Tacheles Rechtsprechungsticker KW 42/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.10.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) und Angelegenheiten des Arbeitsförderungsrechts (SGB III)

1.1 – BSG, Urteil vom 12.10.2017 – B 4 AS 37/16 R

Arbeitslosengeld II – Regelbedarf – Höhe bei gemischter Bedarfsgemeinschaft mit Leistungen nach dem AsylbLG beziehendem Ehegatten – kein Anspruch auf Leistungen in Höhe des Regelbedarfs für alleinstehende Leistungsberechtigte

Kurzfassung
Die Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 6.10.2011 – B 14 AS 171/10 R – zu § 20 Abs 3 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung ist auf den hier maßgeblichen Zeitraum nicht übertragbar.

Nach der Angleichung der Leistungen zum 1.1.2011 ist § 20 Abs 4 SGB II analog jedenfalls im streitigen Zeitraum des Jahres 2014 auch auf einen SGB II-Leistungsberechtigten anzuwenden, der in Bedarfsgemeinschaft mit einem AsylbLG-Leistungsberechtigten lebt.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil vom 12.10.2017 – B 4 AS 19/16 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vermögensberücksichtigung – besondere Härte – Ansparung aus der Regelleistung – Verwertung einer Kapitallebensversicherung

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Verwertung der Lebensversicherung, deren Substanzwert aus „nicht benötigten Hilfeleistungen“ herrührt, bedeutet für den Kläger keine besondere Härte.

2. Zweck und Funktion der SGB II-Leistungen führen nicht zu einer Schonung im Rahmen der Vermögensprüfung. Dagegen spricht schon die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II. Die nach dieser Regelung zu berücksichtigenden Freibeträge korrespondieren mit der Konzeption des Regelbedarfs als pauschalierter Leistung. Dem Leistungsberechtigten soll ermöglicht werden, aus dem Regelbedarf Rücklagen für größere Anschaffungen zu bilden. Wollte der Gesetzgeber aber Ansparungen aus SGB II-Leistungen in beschränktem Umfang von einem Absetzbetrag erfasst sehen, so kann nicht angenommen werden, dass aus SGB II-Leistungen angespartes Vermögen zugleich in unbegrenzter Höhe als Schonvermögen freizustellen wäre, weil in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II leerliefe.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Hinweis:
„Vom Munde abgespart“ Auch von Hartz IV Erspartes nicht sicher
Wer Hartz-IV-Leistungen erhalten möchte, muss finanziell hilfsbedürftig sein. Etwas Gespartes dürfen Antragsteller allerdings besitzen. Doch dafür gelten Grenzen. Auch dann, wenn die Sparleistung aus der Sozialhilfeleistung gestemmt wird.
weiter: www.n-tv.de

1.3 – BSG, Urt. 12.10.2017 – B 11 AL 24/16 R

Schauspieler haben Anspruch auf Aufnahme in Vermittlungskartei der Bundesagentur für Arbeit

Das BSG hat entschieden, dass die Bundesagentur für Arbeit Schauspieler in die bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) geführte Vermittlungskartei aufnehmen muss.

Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 53/2017 v. 12.10.2017: www.juris.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), Angelegenheiten des Arbeitsförderungsrechts (SGB III) und zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – BSG, Urteil v. 13.07.2017 – B 4 AS 12/16 R

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Betriebskostennachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung – Leistungsbezug sowohl im Entstehungszeitraum als auch im Fälligkeitszeitpunkt der Nachforderung – Umzug nach fristloser Kündigung durch den Vermieter mit vorheriger Zusicherung des Grundsicherungsträgers

Kurzfassung
Auch bei einem Wohnungswechsel besteht ein Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachforderung für die frühere Wohnung, wenn eine existenzsicherungsrelevante Verknüpfung der Nachforderung für eine in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf der Leistungsbezieher zu bejahen ist.

Dies ist bei einer Zusicherung des Leistungsträgers hinsichtlich des Umzugs jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Leistungsberechtigte sowohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Nebenkosten SGB II – Leistungen erhielt als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit noch im nahtlosen Bezug von existenzsichernder Leistungen steht (vgl bereits Urteil des 14. Senats des BSG vom 30.3.2017  – B 14 AS 13/16 R; vgl auch BSG vom 20.12.2011  – B 4 AS 9/11 R : Übernahme der Nebenkostennachforderung bei Aufforderung zur Kostensenkung). Diese Voraussetzungen sind auch hier erfüllt.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.2 – BSG, Beschluss vom 21.03.2017 – B 4 AS 379/16 B

SGB II – Leistungen Anspruch auf Entfernung von Kontoauszügen aus einer Verwaltungsakte Grundsatzrüge Verhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Leitsatz
1. Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist.

2. Der Beschwerdeführer hat deshalb vorzutragen, inwiefern die Rechtsfrage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll.

3. Das „Erheben“ von Daten durch die Einbeziehung von Kontoauszügen bzw Fotokopien in die Akten des Grundsicherungsträgers ist im Grundsatz als noch verhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen.

Quelle: www.sozialrecht-heute.de

2.3 – BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 8 SO 23/15

SGB-XII-Leistungen Kosten für stationäre Pflege Berücksichtigung von Einkommen Altersrente Überweisung auf ein Girokonto mit negativem Saldo

Leitsatz
1. Wird Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung erbracht, ist bei der Einkommensberücksichtigung zwischen den Kosten für den (darin enthaltenen) Lebensunterhalt und den sonstigen Kosten (Heimpflegekosten) zu unterscheiden.

2. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB XII, der Grundrente nach dem BVG und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG.

3. Wie die für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zuständigen Senate bereits entschieden haben, ändert die Überweisung eines Geldbetrags auf ein Girokonto, das sich zu diesem Zeitpunkt im Soll befindet, nichts am Zufluss selbst, weil die damit verbundene Schuldentilgung eine Form der Mittelverwendung ist und nicht die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens mindert.

4. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an; Besonderheiten des Sozialhilferechts, die eine abweichende Bewertung im Rahmen der §§ 82 ff. SGB XII rechtfertigen könnten, bestehen nicht.

Quelle: www.sozialrecht-heute.de

2.4 – BSG, Urteil vom 9.6.2017 – B 11 AL 13/16 R

Gründungszuschuss – Aufnahmezeitpunkt der selbstständigen Tätigkeit – Vorbereitungshandlungen – zeitlicher Umfang – 15 Wochenstunden

Gründungszuschuss für Arbeitslose nur bei rechtzeitigem Start – ein Beitrag von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Thorsten Blaufelder Kanzlei Blaufelder

Wenn Arbeitslose einen Gründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit beanspruchen wollen, müssen sie ihre Tätigkeit rechtzeitig aufnehmen. Vorbereitungen am Stichtag reichen nur aus, wenn sie einen erheblichen zeitlichen Umfang haben, urteilte am 09.06.2017 das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 11 AL 13/16 R).

Arbeitslose, die sich selbstständig machen wollen, können hierfür einen Zuschuss bekommen. Faktisch müssen sie dafür allerdings auf einen Teil ihres Arbeitslosengeldes verzichten. Denn die neue Tätigkeit muss zu einem Zeitpunkt aufgenommen werden, an dem noch mindestens 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht.

weiter:
www.anwalt.de
juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 28.09.2017 – L 18 AS 1984/17 B ER

Anspruch auf Übernahme von Mietschulden trotz Überschreitung angemessener Mietkosten

Leitsatz (Redakteur)
1. Es darf nicht allein auf die Erhebung einer Räumungsklage abgestellt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 –1 BvR 1910/12).

2. Mietschuldendarlehen trotz einer unangemessen teuren Miete möglich, da der Leistungsbezieher bereits bei der erstmaligen Beantragung von ALG II Mietschulden angehäuft hatte (also die Miete für sechs Monate noch voll zu berücksichtigen war) und er den Differenzbetrag zwischen der tatsächlichen Miete und der übernahmefähigen Miete aus der Regelleistung und zu erwartenden ALG I-Leistungen auch nach Ablauf der Übergangsfrist von sechs Monaten bestreiten konnte.

Quelle: Rechtsanwalt, Matthias Göbe, Berlin: https://www.anwalt.de/rechtstipps/miets… 16912.html

Rechtstipp:
Ebenso LSG Berlin-Brandenburg, 05.02.2009 – L 26 B 2388/08 AS ER, ablehnend LSG Baden-Württemberg, 17.10.2011 – L 12 AS 4216/11 ER-B, weil trotz Schuldenübernahme der Erhalt der Wohnung langfristig nicht gesichert werden konnte.

Volltext jetzt auch hier: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 05.10.2017 – L 12 AS 1595/17 B – rechtskräftig

Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe – Hartz IV-Regelbedarf für 2017 verfassungsgemäß – Kosten für Strom und Mobilität – Bedarfe für Mobilität – Fahrtkosten für Vorstellungsgespräche – Siehe auch SG Dortmund, 21.06.2017 – S 58 AS 5645/16

Kurzfassung:
Die Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs ist nicht zu beanstanden.
Soweit der Kläger exemplarisch anführt, dass die Kosten für Strom und Mobilität nicht hinreichend im Regelbedarf berücksichtigt sind, so ergibt sich hieraus für den Senat keine Überzeugung der Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs. Zunächst genügt die Ermittlung der anfallenden Kosten für Haushaltsstrom den grundgesetzlichen Anforderungen (ebenso: SG Dortmund Urteil vom 21.06.2017, S 58 AS 5645/16).
Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, die Ermittlungen für den Bedarf hinsichtlich des Haushaltsstroms zu überprüfen und, falls erforderlich, anzupassen (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13). Diesen Prüfauftrag hat der Gesetzgeber erkannt. Um auch kurzfristige Preisentwicklungen beobachten zu können, erhält das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom Statistischen Bundesamt nicht nur einmal jährlich die Veränderungsrate der regelbedarfsrelevanten Preise für die Fortschreibung der Regelbedarfe, sondern auch monatlich den aktuellen Indexwertewert für diesen Preisindex. Zudem veröffentlicht das Statistische Bundesamt monatlich zur Monatsmitte zusammen mit der Pressemitteilung zur Verbraucherpreisentwicklung Daten zur Entwicklung aller wichtigen Kategorien von Gütern und Dienstleistungen (BT-Drucks. 18/9984 S. 26).

Soweit der Kläger höhere Kosten für Energie aufwendet, stellt dies nicht die Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Ganzes in Frage. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass bei der Ermittlung von Durchschnittswerten einzelne Daten über bzw. unter dem Durchschnitt liegen. Erhebliche Abweichungen des Klägers gegenüber der Vergleichsgruppe deuten dabei eher auf einen zu hohen Verbrauch hin. Auch die in der Entscheidung des BVerfG vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, gerügte Erfassung der Bedarfe für Mobilität hat der Gesetzgeber durch eine geänderte Auswertung der EVS 2013 Rechnung getragen. Nunmehr werden zusätzlich zu den Haushalten mit Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel auch für alle Haushalte mit Kraftstoffausgaben in der allgemeinen Referenzgruppe zur Deckung des Mobilitätsbedarfs Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmitteln rechnerisch berücksichtigt.

Auch der Vortrag des Klägers, dass ein Sozialticket 35,55 EUR monatlich kostet, und damit teurer als in der EVS vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass der Senat von einer Verfassungswidrigkeit – und damit einer hinreichend Erfolgsaussicht der Klage – überzeugt ist. Denn, wie bereits ausgeführt, ist die Ermittlung der Bedarfe durch die EVS nicht zu beanstanden (vgl. zur Deckung der Bedarfe „Abteilung 07: Verkehr“: Bayerisches LSG Beschluss vom 23.08.2017, L 11 AS 529/17 NZB; SG Dortmund Urteil vom 21.06.2017, S 58 AS 5645/16).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 11. Senat, Beschluss vom 31.08.2017 – L 11 AS 836/16 B

Leitsatz (Juris)
Streiten die Beteiligten (nur) um die Frage, ob die vorläufig bewilligten Geldleistungen (hier nach § 40 Abs 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III) von Anfang an hätten endgültig bewilligt werden müssen, findet die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG Anwendung.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – Sozialgericht Dortmund, Urt. v. 25.08.2017 – S 58 AS 3151/15

Leitsatz (Juris)
1. Das Konzept des Kreises V zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten von Grundsicherungsbeziehern aus Dezember 2015 (Konzept 2015) ist schlüssig.

2. Das Konzept 2015 ist gültig und anwendbar seit dem Tag der Stichtagserhebung, hier dem 01.08.2015 (Anschluss an SG Dortmund, Urteil vom 17.03.2017, Az.: S 19 AS 4276/16).

3. Das Konzept 2015 ist darüber hinaus gültig und anwendbar seit dem unmittelbaren Auslaufen des Konzeptes 2013, also seit dem 01.05.2015 (Vgl. SG Dortmund, Urteil vom 25.08.2017, Az.: S 58 AS 3151/15).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Sozialgericht Dortmund, Urt. v. 25.08.207 – S 58 AS 3151/15

Leitsatz (Juris)
1. Das Konzept des Kreises V zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten von Grundsicherungsbeziehern aus Mai 2013 (Konzept 2013) ist schlüssig.

2. Das Konzept 2013 ist nur gütig und anwendbar bis zum 30.04.2015.

3. Die Indexfortschreibung eines Unterkunftskonzeptes ist in entsprechender Anwendung der §§ 558d BGB, 22c SGB II einmalig nach Ablauf von spätestens zwei Jahren zulässig.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – SG Leipzig, Gerichtsbescheid v. 12.09.2017 – S 9 AS 3050/15

Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II: Sanktion wenn Bewerbungsschreiben nicht ankommt? Ein Beitrag von Rechtsanwalt Sebastian E. Obermaier

Ein Jobcenter hatte einen Sanktionsbescheid erlassen, nachdem die Arbeit suchende Person aufgefordert worden war, sich auf eine bestimmte Stelle zu bewerben, der potenzielle Arbeitgeber dann jedoch mitteilte, dass keine Bewerbung eingegangen sei und die Arbeit suchende Person (im Rahmen der Anhörung im Hinblick auf die drohende Sanktion) nur eine Abschrift der per („einfacher“) Post übersandten Bewerbung vorgelegen konnte.

Das Sozialgericht erkannte – zu Recht –, dass der Sanktionsbescheid rechtswidrig ist.

Zunächst stellte das Gericht klar, dass (sofern in der Eingliederungsvereinbarung nichts anderes vereinbart wurde) die Versendung der Bewerbung als einfacher Brief ausreicht und dass die glaubhafte Schilderung der Versendung ausreicht und nicht verlangt werden kann, dass die Versendung (durch Urkunden oder Zeugen) bewiesen wird.

Das Gericht erkannte, dass die Behörde nach dem Gesetz die Beweislast dafür trägt, dass sich die Arbeit suchende Person geweigert hat, ihrer Pflicht zu Bewerbung nachzukommen, und dass der erforderliche Beweis weder durch den bloßen Umstand, dass die Bewerbung nicht angekommen ist, noch durch den Umstand, dass die Versendung nicht (im Sinne der strengen Beweisregeln) bewiesen ist, erbracht wird, weil dies eine – gesetzes- bzw. rechtswidrige – Beweislastumkehr bedeuten würde.

Eine Beweislastumkehr kommt weder betreffend Sperrzeiten (beim Arbeitslosengeld), noch betreffend Minderungen (beim Arbeitslosengeld II) in Betracht, da auf Arbeitslosengeld ein von der Eigentumsgarantie (Art. 14 Grundgesetz [GG]) erfasster sozialversicherungsrechtlicher Anspruch und auf Arbeitslosengeld II ein im Grundgesetz (in der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und im Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG) verbürgter Anspruch besteht.

Festzuhalten ist, dass man insbesondere bei Sanktionen den Sachverhalt immer genau analysieren und die Rechtslage immer auch im Hinblick auf Beweislastregeln betrachten muss.

Quelle: www.anwalt.de

4.4 – SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 14.09.2017 – S 17 AS 2015/16

Der Leistungsanspruch ist anteilig für die Zeit zu kürzen, in der sich ein Kind länger als 12 Stunden bei dem getrenntlebenden Elternteil aufhält

Kurzfassung:
Da es aufgrund der im Rahmen des SGB II gesetzgeberisch gewählten Konstruktion eines Individualanspruchs innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft nicht möglich sei, zur gleichen Zeit als Mitglied in zwei Bedarfsgemeinschaften eine Doppelleistung zu beziehen, könne der Kläger zu 2. einen SGB II-Leistungsanspruch innerhalb der Bedarfsgemeinschaft mit der Klägerin zu 1. nur für die Tage geltend machen, an denen er sich bei ihr länger als 12 Stunden bezogen auf den Kalendertag aufhalte.

Überdies bilde der Kläger mit seinem Vater während seiner dortigen – ganz regelmäßig stattfindenden – Aufenthalte eine sog. temporäre Bedarfsgemeinschaft. Bei den in der temporären Bedarfsgemeinschaft tageweise anfallenden Regelbedarfen handele es sich um einen Bedarf des minderjährigen Kindes, das seinen notwendigen Lebensunterhalt auch für die Aufenthalte beim getrenntlebenden Elternteil decken können müsse. Dabei stünde dem Kind aber auch bei regelmäßig wechselnden Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften monatlich insgesamt nur Ansprüche für 30 Tage zu.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

5.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19.09.2017 – L 11 AL 29/17

Leitsatz (Juris)
1. Zur Beurteilung, ob eine Aufhebung nach § 45 SGB X oder eine endgültige Festsetzung nach § 328 Abs 2 SGB III vorliegt, ist auch auf den Widerspruchsbescheid abzustellen, der mit dem Ausgangsbescheid eine rechtliche Einheit bildet (§ 95 SGG).

2. Stellt ein Bezieher von Berufsausbildungsbeihilfe einen Aktualisierungsantrag (§ 67 Abs 2 Satz 1 SGB III i.V.m. § 24 BAföG), muss er sich bei der endgültigen Entscheidung über den streitgegenständlichen Zeitraum an der abweichenden Berechnungsweise des Elterneinkommens nach § 24 Abs 3 BAföG auch dann festhalten lassen, wenn dies für ihn ungünstiger ist.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – Anmerkung zu: LSG Stuttgart 7. Senat, Urteil vom 20.07.2017 – L 7 AS 2130/14

Autor: Tammo Lange, RiSG
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft

Leitsatz
Lehnt der SGB II-Leistungsträger die Gewährung von Leistungen ab und lässt sich dem Bescheid zumindest konkludent (etwa durch Beifügung von Berechnungsbögen oder sog. Horizontalübersichten für bestimmte Monate) entnehmen, dass sich die Ablehnung nur auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, ist zulässiger Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens nur der Zeitraum, für den Leistungen abgelehnt wurden.

weiter: www.juris.de

6.2 – Sozialrecht – Bemessungszeitraum für den Bezug von Arbeitslosengeld nach Freistellung

Das Arbeitslosengeld beträgt 67 % (erhöhter Leistungssatz) oder 60 % (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 SGB III).  Für den Bemessungszeitraum kommt es – anders als für den Bemessungsrahmen – auf die Beendigung des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses und nicht auf die des Arbeitsverhältnisses im beitragsrechlichen Sinne an. Zeiten der unwiderruflichen Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung zählen deshalb nicht zum Bemessungszeitraum (Landessozialgericht München, 19.09.2017, Az. L 10 AL 67/17)

(04.10.2017 – Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt & Fachanwalt für Sozialrecht Mathias Klose): www.ra-klose.com

6.3 – SG Fulda: Nachliquidation bei mathematisch fehlerhafter Bestimmung der Terminsgebühr möglich

VV 3106 RVG; RVG § 14
Der Rechtsanwalt ist nicht gehindert, die rein mathematische Bestimmung der Terminsgebühr VV 3106 RVG zu korrigieren, wenn ihm ein rechnerischer Fehler unterlaufen ist. Dies kann im Wege der Nachliquidation geltend gemacht werden; die materielle Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. (Leitsatz der Schriftleitung)

SG Fulda, Beschluss vom 03.07.2017 – S 4 SF 24/17 E, BeckRS 2017, 125283
Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

weiter: rsw.beck.de

Neuauflage: Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Mittlerweile ist die Neuauflage der „Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen 2017“ erschienen, an der der BumF mitgewirkt hat. Die Handreichung ist auch für Fachkräfte aus anderen Bundesländern hilfreich. Themen und Fragen der Handreichung sind u.a.: Rechtlicher Rahmen, Kinder- und Jugendhilferecht, Ausländerrecht, Nordrhein-Westfälische Regelungen, Erstkontakt, Erstbefragung, Prüfung der Minderjährigkeit vor Inobhutnahme, Pflicht zur Bestellung eines Vormunds, weiteres Vorgehen nach Kinder- und Jugendhilferecht, Unterbringung und Betreuung (Erstversorgung).

Zur Handreichung: www.b-umf.de
 
 
Hartz IV: Trinkgeld wird nicht angerechnet!
Trinkgeld ist frei!? Trinkgeld wird „nicht voll“ angerechnet: 2 Gerichte entscheiden unterschiedlich zu Trinkgelder als Einkommen und nun muss beim BSG und / oder BVerfG geklagt werden.

Hartz IV:
Mit dem neuen Trinkgeldurteil aus Landshut zeigt sich wieder einmal, das Sozialgerichte nicht nur unterschiedlicher Auffassung sind, sondern gerade sie es sind, welche den Rechtsstaat auf den Kopf stellen! Beim Landshuter Urteil darf man aber schon jetzt von einem rechtswidrigen Urteil ausgehen, da selbiges nicht die 100 Euro der anrechnungsfreien Hinzuverdienstgrenze für Aufstocker berücksichtigt!

Urteil 1: SG Karlsruhe Az.: S 4 AS 2297/15 vom 30. März 2016
weiter: www.freitag.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de