Heute veröffentlichte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg mit Sitz in Mannheim in zweiter Instanz das Urteil (Az.: 1 S 1469/17) zu einem weiteren Fall von ‚racial profiling‘. Ein Deutscher mit dunkler Hautfarbe war während einer Geschäftsreise im Zug zwischen Baden-Baden und Offenburg von Bundespolizeibeamten einer „verdachtsunabhängigen“ Personenkontrolle unterzogen worden. Die äußeren Umstände der Kontrolle lassen den Schluss zu, dass der Kläger nur wegen seiner Hautfarbe kontrolliert wurde. Mit den heute veröffentlichten Urteilsgründen hat der Verwaltungsgerichtshof allerdings nun sogar die langjährige Kontrollpraxis der Schleierfahndung durch die Bundespolizei der Jahre 2008-2016 insgesamt für unvereinbar mit dem Europarecht erklärt und damit Millionen Kontrollen die Rechtsgrundlage entzogen.
Im November 2013 war der Kläger in der ersten Klasse eines ICE beruflich von Berlin nach Freiburg unterwegs. Zwischen Baden-Baden und Offenburg wurde er von drei Bundespolizeibeamten einer vermeintlich verdachtsunabhängigen Personenkontrolle unterzogen. Der Kläger legte seinen deutschen Personalausweis vor. Außer ihm wurden im Sichtfeld des Klägers keine weiteren Personen kontrolliert. Er klagte daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart (Az.1 K 5060/13) mit dem Ziel feststellen zu lassen, dass es sich bei der Kontrolle um eine grundrechtswidrige Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe handelte. Die Kontrolle war im gerichtlichen Verfahren mit der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) – der so genannten Schleierfahndung – begründet worden. Mit Urteil vom 22.10.2015 hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart diese Rechtsgrundlage im Bundespolizeigesetz bereits als europarechtwidrig eingestuft (Az.: 1 K 5060/13). Die Bundespolizei war hiergegen in die Berufung gegangen.
Nachdem in einem parallelen Fall der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vorabentscheidungsersuchen (Rs. C-9/16) festgestellt hat, dass der fragliche § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG für sich genommen nicht den Anforderungen des Unionsrechts genügt und weiterer Konkretisierungen bedarf, fand am 13.02.2018 die Berufungsverhandlung vor dem VGH Baden-Württemberg in Mannhein (Az.: 1 S 1469/17) statt. Zwischenzeitlich legte die Bundespolizei eine bis dato geheim gehaltene Verwaltungsvorschrift (BRAS 120) vor, die die Kontrollbefugnisse konkretisieren sollte.
Der VGH Mannheim hat mit heute übermitteltem Urteil entschieden, dass die rechtliche Grundlage, auf die die Bundespolizei die grenznahe Schleierfahndung jedenfalls bis in das Jahr 2016 hinein gestützt hat, gegen die Vorgaben des Schengener Grenzkodex verstößt. Die rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere in der BRAS 120, seien zu unbestimmt formuliert; auf vermeintlich konkretisierende aber weitestgehend geheim gehaltene Verwaltungsvorschriften könne die Schleierfahndung ohnehin nicht gestützt werden. Das Gericht hat damit der ständigen Praxis der sog. Schleierfahndung und Millionen Kontrollen im Grenzgebiet nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen. Im Ergebnis offen ließ das Gericht hierdurch allerdings, ob die unionsrechtswidrige Kontrolle des Klägers aufgrund seiner Hautfarbe auch gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 3 Satz 1) verstoßen hat.
RA Sven Adam ist Prozessbevollmächtigter des Klägers; das Büro zur Umsetzung für Gleichbehandlung hat den Kläger juristisch unterstützt. Die Forderung des Gerichtes nach einer öffentlich zugänglichen und hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage wird nach deren Einschätzung bereits der Gefahr vorurteilsgeleiteter Polizeikontrollen entgegenwirken.
„Dieses Verfahren ist ein weiterer bedeutender Schritt, um diskriminierenden Kontrollen die rechtlichen Grundlagen zu entziehen. Sollte die Bundespolizei für die Zukunft nun mit neuen und vor allem öffentlichen Verwaltungsvorschriften nachbessern, werden wir auch diese einer verwaltungsgerichtlichen Klärung zuführen, um letzten Endes die Praxis des ‚racial profiling‘ insgesamt durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen zu können.“ kommentiert Rechtsanwalt Sven Adam die Entscheidung des VGH.
Alexander Tischbirek vom BUG e.V. äußerte: „Das heutige Urteil hat deutlich gemacht, dass die rechtlichen Voraussetzungen von verdachtsunabhängigen Personenkontrollen präzise definiert werden müssen. Dies hilft nicht nur, Verstöße gegen den Schengen Grenzkodex zu vermeiden, sondern es beugt auch ‚racial profiling‘ und somit institutionellem Rassismus in der Polizeiarbeit vor.“
Seit 2011 werden Klagen mit der Unterstützung des BUG bei Verwaltungsgerichten vorgelegt. Diese hinterfragen die Praxis des ‚racial profiling’, verdachtsunabhängiger Personenkontrollen, die aufgrund phänotypischer Merkmale wie der Hautfarbe durchgeführt werden.