstritten.
Weiter: rsw.beck.de

7.7 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. März 2017 (Az.: L 4 KR 65/17 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Der Schutzcharakter des § 14 SGB IX (“Zuständigkeitserklärung”) für einen gesetzlich krankenversicherten, schwerbehinderten Schüler greift auch dann ein, wenn der antragstellerseitig angegangene Sozialhilfeträger seine Zuständigkeit ablehnt, das Sozialamt diese Antragssache nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an den Krankenversicherungsträger abgibt, bei dem aber als zweitangegangener Leistungsträger keine eigene Leistungszuständigkeit in Betracht kommt.
Auch in diesem Fall (hier: die Finanzierung einer Schulwegbegleitung) gilt der Schutzzweck des § 14 SGB IX gegenüber dem hilfesuchenden und leistungsbeanspruchenden Versicherten.

2. Die Schulwegbegleitung stellt eine Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen dar (§§ 53 und 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 EingliederungshilfeVO), denn ansonsten könnte der Leistungszweck dieser besonderen Hilfeform, die Gewährung einer allgemeinen Schulbildung, nicht erfüllt werden. Ohne Anfahrt zur Schule ist eine Unterrichtsteilnahme nicht möglich.

7.8 – Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 30. März 2017 (Az.: 3 B 42/17):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit einer Obdachlosenbehörde für eine gefahrenabwehrrechtliche Anordnung ist, in welchem Bezirk die zu schützenden Interessen des einzelnen obdachlosen Menschen verletzt oder gefährdet werden, d. h. wo die Obdachlosigkeit eintritt oder einzutreten droht. Dies stellt stets der tatsächliche Aufenthaltsort der einzelnen obdachlosen Person dar.

2. In diesem Sachzusammenhang ist es ohne Bedeutung, wo der Betroffene gemeldet ist oder war bzw. wo er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, sondern wo er aktuell obdachlos geworden ist oder zu werden droht

3. Dass ein Betroffener hierdurch in Einzelfällen durch sein Verhalten in einem erheblichen Maße darauf Einfluss nehmen kann, wo Obdachlosigkeit eintritt, entspricht dem ihm grundsätzlich über Art. 11 Abs. 1 GG eingeräumten allgemeinen Freizügigkeitsrecht.

4. Gerade wenn in der von Obdachlosigkeit unmittelbar bedrohten Familie sich auch ein minderjähriges Kind befindet, ist stets ein rasches behördliches Handeln geboten. In dieser Situation darf nicht maßgebend auf die reine Möglichkeit des Bestehens von Unterbringungsmöglichkeiten in einem anderen Landkreis, der sich allerdings auf seine örtliche Unzuständigkeit berufen kann, abgestellt werden.

7.9 – Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt -  SG Kiel, Urteil vom 15.02.2017, S 37 AS 347/15

In meinem Beitrag „ALG II trotz Immatrikulation“ habe ich die Rechtsauffassung vertreten, Studenten und Auszubildende könnten in dem Zeitraum nach ihrer Immatrikulation (und damit grundsätzlichen BAföG-Förderungsfähigkeit) bis zum Tag des tatsächlichen Ausbildungsbeginns ALG II beziehen. Zur Begründung hatte ich auf eine Entscheidung des BSG (Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 19 f.) zum Regelungsbereich SGB II/ALG II verwiesen. Das SG Kiel hat diese Frage nun – wohl zu Recht – anders entschieden.

weiter: sozialberatung-kiel.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de