URTEIL
In dem Rechtsstreit
xxx,
— Kläger —
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landesamt, für Soziales, Jugend und Familie, vertreten durch den Präsidenten, Domhof 1, 31134 Hildesheim
— Beklagter —
hat die 29. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2017 durch die Richterin am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Frau xxx und Frau xxx für Recht erkannt:
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07. Januar 2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 25. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 verpflichtet, die Funktionsbeeinträchtigung des Klägers seit dem 25. September 2013 mit einem GdB von 50 zu bewerten.
2. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.
TATBESTAND
Der am xxx geborene Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 25. September 2013.
Mit Bescheid vom 03. Juni 2010 stellte der Beklagte ab dem 01. Januar 2010 einen GdB von 30 fest. Die Entscheidung stützte sich auf die Funktionsbeeinträchtigung „Diabetes mellitus“. Die zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigungen Durchblutungsstörung des Herzens, Bypass (Einzel-GdB 10), Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie Arthrose der Großzehen und Fettstoffwechselstörung (jeweils kein GdB) wirkten sich nicht erhöhen auf den Gesamt-GdB aus. Ein im Jahr 2011 durchgeführtes Neufeststellungsverfahren hatte keinen Erfolg, vgl. Bescheid vom 15. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2011. Es wurde zwar eine „umformende Fußveränderung beidseits“ (Einzel-GdB 10) festgestellt, diese wirkte sich aber nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus.
Unter dem 25. September 2013 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Erstellung eines höheren GdB. Es sei zu einer Verschlimmerung des Diabetes, der Arthrose in den Großzehen und der Schulter sowie der Herzerkrankung gekommen.
Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. xxx vom 26. November 2013 nebst Fremdbefunden ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 32 bis 38 der Verwaltungsakte verwiesen.
Mit Bescheid vom 07. Januar 2014 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Es sei keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Erhöhung des GdB rechtfertige.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2014 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung erreichte er ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. xxx vom 06. Februar 2014, vgl. Blatt 46 der Verwaltungsakte, ein.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des Arztes für Orthopädie, Unfallchirurgie, Chirotherapie und Rettungsmedizin Herr xxx vom 02. Juni 2014 ein, vgl. Blatt 51 der Verwaltungsakte. Mit Teilabhilfebescheid vom 25. Juli 2014 stellte der Beklagte eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Funktionsbeeinträchtigung:
1. Diabetes mellitus, Polyneuropathie (Einzel-GdB 30)
2. umformende Fußveränderungen beidseits (Einzel-GdB 10).
Die daneben bestehende Funktionsbeeinträchtigungen Durchblutungsstörung des Herzens, Bypass (Einzel-GdB 10) und Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) wirkten sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus.
Mit Schreiben vom 12. August 2014 hat der anwaltlich vertreten der Kläger vor dem Sozialgericht Hildesheim Klage erhoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2014 wies der Beklagte den Widerspruch, soweit dieser die nicht abgeholfen wurde, zurück.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger ausgeführt, dass sowohl der Einzel-GdB für die Herzerkrankung als auch für die umformende Fußveränderung beidseits zu gering bemessen worden seien und der Kläger musste im September 2013 ein Belastungs-EKG bereits nach 2 Minuten wegen einer Dyspnoe abbrechen. Ferner leide an einer Versteifung der Großzehengelenke sowie einem Hallux regidus beidseits.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07. Januar 2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 25. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 zu verpflichten, die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers seit dem 25. September 2013 mit einem GdB von 50 zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat zur Begründung Bezug genommen auf die Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes vom 01. September 2015.
Das Gericht hat im vorbereitenden Verfahren Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. xxx vom 09. Juni 2015 nebst Fremdbefunden und des Arztes für Orthopädie, Unfallchirurgie, Chirotherapie und Rettungsmedizin Herr xxx vom 07. August 2015 eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 37 bis 46 und 48 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 07. Januar 2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 25. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 seit dem 25. September 2013.
Rechtsgrundlage ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Es ist vorliegend eine wesentliche Änderung dahingehend eingetreten, dass die Erkrankung des Diabetes mellitus mit einem GdB von 40 und die Fußbeschwerden mit einem GdB von 20 zu bewerten sind und damit im Ergebnis der Gesamt-GdB mit 50 zu bemessen ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden — in Niedersachsen das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie — das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Eine Behinderung liegt nach § 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Normalzustand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Grad der Behinderung ist nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Dabei sind gemäß § 159 Abs. 7 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund von § 30 Abs. 17 BVG (nunmehr Abs. 16) erlassenen Rechtsverordnung anzuwenden bis eine entsprechende Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen wird. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat auf Grundlage von § 30 Abs. 17 BVG mit Wirkung ab 1.1.2009 die Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) erlassen. Diese enthält in ihrer Anlage zu § 2 die versorgungsmedizinischen Grundsätze, in denen unter anderem die Einzelheiten der GdB-Bemessung, der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen und der Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Behinderungen geregelt sind.
Der Diabetes mellitus ist mit einem GdB von 40 zu bewerten. Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen beträgt der GdB 0 bei an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind. Sie erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt 20 bei an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Ein GdB von 30 bis 40 kommt bei an Diabetes erkrankten Menschen in Betracht, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Diese Menschen erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwandes und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 50 bei an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Wobei die Blutzuckermessungen und Insulindosen dokumentiert sein müssen. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellange können jeweils höhere GdB-Werte bedingen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Opitz gab in seinem Befundbericht vom 26. November 2013 an, dass der Diabetes mellitus unter intensivierter Therapie gut eingestellt sei und keine bekannte Neigung zu häufigen Hypoglykämien oder Entgleisungen bestehe. Der Kläger führt nach seinen Angaben täglich vier bis fünf Blutzuckerselbstkontrollen durch. Der intensivierten Therapie ist eine Anpassung der Insulindosis zu den Mahlzeiten unter Berücksichtigung der Belastungen immanent. Da keine schweren Hypoglykämien vorliegen, ist der GdB mit 40 ausreichend und leidensgerecht.
Die umformenden Fußveränderungen und die Polyneuropathie sind im Ergebnis zusammen mit einem GdB von 20 zu bewerten. Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen kommt bei Versteifungen der Großzehengelenke in günstiger Stellung ein GdB von 0-10 und in ungünstiger Stellung (z.B. Plantarflexion im Grundgelenk über 10°) ein GdB von 20 in Betracht. Bei den Polyneuropathien ergeben sich die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle (mit Muskelatrophien), sensibler Störungen oder Kombination von beiden. Der GdB motorischer Ausfälle ist in Analogie zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen ist zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen – z.B. der Feinbewegungen – führen können.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. xxx berichtet in seinem Befundbericht vom 26. November 2013 von einer leichten peripheren sensiblen Neuropathie im Bereich der Füße mit pelzigem Gefühl unter der Sohle. Ferner bestehe eine Großzehengrundgelenkarthrose beidseits. Die Grundgelenke sind fast völlig versteift. Diese Angabe wird von dem Facharzt für Orthopädie Herr xxx in seinem Bericht vom 09. September 2013 bestätigt, der vom einem ausgeprägter Hallux ridigus mit praktisch vollständig aufgehobener Beweglichkeit Großzehe berichtet. Anfang 2014 berichtet der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. xxx, dass der Kläger unter ständigen Schmerzen leidet, die bei Belastung, schon bei normalem Gehen in der Ebene, deutlich zunehmen. Das Gangbild ist dadurch sehr verlangsamt, er muss nach etwa 50-100m regelhaft Pausen einlegen. Erschwert wird die Problematik durch die bekannte periphere Neuropathie, die Diabetes-bedingt ist und zu neuropathischen Schmerzen in den Zehen beider Füße führt, die als brennend und einschießend beschrieben werden. Auch der Facharzt für Orthopädie Herr xxx gibt in seinem Befundbericht vom 02. Juni 2014 aufgrund der fortschreitenden diabetischen Polyneuropathie eine zunehmende Einschränkung der Gehfähigkeit sowie eine starke Bewegungseinschränkung beider Großzehengrundgelenke an. Im Juni 2015 berichtet der Dr. xx von einer weiteren Verschlechterung der Großzehengrundgelenkarthrose und Hallux rigidus beidseits mit fast voll aufgehobener Beweglichkeit und starken Schmerzen. In seinem Befundbericht vom 07. August 2015 gibt Herr Funke beide Großzehengrundgelenke als wackelsteif an. Unter Berücksichtigung der Bewegungseinschränkungen und der Schmerzen ist ein GdB von 20 angemessen und leidensgerecht.
Die bei dem Kläger bestehenden Herzerkrankung und der Hypertonus bedingen bei einer leichtgradigen LV-Dysfunktion und EF um 50% nur eine leichte Einschränkungen der Pumpunktion und gut medikamentös eingestelltem Blutdruck ohne Organfolgeerkrankungen nur einen GdB von 10, der sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt.
Die von dem Kläger angegebenen Wirbelsäulen- und Schulterbeeinträchtigungen bedingen nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen keinen GdB.
Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen von Amts wegen liegen nicht vor und wurden auch von den Beteiligten nicht vorgetragen.
Der Gesamt-GdB ist unter Berücksichtigung des höchsten GdB von den Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40) und den Einzel-GdB von 20 für die umformenden Fußveränderungen und die Polyneuropathie mit einem 50 zu bewerten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.