Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2017

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 13.07.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche – Unionsbürger – Fortwirkung des Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit – keine ununterbrochene Beschäftigung für 1 Jahr – Addition der Beschäftigungszeiten aus zwei, sich nicht nahtlos aneinander anschließenden Beschäftigungsverhältnissen

Zur Gewährleistung der Effektivität der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist keine Nahtlosigkeit zu verlangen.

Leitsatz (Redakteur)
2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU setzt keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus. Auch durch Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten können das gesetzliche Erfordernis erfüllen (vgl SG Chemnitz vom 14.3.2017 – S 26 AS 405/17 ER).

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Rechtstipp:
Die Aufrechterhaltung des Freizügigkeitsrecht (EU) als Arbeitnehmer setzt keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus – BSG vom 13. Juli 2017, Az. B 4 AS 17/16 R Autor: Bernd Eckhardt

weiter: www.infodienst-schuldnerberatung.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 08.11.2017 -  L 13 AS 37/15

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Rücknahme von Bewilligungsbescheiden – Verletzung der Mitteilungspflicht – Umkehr der Beweislast – Erstattung von Leistungen und Beiträgen

Leitsatz (Juris)
Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden kommt eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Leistungsempfängers in Betracht, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (Anschluss u. a. an BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R).

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

S a. dazu:
Familienstreit: Hartz IV-Empfänger muss 48.000 Euro zurückzahlen

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass ein 69-jähriger Mann wegen falscher Angaben Hartz IV-Leistungen für mehr als sieben Jahre in Höhe von knapp 48.000 Euro zurückzahlen muss.

Kurzfassung:
Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist trotz umfangreicher Zeugenvernehmungen unklar geblieben, wann der Kläger in welcher Wohnung gewohnt hat und ob er eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin gebildet hat. Das müsse zu seinen Lasten gehen, da er jedenfalls den jetzt behaupteten Wohnungswechsel 2006 hätte mitteilen müssen. Da er nicht ausreichend mitgewirkt habe, müsse nicht mehr das Jobcenter nachweisen, wo er gewohnt habe, sondern er selbst.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 18/2017 v. 27.11.2017: www.juris.de

2.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.10.2017 -  L 13 AS 88/16

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Bedarfsgemeinschaft zwischen erwerbsfähigem Leistungsberechtigten und einem dauerhaft voll erwerbsgeminderten Partner – Anspruch auf Sozialgeld

Leitsatz (Juris)
Eine nicht erwerbsfähige Person, die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten als Partner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, hat einen Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II, soweit kein Anspruch auf Leistungen nach dem Viertel Kapitel des SGB XII besteht. Entscheidend ist der tatsächliche Leistungsanspruch, nicht die hypothetische Leistungsberechtigung aufgrund einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.3 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 08.11.2017 – L 3 AS 997/17 B ER – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Berechtigte – ausländische Staatsangehörige – fehlende Erwerbsfähigkeit – Sozialgeldanspruch als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem deutschen Ehegatten – kein Leistungsausschluss

Für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II, zu denen die Antragstellerin zählt, gelten die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II über Leistungsausschlüsse nicht (vgl. Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [4. Aufl., 2015], § 7 Rdnr. 81, m. w. N.; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II [Stand: Erg.-Lfg. V/2017, Juni 2017], § 7 Rdnr. 161; im Ergebnis ebenso: Sächs. LSG, Beschluss vom 23. September 2014 – L 7 AS 986/14 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. Februar 2011 – L 7 AS 1323/10 B; Korte/Thie, in: Münder [Hrsg.], SGB II [6. Aufl., 2017], § 7 Rdnr. 23).

Leitsatz (Redakteur)
1. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II stellt eine eigenständige Leistungsberechtigung für die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft dar.

2. Eine ausländische Staatsangehörige (hier amerikanische) ohne Erlaubnis zur Erwerbsbetätigung kann über ihren afghanischen Ehemann, der als Flüchtling anerkannt ist und SGB II- Leistungen bezieht, als Hauptleistungsberechtigten einen Anspruch auf Sozialgeld haben, soweit kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II eingreift.

3. Es kommt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a SGB II nicht auf die Erteilung des Aufenthaltstitels, sondern allein auf das Bestehen des Aufenthaltsrecht an (so bereits Sächs. LSG, Beschluss vom 6. September 2017 – L 3 AS 736/17 B ER [n. v.; Einzelrichterentscheidung] für den Fall einer brasilianischen Staatsangehörigen, die als Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen eingereist ist).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 21.09.2017 – L 3 AS 480/12

Zur Anrechnung eines Betriebskostenguthabens bei Verrechnung mit Mietschulden.

Wird ein Betriebskostenguthaben vom Vermieter in voller Höhe gegen Mietrückstände aufgerechnet, so mindern sich die Aufwendungen für Unterkunftskosten im Folgemonat nicht, wenn der Leistungsberechtigte das Guthaben aus Rechtsgründen nicht realisieren kann.

Leitsatz (Redakteur)
1. Grundsätzlich ist das sich aus einer Betriebskostenabrechnung ergebene Guthaben als Einkommen des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen.

2. Voraussetzung für die Berücksichtigung eines Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung als Einkommen ist jedoch, dass dieses dem Hilfebedürftigen als bereites Mittel zum Bestreiten seines Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Denn auch wenn im Fall der Verrechnung mit Mietschulden zu berücksichtigendes Einkommen vorliegt, kann es jedenfalls dann nicht bei der Bedarfsermittlung Berücksichtigung finden, wenn es dem Hilfebedürftigen an der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel fehlt und diese auch aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden können. Dann jedenfalls steht das Einkommen nicht als bereites Mittel der Bedarfsdeckung zur Verfügung. Steht dies fest, muss, in gleicher Weise wie bei gepfändeten Teilen des Arbeitslosgengeld II, die mögliche Folge einer Tilgung von Mietschulden aus der Vergangenheit durch Rückzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen hingenommen werden (so BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R mit Verweis zur Pfändung: BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.07.2017 – L 32 AS 3316/14

Kostensenkung nach Zeiten ohne Leistungsbezug

Leitsatz (Redakteur)
Für die Ansicht, es habe einer erneuten Aufforderung zur Mietkostensenkung bedurft, wenn, wie vorliegend, eine Unterbrechung des Leistungsbezuges von einiger Dauer vorgelegen und der Leistungsberechtigte habe darauf vertrauen dürfen, die Mietkosten nachhaltig selbst tragen und deshalb von Maßnahmen zur Kostensenkung absehen können, findet sich weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung des BSG ein Anhalt (entgegen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. Mai 2009 – L 9 AS 529/09 B ER u. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2010 – L 19 AS 377/10 B ER).

Kurzfassung:
So hat das BSG eine “Schonzeit” nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II von in der Regel längstens sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Erfordernisses von Kostensenkungsmaßnahmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 19/09 R) abhängig gemacht. Die u. a. vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 18. Mai 2009 – L 9 AS 529/09 B ER; so wohl auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2010 – L 19 AS 377/10 B ER) als maßgeblich angesehene Frage, ob der Leistungsberechtigte nach dem Ende des Leistungsbezuges mit dem erneuten Eintritt in den Leistungsbezug hat rechnen müssen oder nicht, hat mit der Warn- und Aufklärungsfunktion der Kostensenkungsaufforderung nichts zu tun.

Die mit einer Kostensenkungsaufforderung beim Leistungsberechtigten bewirkte Erkenntnis, dass seine Kosten der Unterkunft und Heizung nicht angemessen sind, hängt nicht davon ab, ob er erwarten konnte oder nicht, erneut Bezieher von Leistungen nach dem SGB II zu werden. Durch eine solche Erwartung wird der Leistungsberechtigte nicht in den Zustand der Unkenntnis über die Angemessenheit der Kosten zurückversetzt. Die Erkenntnis, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung unangemessen sind, steht dementsprechend nicht in Abhängigkeit zu der Erwartung, ob ein wiederholter Leistungsbezug nach dem SGB II eintritt oder nicht. Ungeachtet dessen ist auch nicht ersichtlich, weswegen eine Zeitdauer von jedenfalls mehr als einem Jahr ohne Leistungsbezug (so Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, a. a. O) oder eine andere geringere bestimmte Zeitdauer eine rechtlich erhebliche Zäsur darstellen soll. Angesichts dessen vermag der Senat nicht zu erkennen, dass ohne eine wesentliche Änderung bei den unterkunftsbezogenen Kriterien, die für die Beurteilung der Angemessenheit der Bruttokaltmiete maßgebend sind, eine wirksame Kostensenkungsaufforderung allein durch Zeitablauf seine Bedeutung im Sinne einer Aufklärungs- und Warnfunktion verloren haben könnte.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.6 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.11.2017 – L 19 AS 1842/17 B ER

Nur Ermessensvorschriften in der Eingliederungsvereinbarung? So nicht…, ein Beitrag von RA Kay Füßlein, Berlin

Manchmal bedarf es eines etwas längeren Rechtsweges, um Bekanntes zu bestätigen.

Im vorliegenden Fall war in der Eingliederungsvereinbarung der Kostenersatz als reine „Kann“-Leistung ausgestattet. Dies bedeutete, dass das JobCenter sog. Ermessen hat, ob es die Bewerbungskosten ersetzt oder nicht. Da Bewerbungskosten erheblich ins Geld gehen können, aber nicht im Regelsatz enthalten sind, muss die Eingliederungsvereinbarung feste Regeln hierfür enthalten.

Nach unerfolgreicher erster Instanz stelle das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 7.11.2017 klargestellt, dass es stets einer verbindlichen Kostenzusage bedarf.

Die hierauf gestützten Sanktionen wegen Nichtbewerben waren daher durch das JobCenter auch zurückzunehmen.

Quelle: www.ra-fuesslein.de

2.7 – LSG München, Beschluss v. 06.11.2017 – L 11 AS 694/17 B ER

Leitsatz (Juris)
1. Kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II gegen die Bundesagentur für Arbeit.

2. Die Aufgabenwahrnehmung und die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II obliegt ausschließlich einem JobCenter. Dieses nimmt die Aufgaben im eigenen Namen wahr, besitzt die Befugnisse zum Erlass von Bescheiden und ist Behörde. Es ist im sozialgerichtlichen Verfahren passivlegitimiert. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

3. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Agentur für Arbeit scheidet wegen der Zuständigkeit des JobCenters aus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Quelle: www.gesetze-bayern.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Hannover, Urteil vom 01.11.2016, S 54 AS 697/16

Arbeitslosengeld II – Mehrbedarf – unabweisbarer laufender besonderer Bedarf – Wahrnehmung des Umgangsrechts mit inhaftiertem Stiefvater – Fahrtkosten – keine Anrechnung der im Regelsatz enthaltenen Verkehrspauschale – Höhe des Aufwendungsersatzes

Leitsatz (Juris)
1. Aufwendungen für Besuchsfahrten in eine Justizvollzugsanstalt zur Wahrnehmung eines Umgangsrechts mit dem Stiefvater stellen im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Stiefkinder einen Mehrbedarf dar und sind deshalb vom Grundsicherungsträger zusätzlich zur Regelleistung zu übernehmen, wenn es sich bei dem Stiefvater um eine enge, den leiblichen Vater ersetzende Bezugsperson des Stiefkindes handelt und der Umgang dem Wohl des Kindes dient.

2. Eine wöchentliche Besuchsfrequenz bei einem 8jährigen Kind und der vorliegenden Entfernung zwischen Wohnort und Besuchsort (ca. 50 km) ist angemessen und grundsätzlich ausreichend.

3. Die Anrechnung der ohnehin im Regelsatz enthaltenen Verkehrspauschale auf die geltend gemachten Fahrtkosten ist rechtswidrig.

4. Bei Nutzung eines eigenen Pkw für die Fahrt darf der Grundsicherungsträger zum Ersatz der Aufwendungen eine Kilometerpauschale in Höhe von 0,20 Euro festsetzen, soweit nicht tatsächliche höhere Kosten durch den Grundsicherungsempfänger nachgewiesen sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – SG Karlsruhe, Urteil vom 27. Oktober 2017 -S 11 AS 4564/16 (noch nicht rechtskräftig)

Feststellungsbescheid des Grundsicherungsträgers über Verpflichtung zum Ersatz von gezahlten SGB II-Leistungen zu unbestimmt und rechtswidrig

Kurzfassung:
Der Feststellungsbescheid sei bereits rechtswidrig aufgrund mangelnder Bestimmbarkeit. So bleibe für den im Leistungsbezug bei dem Beklagten stehenden Kläger offen, ob und welche Bewilligungszeiträume von der festgestellten Ersatzpflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst sein sollten. Es bleibe zudem offen, von welchen genauen Bedingungen eine Rückzahlungspflicht des Klägers abhängig gemacht werde. Ferner sei fraglich, ob aufgrund des Abschlusses des Aufhebungsvertrages schon ein sozialwidriges Verhalten vorliege. Es sei gerade eine Einzelfallprüfung seitens der Behörde anzustellen, ob dem Betroffenen ein wichtiger Grund für sein Verhalten zur Seite gestanden habe.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

Rechtstipp:
Sozialgericht Dresden, Urteil vom 28.04.2014 – S 48 AS 6813/12 – Notwendigkeit einer hinreichend konkreten Bestimmung der zurückzufordernden Summe im Zusammenhang mit einem Rückforderungsbescheid bei SGB II nach § 34 SGB II

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

4.1 – LSG Saarbrücken Urteil vom 7.11.2017, L 6 AL 8/15

Arbeitslosengeldanspruch – Anwartschaftszeit – Rahmenfrist – Berücksichtigung von Zeiten von Übergangsgeldbezug – medizinische Rehabilitation – Bemessungszeitraum – Bundesfreiwilligendienst – versicherungspflichtige Beschäftigung – Taschengeld und Geldersatzleistung – Unmittelbarkeit gem § 344 SGB 3 – Leistungsentgelt – pauschalierter Lohnsteuerabzug – Steuerfreiheit

Leitsatz (Juris)
1. Zeiten, in denen Übergangsgeld anlässlich einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gezahlt worden ist, werden bei der Feststellung der Rahmenfrist nach § 143 SGB III berücksichtigt. Seit dem 01.01.2005 umfasst der Bemessungszeitraum nur noch Zeiten von versicherungspflichtigen Beschäftigungen und nicht mehr sonstige Versicherungspflichtverhältnisse.

2. Bei einer Tätigkeit im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes handelt es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung iSd § 150 Abs 1 Satz 1 SGB III und die im Rahmen dieses Dienstes gewährten Leistungen (Taschengeld ua) sind als Arbeitsentgelt iSd § 152 Abs 1 Satz 1 SGB III anzusehen. Eine Bemessung des Alg nach § 344 Abs 2 SGB III scheidet (jedenfalls) aus, wenn zwischen dem letzten Versicherungspflichtverhältnis und der Aufnahme der Tätigkeit im Bundesfreiwilligendienst ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten liegt. Ein Abzug für Lohnsteuer gem § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III ist auch dann vorzunehmen, wenn für das der Bemessung des Alg zugrundeliegende Arbeitsentgelt keine Lohnsteuer abzuführen war (etwa wegen einer in § 3 EStG angeordneten Steuerfreiheit oder wegen Unterschreitung des steuerlichen Existenzminimums).

Quelle: www.rechtsprechung.saarland.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgericht zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – LSG Hessen, Beschluss v. 09.10.2017 – L 4 SO 166/17 B

Fortschreibung der Regelbedarfe für das Jahr 2016 zulässig

Leitsatz (Juris)
1. Weder aus dem SGB XII noch aus dem Grundgesetz lässt sich entnehmen, dass eine Fortschreibung der Regelbedarfe für das Jahr 2016 nicht mehr zulässig gewesen wäre (Vg. BVerfG, Urteil vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 u.a., juris).

2. § 28a Abs. 1 SGB XII nennt für die Neuermittlung der Regelbedarfsstufen keinen festen Zeitpunkt und auch keine Umsetzungsfrist. § 28 oder § 28a SGB XII machen zum konkreten zeitlichen Ablauf keine Vorgaben.

3. Anhaltspunkte für eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen zu berücksichtigenden Preisentwicklung bis Ende 2016 bestehen nicht. Gegen das zwischenzeitliche Auftreten „extremer Preissteigerungen“ spricht, dass die Inflation in Deutschland zwischen 2014 und 2016 deutlich niedriger als die jeweiligen prozentualen Regelsatzsteigerungen waren.

4. Soweit der Gesetzgeber die Regelsätze für den Zeitraum ab Januar 2017 auf Grundlage der Vorgaben des § 28 SGB XII neu ermittelt hat, ist eine Verfassungswidrigkeit der Höhe der festgesetzten Beträge unter Berücksichtigung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht erkennbar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – LSG Baden-Württemberg: Rückforderungsanspruch des Schenkers

SGB XII §§ 90, 93; BGB §§ 518, 528, 529, 530, 534

1. Pflegebedürftige haben keinen Anspruch auf Hilfe zur Pflege gem. §§ 61, 61a SGB XII, soweit sie von Angehörigen nach §§ 528 ff. BGB Schenkungen zurückverlangen können.

2. Dies gilt auch für die Finanzierung einer Lebensversicherung zu Gunsten von Angehörigen durch monatliche Zahlungen in den letzten Jahren. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.10.2017 – L 7 SO 1320/17, BeckRS 2017, 12947

Anmerkung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 23/2017 vom 24.11.2017

Praxishinweis
1. Ab 01.01.2017 erhöht § 60a SGB XII den Freibetrag auf 25.000 EUR „für die Lebensführung und die Alterssicherung“. Man könnte durchaus die Pflegekosten dazu rechnen. Unbefristet bestimmt § 66a SGB XII ab dem 01.01.2017 zu Gunsten von Personen, die Hilfe zur Pflege begehren, dass der zusätzliche Freibetrag von 25.000 EZR für die Lebensführung und Alterssicherung nur dann relevant ist, wenn dieser Betrag „ganz oder überwiegend als Einkommen aus selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten während des Leistungsbezugs erworben“ wurde. Da die Klägerin bis heute nicht im Leistungsbezug steht, nützte diese Vorschrift also nichts.

2. Die Klägerin hat das getan, was alle wünschen und gutheißen. Sie hat auf Konsum verzichtet zu Gunsten der ergänzenden Altersvorsorge für ihre Töchter. Von den Töchtern Beträge von 10.000 EUR und 6.000 EUR zurückzuverlangen ist – normale Lebensverhältnisse unterstellt – irreal und verkehrt den Sicherungszweck in sein Gegenteil. Dies erst recht dann, wenn die Finanzierung der Lebensversicherung auch eine „Gegenleistung“ dafür ist, dass die Töchter sich um die Mutter vor dem Pflegeheimaufenthalt und während des Pflegeheimaufenthalts kümmern. An vielen Stellen im Gesetz wird der Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung nicht nur prämiert, sondern dringend gewünscht.

Quelle: rsw.beck.de

6.2 – Jobcenter muss Fahrtkosten zur Waldorfschule übernehmen, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Schulpflichtige Kinder, deren Eltern von ALG II leben und die für den Besuch der „nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs“ auf einen Schuldbus angewiesen sind, erhalten vom Jobcenter ihre tatsächlichen Fahrtkosten abzüglich eines Eigenanteils von 5 € erstattet.
Die Waldorfschule in Flensburg nämlich war für die Schülerin die „nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs“. Denn die Waldorfschule in Flensburg weist gegenüber den näher gelegenen öffentlichen Grundschulen in Husum einen „eigenständigen Bildungsgang“ auf. Zur Ausfüllung des Begriffs des „Bildungsgangs“ kann nämlich nicht allein auf die Schulart „Grundschule“ zurückgegriffen werden. Vielmehr ist auf das Profil der Grundschule abzustellen, soweit hieraus eine besondere inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts folgt, die nicht der näher gelegenen Schule entspricht. Diese besondere Profilbildung belegen im Hinblick auf die von der Schülerin besuchten Waldorfschule schon die besonderen Anforderungen, die für den Erwerb der allgemeinbildenden Schulabschlüsse an Waldorfschulen nach Schleswig-Holsteinischem Landesrecht gelten.
(BSG, Urteil vom 05.07.2017, B 14 AS 29/16 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2017: sozialberatung-kiel.de

6.3 – Wichtiger Hinweis für Selbstständige im SGB II- Leistungsbezug – Die Null-Festsetzung nach § 41 a SGB II und die vierstelligen Rückforderungen, ein Beitrag v on RA Kay Füßlein, Berlin

Als der erste Mandant mit diesem Problem ankam, dachte ich noch, ein Missverständnis läge vor: Er sollte seine abschließende Einkommenserklärung (EKS) im Jahr 2016 für das Jahr 2012 doch bitte nachreichen. Er schaffte es nicht. Folge war ein Aufhebungs-und Erstattungsbescheid, mit dem das JobCenter alle Leistungen aus dem Bewilligungszeitraum im Jahr 2012 wiederhaben wollte.

Er erhob gegen den Bescheid, mit dem das JobCenter alle Leistungen wiederhaben wollte Widerspruch ein, in der Hoffnung, dass im Widerspruchsverfahren vorgelegte Unterlagen berücksichtigt werden.

Nicht da sagte das JobCenter!
Nach Ansicht des JobCenters gelten hier die Arbeitsanweisungen zu § 41a SGB II.

Hiernach gilt:
„Mit einer nachträglichen Vorlage von Unterlagen nach der Wirksamkeit des Ausgangsbescheides (§ 39 SGB X) kann die Festsetzung des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr mit dem Vortrag erfolgreich angegriffen werden, dass ein anderes Einkommen erzielt worden sei, da der Grundsicherungsträger gemäß § 41a Absatz 3 Sätze 3 und 4 zur zu dieser Festsetzung berechtigt war. Nach Bekanntgabe der Entscheidung beigebrachte Unterlagen spielen für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung keine Rolle. Maßstab ist im ggf. folgenden Widerspruchsverfahren oder im Antrag nach § 44 SGB X nur noch, ob die Festsetzung als solche ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Voraussetzungen hierfür vorlagen.“

Mit anderen Worten: Das JobCenter berücksichtigt k e i n e nachgereichten Unterlagen mehr im Widerspruchsverfahren, im Klageverfahren oder in einem Wiederaufnahmeverfahren.

Dies ist wohl rechtswidrig und mit dem Wortlaut des § 41 a SGB II nicht vereinbar.

Einiges spricht dagegen:
§ 41a SGB II bestimmt nämlich nach seinem Wortlaut keine Abweichung von den sonstigen allgemeinen Regelungen des (Sozial-)Verwaltungsrechtes (mithin z.B. dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz); noch wird bestimmt, dass § 44 SGB X nicht anwendbar ist. Auch aus der Gesetzesbegründung (BT-. Drucksache 18/8041, S 53) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr verweist der Gesetzgeber auf § 40 SGB II iVm § 20 SGB X, betont also den Untersuchungsgrundsatz.

Juristisch betrachtet handelt es sich bei solchen Vorschriften um „Präklusionsvorschriften“ (lat. Ausschluss). Solche Ausschlussfristen sind zwar in einigen Rechtsgebieten gang und gäbe. Diese sind jedoch regelmäßig dem Wortlaut nach gekennzeichnet. Eine solche Abschlussregel lässt sich jedoch dem Gesetz nicht entnehmen.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Rückforderung der gesamten Summe, obwohl dem JobCenter die Unterlagen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Vorlagen gegen das Gesetz verstößt.

Den Betroffenen ist zu raten, spätestens im Widerspruchsverfahren die notwenigen Unterlagen vorzulegen, allerspätestens vor Gericht.

(so auch: SG Berlin S 179 AS 6737/17- Revision anhängig beim Bundessozialgericht B 4 AS 39/17 R)

Quelle: RA Kay Füßlein, Berlin: www.ra-fuesslein.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de