Die Polizeidirektion (PD) Göttingen hat in den diversen Klageverfahren nun die Rechtswidrigkeit der massenhaften Datenerhebung über Linke in Göttingen anerkannt. In einer Erklärung gegenüber dem Verwaltungsgericht Göttingen teilte die PD mit, dass die Datensammlung formell rechtswidrig gewesen sei, weil es keine Dateibeschreibung für das Ordnersystem namens „LIMO“ gegeben habe. 11 der insgesamt 23 Klageverfahren aus diesem Komplex enden damit bereits jetzt mit einem Erfolg der Klägerinnen und Kläger (Az.: 1 A 170/17 u.a.).
Das 4. Fachkommissariat (Staatsschutz) der Polizeiinspektion (PI) Göttingen verfügte mindestens bis ins Jahr 2016 über fünf ungesetzlich angelegte Aktenordner mit personenbezogenen Daten über Linke in Göttingen. In der verdeckt angelegten Datensammlung waren (oder sind) Namen, Adressen, körperliche Merkmale, Religionszugehörigkeit, Arbeitsplätze, Informationen über SocialMedia-Profile, Gruppenzugehörigkeiten und Fotos von hunderten Betroffenen enthalten. Ein Zusammenhang der Daten zu laufenden Ermittlungen gegen die Betroffenen oder bestimmten Ereignissen besteht nicht. Die Aktenordner sollen angeblich noch vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Datensammlung vernichtet worden sein. Von wem und wann genau teilt die Polizei nicht mit – ein Löschprotokoll besteht offensichtlich ebenfalls nicht.
„Wir hätten durch einen weiteren Verfahrensverlauf gerne mehr über die Hintergründe dieser rechtswidrigen und absurd großen Datensammlung erfahren. Das Prozessverhalten der Polizeidirektion war aber entgegen öffentlicher Zusagen der Polizeiführung nicht auf Aufklärung ausgelegt. Dem Gericht wurde bis zuletzt nicht mal eine Verwaltungsakte zur Einsicht übermittelt“ stellt Rechtsanwalt Sven Adam fest, der die Klägerinnen und Kläger anwaltlich vertritt.
Die weiteren und bislang nicht anerkannten 12 Klageverfahren (Az.: 1 A 173/17, 1 A 175/17 u.a.) betreffen zeitgleich bekannt gewordene zusätzliche Datenerhebungen durch verdeckte Aufklärung und das begründungslose Anbringen von Fotos politisch aktiver Personen aus Göttingen an einer Pinnwand in den Räumen des Staatsschutzes der PI Göttingen. „Die Polizei kann oder will bis heute auch in diesen Verfahren nicht mitteilen, warum die Daten der konkret Betroffenen überhaupt erhoben wurden. Eine Aktendokumentation soll hier ebenfalls nicht vorliegen“ ärgert sich Adam über die Vermeidungsstrategie der Polizeidirektion in den Verfahren und verweist auf Rechtsprechung, wonach der Gesetzesvollzug als selbstverständliche Aufgabe verwaltungsgemäßen Handelns nicht ohne eine Dokumentation der einzelnen Verwaltungsvorgänge denkbar ist (z.B. Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 28.12.2016, Az.: 6 K 332/16.WI; BVerfG, Urteil vom 06.06.1983, Az.: 2 BvR 244/83 und 2 BvR 310/83).
Indes wurde bekannt, dass Beamte des Staatsschutzes ohne richterliche Anordnung oder Anordnung der Behördenleitung Personen sogar beim Einkaufen oder auf dem Weg aus der Stadt nach Hause ohne dokumentierten Grund oder Anlass verfolgten. Bezüglich dieses Verhaltens sind daher nun zwei weitere Klagen vor dem VG Göttingen erhoben worden.
„In den noch anhängigen und neuen Klageverfahren besteht weiterhin die Chance zur Aufklärung des Verhaltens der Staatsschutzabteilung der PI Göttingen. Von uns wurde daher nun auch die Vernehmung diverser Polizeibeamter in einer mündlichen Verhandlung vor dem VG Göttingen beantragt“ so Adam abschließend.