1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.10.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil v. 25.10.2017 – B 14 AS 35/16 R
Zur Nachzahlung von Kinderzuschlag nach § 6a BKGG als nicht zu berücksichtigendes Einkommen i.S. des SGB II.
Kurzfassung:
Die Nicht-Berücksichtigung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG folgt jedoch entgegen der Ansicht des SG nicht aus einer Gleichsetzung des Kinderzuschlags mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 11a Abs 1 Nr 1 SGB II, sondern aus der im SGB II geltenden modifizierten Zuflusstheorie. Nach dieser ist vom tatsächlichen Zufluss einer Einnahme auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (stRspr seit BSG vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R; zuletzt etwa BSG vom 24.5.2017 – B 14 AS 32/16 R). Eine solche andere rechtliche Zuordnung ergibt sich für den Kinderzuschlag aus dem besonderen Sinn und Zweck dieser Leistung und ihren systematischen Zusammenhängen mit den Leistungen nach dem SGB II.
Der Kinderzuschlag soll Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermeiden und dies kann er aufgrund des Monatsprinzips im SGB II (vgl dessen § 11 Abs 2, 3, § 41) nur, wenn er in dem jeweiligen Monat, für den er bestimmt ist, zufließt und in diesem berücksichtigt wird. Die an den tatsächlichen Zahlungstag im September anknüpfende Berücksichtigung des Kinderzuschlags für August im September kann die mit dem Kinderzuschlag beabsichtigte Vermeidung von Hilfebedürftigkeit im August nicht bewirken.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
1.2 – BSG, Urteil v. 25.10.2017 – B 14 AS 4/17 R
Umstritten ist die Übernahme der Kosten für eine Brillenreparatur.
Leitsatz (Redakteur)
Reparaturkosten einer Brille stellen einen Sonderbedarf i. S. d. § 24 Abs.3 S. 1 Nr. 3 SGB II dar.
Kurzfassung:
Der Sonderbedarf nach § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II ist eingeführt worden, um Bedarfe abzudecken, die nicht in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossen sind (vgl BT-Drucks 17/3404 S 102 f). Nicht in die Ermittlung des Regelbedarfs im Rahmen des RBEG 2011 eingeflossen sind die im Rahmen der zugrundeliegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 unter dem Code 0613090 erfassten “Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen” (BT-Drucks 17/3404 S 58, 140). Nach den Ausfüllhinweisen des Statistischen Bundesamts zur EVS 2008 fielen unter die Wendung “therapeutische Geräte und Ausrüstungen” auch Brillen.
Demgemäß wurde die Reparatur von Brillen im Rahmen der EVS 2008 in eine Rubrik eingetragen, die nicht in die Regelbedarfsermittlung eingeflossen ist und deren Bedarfe durch den Sonderbedarf nach § 24 Abs 3 SGB II abgedeckt werden sollen.
Quelle: juris.bundessozialgericht.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23.08.2016 – L 4 AS 480/14 – rechtskräftig
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – aus eigenen Mitteln erwirtschaftetes Heiz- und Betriebskostenguthaben – Anrechnung in voller Höhe
Leitsatz (Juris)
1. Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (KdU) zuzuordnen sind, waren bis 31. Juli 2016 in voller Höhe auf die KdU-Aufwendungen im folgenden Monat anzurechnen, auch wenn sie – wegen vom SGB II-Leistungsträger mangels Angemessenheit nicht vollumfänglich “anerkannter” KdU – teilweise aus eigenen Mitteln “erwirtschaftet” wurden. Denn nach § 22 Abs 3 SGB II in der bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung war eine Ausnahme ausschließlich für Rückzahlungen vorgesehen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen (§ 22 Abs 3 Halbsatz 2 SGB II aF).
2. Erst durch die Neuregelung mit Wirkung vom 1. August 2016 wurde die Ausnahmeregelung des § 22 Abs 3 Halbsatz 2 SGB II auch auf “nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung” erweitert. Vorher kam eine anteilige Nichtberücksichtigung wegen des insoweit klaren Wortlauts von § 22 Abs 3 SGB II aF nicht in Betracht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.10.2016 – L 4 AS 736/15 – rechtskräftig
Leitsatz (Juris)
1. Die Rechtsprechung des BSG (Urt v 25. Juni 2015, B 14 AS 17/14 R) zur analogen Anwendung von § 11a Abs 1 Nr 1 SGB II auf Leistungen nach dem AsylbLG ist auf (Nach-)Zahlungen von Leistungen nach dem WoGG nicht übertragbar.
2. Da dem Kläger der Wohngeld-Nachzahlungsbetrag im Februar 2014 tatsächlich zugeflossen ist, ergibt sich dessen Anrechnung als Einkommen – wie oben ausgeführt – unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil v. 19.01.2017 – L 2 AS 640/14 – rechtskräftig
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Unangemessenheit der Heizkosten – keine Berücksichtigung des Hausgrundstücks wegen besonderer Härte – keine Kostensenkungsobliegenheit – Gesamtbetrachtung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
Ein Ausgleich von “angemessenen Unterkunftskosten” mit “unangemessenen Heizkosten” ist auch bei Bewohnern selbstgenutzten Wohneigentums möglich.
Die Möglichkeit einer Gesamtbetrachtung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Juni 2013 (B 14 AS 60/12 R) für die fehlende Obliegenheit zur Kostensenkung und seit dem 1. August 2016 durch § 22 Abs. 10 SGB II für die Gesamtangemessenheitsgrenze geklärt.
Leitsatz (Juris)
1. Auch bei Leistungsberechtigen, die ein Eigenheim selbst bewohnen, kommt eine Gesamtbetrachtung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Prüfung von Kostensenkungsobliegenheiten in Betracht.
2. Solange ein selbst bewohntes Eigenheim nach § 12 Abs 1 SGB II nicht verwertbar oder nach § 12 Abs 3 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist, ist das geschützte Vermögen wegen dieses Schutzes so zu behandeln, als sei es nicht vorhanden.
3. Zur Möglichkeit der Gesamtbetrachtung der KdU nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12. Juni 2013, Az B 14 AS 60/12 R, juris) bei Eigenheimen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis:
SG Neubrandenburg, Urteil v. 21.02.2017 – S 12 AS 973/12
Zur Übernahme einer Heizkostennachzahlung von rund 1000 Euro für ein selbst bewohntes Haus (hier bejahend).
Leitsatz (Redakteur)
Objektiv unangemessene Heizkosten iS einer erweiterten Produkttheorie sind auch dann zu übernehmen, wenn die Unterkunftskosten entsprechend niedriger sind, so dass bei einer Gesamtbetrachtung (Unterkunfts- und Heizkosten) insgesamt von angemessenen Kosten ausgegangen werden kann.
Hinweis Rechtsanwalt Alexander Schmidt, Neubrandenburg
Handelt es sich um eine sehr günstige Wohnung, können auch unangemessene Heizkosten” als Nachzahlung zu übernehmen sein, denn der Verweis auf den Bundesheizspiegel entbindet das Jobcenter nicht von der Ermittlung der angemessenen Heizkosten im Einzelfall, sofern die möglichen Ursachen erhöhter Heizkosten nachvollziehbar geschildert wurden. Im Übrigen ist eine Gesamtbetrachtung der Unterkunftskosten vorzunehmen.
Rechtstipp: (in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 12.6.2013, B 14 AS 60/12 R, (Rn. 33)); SG Schleswig, Beschluss vom 11.12.2015 – S 16 AS 208/15 ER
2.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.01.2017 – L 4 AS 28/15 – rechtskräftig
Zur Einkommensanrechnung von Privatentnahmen aus einem von der Klägerin betriebenen Kleinunternehmen (“Eis- und Caféhaus”)
Sonstige Privatentnahmen wirken sich nicht einnahmeerhöhend aus, weil sie bereits bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1 und 3 EStG) berücksichtigt werden.
Leitsatz (Redakteur)
1. Denn die Nichtberücksichtigung von Privateinnahmen als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II ergibt sich bereits aus der grundsätzlichen Erwägung, dass Privatentnahmen auf der Verfügungsbefugnis des Selbstständigen über sein Betriebsvermögen beruhen und daher der Substanz entnommen werden. Sie sind als Rechnungsposten beim Betriebsvermögensvergleich (vgl. § 4 Abs. 1 EStG) nicht das Ergebnis unternehmerischer Tätigkeit und damit kein Einkommen. Solche sonstigen Privatentnahmen wirken sich nicht Einnahmen erhöhend aus, weil sie bereits bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung berücksichtigt werden (s. hierzu Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. April 2007 – L 26 B 422/07 AS ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. April 2008 – L 7 AS 5626/07 ER-B; vgl. auch Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 44/07 R).
2. Privatentnahmen aus einem vom Leistungsempfänger geführten Unternehmen sind jedenfalls dann nicht als Einkommen iSv § 11 SGB II zu berücksichtigen, wenn im laufenden Geschäftsjahr kein Gewinn erwirtschaftet worden ist. In dieser Konstellation beruht die Entnahme allein auf der Verfügungsbefugnis des Selbstständigen über sein Betriebsvermögen und beinhaltet ausschließlich einen Zugriff auf die Substanz des Unternehmens.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Ebenso Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.01.2017 – L 4 AS 27/15 – rechtskräftig
2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 31.08.2017 – L 20 AS 1182/15 – Berufung anhängig beim BSG unter dem Az. : B 14 AS 37/17 R
Sogenanntes “Kinderwohngeld” – Berücksichtigung als Einkommen beim Kind – Verhältnis: Wohngeld – SGB II-Leistungen
Leitsatz (Redakteur)
Beim Wohngeld handelt es sich um eine Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Unter Beachtung der §§ 11a und 11b SGB II ist Wohngeld als Einkommen zu berücksichtigen. Wohngeld nach dem WoGG stellt zu berücksichtigendes Einkommen in Form laufender Einnahmen i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 1 1. Satzteil, Abs. 2 i.V. m. § 4 Sätze 1 und 2 Nr. 1 Alg II-V 2008/10 dar (vgl. Adolph in Linhard/Adolph, SGB II, SGB XII und AsylbLG, Stand II/2010, § 11 SGB II Rn 34; LSG Nordrhein-Westfalen 9. 5. 2007 – L 12 AS 52/06 m. w. N.).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis:
Keine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung von Wohngeld als Einkommen – Gesetzeslücke? Beschluss des 32. Senats des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2017 im Verfahren L 32 AS 416/16: www.ra-jtlehmann.de
2.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.09.2017 – L 6 AS 380/17 B ER – rechtskräftig
Bulgarische Antragsteller sind nicht von SGB II-Leistungen ausgeschlossen – Anderes eigenständiges Aufenthaltsrecht der Kinder wegen Ausbildung – Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO Nr. 492/2011
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 VO (EG) 883/2004.
Leitsatz (Redakteur)
1. Hier kann sich sowohl der Antragsteller als Vater der in Schulausbildung befindlichen Kinder als auch die Antragstellerin als Kindesmutter jedenfalls auf das aus Art. 10 der VO (EG) Nr. 492/2011 abgeleitete Aufenthaltsrecht wegen der Anwesenheit und der Fürsorge als sorgeberechtigte und sorgeausübende Eltern der Kinder berufen. Das aus Art. 10 VO 492/11/EU abgeleitete Aufenthaltsrecht eines sorgeberechtigten Elternteils endet im Übrigen u.a. erst dann, wenn der Verlust seines Aufenthaltsrechts nach den Vorschriften des FreizügG/EU festgestellt wird, wobei für Letzteres ausschließlich die Ausländerbehörden zuständig sind (LSG NRW Beschluss vom 27.01.2016 – L 19 AS 29/16 B ER). Dies gilt auch für die Zeit vom 02.12.2016 bis zum Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II n.F. am 29.12.2016.
2. Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II nF erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13). Hier folgt dies aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004). Der Antragsgegner ist zur Leistungsgewährung verpflichtet.
3. Für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Mutter spricht in diesem Zusammenhang maßgeblich auch das garantierte Familiengrundrecht in Form des geschützten Zusammenlebens der Kinder mit ihren – wenn auch unverheirateten – Eltern, einem Kernbereich des Art. 6 Grundgesetz (GG). Auch die leibliche unverheiratete Mutter von Kindern, deren Vater ein Freizügigkeitsrecht aus einer beruflichen Tätigkeit herleitet, bildet mit diesen eine Familie im Sinne des Art. 6 GG. Die Kinder sind auch auf die Ausübung der tatsächlichen elterlichen Sorge durch die Mutter angewiesen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Anmerkung zu: LSG Essen 6. Senat, Beschluss vom 01.08.2017 – L 6 AS 860/17 B ER
Autor: Prof. Dr. Stamatia Devetzi
Anspruch des schulpflichtigen Kindes eines Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung und abgeleitetes Aufenthaltsrecht des sorgeberechtigten Elternteils
Orientierungssätze
1. Die schulpflichtigen Kinder eines Unionsbürgers besitzen nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 ein originäres Aufenthaltsrecht. Weil die Kinder ohne den sorgeberechtigten Elternteil ihr Aufenthaltsrecht nicht umsetzen können, hat der Elternteil ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht (BSG, Urt. v. 03.12.2015 – B 4 AS 43/15 R).
2. Damit entfaltet gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c SGB II der Leistungsausschluss für Ausländer keine Wirkung.
3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 EGV 883/2004.
4. Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass ausreichend Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz zur Verfügung stehen.
weiter Juris: www.juris.de
2.7 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 11.092017 – L 7 AS 595/17 B ER – rechtskräftig
Der Antragsteller ist nicht vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen, weil er keine Altersrente bezieht
Leitsatz (Redakteur)
1. Der Antragsteller ist auch nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Nach der genannten Norm erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer eine Rente wegen Alters oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Es kommt bereits nach dem Wortlaut der Norm für den Leistungsausschluss auf den tatsächlichen Bezug an (Korte/Thie in LPK-SGB II, 6. Aufl. § 7, Rn. 115; BT-Drucksache 16/7460, S. 12; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.02.2014 – L 19 AS 54/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.04.2011 – L 5 AS 525/11 B ER).
2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners reicht als Grund für den Leistungsausschluss ein lediglich vorhandener Anspruch auf eine Rente ohne tatsächlichen Bezug nicht aus.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 09.08.2017 – S 5 AS 750/17
Bedarf für Unterkunft und Heizung; Angemessenheit; schlüssiges Konzept; Beweislast für eine konkrete Unterkunftsalternative; 9-Personen-Haushalt; Suchbemühungen
Für Rastatt existiert kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze.
Leitsatz (Juris)
Verfügt das Jobcenter über kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten und kommen weitere Besonderheiten hinzu (hier: Bedarfsgemeinschaft bestehend aus neun Personen), so ist es Sache des Jobcenters, den Leistungsberechtigten nachzuweisen, dass tatsächlich Wohnungen zu dem als angemessen erachteten Preis angeboten werden. Das Jobcenter trägt hierfür die Beweislast. Gelingt dem Jobcenter der Nachweis nicht, muss es die abstrakt zu hohen Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe übernehmen – und zwar selbst dann, wenn die Leistungsberechtigten keine hinreichenden Suchaktivitäten nachweise.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.2 – SG Karlsruhe, Urteil vom 30. August 2017 – S 11 AS 222/17 (entgegen Beschluss des SG Leipzig vom 09. September 2016 – S 22 AS 2098/16 ER)
Minderung des Arbeitslosengeld II – Meldeversäumnis – Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung
Leitsatz (Redakteur)
Es ist nicht über die Regelung des § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu belehren.
Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de
Rechtstipp:
Ebenso SG München, Beschluss v. 12.07.2017 – S 40 AS 1532/17 ER
3.3 – Sozialgericht Reutlingen, Beschluss v. 29.09.2017 – S 7 AS 2249/17 ER – rechtskräftig
Eine im Sanktionsbescheid fehlende Entscheidung über die Gewährung ergänzender Leistungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II macht den Bescheid rechtswidrig.
Die Regelung in § 31a Abs. 3 SGB II könne nur auf die Person bezogen sein, deren Leistungen wegen Sanktion/Pflichtverletzung gemindert werde und dann um mehr als 30 % – falsch meint das SG Reutlingen
Die Kumulationen von Sanktionen ist nach den gesetzlichen Bestimmungen personenbezogen, aber auch personenübergreifend.
Leitsatz (Redakteur)
1. Denn Sinn der Vorschrift des § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II (nämlich minderjährige Kinder von Umschichtungen zu ihren Lasten wegen eingetretener Sanktionen zu bewahren) sowie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, welches durch den Regelbedarf festgelegt wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 -), gebieten zur Verhinderung einer verfassungswidrigen Bedarfsunterdeckung der minderjährigen Kinder eine analoge Anwendung der Vorschrift.
2. Es kann keinen Unterschied machen, ob ein einzelnes Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, zu deren Haushalt minderjährige Kinder gehören, eine Sanktion von mehr als 30 % zu tragen hat oder ob sich durch die gleichzeitige Belastung mehrerer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft insgesamt eine Überschreitung der 30 %-Grenze ergibt. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass minderjährige Kinder durch die Sanktionierung übermäßig belastet werden.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis:
S. a. dazu Leitsatz aus Juris:
Sanktion von 30 %, Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Kindern, Kumulation von Sanktionen für mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, Sanktion während laufender monatlicher Aufrechnung.
Leitsatz (Juris)
§ 31a Abs. 3 Satz 2 SGBII ist- in verfassungskonformer Auslegung- entsprechend anzuwenden, wenn sich im Haushalt minderjährige Kinder befinden und durch die Kumulation gleichzeitiger Sanktionen von verschiedenen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eine Minderung des Arbeitslosengeldes II von mehr als 30 Prozent eintritt. In diesem Fall hat der Grundsicherungsträger zwingend ergänzende Leistungen zu erbringen. Ansonsten droht eine verfassungswidrige Bedarfsunterdeckung der minderjährigen Kinder durch Umschichtung von Mitteln innerhalb der Bedarfsgemeinschaft. Umso mehr gilt dies, wenn die Bedarfsgemeinschaft zeitgleich durch eine monatliche Aufrechnung gegen den laufenden Leistungsanspruch belastet ist. Der Träger muss gleichzeitig mit der Erteilung des Minderungsbescheides ergänzende Leistungen erbringen. Unterlässt er dies, ist der Minderungsbescheid rechtswidrig.
3.4 – Sozialgericht Osnabrück, Urt. v. 26.04.2017 – S 24 AS 916/15
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Aufgabenübertragung durch eine Optionskommune auf einen Träger mit eigener Rechtspersönlichkeit
Ein Meldeversäumnis im Sinne von § 32 SGB II liegt nicht vor, weil keine Aufforderung des zuständigen Trägers vorlag, sich bei ihm zu melden.
Leitsatz (Juris)
Eine Optionskommune nach § 6aSGBII verstößt gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Kompetenzausübungsschranke, wenn sie ihre hoheitlichen Aufgaben durch zweirechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten wahrnehmen lässt. Das widerspricht dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Einheitsprinzip für Optionskommunen (Anschluss an SG Osnabrück vom 28.6.2016- S 31 AS 440/12=jurisRdNr27) (Rn.12)
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.5 – SG Aurich, Urteil vom 18.10.2016 – S 55 AS 693/15
Bei Unterbrechung und darauffolgendem neuen Leistungsfall ist eine hilfebedürftige Person so zu behandeln, wie eine einen Erstantrag stellende Person.
Leitsatz (Juris)
Bei Unterbrechung des Leistungsbezugs wegen bedarfsdeckender Erwerbstätigkeit von jedenfalls mehr als 6 Monaten liegt ein neuer Leistungsfall vor. Wenn während der Unterbrechung nachvollziehbar die Unterkunftskosten in voller Höhe finanziert werden konnten ist damit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II neu anwendbar. Zur Absenkung der bewilligten Kosten auf das sogenannte Angemessene bedarf es dann einer neuen Kostensenkungsaufforderung.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgericht zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – LSG München, Urteil v. 28.09.2017 – L 8 SO 219/15
Erfolglose Berufung gegen Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches
Normenketten:
SGB X § 20, § 24, § 31, § 33 Abs. 1
SGB XII § 93 Abs. 1, Abs. 2, § 94 Abs. 3 Nr. 2
BGB § 516, § 528, § 818 Abs. 3
Leitsätze:
1. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 93 Abs. 1 SGB XII ist eine Ermessensausübung nicht im Sinne eines intendierten Ermessens eingeschränkt. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe ist als gewichtiges Kriterium bei der Ermessensausübung zu beachten. (Rn. 38)
2. Eine versäumte Anhörung des Gläubigers des übergeleiteten Anspruchs nach § 24 SGB X führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige in Bezug auf den Schuldner des übergeleiteten Anspruchs. (Rn. 28)
3. Im Falle einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) ist das Bestehen des Anspruchs nach hM in Rspr. und Lit. keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Die Überleitung ist nur dann ausgeschlossen und damit rechtswidrig, wenn das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen und damit die Überleitung erkennbar sinnlos ist (sog Negativevidenz). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: www.gesetze-bayern.de
5. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Kinderzuschlags
5.1 – Sozialgericht Osnabrück, Urt. v. 23.11.2016 – S 27 BK 15/16 – rechtskräftig
Angelegenheiten nach § 6a BKGG
Leitsatz (Juris)
Kinderzuschlag ist keine Familienleistung im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004, sondern eine besondere beitragsunabhängige Leistung.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
6.1 – Kein Kindergeld bei Arbeitslosengeld II und Erwerbstätigkeit des anderen Elternteils im EU-Ausland
Der BFH hat entschieden, dass im Inland kein Kindergeldanspruch besteht, wenn der im Inland wohnende Elternteil nur Arbeitslosengeld II, nicht aber Arbeitslosengeld I bezieht und der andere Elternteil im EU-Ausland erwerbstätig ist und dort Kindergeld erhält.
Zudem hat der BFH entschieden, dass den Entscheidungen ausländischer Behörden Bindungswirkung für die Familienkassen und die Finanzgerichte bei der Prüfung, ob für das Kind eine dem Kindergeld vergleichbare ausländische Leistung gewährt wird, zukommt.
BFH, 26.07.2017 – III R 18/16: dejure.org
6.2 – Ungerechte Regelung: Wenn soziales Engagement bestraft wird – Exakt, MDR am 25.10.2017
Wenn soziales Engagement bestraft wird
U.a. mit RA Dirk Feiertag in Leipzig.
Video: www.mdr.de
Ungerechte Regelung: Wenn soziales Engagement bestraft wird
Eine Sozialhilfeempfängerin darf von ihrem Taschengeld für den Bundesfreiwilligendienst nur ein Drittel behalten – im Gegensatz zu den Kollegen, die Hartz-IV beziehen. Es ist kein Einzelfall. Der Grund: eine Anweisung des Bundessozialministeriums.
weiter: www.mdr.de
Anmerkung:
Gerichte haben bereits geurteilt
Schlechterstellung per Gesetz? Das geht so nicht, sagen einige Gerichte. So hat etwa das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen im März zur Klage eines Sozialhilfeempfängers rechtskräftig entschieden: Der Kläger darf das Taschengeld aus dem Freiwilligendienst vollständig behalten.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23.03.2017 – L 9 SO 538/16 – Die Revision wird zugelassen
Zur Frage, ob das im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes erzielte Taschengeld (hier in Höhe von 200,00 EUR) als Einkommen anzurechnen gewesen ist.
Leitsatz (Redakteur)
Die Härteklausel des § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII findet auf das im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes erzielte Taschengeld Anwendung. § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII ermöglicht es dem Sozialhilfeträger, von einer Einkommensanrechnung ganz oder teilweise abzusehen, um Ungleichbehandlungen und besondere Härten zu vermeiden.
6.3 – Zur Rückforderung von ALG II bei Nichtbenennung aller Bescheide im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel – Besprechung zu BSG, Urteil vom 27.10.2017 – B 14 AS 9/17 R
weiter: sozialberatung-kiel.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de