Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg – Urteil vom 13.02.2018 – Az.: 1 S 1469/17

URTEIL

In der Verwaltungssache

xxx,

– Kläger –
– Berufungsbeklagter –

prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen, Az: 0575/13sva

gegen

Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch die Bundespolizeidirektion Stuttgart,
Wolfgang-Brumme-Allee 52, 71034 Böblingen

– Beklagte –
– Berufungsklägerin –

prozessbevollmächtigt:
Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte,
Willy-Brandt-Allee 11, 53113 Bonn, Az: 46 15 3594

wegen Personalienfeststellung

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Ellenberger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hettich und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Hug aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 13. Februar 2018 für Recht erkannt:
 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Oktober 2015 – 1 K 5060/13 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

TATBESTAND

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch die Bundespolizei vorgenommenen Identitätsfeststellung und des anschließenden Datenabgleichs.

Der xxx in Kabul geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger afghanischer Abstammung. Am 19.11.2013 befand er sich im Rahmen einer Geschäftsreise in der 1. Klasse des ICE xxx von Berlin nach Freiburg. Im Waggon befanden sich weitere sechs bis sieben Personen. Auf dem Streckenabschnitt zwischen Baden-Baden und Offenburg wurde der Kläger gegen 22:30 Uhr von drei Beamten der Bundespolizei angesprochen und aufgefordert, sich auszuweisen. Der Kläger zeigte seinen deutschen Personalausweis vor und händigte diesen Polizeikommissar H. aus. Sodann äußerte er gegenüber den Beamten, dass die Personalienfeststellung in dieser Form rechtswidrig sei, und forderte die Beamten zur Herausgabe ihrer Namen bzw. Dienstnummern auf. Polizeikommissar H. führte anhand des Personalausweises des Klägers einen Datenabgleich durch und teilte dem Kläger anschließend die Dienststellen und -nummern der drei Polizeibeamten mit. Weitere Personen wurden in dem Waggon nicht kontrolliert. Die Beamten verließen nach der Feststellung der Personalien des Klägers den Bereich der 1. Klasse.

Der Kläger erhob am 18.12.2013 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung und des Datenabgleichs. Er trug vor, die Personalienfeststellung sei materiell rechtswidrig erfolgt. Die von der Beklagten angeführte Ermächtigungsgrundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG verstoße gegen Europarecht. Sie sei nicht mit den Art. 20, 21 der Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) vereinbar. Die einzig alternativ in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 22 Abs. 1a BPoIG sei den gleichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Zudem lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 1a BPoIG nicht vor. Hinweise auf eine migrationsrechtswidrige Nutzung des kontrollierten ICE xxx hätten nicht vorgelegen. Zudem habe die Beklagte die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens überschritten. Eine Identitätsfeststellung, die sich am Kriterium der Hautfarbe orientiere, verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 GG und auch gegen völkerrechtliche Grundsätze, insbesondere gegen Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und gegen Art. 14, Art. 8 Abs. 1 Var. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, die beim Kläger durchgeführte Personalienfeststellung sei nicht rechtswidrig gewesen. Der Bundespolizei obliege gemäß § 2 Abs. 1 BPoIG der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebiets. Der Grenzschutz umfasse u.a. gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPoIG im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern die Abwehr von Gefahren, welche die Sicherheit der Grenze beeinträchtigten. Die Normknüpfe nicht an die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs gemäß § 2Abs. 2 Nr. 2 BPoIG an und ermögliche somit polizeiliche Eingriffsmaßnahmen, die nicht unmittelbar aus Anlass des Grenzübertritts erfolgten. Sie setze hierbei keine konkrete Polizeigefahr voraus, sondern trage insoweit einem Vorsorgekonzept Rechnung und erlaube eine erhebliche polizeiliche Kontrolldichte im Grenzgebiet, was durch eine eingeschränkte Möglichkeit der Speicherung „kompensiert“ werden könne. Der Zug habe sich auf der Fahrt von Baden-Baden nach Offenburg und damit im 30 km-Grenzbereich befunden. Da in der Vergangenheit immer wieder unerlaubt eingereiste Personen in den Zügen festgestellt worden seien, sei eine Personenkontrolle aufgrund der Lageerkenntnisse angebracht und erforderlich gewesen. Die Bundespolizeiinspektion Offenburg stelle im Grenzgebiet zu Frankreich monatlich durchschnittlich70 unerlaubt eingereiste Personen fest. Im ICE xxx seien am 19.11.2013 zehn bis 15 Personen – sowohl europäischer als auch nicht europäischer Herkunft- fahndungsmäßig überprüft worden. Der Abgleich der personenbezogenen Daten des Klägers sei rechtmäßig gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BPoIG erfolgt. Für die Auswahl der kontrollierten Reisenden seien mehrere Kriterien maßgeblich. Zunächst sei das Lagebild der Bundespolizeiinspektion Offenburg zu berücksichtigen. Ferner seien polizeiliche Erfahrungen sowie das Gesamterscheinungsbild (Alter, mitgeführte Gegenstände, Kleidung, Verhalten) miteinzubeziehen. Die ethnische Erscheinung stelle kein Auswahlkriterium dar.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 22.10.2015 die Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung und des Datenabgleichs festgestellt. Die hinsichtlich der Identitätsfeststellung als Fortsetzungsfeststellungsklage und hinsichtlich des Datenabgleichs als allgemeine Feststellungsklage statthafte Klage sei zulässig und begründet. Die Identitätsfeststellung durch Beamte der Bundespolizei sei rechtswidrig gewesen. Die Beklagte habe die Maßnahme der Personalienfeststellung bereits deswegen nicht wirksam auf die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG stützen können, weil diese nicht unionsrechtskonform sei und auch nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden könne. Sie verstoße gegen Art. 21 VO (EG) Nr. 562/2006. Die Ermächtigungsgrundlage enthalte nicht die vom Europäischen Gerichtshof geforderten normativen Einschränkungen, die gewährleisteten, dass die tatsächliche Ausübung der Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben könne. Daher könne offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG im Zeitpunkt der Kontrolle vorgelegen hätten und ob die Beklagte ihr Ermessen bei der Identitätsfeststellung unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG ausgeübt habe. Die sich an die Identitätsfeststellung anschließende Maßnahme des Datenabgleichs sei ebenfalls rechtswidrig erfolgt (vgl. ausf. VG Stuttgart, Urt. v. 22.10.2015 – 1 K 5060/13 – juris).

Mit der vom Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Der Senat hat das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 07.04.2016 bis zur Entscheidung über das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsverfahren C-9/16 ausgesetzt und – im Anschluss an das Urteil des EuGH in dieser Sache vom 21.06.2017 – am 29.06.2017 wieder aufgenommen.

Die Beklagte macht mit der Berufung geltend, die Identitätsfeststellung sei rechtmäßig gewesen. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG sei insbesondere unionsrechtskonform. Der EuGH verlange einen Rechtsrahmen, der gewährleiste, dass die praktische Ausübung der Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben könne. Die vom EuGH geforderten Konkretisierungen und Einschränkungen müssten nicht notwendigerweise gesetzlicher Natur und erst recht nicht in § 23 BPoIG selbst statuiert sein. Vielmehr kämen hierfür auch Verwaltungsvorschriften in Betracht. Im maßgeblichen Zeitpunkt der hier streitbefangenen Kontrolle vom 19.11.2013 sei eine ausreichende Lenkung der Intensität, Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen durch die „BRAS 120″, Band I, Abschnitt II, mit den darin enthaltenen Angaben zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung („Best Grepo“) mit dem damaligen Stand vom 01.03.2008 bewirkt worden. Bei den „BRAS 120″ handele es sich um Verwaltungsvorschriften. Darin werde klargestellt, dass es unzulässig sei, an den Binnengrenzen Personenkontrollen unabhängig von jedem Anlass ausschließlich aufgrund eines vorangegangenen Grenzübertritts vorzunehmen. Außerdem seien darin nähere, den Vorgaben des EuGH genügende Vorgaben für Maßnahmen der Bundespolizei zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung im Binnengrenzraum enthalten. Dort werde u.a. klargestellt, dass Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG nur „im Einzel- bzw. Ausnahmefall“ in Betracht kämen und das Vorliegen „hinreichender Anhaltspunkte für eine illegale Einreise oder eine Schleusung“ voraussetzten. Die Verwaltungsvorschrift präzisiere darüber hinaus, wann solche Anhaltspunkte vorlägen. Die von § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG erlaubten Identitätsfeststellungen beruhten daher auf Lageerkenntnissen und/oder polizeilichen Erfahrungen und hingen zudem auch vom Verhalten der betroffenen Person bzw. sonstigen Umständen ab, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ergebe. Praktische Erfahrungen belegten zudem, dass die Vorgaben der „BRAS 120″ tatsächlich wirksam gewesen seien und nicht unter Rückgriff auf § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG unzulässige systematische Personenkontrollen durchgeführt würden. Die dort vorgesehenen Kontrollen würden in der Praxis lediglich stichprobenartig und in einer Art und Weise durchgeführt, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterschieden.

Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Identitätskontrolle des Klägers nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG hätten am 19.11.2013 auch unter Berücksichtigung der BRAS 120 vorgelegen. Damals habe ein besonderes Lagebild für die Bundespolizeiinspektion Offenburg vorgelegen, in dem u.a. konstatiert worden sei, dass sich der fortwährende Anstieg der unerlaubten Einreisen im Bereich dieser Bundespolizeiinspektion seit dem zweiten Halbjahr 2012 auch im Jahre 2013 ununterbrochen fortgesetzt habe. Mit einem der größten Grenzübergänge entlang der deutsch-französischen Grenze (Europabrücke) im Bereich Straßburg – Kehl spiele der Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Offenburg auch in naher Zukunft eine entscheidende Rolle für unerlaubte Einreisen nach Deutschland. Wegen der Einzelheiten werde auf das Dokument „Polizeiinspektion Offenburg: Lagebild ‚Irreguläre Migration und Schleuserkriminalität‘, IV. Quartal 2013″ (Anlage B1 = BI. 145 ff. der VGH-Akte) verwiesen. Die Bestreifung auch des ICE xx habe hiernach auf Erkenntnissen über in der Vergangenheit bereits tatsächlich erfolgte und auch zukünftig zu erwartende unerlaubte Einreisen und Schleusungen und zwar unter Nutzung von Zügen beruht. Die ca. zehn bis 15 durchgeführten Identitätsfeststellungen in dem betreffenden ICE xxx hätten gerade nicht alle Reisenden in dem Zug betroffen. Sie seien mithin zahlenmäßig begrenzt gewesen und selektiv erfolgt. Dass sich die Beamten spontan entschlossen hätten, die Identität des Klägers feststellen zu wollen, habe sich aus der konkret vorgefundenen Kontrollsituation ergeben. Der Kläger habe ungefähr in der Mitte eines 1. Klasse-Waggons in einem Einzelsitz und zwar entgegen der Fahrtrichtung gesessen, wie auch die Beamten durch den Zug entgegen der Fahrtrichtung gegangen seien. Da der Kläger in seinen Sitz versunken und mit dem Rücken zu den durch den Zug gehenden Beamten gesessen sei, hätten weder der Kläger die herannahenden Beamten noch die Beamten den Kläger sehen können, bevor sie sich auf der Höhe seines Sitzes befunden hätten. Der Kläger habe einen Kopfhörer getragen und die Augen geschlossen gehabt. In einer derartigen Situation – in den Sitz versunken, Kopfhörer, geschlossene Augen – sei keineswegs klar, ob sich die betreffende Person tatsächlich ausruhen wolle oder ob sie sich etwa schlafen stelle und ihr Verhalten möglicherweise gerade darauf abziele, von etwaigen Kontrollen verschont zu bleiben. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG stehe auch mit deutschem Verfassungsrecht in Einklang, sei insbesondere verhältnismäßig. Die Identitätsfeststellung sei auch im Übrigen fehlerfrei durchgeführt worden.

Auch der Datenabgleich sei rechtmäßig erfolgt. Insbesondere sei § 34 Abs. 1 Satz 2 BPolG verfassungsgemäß. Der in der Literatur teils erhobene Vorwurf der Unbestimmtheit der Norm sei nicht berechtigt, da die Norm auslegbar sei. Auch Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit des mit einem Abgleich verbundenen Eingriffs bestünden nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Oktober 2015 – 1 K 5060/13 – zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 09.11.2017 hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. beantragt, gemäß dem klägerischen Wunsch nach § 67 Abs. 7 Satz 1 und 3 VwGO als Beistand zugelassen zu werden. Hilfsweise hat xxx, der den Schriftsatz des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. unter anderem unterschrieben hat, angezeigt, persönlich als Beistand nach § 67 Abs. 7 Satz 2 VwGO auftreten zu wollen. Das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. macht geltend, die BRAS 120 könnten den Anforderungen des EuGH, dass es eines Rechtsrahmens bedürfe, der die Intensität, die Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen lenke, nicht erfüllen. Sie seien zum Zeitpunkt der hier durchgeführten Kontrolle nicht veröffentlicht gewesen. Auch noch heute weigere sich die Beklagte, die BRAS 120 aus dem Jahr 2008 ohne weiteres herauszugeben. Die mangelnde Publizität führe dazu, dass es an der notwendigen Vorhersehbarkeit staatlichen Verhaltens ebenso mangele wie an der Möglichkeit einer angemessenen gerichtlichen Kontrolle. Zudem fehle es den BRAS 120 an der erforderlichen praktischen Wirksamkeit. Dass Kontrollen nur aufgrund eines Gefahrenverdachts und lagebilderabhängig vorgenommen würden, stehe im Widerspruch zu den erstinstanzlichen Einlassungen und vermutlich sogar zum Gesetz. Zudem fehle es den BRAS 120 an der nötigen Bestimmtheit. Sie enthielten keinerlei Vorgaben zur Häufigkeit der Kontrollen. Schließlich liege eine fehlerhafte Ermessensausübung vor, die insbesondere unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG erfolgt sei.

Der Kläger hat sich mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.11.2017 die Ausführungen des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. zu Eigen gemacht.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15.01.2018 den Antrag auf Zulassung des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. als Beistand des Klägers abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Berufung ist zurückzuweisen. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

A. Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt (vgl. § 124 a Abs. 2 VwGO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO).

B. Die Berufung ist nicht begründet. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Identitätsfeststellung und Datenabgleich gerichtete Klage ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend entscheiden hat – zulässig und begründet. Die von Beamten der Beklagten am 19.11.2013 im ICE xxx zwischen Baden-Baden und Offenburg beim Kläger durchgeführte Identitätsfeststellung (-I.-) und der anschließend erfolgte Datenabgleich (-II.-) waren rechtswidrig.

I. Die am 19.11.2013 durchgeführte Identitätsfeststellung war rechtswidrig.

Als Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) und in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. jeweils W.-R. Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 23 BPoIG Rn. 3) bedurfte die Identitätsfeststellung einer gesetzlichen Grundlage. Daran fehlte es. Der von der Beklagten angeführte und einzig in Betracht kommende § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG war jedenfalls in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Kontrolle selbst, am 19.11.2013, aus Gründen des Unionsrechts unanwendbar (-1.-). Unabhängig davon wäre die Identitätsfeststellung auch gemessen am nationalen Recht – seine Anwendbarkeit unterstellt – materiell rechtswidrig, weil sie unter Zugrundelegung der von der Beklagten angeführten ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften ermessensfehlerhaft durchgeführt wurde (-2.-). Mangels Entscheidungserheblichkeit kann daher offen bleiben, ob die Ermessensausübung der Polizeibeamten gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstieß.

1. Die streitbefangene Identitätsfeststellung findet in § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG keine gesetzliche Grundlage. Die Vorschrift (-a-) war im November 2013 nicht anwendbar (-b-).

a) Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG kann die Bundespolizei im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BPoIG die Identität einer Person feststellen. Straftaten im Sinne dieser Vorschrift sind Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB), die (Nr. 1) gegen die Sicherheit der Grenze oder die Durchführung der Aufgaben der Bundespolizei nach § 2 BPoIG – d.h. der Aufgaben des Grenzschutzes – gerichtet sind, oder die (Nr. 2) nach den Vorschriften des Paßgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes oder des Asylgesetzes zu verfolgen sind, soweit sie durch den Grenzübertritt oder in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem begangen wurden, oder die (Nr. 3) einen Grenzübertritt mittels Täuschung, Drohung, Gewalt oder auf sonst rechtswidrige Weise ermöglichen sollen, soweit sie bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs festgestellt werden, oder die (Nr. 4) das Verbringen einer Sache über die Grenze ohne behördliche Erlaubnis als gesetzliches Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift verwirklichen, sofern der Bundespolizei durch oder auf Grund eines Gesetzes die Aufgabe der Überwachung des Verbringungsverbotes zugewiesen ist (wie dies z.B. im Bereich des Betäubungsmittelrechts der Fall ist, vgl. § 21 Abs. 2 BtMG).

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG erfüllt, kann die Bundespolizei gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BPoIG zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie kann den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, dass er Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt. Bei der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs kann die Bundespolizei ferner verlangen, dass der Betroffene Grenzübertrittspapiere vorlegt. Der Betroffene kann festgehalten und zur Dienststelle mitgenommen werden, wenn seine Identität oder seine Berechtigung zum Grenzübertritt auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 23 Abs. 3 Satz 2 bis 4 BPoIG).

Die genannten Bestimmungen zur Identitätsfeststellung sind Teil der Vorschriften über die sog. Schleierfahndung im Grenzgebiet (näher zur Genese der diesbezüglichen Vorschriften Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., E Rn. 355 f.; 385 ff.; Gnüchtel, NVwZ 2013, 980 f.). § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG zeichnet sich wie andere Vorschriften aus diesem Bereich insbesondere dadurch aus, dass der Tatbestand der Vorschrift das polizeiliche Eingreifen – hier die Identitätsfeststellung – nicht vom Vorliegen einer konkreten Gefahr im polizeirechtlichen Sinne abhängig macht (vgl. W.- R. Schenke, a.a.O., § 23 BPoIG Rn. 12; Drewes/Malmberg/Walter, BPoIG, 4. Aufl., § 23 Rn. 14). Anknüpfungspunkt für eine Identitätsfeststellung ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift vielmehr allein der Umstand, dass sich eine Person an einem bestimmten Ort – im Grenzgebiet im Sinne der o.g. Vorschriften – aufhält. Hinweise darauf, dass von der zu überprüfenden Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder dass sie eine Straftat begangen hat, müssen nach dem Wortlaut der Norm hingegen nicht vorliegen (auch daher sog. anlass-, verdachts- oder ereignisunabhängige Personenkontrolle, vgl. Rachor, a.a.O., Rn. 357).

b) § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG war im November 2013 keine taugliche Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung des Klägers. Sie war auch unter Berücksichtigung der ergänzend erlassenen Verwaltungsvorschriften der Beklagten mit Unionsrecht (-aa-) nicht vereinbar (-bb-) und daher unanwendbar (-cc-).

aa) Gemäß Art. 67 Abs. 2 AEUV stellt die Union u.a. sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Die vor diesem Hintergrund erlassene – im November 2013 noch maßgebliche – Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (ABI. L 105 vom 13.04.2006, S. 1 – Schengener Grenzkodex <im Folgenden: SGK>) definiert dazu in Art. 2 Nr. 9 bis 11 verschiedene Begriffe. Danach sind „Grenzkontrollen“ die an einer Grenze nach Maßgabe und für die Zwecke dieser Verordnung unabhängig von jedem anderen Anlass ausschließlich aufgrund des beabsichtigten oder bereits erfolgten Grenzübertritts durchgeführten Maßnahmen, die aus Grenzübertrittskontrollen und Grenzüberwachung bestehen. „Grenzübertrittskontrollen“ sind die Kontrollen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen mit ihrem Fortbewegungsmittel und den von ihnen mitgeführten Sachen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen. Als „Grenzüberwachung“ gilt die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzübertrittskontrollen umgehen.

Auf diesen Begriffsbestimmungen aufbauend bestimmt Art. 20 SGK, dass die Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden dürfen. Gemäß Art. 21 SGK berührt die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen allerdings nicht:

„a) die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat; dies gilt auch in Grenzgebieten. Im Sinne von Satz 1 darf die Ausübung der polizeilichen Befugnisse insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen

i) keine Grenzkontrollen zum Ziel haben;
ii) auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen;
iii) in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet;
iv) auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden;
(…)

c) die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, in ihren Rechtsvorschriften die Verpflichtung zum Besitz oder Mitführen von Urkunden und Bescheinigungen vorzusehen; (…).“

Zur Auslegung dieser Vorschriften und der Frage, ob sie nationalen Regelungen entgegenstehen, die verdachtsunabhängige Kontrollen im Grenzraum ermöglichen, hat sich der EuGH in drei Entscheidungen zum – für unionsrechtswidrig befundenen – französischen Recht (Urt. v. 22.06.2010 – C-188/10 – Sig. 2010, 1-5667 <Melki und Abdeli>), zum – als unionsrechtskonform gebilligten – niederländischen Recht (Urt. v. 19.07.2012 – C-278/12 – juris <Adil>) sowie zuletzt zum deutschen Recht, namentlich zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG, geäußert (Urt. v. 21.06.2017 – C-9/16 – EUGRZ 2017, 360; s. zum Vorlagebeschluss AG Kehl, Beschl. v. 21.12.2015 – 3 Ds Js 7262/14 – juris).

Die Mitgliedstaaten sind danach verpflichtet, die Einhaltung des Unionsrechts und insbesondere der Art. 20 und 21 SGK durch die Schaffung und Wahrung eines „Rechtsrahmens“ zu sichern, der gewährleistet, dass die praktische Ausübung der Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 37; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 68). Sie haben insbesondere dann, wenn „Indizien“ darauf hindeuten, dass eine gleiche Wirkung wie bei Grenzübertrittskontrollen besteht, die Konformität der Identitätskontrollen mit Art. 21 Buchst. a SGK durch „Konkretisierungen und Einschränkungen“ sicherzustellen, die die praktische Ausübung der den Mitgliedstaaten zustehenden polizeilichen Befugnisse so einfassen, dass eine solche gleiche Wirkung vermieden wird (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 38; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 70 m.w.N.). Eine nationale Regelung, die den Polizeibehörden eine Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen einräumt, die zum einen auf das Gebiet an der Grenze des Mitgliedstaats zu anderen Mitgliedstaaten beschränkt und zum anderen unabhängig vom Verhalten der kontrollierten Person und vom Vorliegen besonderer Umstände ist, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ergibt, muss insbesondere das Ermessen lenken, über das diese Behörden bei der praktischen Handhabung der besagten Befugnis verfüge (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 39; Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., Rn. 74). Je zahlreicher die Indizien für eine mögliche gleiche Wirkung im Sinne von Art. 21 Buchst. a SGK sind, die sich aus dem mit Kontrollen in einem Grenzgebiet verfolgten Ziel, aus deren räumlichem Anwendungsbereich und aus dem Bestehen unterschiedlicher Grundlagen für diese Kontrollen und die Kontrollen im übrigen Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ergeben, umso strenger müssen außerdem die Konkretisierungen und Einschränkungen sein und eingehalten werden, die für die Ausübung der ihnen zustehenden polizeilichen Befugnisse durch die Mitgliedstaaten in einem Grenzgebiet gelten, um die Verwirklichung des Ziels der Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen nicht zu gefährden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 75). Schließlich muss der erforderliche Rahmen „hinreichend genau und detailliert“ sein, damit sowohl die Notwendigkeit der Kontrollen als auch die konkret gestatteten Kontrollmaßnahmen selbst Kontrollen unterzogen werden können (EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 76).

bb) Diesen Vorgaben genügt § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auch in Verbindung mit den im November 2013 geltenden Verwaltungsvorschriften der Beklagten nicht.

Kontrollen, wie sie in § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG vorgesehen sind, finden nicht „an einer Grenze“ oder beim „Grenzübertritt“, sondern im Innern des deutschen Hoheitsgebiets statt. Es handelt sich daher weder um verbotene „Grenzkontrollen“ noch um „Grenzübertrittskontrollen“ im Sinne der o.g. Legaldefinitionen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 42 ff.). Es bestehen allerdings mehrere „Indizien“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, die darauf hindeuten, dass eine im Sinne des Art. 21 SGK „gleiche Wirkung wie bei Grenzübertrittskontrollen“ besteht. Solche Indizien ergeben sich zum einen aus dem Umstand, dass für die Kontrollen hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs Sonderregeln mit Bezug zum Grenzraum gelten (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 53; ferner Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., Rn. 72). Die gleiche Wirkung wird zum anderen dadurch indiziert, dass die Kontrollen nach dem Wortlaut der Norm unabhängig vom Verhalten der betreffenden Person und von Umständen, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ergibt, gestattet sind (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40, 55). Die Beklagte hat deshalb durch die Schaffung und Wahrung eines „Rechtsrahmens“ mit hinreichend genauen und detaillierten Konkretisierungen oder Einschränkungen zur Lenkung der Intensität, der Häufigkeit und der Selektivität der Kontrollen zu gewährleisten, dass die praktische Ausübung der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG eingeräumten Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 57 ff., 59, 63 zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG).

An einem solchen beschränkenden „Rechtsrahmen“ fehlte es im November 2013. Weder § 23 BPoIG selbst (1) noch die im November 2013 darüber hinaus in Betracht kommenden rechtlichen Vorgaben (2) boten einen solchen Rahmen.

(1) § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG selbst enthält insbesondere hinsichtlich der Intensität und der Häufigkeit der auf dieser Rechtsgrundlage möglichen Kontrollen weder Konkretisierungen noch Einschränkungen der mit ihm eingeräumten Befugnis, die verhindern sollen, dass die Anwendung und die praktische Ausübung dieser Befugnis durch die zuständigen Behörden zu Kontrollen führen, die im Sinne von Art. 21 Buchst. a der Verordnung Nr. 562/2006 die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben. Die Vorschrift selbst bietet den vom Unionsrecht geforderten Rechtsrahmen daher, wie der EuGH insoweit bereits selbst entschieden hat, nicht (vgl. zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 57, dort u.H. auf die entsprechenden Überlegungen im Urt. v. 22.06.2010, a.a.O. Rn. 73; ebenso – teils bereits zuvor – Groh, NVwZ 2016, 1678; Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., 7. Kap. Rn. 90; Trennt, DÖV 2012, 216 <221 ff.>; Albrecht/Halder, jurisPRITR 4/2016 Anm. 6). Daran ändert der von der Beklagten hervorgehobene Umstand, dass sich in den Gesetzesmaterialien Hinweise darauf finden, dass der Bundesgesetzgeber möglicherweise nicht beabsichtigte, „flächendeckende“ Kontrollen im Grenzgebiet einzuführen (vgl. zu § 22 Abs. 1a BGSG a.F. BT-Drs. 13/11159, S. 6; Gnüchtel, a.a.O., S. 981), nichts.

(2) Ob das deutsche nationale Recht außerhalb dieser Vorschrift einen beschränkenden Rechtsrahmen im o.g. Sinn enthält, hat der EuGH in dem auf § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG bezogenen Vorlageverfahren C-9/16 nicht weiter geprüft und ausgeführt, diese Prüfung sei Sache der nationalen Gerichte (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Ls. 1 und Rn. 60 ff., 63). Diese Prüfung ergibt, dass das deutsche nationale Recht jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt – im November 2013 – keinen den o.g. Anforderungen genügenden „Rechtsrahmen“ zum Ausschluss von Identitätskontrollen mit gleicher Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen bot (im Ergebnis ebenso Groh, a.a.O., S. 1678; Kugelmann, a.a.O., 7. Kap. Rn. 90; Trennt, a.a.O, 222 f.>; Albrecht/Halder, a.a.O., Anm. 6).

(a) Ein den Vorgaben des EuGH genügender „Rechtsrahmen“ ergab sich nicht aus dem – von der Beklagten im Vorlageverfahren C-9/16 genannten – § 15 BPoIG. Diese Vorschrift normiert im Allgemeinen Teil des Abschnitts 2 („Befugnisse“) des Bundespolizeigesetzes den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für Maßnahmen der Bundespolizei. Dieser Grundsatz schützt den Adressaten einer Maßnahme vor unverhältnismäßigen Eingriffen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bezieht sich aber auf das polizeiliche Handeln im jeweils konkreten Einzelfall und ist nicht dazu geeignet zu verhindern, dass die polizeiliche Praxis bei der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG generell die Wirkung von Grenzübertrittskontrollen erhält. Denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt die einzelne Maßnahme nicht in Bezug zu anderen Maßnahmen, erreicht mithin keine effektive Steuerung der Frage, wie oft verdachtsunabhängige Personenfeststellungen im Grenzraum durchgeführt werden. Er kann also insbesondere keine „Summierungseffekte“ verhindern (so zu Recht Michl, DÖV 2018, 50 <57>). Einen Rechtsrahmen zur Lenkung der „Häufigkeit und Selektivität“ (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 57, 59) von anlassunabhängigen Kontrollen im Grenzraum bietet § 15 BPoIG selbst nicht.

(b) Ein den Vorgaben des EuGH genügender „Rechtsrahmen“ ergab sich im November 2013 auch nicht aus den von der Beklagten ergänzend angeführten innerdienstlichen Vorgaben zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG.

Die Beklagte verweist insoweit auf die „BRAS 120″, Band I, Abschnitt II, mit den darin enthaltenen Angaben zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung („Best Grepo“) und dem im November 2013 noch maßgeblichen Stand vom 01.03.2008, bei denen es sich ihres Erachtens um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften handelt. Die „BRAS 120″ in der Fassung vom 01.03.2008 waren jedoch weder ihrer Form (-aa-) noch ihrem Inhalt (-bb-) nach dazu geeignet, den unionsrechtlich geforderten hinreichend genauen und detaillierten Rechtsrahmen zur Lenkung der Intensität, Häufigkeit und Selektivität der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG ermöglichten Kontrollen zu gewährleisten.

(aa) Im vorliegenden Verfahren bedarf es keiner Entscheidung, ob der unionsrechtlich geforderte „Rechtsrahmen“ stets durch Vorschriften des Außenrechts (Gesetze im formellen Sinn, Rechtsverordnungen) gesetzt werden muss oder ob dafür grundsätzlich auch Verwaltungsvorschriften als Innenrecht in Betracht kommen (vgl. zum Meinungsstand einerseits – abl. – Trennt, a.a.O., S. 222 f.; Groh, NVwZ 2016, 1678 <1682 f.>, ders., NVwZ 2017, 1608 <1609 f.>, sowie andererseits – bejahend – Graf Vitzthum, ELR 2010, 236 <240 f.>; Kempfler, BayVBI. 2012, 9 <11>; insoweit tendenziell auch Michl, a.a.O., S. 57 f.). Erforderlich ist jedenfalls, dass die konkret in Rede stehende innerdienstliche Vorgabe die Mindestanforderungen an das Vorliegen einer rechtlichen Regelung erfüllt. Denn das Unionsrecht erfordert zur Steuerung von verdachtsunabhängigen grenzpolizeilichen Befugnissen eine „nationale Regelung“ (vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., 74 f., und die Sprachfassung der damaligen Verfahrenssprache: „législation nationale“), die den Erfordernissen der Rechtssicherheit („sécurité juridique“, vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2010, a.a.O., Rn. 75) dienen soll, hinreichend bestimmt ist und effektiven Rechtsschutz ermöglicht („Kontrolle der Kontrolle“, vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 76). Als „Rechtsrahmen“ kommen daher – jedenfalls – nur solche innerbehördlichen Vorgaben in Betracht, die wenigstens veröffentlicht und daher für den Normunterworfenen zugänglich sowie vorhersehbar sind (vgl. Michl, a.a.O., S. 57; allg. zu den Anforderungen für die Qualifizierung einer Vorschrift als „law“ bzw. „loi“ EGMR, Urt. v. 24.04.1990 – 11105/84 – <Huvig ./. Frankreich>: „accessibility“ und „foreseeability“; ebenso EuGH, Urt. v. 15.03.2017 – C-528/15 – NVwZ 2017, 777). Innerdienstliche Vorgaben, die nicht veröffentlicht werden, genügen den Mindestanforderungen an einen „Rechtsrahmen“ hingegen grundsätzlich nicht. Sind sie auch auf andere Weise nicht zugänglich, ist die Rechtsanwendung für die Normunterworfenen nicht vorhersehbar. Diese wären zudem zur Inanspruchnahme von Rechtsschutz „ins Blaue hinein“ gezwungen, was mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren ist (vgl. zum nationalen Gebot effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG BVerfG, Beschl. v. 09.07.2007 – 2 BvR 206/07 – NVwZ 2007, 1178). Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand, dass sich aus dem nationalen deutschen Recht keine generelle Pflicht ergibt, Verwaltungsvorschriften allgemein bekannt zu machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.04.1997 – 3 C 6.95 – BVerwGE 104, 220). Denn Prüfungsmaßstab ist im vorliegenden Zusammenhang allein das Unionsrecht, das insoweit einen „Rechtsrahmen“ erfordert, der den oben genannten Mindestanforderungen genügt.

Daran gemessen scheiden die „BRAS 120″ in der Fassung vom 01.03.2008 schon deshalb als „Rechtsrahmen“ aus, weil sie von der Beklagten als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS NfD) eingestuft wurden. Denn das hat zur Folge, dass die Beklagte die Angaben in den „BRAS 120″ als geheimhaltungsbedürfte Tatsachen und Erkenntnisse einordnet (vgl. § 4 Abs. 1 SÜG), von denen nur Personen Kenntnis erhalten dürfen und durften, die auf Grund ihrer Aufgabenerfüllung Kenntnis haben müssen, wobei diese Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und die Angaben grundsätzlich nicht an nichtöffentliche Stellen weitergeben dürfen (vgl. § 4 Abs. 1a, 3 und 4 SÜG). Diese Einschränkungen hat die Beklagte auch in der Praxis umgesetzt. Die „BRAS 120″ waren 2013 – und sind weiterhin – nicht veröffentlicht. Die Beklagte hat auch im vorliegenden Einzelfall den Kläger zunächst nicht von deren Existenz in Kenntnis gesetzt, selbst in der erstinstanzlichen Klageerwiderung noch nichts dazu vorgetragen und erst im Berufungsverfahren Auszüge daraus mit dem Vermerk „NfD“ vorgelegt. Auch außergerichtliche Ersuchen, den Text der „BRAS 120″ für rechtswissenschaftliche Zwecke zur Verfügung zu stellen, hat das Bundesministerium des Innern (BMI) noch 2017 abgelehnt (vgl. Michl, a.a.O., S. 57, dort auch zu dem unter dem Eindruck eines von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren ergänzend verfassten und veröffentlichten – 2013 aber noch nicht existenten – Erlass des BMI zur Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG vom 07.03.2016, GMBI. 2016, S. 203).

(bb) Unabhängig davon waren die „BRAS 120″ auch ihrem Inhalt nach nicht dazu geeignet, den unionsrechtlich geforderten hinreichend genauen und detaillierten Rechtsrahmen zur Lenkung der Intensität, Häufigkeit und Selektivität der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG ermöglichten Kontrollen zu gewährleisten.

Die „BRAS 120″ enthielten in der 2013 geltenden Fassung, wegen deren Einzelheiten auf die Anlage B 1 (BI. 955-971 d. VGH-Akte) verwiesen wird, im Abschnitt „Best Grepo“ unter der Überschrift „Der Einsatz der Bundespolizei im Binnengrenzraum“ u.a. folgende Hinweise (Hervorh. im Original):

1 Die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 BPoIG
Nach Inkraftsetzung [des Schengener Grenzkodex] darf die Bundespolizei gem. Art. 20 des Schengener Grenzkodex an den gemeinsamen Grenzen der Schengener Vertragsparteien (Binnengrenze) keine Verdachts- und ereignisunabhängigen Grenzkontrollen mehr durchführen. Jede Person kann – ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit – die Binnengrenze an jeder Stelle ungehindert und ohne Formalitäten überschreiten. § 2 Abs. 2 Nr. 2 BPoIG tritt hinter die Regelungen des Schengener Grenzkodex zurück. Dies gilt auch für Personenkontrollen im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt, wenn diese im Rahmen der polizeilichen Kontrollen des grenzüberschreitenden Verkehrs gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 des BPoIG räumlich abgesetzt von der Grenzlinie Im Grenzgebiet (30 Kilometer) erfolgen. Derartige Ersatzgrenzkontrollen stehen ebenso nicht in Einklang mit der der Regelungsabsieht des Schengener Grenzkodex und sind damit unzulässig. (…)

2 Die polizeiliche Überwachung der Grenze gern. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BPoIG
Die polizeiliche Überwachung der Grenze ist eine allgemeine grenzpolizeiliche Aufgabe der Gefahrenvorsorge.
(…) Nicht in Einklang mit dem Schengener Regelwerk stehen die im Rahmen der polizeilichen Überwachung der Binnengrenzen vorgenommenen Personenkontrollen, die unabhängig von jedem anderen Anlass ausschließlich aufgrund eines vorangegangenen Grenzübertritts erfolgen. Auch in derartigen Fällen würde es sich um eine Form von Verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen handeln, die als Ersatzgrenzkontrollen gegen Art. 20 des Schengener Grenzkodex verstoßen.

3 Handeln der Bundespolizei im Binnengrenzraum zur Abwehr konkreter Gefahren und zur Strafverfolgung
Gefahrenabwehrende (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 BPoIG) und strafverfolgende Tätigkeiten bzw. Maßnahmen (§12 BPoIG) der Bundespolizei im Binnengrenzraum (dies gilt an der Landgrenze wie im Binnenflugverkehr) bei konkretem Gefahrenverdacht oder im Falle der Strafverfolgung stehen nicht im Widerspruch zu Art. 20 des Schengener Grenzkodex. Sie sind vielmehr Anwendungsfälle von Art 21 des Schengener Grenzkodex.
– Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPoIG obliegt der Bundespolizei die Abwehr von Gefahren in seinem Zuständigkeitsbereich.

Dazu zählt u. a. die illegale Einfuhr von Rauschgift, da die erst dadurch gegebene Möglichkeit seiner illegalen Verbreitung im Inland eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland darstellt, wie sich auch aus der Bewertung des Rauschgiftkriminellen in §§ 53 Nr. 2 und 54 Nr. 3 AufenthG durch den Gesetzgeber ergibt, insofern für diesen gerade „wegen besonderer Gefährlichkeit“ eine spezielle Ausweisungsregelung besteht. Insofern stellt die illegale Einfuhr von Rauschgift sowohl einen strafbewehrten Verstoß gegen das Verbot des Verbringen einer Sache i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 4 BPoIG als auch eine Gefahr im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPoIG dar. (…)

4. Maßnahmen der Bundespolizei zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung im Binnengrenzraum bis zu einer Tiefe von 30km im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPoIG
Die Beseitigung der Verdachts- und ereignisunabhängigen Grenzkontrollen an den gemeinsamen Grenzen der Schengener Vertragsstaaten verbietet Kontrollen, die lediglich aufgrund oder anlässlich eines Übertritts der Binnengrenze vorgenommen werden sowie damit zusammenhängende Formalitäten. Die Ausübung allgemein polizeilicher Befugnisse der zuständigen Behörden bleibt unberührt. Daher hat die Bundespolizei an den Binnengrenzen auch nach Inkraftsetzung des Schengener Grenzkodexes eine – wenn auch deutlich reduzierte – Befugnis zur Bekämpfung von illegalen Einreisen und Schleusungen. Sie darf auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 2 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst c BPoIG Kontrollen an den Binnengrenzen sowie im 30 km-Grenzgebiet im Einzel- bzw. Ausnahmefall durchführen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine illegale Einreise oder eine Schleusung bestehen.
Anhaltspunkte für einen derartigen Verdacht sind gegeben, wenn – bezogen auf einen in Betracht kommenden Binnengrenzabschnitt –
– durch konkrete Tatsachen belegte Anhaltspunkte für unerlaubte Einreisen oder Schleusungen vorliegen (Fußnote: Zum Beispiel Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte oder bevorstehende illegale Einreisen bzw. Schleusungen.)
und
– die im Einzelfall zu kontrollierende Person aufgrund ihres äußeren Anscheins
oder aufgrund sonstiger verdachtsbegründender Erkenntnisse unerlaubt eingereist sein
oder anderen bei der illegalen Einreise Unterstützung geleistet haben kann.
Liegen diese Voraussetzungen vor, ist ein Grenzbezug nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst c BPoIG gegeben.
Dabei erfolgt die Kontrolle in der Weise, dass Personen, die in die genannten Kategorien fallen könnten, angehalten und hinsichtlich ihrer Identität und ihres ausländerrechtlichen Status überprüft werden dürfen. (…)“

Diese Erläuterungen aus den „BRAS 120″ gewährleisteten keine unionsrechtlich ausreichende Lenkung der „Intensität, Häufigkeit und Selektivität der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG ermöglichten Kontrollen“.

Der Rechtsrahmen zur „Konkretisierung und Einschränkung“ von grenzbezogenen verdachtsunabhängigen Kontrollen muss, wie gezeigt, „hinreichend genau und detailliert“ sein, damit sowohl die Notwendigkeit der Kontrollen als auch die konkret gestatteten Kontrollmaßnahmen selbst Kontrollen unterzogen werden können (EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40; Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 76). Bereits daran fehlt es hier. Denn die zitierten Erläuterungen aus den „BRAS 120″ sind in einer Weise formuliert, die nicht hinreichend deutlich erkennen lassen, welche Bedeutung ihnen für die Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG genau zukommen soll. § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG selbst findet in den zitierten Auszügen der „BRAS 120″ keine Erwähnung. Der einzige Tatbestand aus § 23 BPoIG, der dort genannt wird, ist „§ 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BPoIG“. Eine solche Vorschrift gab es im November 2013 nicht mehr. Gemeint war wohl § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BPoIG in der Fassung vom 19.10.1994 (im Folgenden: BPoIG 1994), die allerdings bereits mit Ablauf des 31.08.1998 außer Kraft getreten war. Eine Verwaltungsvorschrift, die sich auf außer Kraft getretenes Recht bezieht, ist jedoch nicht „hinreichend genau“ und auch in der Sache nicht geeignet, eine effektive Steuerung des polizeilichen Verhaltens zu bewirken.

Das genannte Defizit kann auch nicht als unerheblicher Redaktionsfehler abgetan werden. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BPoIG 1994 gestattete die Identitätsfeststellung „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern“. Demgegenüber gestattet § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG in der seit dem 01.07.2005 geltenden und daher auch im November 2013 maßgeblichen Fassung Identitätsfeststellungen „im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 (BPolG)“. Der Tatbestand der neuen Fassung ist also weiter gefasst als derjenige der alten Fassung (näher zur Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesänderung Gnüchtel, a.a.O., S. 980 f.). Diese Gesetzesänderung haben die „BRAS 120″ in ihrer 2013 geltenden Fassung nicht nachvollzogen. Es ist daher nicht hinreichend klar, welche Vorgaben genau der Erlassgeber der „BRAS 120″ für welche Tatbestandsvariante des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG machen wollte. Ein „Rechtsrahmen“ für die zweite, 2005 aufgenommene Tatbestandsvariante (Identitätsfeststellung „zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BPolG“) fehlt in den „BRAS 120″ jedenfalls zur Gänze.

Dieses Regelungsdefizit kann auch nicht durch die von der Beklagten in Betracht gezogene „ergänzende Auslegung“ der „BRAS 120″ ausgeglichen werden. Dem steht bereits entgegen, dass keine Maßstäbe niedergelegt oder sonst hinreichend deutlich erkennbar sind, anhand derer eine solche Auslegung der „BRAS 120″ vorgenommen werden könnte. Unabhängig davon würde eine gleichsam „ungeschriebene Verwaltungsvorschrift“, die sich jeder einzelne Beamte allenfalls durch eine „fortschreibende Auslegung“ erschließen könnte, den Anforderungen an einen „hinreichend genauen“ und für effektive Steuerung des polizeilichen Verhaltens geeigneten „Rechtsrahmen“ nicht genügen.

Die „BRAS 120″ genügen den unionsrechtlichen Vorgaben zudem auch deshalb inhaltlich nicht, weil das Unionsrecht einen Rechtsrahmen verlangt, der seinem Inhalt nach eine Lenkung „der Intensität, der Häufigkeit und der Selektivität“ der Kontrollen gewährleistet (vgl. EuGH, Urt. v. 21.06.2017, a.a.O., Rn. 59). Auch daran fehlt es. Konkrete Vorgaben für die Durchführung von Identitätsfeststellungen enthalten die „BRAS 120″ allenfalls in der zitierten Nummer 4, die sich – bei wohlwollender Auslegung – auf die „Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise“ beziehen (Alt. 1 des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG). Selbst diese Vorgaben beziehen sich aber nur auf die Anforderungen an eine Kontrolle im Einzelfall. Sie sind, da sie – anders als etwa die vom EuGH gebilligten niederländischen Regelungen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 14 ff., 80) – keine Beziehung zu der Gesamtheit aller Kontrollen enthalten und auch keine Beschränkung beispielsweise auf Stichproben vorsehen, nicht geeignet, die „Häufigkeit“ der Kontrollen im Grenzgebiet insgesamt effektiv zu beschränken (im Ergebnis ebenso Michl, a.a.O., S. 58 zu dem Erlass des BMI vom 07.03.2016). Für die zweite Alternative des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG („Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BPolG“) fehlt es, wie gezeigt, noch weitergehend an jeglichen präzierenden und beschränkenden Vorgaben.

(c) Ein den Vorgaben des EuGH genügender „Rechtsrahmen“ ergab sich im November 2013 schließlich auch nicht aus dem von der Beklagten hervorgehobenen Umstand, dass sie § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG in der Verwaltungspraxis – schon wegen der Zahl der zur Verfügung stehenden Beamten – nicht flächendeckend, sondern nur für stichprobenartige Kontrollen anwende. Eine – ohnehin jederzeit änderbare – Verwaltungspraxis stellt weder der Form noch dem Inhalt nach einen „Rechtsrahmen“ im oben genannten Sinne dar und wäre erst recht nicht dazu geeignet, die vom Unionsrecht geforderten – ihrerseits kontrollierbaren – „Konkretisierungen und Einschränkungen“ von grenzbezogenen verdachtsunabhängigen Kontrollen zu gewährleisten (vgl. Groh, NVwZ 2016, 1678 <1682>; Michl, a.aO., S. 55 ff.; insoweit selbst die Verwaltungsvorschriften in Betracht ziehenden Stimmen aus dem Schrifttum, die zumindest „Rechtsvorschriften des positiven Rechts“ verlangen, vgl. Graf Vitzthum, a.a.O., S. 241; Kempfler, a.a.O., S. 11).

cc) Fehlte es nach alledem jedenfalls im November 2013 an dem unionsrechtlich gebotenen Rechtsrahmen zur Konkretisierung und Einschränkung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPoIG, war diese Norm im damaligen Zeitpunkt unanwendbar (vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – 6/64 – Sig. 10, 1251; BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06 – NJW 2010, 3422; BVerwG, Urt. v. 07.07.2011 – 10 C 26.10 – BVerwGE 140, 114; zum Anwendungsvorrang im Polizeirecht auch Lindner, JuS 2005, 302 <303>). Die zu Lasten des Klägers durchgeführte Identitätsfeststellung war daher mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig.

2. Unabhängig davon wäre die Identitätsfeststellung auch gemessen am nationalen Recht – seine Anwendbarkeit unterstellt – jedenfalls materiell rechtswidrig. Denn sie wurde unter Zugrundelegung der „BRAS 120″, die aus Sicht der Beklagten als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift fungieren sollte, ermessensfehlerhaft durchgeführt.

§ 23 Abs. 1 BPoIG räumt der Beklagten Ermessen ein („kann“). Nach ihrem Vortrag sollten die „BRAS 120″ dieses Ermessen steuern. Nummer 4 des oben zitierten Abschnitts der „BRAS 120″ nimmt bei wohlwollender Auslegung, wie gezeigt, auf die erste Alternative des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG Bezug (Identitätsfeststellung zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet, im Sprachgebrauch von Nummer 4 der „BRAS 120″ „illegale Einreise oder Schleusung“). Nach den diesbezüglichen Erläuterungen der „BRAS 120″ soll eine Identitätsfeststellung erfolgen, wenn Anhaltspunkte für einen derartigen Verdacht sind gegeben sind, was der Fall sein soll, wenn
 

„durch konkrete Tatsachen belegte Anhaltspunkte für unerlaubte Einreisen oder Schleusungen vorliegen (Fußnote: Zum Beispiel Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte oder bevorstehende illegale Einreisen bzw. Schleusungen.)
und
– die im Einzelfall zu kontrollierende Person aufgrund ihres äußeren Anscheins
oder aufgrund sonstiger verdachtsbegründender Erkenntnisse unerlaubt eingereist sein
oder anderen bei der illegalen Einreise Unterstützung geleistet haben kann.“

Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt. Dass – im Sinne der ersten der beiden kumulativen Voraussetzung Anhaltspunkte für unerlaubte Einreisen unter Nutzung von Zügen im Bereich der Bundespolizeiinspektion Offenburg bestanden, hat die Beklagte zwar mit dem auch für den November 2013 ergiebigen „Lagebild“ dargelegt (vgl. a.a.O., S. 10 f. = BI. 163 f. d. VGH-Akte). Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger – im Sinne der zweiten Voraussetzung – aufgrund seines „äußeren Anscheins“ oder „sonstiger verdachtsbegründender Erkenntnisse“ unerlaubt eingereist sein oder gar andere bei einer illegalen Einreise unterstützt haben könnte, hat die Beklagte hingegen nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Bei der am 19.11.2013 durchgeführten Kontrolle selbst haben die Beamten dem Kläger keine dahingehenden Anhaltspunkte benannt. In der erstinstanzlichen Klageerwiderung vom 22.01.2014 (BI. 21 der VG-Akte) und in der Berufungsbegründung vom 11.02.2016 (BI. 41 der VGH-Akte) erläuterte die Beklagte, der Kläger sei vom Polizeikommissar H. mit den Worten angesprochen worden „Guten Abend, die Bundespolizei aus Offenburg, Personenkontrolle“; der Kläger habe einen Kopfhörer getragen und die Augen geschlossen gehabt; da er nicht reagiert habe, sei er erneut angesprochen worden; er habe erst auf diese zweite Ansprache hin seine Augen geöffnet, sich weggedreht und die Augen wieder geschlossen. Mit dem Hinweis auf die geschlossenen Augen des Klägers und das Tragen eines Kopfhörers sind keine Anhaltspunkte für eine unerlaubte Einreise dargelegt. Ob sich solche Anhaltspunkte aus der Reaktion des Klägers auf die Polizeibeamten – nicht zu reagieren, erst beim zweiten Mal die Augen zu öffnen und sich wegzudrehen – ergeben, kann bereits deswegen offen bleiben, da diese Reaktion für den Entschluss der Polizeibeamten, den Kläger zu kontrollieren, nicht maßgeblich war. Ihr Auswahlermessen, den Kläger zu kontrollieren, übten sie nach dem Beklagtenvorbringen bereits zuvor anhand der Kriterien „geschlossene Augen“ und „Tragen eines Kopfhörers“ aus. Wie der Fall zeigt, kann eine Reaktion wie die des Klägers zudem bloßer Ausdruck des Unwillens über eine Kontrolle sein und muss nicht auf unerlaubte Einreise hindeuten.

Die Beklagte kann dem auch nicht mit Erfolg ihren zuletzt sinngemäß erhobenen Einwand entgegenhalten, die zweite der beiden kumulativen Voraussetzungen erfordere nur, dass die im Einzelfall zu kontrollierende Person aufgrund ihres äußeren Anscheins unerlaubt eingereist sein „könne“, wodurch zwar beispielsweise Angestellte einer Bäckerei in einem Bahnhof als Adressaten einer Personenkontrolle ausgeschlossen seien, womit aber grundsätzlich jeder Reisende dafür in Betracht komme. Der Senat vermag dieser von der Beklagten zuletzt angebotenen Auslegung der oben zitierten Nummer 4 der „BRAS 120″ schon in der Sache nicht zu folgen. Denn damit würde der Wortlaut der Vorschrift, der „verdachtsbegründende“ Erkenntnisse verlangt, überdehnt. Die Auslegung liefe zudem der von der „BRAS 120″ ansatzweise bezweckten Beschränkung der Kontrollen zuwider. Unabhängig davon wäre die Klage bei Zugrundelegung der von der Beklagten zuletzt angebotenen Auslegung der Nr. 4 – gemessen an dem oben (unter 1.) Gesagten – erst recht begründet. Denn bei dieser weiten Auslegung, nach der praktisch jeder Reisende in einem Zug im Grenzgebiet als Adressat einer Maßnahme der Schleierfahndung in Betracht kommt, böten die „BRAS 120″ erst recht keinen Rahmen, der die unionsrechtlich geforderte Lenkung der Intensität, Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen gewährleistet. Hinzu kommt, dass die „BRAS 120″ bei diesem weiten Begriffsverständnis auch dem oben genannten unionsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genügen würden.

Aus den vorstehenden Bedenken folgt nicht, dass der nationale Gesetzgeber die vom Unionsrecht geforderten Beschränkungen zwingend durch Vorschriften normieren muss, die Kontrollen vom Vorliegen konkreter Gefahren oder auch sonstiger verdachtsbegründender Erkenntnisse abhängig machen. Dieser in den „BRAS 120″ – wenn auch defizitär – verfolgte Ansatz ist ein möglicher, aber nicht der einzige Weg, die erforderlichen Einschränkungen vorzunehmen. Weder das Unionsrecht noch das nationale Recht schließen die Durchführung von verdachtsunabhängigen Kontrollen grundsätzlich aus. Wenn solche Kontrollen im nationalen Recht ermöglicht werden sollen, müssen aber auf andere Weise geeignete Einschränkungen im nationalen Rechtsrahmen verankert werden, die sich beispielsweise aus hinreichend konkreten Vorgaben zur Quantität der (verdachtsunabhängigen) Kontrollen ergeben können (vgl. zu dem dahingehenden „Stichprobenansatz“ im niederländischen Recht EuGH, Urt. v. 19.07.2012, a.a.O., Rn. 14 ff.).

II. Der im Anschluss an die Identitätsfeststellung durchgeführte Datenabgleich war ebenfalls rechtswidrig.

Als Rechtsgrundlage für diese Maßnahme kommt einzig der auch von der Beklagten ins Feld geführte § 34 Abs. 1 Satz 2 BPolG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann die Bundespolizei im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung erlangte personenbezogene Daten mit dem Fahndungsbestand abgleichen (sog.
Fahndungsabgleich). Der Betroffene kann für die Dauer des Abgleichs angehalten werden (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BPolG). Die Vorschrift setzt voraus, dass der Bundespolizei die personenbezogenen Daten, die abgeglichen werden sollen, auf rechtmäßige Art und Weise bekannt geworden sind (Arzt, in: Schenke/Graulich/Ruthig, a.a.O., § 34 Rn. 7; Drewes/Malmberg/Walter, a.a.O., § 34 Rn. 12 m.w.N.). Daran fehlt es hier aus den oben genannten unions- und bundesrechtlichen Gründen.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

D. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Die Fragen, ob § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im November 2013 mit Unionsrecht unvereinbar und deshalb unanwendbar war, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, da die „BRAS 120″ in der damals geltenden Fassung nicht mehr anwendbar sind und durch andere innerdienstliche Vorgaben ersetzt wurden. Die genannte Frage ist zudem nicht entscheidungserheblich, da die fragliche Maßnahme selbst bei Anwendung des damals geltenden nationalen Rechts aus den oben genannten Gründen rechtswidrig war.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.