Tacheles Rechtsprechungsticker KW 47/2017

1.   Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BVerfG vom 10.10.2017 – Az.: 1 BvR 617/14

Begrenzung auf Übernahme der angemessenen Wohnkosten verfassungsgemäß
Das BVerfG hat entschieden, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung vorsehen muss.

Wesentliche Erwägungen des BVerfG:
1. Die mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen einer Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II greifen nicht durch (AZ.: 1 BvR 617/14). Die Regelung genügt der Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.
Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gewährleistet das gesamte menschenwürdige Existenzminimum, zu dessen Sicherung auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken sind. Das Grundgesetz gibt keinen exakt bezifferten Anspruch auf Sozialleistungen vor. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss aber durch ein Gesetz gesichert sein, das einen konkreten Leistungsanspruch enthält.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung normiert hat. Zwar betrifft diese Bedarfsposition die grundlegende Lebenssituation eines Menschen. Doch ergibt sich daraus nicht, dass auch jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und Mietkosten unbegrenzt zu erstatten wären.
Der Gesetzgeber durfte den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit verwenden, um die Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung zu begrenzen. Was hier als “angemessen” zu verstehen ist, lässt sich durch Auslegung und insbesondere unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und der weiteren Regelungen des Sozialgesetzbuches ausreichend bestimmen. Danach ist der konkrete Bedarf der Leistungsberechtigten einzelfallbezogen zu ermitteln. Dabei gehen die Fachgerichte davon aus, dass anhand der im unteren Preissegment für vergleichbare Wohnungen am Wohnort der Leistungsberechtigten marktüblichen Wohnungsmieten ermittelt werden kann, welche Kosten konkret angemessen sind und übernommen werden müssen.

2. Das BVerfG hat in den Verfahren 1 BvL 2/15 und 1 BvL 5/15 festgestellt, dass die Vorlagen des SG Mainz unzulässig sind. Es fehlte eine hinreichende Darlegung durch das vorlegende Gericht, dass und wie die Anspruchsgrundlage ausgelegt werden kann, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu entsprechen

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 96/2017 v. 14.11.2017, weiter zum Volltext der Entscheidung: www.bundesverfassungsgericht.de

S.a. dazu:
Das Bundesverfassungsgericht und die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung im Grundsicherungssystem – von Prof. Dr. Stefan Sell: aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 31.08.2017 – L 19 AS 787/17 – Die Revision wird zugelassen

Zur Rechtmäßigkeit der Tilgung eines Mietkautionsdarlehens durch monatliche Aufrechnung gegen den Leistungsanspruch nach dem SGB II (hier bejahend)

Nach dem Wortlaut des § 42a Abs. 2 S 1 SGB II werden von der Bestimmung auch Mietkautionsdarlehen erfasst. Es bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 42a SGB II.

Leitsatz (Redakteur)
1. Es gibt keinen tragenden Grund, Mietkautionsdarlehen als von § 42a Abs. 2 SGB II nicht erfasst anzusehen (ebenso LSG NRW, Urteil vom 11.05.2017 – L 6 AS 111/14, Conradis in LPK-SGB II, 5. Auflage 2017, § 42a Rn 1, 2; Gagel/Bender. SGB, Stand 6/2017el. § 42a Rn 4; Boerner in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 42a Rn 2,3; offen gelassen BSG Beschluss vom 29.06.2015 – B 4 AS 11/14 R; Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 28/14 R; a.A. LSG NRW, Urteil vom 29.06.2017 – L 7 AS 607/17, Nguyen SGb 2017, 202). Denn auch bei wortgetreuer Anwendung von § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II auf Mietkautionsdarlehen liegt kein Rechtsverstoß und auch kein Wertungswiderspruch im Verhältnis zu anderen Regelungen vor.

2. Die Tilgung nach § 42a Abs. 2 SGB II verstößt nicht gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz (a.A. LSG NRW, Urteil vom 29.07.2017 – L 7 AS 607/17; Nguyen, SGb 2017, 202).

3. Soweit § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II anders als § 35 SGB XII vorsieht, Mietkautionsdarlehen bereits während des laufenden Bezuges von Leistungen zu tilgen, liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vor (offengelassen bei Nguyen, a.a.O.).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.09.2017 – L 19 AS 360/17

Der Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach § 37 SGB II ist grundsätzlich an keine Form gebunden – Der Antrag kann daher auch mündlich, fernmündlich und auch per E-Mail gestellt werden, eine eigenhändige Unterschrift (§ 126 BGB) ist nicht erforderlich.

Wenn ein Grundsicherungsträger den Zugang von Anträgen nach § 37 SGB II auf Übermittlungswegen eröffnet, die nicht an Dienstzeiten gebunden sind, wie z.B. über Telefax oder E-Mail, ist der Zugang daher bereits bewirkt, wenn die Erklärung in seinen Machtbereich gelangt.

Auch ein am Monatsletzten in den späten Abendstunden wirksam gestellter Antrag auf ALG II per Mail außerhalb der Dienstzeit des Jobcenters wirkt nach § 37 Abs. 2. S, 2 SGB II auf den Monatsersten zurück.

Leitsatz (Redakteur)
1. Für das Bewirken des Zugangs eines Antrages nach § 37 SGB II genügt, dass die Erklärung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beanspruchen, in seinen Machtbereich gelangt. Für den Zeitpunkt des Zugangs ist nicht entscheidend, wann seine Bediensteten nach den normalen Umständen – im Rahmen ihrer Dienstzeit – die Möglichkeit haben, von dem Inhalt eines elektronisch gestellten Antrags Kenntnis zu nehmen.

2. Die E-Mail stellt einen Antrag i.S. v. § 37 Abs. 1 S.1 SGB II dar. Der Antrag gilt mit abrufbarer Speicherung der E-Mail im elektronischen Postfach (E-Mail Server) des Beklagten als zugegangen. Der Kläger hat den Nachweis für den Zugang erbracht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
LSG NRW, Urt. 14.09.2017 – L 19 AS 360/17 – rechtskräftig – Auch per E-Mail kann ein wirksamer Antrag gestellt werden (Aubel in jurisPK-SGB II 4. Aufl. § 37 SGB II Rn 29.1 u. 31.1).

„Nicht notwendig ist allerdings, dass der Antrag während der üblichen Geschäftszeiten des Jobcenters zugeht. Für den Antrag nach § 37 SGB II gilt vielmehr die Rechtsprechung des BSG zu fristgebundenen Anträgen im Sozialrecht entsprechend. Danach kommt es allein auf den Zugang in den Machtbereich der Behörde an, weil die Möglichkeit der Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs hier nicht erforderlich ist (BSG v. 01.02.1979 – 12 RK 33/77 – juris Rn. 11 m.w.N.). Dies trifft auf den Antrag nach § 37 SGB II auch zu. Er ist notwendige Voraussetzung für die Gewährung und begrenzt die rückwirkende Erbringung von Leistungen. Ob und wann die Behörde Kenntnis von dem Antrag erlangt, ist im Hinblick hierauf irrelevant. Ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ist dementsprechend in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem er in den Post- oder E-Mail-Eingang des Jobcenters gelangt ist, auch wenn dies am Freitagnachmittag oder an einem Sams-, Sonn- oder Feiertag erfolgt (dazu ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.09.2017 – L 19 AS 360/17).“

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 15.03.2017 – L 12 AS 664/15 – rechtskräftig – bestätigt durch BSG, Beschluss v. 10.08.2017 – B 4 AS 149/17 B 

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Abweichung von der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl bei Wegfall des Unterkunftskostenanteils eines Mitgliedes der Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft durch Sanktion

Eine Abweichung vom Regelfall des sog. “Kopfteilprinzips” bei der Verteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Bedarf der Mitglieder einer Haushalts- bzw. Bedarfsgemeinschaft ist auch angezeigt, wenn die Antragsteller als Partner eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft sui generis bildeten.

Auch in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft keine Sippenhaft bei Hartz-IV-Sanktionen.

Leitsatz (Redakteur)
Ist eine Sanktion eines Leistungsträgers gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem Wegfall der Leistungen für Unterkunftsaufwendungen verbunden, hat dies regelmäßig die Abweichung vom “Kopfteilprinzip” und anteilig höhere Leistungen an KdU für die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zur Folge, wenn das sanktionierte Mitglied – wie hier – über kein Vermögen und Einkommen verfügt, um seinen Kopfteil zu bezahlen (BSG in seinen Entscheidungen vom 22.08.2013, B 14 AS 85/12 und vom 02.12.2014, B 14 AS 50/13 R (vgl. auch: Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK, 4. Auflage 2015, § 22 SGB II Rn. 77).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 10.11.2017 – L 6 AS 1256/17 B ER – rechtskräftig

Vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Form des Regelbedarfes für spanische Antragsteller.

Leitsatz (Redakteur)
1. Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13). Hier folgt er aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004).

2. Anspruch des schulpflichtigen Kindes eines Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung und abgeleitetes Aufenthaltsrecht des sorgeberechtigten Elternteils.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp ebenso:
LSG Nordrhein-Westfalen, 01.08.2017 – L 6 AS 860/17 B ER (Entscheidungsbesprechung veröffentlicht in jurisPR-SozR 21/2017 Anm. 1).

2.5 – Thüringer Landessozialgericht, Beschluss v. 01.11.2017 – L 4 AS 1225/17 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche – Anwendung auch bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht der Eltern durch Wahrnehmung der elterlichen Sorge für ein freizügigkeitsberechtigtes, die Schule besuchendes Kind – Verfassungsmäßigkeit – kein Sozialhilfeanspruch

Leitsatz (Redakteur)
1. Das aus Art 10 (VO) 492/2011 abgeleitete Aufenthaltsrecht des Kindes eines Unionsbürgers, der in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt ist oder war, zum Schulbesuch ist kein weiteres Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II und steht dem Leistungsausschluss daher nicht entgegen (Anschluss an LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. August 2016 – L 3 AS 376/16 B ER, Hess. LSG, Beschluss vom 31. Oktober 2016 – L 7 AS 565/16 B ER und LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. Januar 2016 – L 15 AS 226/16 B ER).

2. Der normierte Leistungsausschluss verstößt nicht – gegen das Recht der EU, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 4 EGV 883/2004 (entgegen LSG Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 2017 – L 12 AS 696/17 B und den Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 17. Februar 2017 – L 6 AS 11/17 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
a. A. bsph. LSG Schleswig-Holstein vom 17. Februar 2017 – L 6 AS 11/17 B ER u. LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2017 – L 6 AS 1256/17 B ER

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Berlin, Beschluss v. 14.11.2017 – S 162 AS 14273/17 ER

Hartz IV: Kein Mietkostenzuschlag aus religiösen Gründen
Das SG Berlin hat entschieden, dass das Jobcenter nicht die volle Miete für eine Wohnung übernehmen muss, die von einer streng religiösen Familie in Kenntnis der unangemessen hohen Kosten bezogen wurde, um in der Nähe des von ihnen besuchten Gotteshauses zu wohnen.

Kurzfassung:
Es ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Begründung, dass die Wohnung der Antragsteller unangemessen teuer sei. Eine Anerkennung der vollen Unterkunftskosten scheide deshalb aus. Das BVerfG habe mit Beschluss vom 10.10.2017 (1 BvR 617/14) gerade erst klargestellt, dass es keine staatliche Verpflichtung gebe, jedwede Unterkunft im Falle der Bedürftigkeit zu finanzieren.
Auch Art. 4 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit) zwinge nicht zu einer anderen Betrachtung. Der Schutz der Verwirklichung und Betätigung der religiösen Überzeugung der Antragsteller werde durch das staatliche Handeln nicht tangiert. Nach der Rechtsprechung des BSG sei es zulässig, Hilfebedürftige bei der Wohnungssuche auf das gesamte Berliner Stadtgebiet zu verweisen.

Quelle: Pressemitteilung des SG Berlin v. 17.11.2017: www.berlin.de

3.2 – Sozialgericht Chemnitz, Urt. v. 25.10.2017 – S 35 AS 4231/15 25.10.2017

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Zahlung aus dem Darlehen zur Anschaffung einen Kfz war nicht als Betriebseinnahme zu berücksichtigen.

2. Die Darlehensauszahlung wäre allenfalls dann als Betriebseinnahme zu werten gewesen, wenn die Anschaffung des Kfz aus betrieblicher Veranlassung erfolgte, wovon auszugehen wäre, wenn es gem. § 3 Abs. 7 S. 3 ALG-II-V überwiegend betrieblich genutzt worden wäre (vgl. aber zur Nichtberücksichtigung von Einnahmen auch aus betrieblichen Darlehen: LSG Niedersachen/Bremen Urt. v. 23. April 2012 – L 9 AS 757/11). Einen entsprechenden Nachweis hat der Kläger nicht erbracht.

3. Da somit die überwiegend betriebliche Nutzung des Kfz nicht nachgewiesen ist, war die Zahlung aus dem Darlehen als private Einnahme zu werten, die aufgrund der von vornherein bestehenden Rückzahlungspflicht nicht als Einkommen anzurechnen gewesen ist (BSG Urt. v. 17. Juni 2010 – B 14 AS 46/09 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Vgl. LSG NRW, Urteil v. 21.09.2017 – L 7 AS 1357/15 zu betrieblichen Darlehen: Da bereits kein betriebliches Darlehen vorlag, kommt es auf die Frage, ob betriebliche Darlehen nach § 3 Alg II-V aF als Betriebseinnahmen zu werten sind (so vor Vorliegen der Urteilsgründe des Urteils des BSG vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R – LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.11.2010 – L 19 AS 1754/10 B ER, ebenso Geiger in LPK-SGB II, 6. Aufl., § 11 Rn. 80) oder die nunmehr aus § 3 Abs. 3 Alg II-V folgende Regelung, dass betriebliche Darlehen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, schon zuvor gelten sollte und die Regelung zu betrieblichen Darlehen nur zur Klarstellung aufgenommen wurde (so mit überzeugender Begründung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Gesetzgebers LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 12.06.2015 – L 25 AS 3370/13; im Ergebnis ebenso, ebenfalls mit überzeugender Begründung LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11) nicht an.

3.3 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 12.10.2017 – S 14 AS 1709/17

Zur Geltungsdauer einer die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes hier unbefristet

Der Gesetzgeber hat mit der vom 26.07.2016 geschaffenen Neufassung des § 15 SGB II keine ausdrückliche Änderung hinsichtlich der Geltungsdauer von Eingliederungsverwaltungsakten nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. (vorher: § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II a.F.) vorgenommen. Der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8041, S. 36) lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber in Bezug auf den Eingliederungsverwaltungsakt neue Regelungen, insbesondere die Möglichkeit von “unbefristeten” Eingliederungsverwaltungsakten treffen wollte.

Eingliederungsverwaltungsakt, Geltungsdauer von 6 Monaten auch nach Neufassung des § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Aufgabe einer festen Laufzeit von 6 Monaten für Eingliederungsvereinbarungen betrifft nicht die hoheitliche Festsetzung durch Eingliederungsverwaltungsakte gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II n.F. (vgl. im Ergebnis ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08. Juni 2017 – L 16 AS 291/17 B ER).

2. Es ist auch nach neuem Recht davon auszugehen, dass die Überprüfungsfrist von sechs Monaten bei fehlender Ermessensausübung die Höchstfrist für eine einseitig festzulegende Laufzeit bei einem Eingliederungsverwaltungsakt ist (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08. Juni 2017 – L 16 AS 291/17 B ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp ebenso:
SG Berlin, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – S 186 AS 11916/17 ER; SG Köln, Urt. v. 23.06.2017 – S 33 AS 691/17 und SG Nordhausen, Beschluss vom 30. September 2016 – S 27 AS 1695/16 ER

3.4 – SG Dortmund, Beschluss v. 09.11.2017 – S 30 AS 3046/17 ER

Hausverbot im Jobcenter Märkischer Kreis aufgehoben, ein Beitrag von Ulrich Wockelmann

weiter: www.lokalkompass.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

4.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 10.07.2017 – L 2 AL 9/17

Gründungszuschuss – Anspruchsvoraussetzung – Beendigung der Arbeitslosigkeit – subjektive Verfügbarkeit

Leitsatz (Redakteur)
Kein Anspruch auf Neubescheidung eines Antrags auf Gründungszuschuss zur Vorbereitung der Selbstständigkeit, denn der Senat hat bereits entschieden, dass das Erreichen eines “point of no return” (d.h. eines Stadiums der Vorbereitungshandlungen, ab dem sich die Existenzgründung nur noch unter Inkaufnahme erheblicher wirtschaftlicher Nachteile rückgängig machen lässt [zu einer vergleichbaren Konstellation bereits Urteil des Senats vom 23. September 2015 – L 2 AL 57/13) die Bereitschaft, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes anzunehmen und auszuüben, entfallen lässt und auf diese Weise – wie sich aus § 138 Abs. 5 Nrn. 3 und 1 SGB III ergibt – die Annahme von Verfügbarkeit und damit gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III auch von Arbeitslosigkeit ausschließt (Senatsurteile vom 3. Februar 2016 – L 2 AL 23/15, vom 29. Juni 2016 – L 2 AL 27/16, und vom 7. Dezember 2016 – L 2 AL 7/16).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 25.10.2017 – L 9 SO 413/17 B ER, L 9 SO 414/17 B – rechtskräftig

Verpflichtung des Sozialhilfeträgers im Wege der einstweiligen Anordnung der Antragstellerin Leistungen nach dem 3. Kapitel zu gewähren

Leitsatz (Juris)
Beruht die mangelnde Fähigkeit, den Verbrauch eines zuvor vorhandenen erheblichen Geldvermögens plausibel und glaubhaft zu erklären auf einer sich zwischenzeitlich manifestierenden, progredienten geistigen Erkrankung, liegt ein besonderer Umstand vor, der angesichts der verfassungsrechtlichen Durchdringung des auf existenzsichernde Leistungen bezogenen Eilrechtsschutzes eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen trotz Bestehens von Restzweifeln begründen kann.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.2 – Landessozialgericht Hamburg, Beschluss v. 28.09.2017 – L 4 SO 55/17 B ER – rechtskräftig

Auch wenn gegen den Bescheid der Ausländerbehörde Widerspruch eingelegt worden ist und damit eine Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht erfolgen kann, begründet allein die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht.

Leitsatz (Redakteur)
1. Bereits das Bestehen der Ausreisepflicht steht aber der Annahme eines verfestigten Aufenthalts im Sinne der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII entgegen (so auch LSG Nieders.-Bremen, Beschluss vom 26.5.2017 – L 15 AS 62/17 B ER für die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II). Ohne Verfestigung des Aufenthalts fehlt es jedoch an einem Grund für eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss.

2. Die in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII geregelten Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Leistungsausschluss sind nicht erfüllt. Denn diese Ausnahme, die für Ausländer gilt, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, greift dann nicht ein, wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Das ist hier der Fall, die Ausländerbehörde der Beigeladenen hat für beide Antragsteller eine Verlustfeststellung getroffen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

S. a. dazu Leitsatz (juris)
1. Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbsatz 2 SGB XII führt die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ohne weiteres zur Unanwendbarkeit der Ausnahme nach Halbsatz 1 wegen 5-jährigen Aufenthalts vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB XII. Die Rechtskraft der Verlustfeststellung wird nicht vorausgesetzt.

2. Dass es auf die Rechtskraft der Verlustfeststellung nicht ankommen kann, entspricht auch der Systematik der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII.

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Kassel, Beschluss v. 15.02.2017 – S 11 SO 9/17 ER – rechtskräftig

Ungarische Staatsbürger haben Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII.

Leitsatz (Redakteur)
Zum möglichen verfassungskonformen Anspruch auf Weitergewährung von Sozialhilfe zumindest im einstweiligen Rechtsschutz durch solche EU-Bürger, die bei Inkrafttreten des § 23 SGB XII in der ab 29. Dezember 2016 geltenden Fassung bereits ohne rechtlich zulässige Befristung im laufenden Bezug von Sozialhilfe gestanden haben bzw. nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zuvor einen entsprechenden Anspruch gehabt haben.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso f. bulgarische Antragsteller: SG Kassel, Beschluss v. 21.02.2017 – S 12 SO 8/17 ER

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – AG Göttingen, Urt. v. 24.10.2017 – 18 C 41/17 zu AfD-Mitgliedschaft: Mieter trifft eine Aufklärungs- und Mitteilungspflicht

Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung
Normen: § 123 BGB, § 124 BGB, § 142 BGB

Leitsatz
1. Ein potenzieller Mieter muss gegenüber einem potenziellen Vermieter nicht seine politischen Auffassungen offenbaren.

2. Für einen potenziellen Vermieter kann jedoch der Umstand, dass der potenzielle Mieter “Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt” ist, ein für den Vermieter bedeutsamer Umstand sein, über den bei Vertragsschluss aufgeklärt werden muss.

weiter: www.juraforum.de

7.2 – Es lohnt, sich gegen die Bundesagentur für Arbeit zu wehren

Massenhaft Widersprüche und Klagen gegen Entscheidungen der Bundesagentur für Arbeit sind erfolgreich.

Die Antwort auf meine schriftliche Frage an die Bundesregierung brachte es ans Tageslicht: Wie bei Hartz IV gibt es auch bei der Arbeitslosenversicherung (Sozialgesetzbuch III) massenhaft rechtswidrige Handlungen der Bundesagentur für Arbeit. 44,5 Prozent aller Widersprüche in diesem Rechtsbereich wurden im Jahr 2016 ganz oder teilweise zugunsten der Betroffenen entschieden, im Jahr 2015 waren es 43,4 Prozent. Auch bei den Klagen sieht es nicht viel anders aus: Im Jahr 2016 wurden 34,0 Prozent ganz oder teilweise zugunsten der Betroffenen entschieden bzw. endeten mit Nachgeben der Agentur für Arbeit. Im Jahr 2015 waren es 33,4 Prozent.

weiter: www.theeuropean.de

7.3 – Kritik der „Hartz IV“-Regelleistung 2017, ein Beitrag von Herbert Masslau

Ich möchte meine Kritik mit einem banalen Beispiel beginnen und dieses am Anfang zunächst einfach mal so stehen lassen:

weiter: www.herbertmasslau.de

7.4 – Keine milde Gabe vom Jobcenter – Dortmunder Bettler wurde Hartz IV gekürzt (§§ 11 und 11 a  Abs. 5 SGB II)

weiter: www.ruhrnachrichten.de

7.5 – Bundessozialgericht – Pressemitteilung 58/2017 vom 16. November 2017

Schulden und Sozialrecht – auch Stückwerk hilft bei der Armutsbekämpfung -  Der Regelbedarf für Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren ist zu gering

Mit einer Podiumsdiskussion unter Beteiligung der Leiterin des Jugendamts der Stadt Kassel, Judith Osterbrink, dem Schuldnerberater Michael Weinhold sowie Prof. Dr. Peter Becker, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, ging die 49. Richterwoche des Bundessozialgerichts zu Ende.

Anknüpfend an den Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Cremer, Generalsekretär a.D. des Deutschen Caritasverbandes e.V., der Armutspolitik als “Weg der kleinen Schritte” beschrieb, wurden vielfältige Ansatzpunkte zur Überwindung von Armut und Überschuldung aufgezeigt. Während Weinhold forderte, “der Zugang zur Schuldnerberatung muss für alle Betroffenen rechtlich gesichert und darf nicht beschränkt auf Leistungsbezieher der Grundsicherung und der Sozialhilfe sein”, lenkte Osterbrink den Blick auf Kinder und Jugendliche in von Armut bedrohten Familien.
“Der Regelbedarf für Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren ist zu gering”. Deshalb könne vielfach eine gesunde Ernährung nicht sichergestellt werden. “Ein Ansatz von 5 Euro pro Tag statt bislang von nur 3 Euro für Ernährung ist erforderlich”, um eine ausgewogene Ernährung auch bei Kindern sicherzustellen.

weiter: www.bsg.bund.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de