Tacheles Rechtsprechungsticker KW 05/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.10.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 12.10.2017 – B 4 AS 19/16 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vermögensberücksichtigung – Kapitallebensversicherung – offensichtliche Unwirtschaftlichkeit – besondere Härte – Ansparung aus der Regelleistung

Leitsatz (Redakteur)
Die Verwertung der Lebensversicherung, deren Substanzwert aus „nicht benötigten Hilfeleistungen“ herrührt, bedeutet für den Kläger keine besondere Härte.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 28.09.2017 – L 2 AS 695/16 – Revision anhängig beim BSG – B 4 AS 43/17 R

Zur Frage, wie sich der Eintritt der Haftungsbeschränkung entsprechend § 1629a BGB nach Erlass des Widerspruchsbescheids auf ein laufendes Klageverfahren auswirkt.

Erstattung von SGB II-Leistungen – Beschränkung der Minderjährigenhaftung

Leitsatz (Juris)
1. Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a BGB findet im SGB II entsprechende Anwendung. Sie ist bereits im Erkenntnisverfahren über eine Anfechtungsklage gegen einen Erstattungsbescheid zu berücksichtigen (vgl BSG, Urt v 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R = BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2; Urt v 18. November 2014 – B 4 AS 12/14 R = SozR 4-1300 § 50 Nr 5).

2. Dies gilt auch, wenn die Volljährigkeit erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids, während des laufenden Klageverfahrens eintritt (aA: LSG Berlin-Brandenburg, Urt v 19. April 2013 – L 26 AS 1379/10).

3. Bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Altvermögens sind solche Gegenstände außer Betracht zu lassen, die gemäß § 811 ZPO von einer Pfändung ausgenommen sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 18.07.2016 – L 6 AS 114/16 B ER

Die Statuierung einer allgemeinen Meldepflicht kann nicht Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II und damit auch nicht Gegenstand eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II sein.

Leitsatz (Juris)
1. Meldepflichten, die sich inhaltlich nicht von der allgemeinen Meldepflicht nach § 59 SGB II unterscheiden, können nicht Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung sein.

2. Werden solche Regelungen in einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt getroffen, beschweren diese den Adressaten schon deshalb, weil die Verletzung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung oder einem diese ersetzenden Verwaltungsakt schwerere Sanktionsfolgen nach sich zieht als die Verletzung der allgemeinen Meldepflicht.

Quelle: Juris

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.12.2017 – L 2 AS 1900/17 B – rechtskräftig

Trotz der Kritik verschiedener Wohlfahrtsverbände hat das BVerfG die Bestimmung der Regelsätze als verfassungsgemäß angesehen (vgl. Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12) Regelsatz 2017

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Festsetzung der Regelbedarfe für 2017 entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Kurzfassung:
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Leistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung der Höhe und der Art der Leistungen zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11). Dieser Gestaltungsspielraum führt dazu, dass sich die verfassungsrechtliche Kontrolle der Höhe der Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz auf die Prüfung beschränkt, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11).

Evident unzureichend sind Sozialleistungen nur dann, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11). Jenseits dieser Evidenzkostrolle wird lediglich überprüft, ob die Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sind (BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11). Trotz der Kritik verschiedener Wohlfahrtsverbände hat das BVerfG vor diesem Hintergrund die Bestimmung der Regelsätze als verfassungsgemäß angesehen (vgl. Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12)

Nach dieser Maßgabe ist auch die Bestimmung der aktuell für 2017 ermittelten Regelbedarfe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.10.2017 – L 12 AS 1595/17 B; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23.08.2017 – L 11 AS 529/17 NZB; Landessozialgericht Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 07.03.2017 – L 13 AS 336/16 B). Konkrete Anhaltspunkte für eine evidente Unterdeckung des Existenzminimums liegen nicht vor. Auch die angewendete Berechnungsmethode berücksichtigt die Vorgaben, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 23.07.2014 gemacht hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.11.2017 – L 31 AS 1431/16 ZVW

EU-Ausländer – Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) – verfestigter Aufenthalt – Ausreise – Menschenwürde

Leitsatz (Juris)
1. Ein unstreitig Erwerbsfähiger ist von Sozialleistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.

2. EU-Ausländerinnen/EU-Ausländer, die erwerbsfähig sind, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII i. V. m. dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA), da dieses nicht einen Anspruch auf Sozialleistungen, sondern einen Anspruch auf Gleichbehandlung regelt. Deutsche Erwerbsfähige haben keinen Anspruch nach dem SGB XII.

3. Einen EU-Ausländer/eine EU-Ausländerin, der/die sich für den Aufenthalt lediglich auf ein Recht zur Arbeitssuche berufen kann, welches gerade keine Sozialleistungen zur Folge hat, ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz zumutbar, auszureisen.

4. Der Schutz der Menschenwürde kann nicht dahin verstanden werden, dass es einem EU-Ausländer/einer EU-Ausländerin freisteht, den Aufenthaltsstand frei zu wählen, mit der Folge, dass dieser Stand den Aufenthalt von Sozialleistungen zu alimentieren hat.

5. Der Senat folgt der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 26.09.1991, SC 61/44, Rn. 15 zitiert nach juris), nach der es sozialhilferechtlich unbedenklich ist, einen nicht zur Ausreise gezwungenen Ausländer durch die Einschränkungen von Sozialleistungen zur Ausreise zu bewegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG München, Urteil v. 14.12.2017 – L 7 AS 466/1

Zur fehlenden Schlüssigkeit eines grundsicherungsrelevanten Mietspiegels aufgrund einer unzureichenden Datenbasis

Leitsatz (Juris)
1. Zu den Mietobergrenzen und den Anforderungen an die realitätsgerechte Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten iS von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Stadt Augsburg im Zeitraum September 2015 bis Juli 2017 (Rn. 38 – 47)

2. Wenn die dem grundsicherungsrelevanten Mietspiegel zugrunde liegenden Daten weit überwiegend Mietverhältnisse mit wenigen Wohnungsbaugesellschaften betreffen und nicht nachzuvollziehen ist, dass diese Anbieter den gesamten örtlich in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestand (im unteren Mietpreisniveau) beherrschen bzw. das Mietangebot (zu der ermittelten Angemessenheitsgrenze) im Wesentlichen abdecken würden, fehlt es an einem schlüssigen Konzept. (Rn. 41 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

3. Ist bereits das der Fortschreibung zugrundeliegende Konzept nicht schlüssig, kommt es auf die Art seiner Fortschreibung in der Folge nicht weiter an, wenn die die fehlende Schlüssigkeit begründenden Umstände durch die Fortschreibung nicht korrigiert werden. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Quelle: www.gesetze-bayern.de

2.6 – LSG München, Urteil v. 14.12.2017 – L 7 AS 408/15

Zur fehlenden Schlüssigkeit eines grundsicherungsrelevanten Mietspiegels aufgrund einer unzureichenden Datenbasis

Leitsatz (Juris)
1. Zu den Mietobergrenzen und den Anforderungen an die realitätsgerechte Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten i.S. von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Stadt Augsburg im Zeitraum November 2013 bis August 2015. (Rn. 40 – 49)

2. Wenn die dem grundsicherungsrelevanten Mietspiegel zugrunde liegenden Daten weit überwiegend Mietverhältnisse mit wenigen Wohnungsbaugesellschaften betreffen und nicht nachzuvollziehen ist, dass diese Anbieter den gesamten örtlich in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestand (im unteren Mietpreisniveau) beherrschen bzw. das Mietangebot (zu der ermittelten Angemessenheitsgrenze) im Wesentlichen abdecken würden, fehlt es an einem schlüssigen Konzept. (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)

Quelle: www.gesetze-bayern.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Speyer, Beschluss v. 29.12.2017 – S 16 AS 1466/17 ER

Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II

Leitsatz (Juris)
§ 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip). Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (Anschluss an SG Mainz, Beschlüsse vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II noch nicht entschieden. Mit Beschluss vom 06.10.2017 (1 BvL 2/15 und 1 BvL 5/15) wurden die Vorlagebeschlüsse des SG Mainz vom 12.12.2014 (S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14) lediglich als unzulässig verworfen, da sie nach Auffassung des BVerfG nicht in jeder Hinsicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügten (BVerfG, Beschluss vom 06.10.2017 – 1 BvL 2/15 -, Rn. 13). Mit dem Beschluss vom 10.10.2017 (1 BvR 617/14) wurde die dem Verfahren zu Grunde liegende Verfassungsbeschwerde durch die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die Kammer in diesem Beschluss gleichwohl dahingehend äußert, dass sie die Regelung für verfassungsgemäß hält, vermag deren Argumentation nicht zu überzeugen.

An der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind Fachgerichte für den Fall, dass sie die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachten, nicht dadurch gehindert, dass sie über die Frage der Verfassungswidrigkeit nicht selbst entscheiden könnten, sondern insoweit die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen müssten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 – 1 BvR 1028/91 -, Rn. 29; SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 – S 16 AS 908/17 ER -, Rn. 75).

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (Anschluss an SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 -, Rn. 289 ff. und SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 – S 16 AS 908/17 ER -, Rn. 31 ff.; entgegen BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R -, Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R -, Rn. 19).

Die Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II gilt nicht für den Fall der Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber dem Antragsteller (Fortführung von SG Speyer, Urteil vom 08.09.2017 – S 16 AS 729/16 -, Rn. 46 ff.).

Quelle: Juris

3.2 – SG Dortmund, Beschluss v. 10.01.2018 – S 27 AS 5836717 ER

Aufschiebende Wirkung – Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig, weil er keine Geltungsdauer bestimmt – bis auf weiteres gelten soll

Leitsatz: RA Schulte-Bräucker, 58640 Iserlohn-Kalthof
1. Die unbeschränkte Geltungsdauer einer EGV führt zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes.

2. Nach der zu § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II a.F. ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein eine EGV ersetzender VA rechtswidrig, wenn die gesetzlich vorgesehene Geltungsdauer ohne Ermessenserwägungen überschritten wird (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 14.02.2013-B 14 AS 195/11 R).

3. Auch nach neuem Recht ist davon auszugehen, dass die Überprüfungsfrist von sechs Monaten bei fehlender Ermessensausübung die Höchstfrist für eine einseitig festzulegende Laufzeit bei einem Eingliederungsverwaltungsakt ist (unter Verweis auf LSG Bayern, L 16 AS 291/17 B ER).

Rechtstipp:
Ebenso SG Karlsruhe Urteil vom 12.10.2017, S 14 AS 1709/17; SG Berlin, Beschluss vom 12.10.2017 – S 186 AS 11916/17 ER; SG Köln, Urt. v. 23.06.2017 – S 33 AS 691/17 und SG Nordhausen, Beschluss vom 30. September 2016 – S 27 AS 1695/16 ER; aA. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.11.2017 – L 18 AS 2232/17 B ER

3.3 – SG Gießen, Urt. v. 28.11.2017 – S 22 AS 734/16

Die Kündigung eines Arbeitnehmers während der Probezeit ist ein „wichtiger Grund“ im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II

Ein Jobcenter darf Arbeitslosengeld II nicht kürzen, wenn dem Bezieher Arbeit nach seinem geistigen und körperlichen Leistungsvermögen nicht zumutbar ist.

Orientierungssatz (www.sozialgerichtsbarkeit.de)
Der Begriff „wichtiger Grund“ in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff. Eine Sanktion tritt nur dann ein, wenn dem Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen und den öffentlichen Interessen ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgericht zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 11.10.2017 – L 4 SO 169/16 – rechtskräftig

Zum Beginn der Verzinsung nach § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Rahmen eines Überprüfungsantrags nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X).

Leitsatz (Redakteur)
1. Maßgeblich für den Zinsbeginn nach Ablauf von sechs Kalendermonaten im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I ist das Datum des Eingangs des vollständigen Leistungsantrages.

2. Der hier zu entscheidende Fall, in dem der Leistungsanspruch erst im sog. Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X durch den Sozialhilfeträger festgestellt wird, gibt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts keinen Anlass dafür, ausnahmsweise nicht dem Wortlaut entsprechend auf den Leistungsantrag, sondern auf den Überprüfungsantrag abzustellen (wie hier: BSG, Urteil vom 17. November 1981 9 RV 26/81 –, juris Rn. 17 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. April 2014 – L 2 R 387/13 -, juris Rn. 32 ff.; Bigge, in: Eichenhofer/Wenner, SGB I – SGB IV – SGB X, 2012, § 44 SGB I Rn. 19 f.; Lilge, in: Lilge, SGB I, 4. Aufl. 2016, § 44 Rn. 22, 49; Mrozynski, SGB I, 5. Auflage 2014, § 44 Rn. 13; Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 44 Rn. 32; Wagner, in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. Stand: 27. September 2017, § 44 Rn. 31; Bigge, jurisPR-SozR 22/2010 Anm. 3; speziell im Sozialhilferecht zuletzt SG Karlsruhe, Urteil vom 28. Juli 2016 – S 3 SO 3787/15 –, Rn. 23, juris; a.A. LSG NRW, Urteil vom 10. Juni 2013 – L 20 SO 479/12 –, Rn. 35 ff., juris; wohl auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2010 – L 10 R 2516/08 –, juris; offen gelassen von BSG, Urteil vom 26. August 2008 – B 8 SO 26/07 R –, juris Rn. 24).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Leitsatz (Juris)
1. Wird der Geldleistungsanspruch erst in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X festgestellt, so ist für den Beginn der Verzinsung nach § 44 Abs. 2 SGB I auf das Datum des ursprünglichen Leistungsantrages und nicht des Überprüfungsantrages abzustellen.

2. Zur Frage einer konkludenten Ablehnung der Zinszahlung im Bescheid.

4.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 22.02.2017 – L 2 SO 5175/15

Leitsatz (Juris)
§ 28 SGB X ist auf die Leistungen der Sozialhilfe, soweit sie antragsunabhängig ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers einsetzen (§ 18 SGB XII), nicht anwendbar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Die gegenteilige Auffassung, dass § 28 SGB X trotz des Kenntnisgrundsatzes auch für das SGB XII gelten müsse, da durch diese Vorschrift Rechtsnachteile ausgeglichen werden sollen, die dadurch entstanden sind, dass der Hilfesuchende zuerst vorrangige Ansprüche geltend gemacht hat, überzeugt nicht (so Dauber in Mergler/Zink SGB XII, Stand November 2012, § 18 Rn. 19; ebenso Sartorius, Der Antrag im Sozialrecht, ASR 6/2014, 247, 253). Eine nähere Begründung wird hierzu nicht gegeben und lediglich auf die Rechtsprechung zum SGB II verwiesen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.10.2010- -B 14 AS 16/09 R). Die Leistungen sind jedoch, insofern nicht vergleichbar, weil im SGB II der Antragsgrundsatz (§ 37 SGB II) gilt.

4.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhal, Urt. v. 14.11.2017 – L 8 SO 15/16 – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
Bricht eine Hilfeempfängerin eine stationäre Langzeittherapiemaßnahme ab, verlässt die Einrichtung, mietet nachfolgend ein Zimmer in einem Frauenhaus an und lebt dort einige Wochen, bevor sie in eine ambulant betreute Wohnform eintritt, ist der für diese Leistung zuständige Träger derjenige, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die Hilfeempfängerin vor dem Eintritt tatsächlich aufgehalten hat.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – Die AV-Wohnen regelt zum 01.01.2018 Mietobergrenzen für ALG II u. Sozialhilfe in Berlin, ein Beitrag von Rechtsanwalt

Matthias Göbe, Rechtsanwaltskanzlei Matthias Göbe
Zum 01.01.2018 ist die Neufassung der AV-Wohnen (Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gem. § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII) in Kraft getreten. In der Rechtsvorschrift werden für Berlin die übernahmefähigen Mieten für Berliner ALG II- und Sozialhilfeempfänger geregelt.

Es existieren zwei Grenzwerte die vom Bürger eingehalten werden müssen. Einerseits werden die Bruttokaltmiete (Grundmiete + Betriebskostenvorauszahlungen) und davon getrennt die Heizkostenvorauszahlungen vom Amt begrenzt. Nachzulesen sind diese Werte auf der Webseite der Senatsverwaltung für Integration und Soziales.

Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die Darstellung der, nach meiner Einschätzung, rechtlich problematischen Punkte der AV-Wohnen.

Problematisch ist derzeit die Kopplung an den Mietspiegel.

weiter: www.anwalt.de

5.2 – LSG Celle, Urt. v. 12.12.2017 – L 7 AL 36/14 (Revision zugelassen): SGB III: Keine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe und Umzug zum Lebensgefährten

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat entschieden, dass die Aufgabe des Arbeitsplatzes zur erstmaligen Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft an einem neuen Wohnort keine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld auslösen muss.

Pressemitteilung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Januar 2018: www.landessozialgericht.niedersachsen.de

5.3 – BVerwG v. 25.01.2018 – 1 C 7.17

Zuständigkeit für Aufhebung eines vom Bundesamt angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots

Das BVerwG hat die zwischen Bund und Ländern streitige Frage, welche Behörde für die nachträgliche Aufhebung eines vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegen einen Ausländer verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots sachlich zuständig ist, zugunsten einer Zuständigkeit der Ausländerbehörden entschieden.

weiter: www.juris.de

5.4 – EuGH v. 25.01.2018 – C-473/16

Homosexualitäts-Tests für Asylbewerber unzulässig
Der EuGH hat entschieden, dass ein Asylbewerber keinem psychologischen Test zur Bestimmung seiner sexuellen Orientierung unterzogen werden darf.

weiter: www.juris.de

5.5 – Übersicht: Zugang zum SGB II und zum Arbeitsmarkt – Claudius Voigt, GGUA

Im August 2017 sind sehr viele Aufenthaltstitel neu eingeführt worden – alle im Bereich des Aufenthalts zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder der Ausbildung (ICT-Karte, Mobiler ICT-Karte und etwa 25 neue Aufenthaltserlaubnisse für Studierende, Auszubildende, Forscher*innen, Freiwilligendienstler*innen usw.). Insgesamt haben wir jetzt an die 100 unterschiedliche Rechtsgrundlagen für einen Aufenthalt nach dem Aufenthaltsgesetz. Dabei fällt es – gelinde gesagt – schwer, den Überblick zu behalten.

Einer ersten Orientierung dient die tabellarische Übersicht „Zugang zum SGB II und zum Arbeitsmarkt“ des IQ Netzwerks Niedersachsen, die sämtliche Aufenthaltspapiere auflistet und die entsprechenden Zugänge zum Arbeitsmarkt und zum SGB II darstellt. Die Tabelle kann dabei nicht eine umfassende Einzelfallprüfung ersetzen, aber zumindest den groben Rahmen darstellen.

Die Tabelle findet ihr hier: www.einwanderer.net

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de