URTEIL
In dem Rechtsstreit
xxx,
– Kläger –
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landkreis Göttingen, vertreten durch den Landrat,
Reinhäuser Landstraße 4, 37083 Göttingen
– Beklagter –
hat die 24. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim ohne mündliche Verhandlung am 24. April 2018 durch die Richterin am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:
1. Der Bescheid vom 05.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2016 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 23.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.11.2015, ersetzt durch den Bescheid vom 05.07.2016, abzuändern und dem Kläger im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2015 bis 31.12.2015 monatlich weitere 1,80 € sowie für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.01.2016 weitere 85,40 € zu gewähren.
2. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
TATBESTAND
Der Kläger begehrt im Rahmen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) die Gewährung höherer Bedarfe für Unterkunft für die Zeit vom 01.11.2015 bis 31.01.2016.
Der am xx.xx.19xx geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Seit Dezember 1993 bewohnt er eine ca. 78 qm große Wohnung in der xxx in Göttingen, für die er im streitigen Zeitraum eine monatliche Gesamtmiete von 494,93 € (413,99 € Grundmiete zzgl. 81,00 € Abschlag für Nebenkosten) zu leisten hatte. Hinzu kamen monatliche Heizkosten von 58,00 € bzw. von 65,00 € ab März 2016.
Bereits im Rahmen der erstmaligen Antragstellung im Mai 2014 wies der Beklagte den Kläger auf die Unangemessenheit seiner Aufwendungen für die Unterkunft hin und übernahm ab dem Dezember 2014 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten.
Mit Bescheid vom 23.10.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger hiernach SGB II-Leistungen für die Zeit vom 01.11.2015 bis 30.04.2016 zunächst vorläufig auf Grund der Erzielung von schwankendem Einkommen unter Berücksichtigung eines Bedarfes für Unterkunft in Höhe von monatlich 392,00 €. Mit Änderungsbescheid vom 16.11.2015 hob der Beklagte den Bescheid vom 23.10.2015 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.04.2016 bis 30.04.2016 vorläufig höhere SGB II-Leistungen auf Grund der Regelsatzanpassung.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.02.2016 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 23.10.2015 nach § 44 SGB X mit der Begründung, es seien höhere Unterkunftskosten zu gewähren.
Mit Bescheid vom 05.02.2016 lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 23.10.2015 ab mit der Begründung, die Unterkunftskosten seien bereits mit Beginn des Leistungsbezuges unangemessen gewesen.
Am 08.02.2016 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid für die Zeit vom 01.02.2016 bis 30.04.2016, welcher mit gesondertem Widerspruch angefochten wurde. Streitgegenständlich im hiesigen Verfahren ist hiernach lediglich der Leistungszeitraum 01.11.2015 bis 31.01.2016.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.02.2016 legte der Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 05.02.2016 hinsichtlich des Bewilligungszeitraums 01.11.2015 bis 31.01.2016 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei den Bedarfsberechnungen seien bereits die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 392,00 € entsprechend dem A&K-Gutachten übernommen worden. Eine darüberhinausgehende Übernahme sei nicht möglich.
Mit Bescheid vom 05.07.2016 setzte der Beklagte schließlich die Leistungen für die Zeit vom 01.11.2015 bis 30.04.2016 endgültig fest. Änderungen hinsichtlich der gewährten Unterkunftskosten ergaben sich hierbei nicht.
Am 11.07.2016 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben.
Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, das Gutachten der Firma Analyse & Konzepte entspreche im Ergebnis nicht den Anforderungen, welche das Bundessozialgericht (BSG) für grundsicherungsvalide Wohnungsmarkterhebungen zur Ermittlungen von angemessenen Wohnkosten nach § 22 Abs. 1 SGB II aufgestellt habe. So sei bereits kein zulässiger Vergleichsraum gebildet worden. Auch genügte die vorgenommene Datenerhebung zur Bestimmung der Mietpreise nicht den Anforderungen des BSG. So werde beispielsweise der Standard der Wohnungen nicht untersucht. Auch seien willkürlich Wohnungen aussortiert worden. Insgesamt fuße das Gutachten nicht auf einem schlüssigen Konzept. Schließlich dürfte das A&K-Gutachten für den hier streitgegenständlichen Zeitraum veraltet sein, dass die Daten des Gutachtens aus dem Jahr 2012 stammen. Soweit der Beklagte hierzu auf die Indexfortschreibung aus November 2014 verweise, handele es sich hierbei lediglich um eine rechnerische auf der Grundlage des als nicht schlüssig erachteten A&K-Gutachtens aus dem Jahr 2012. Es seien daher die Werte des § 12 WoGG unter Berücksichtigung eines 10 %-Aufschlages für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu Grunde zu legen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.10.2015 in Gestalt des Bescheides vom 05.02.2016 wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2016 zu verurteilen, ihm unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen monatlich in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf die Ausführungen der angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor:
Das Konzept des Beklagten genüge den Anforderungen des BSG und stelle ein schlüssiges Konzept im Sinne der ständigen Rechtsprechung des BSG dar. Es folge im Wesentlichen der Methodik, die auch für die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels im Sinne von § 558 d BGB angewandt werde, passe diese aber in nachvollziehbarer Weise den Erfordernissen der Ermittlung von Obergrenzen für die Kosten der Unterkunft im Grundsicherungsrecht an. Die Vergleichsraumbildung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Auch entspreche die dem Konzept von Analyse & Konzepte zu Grunde liegende Erhebung wissenschaftlichen Maßstäben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Mit wechselseitigen Schriftsätzen vom 16.10.2017 haben die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Das Gericht konnte vorliegend durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 16.10.2017 ihr Einverständnis hierzu erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 05.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 23.10.2015 nach § 44 SGB X abgelehnt. Der Bescheid vom 23.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.11.2015, ersetzt durch den Bescheid vom 05.07.2016, ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 1,80 € für die Zeit vom 01.11.2015 bis 31.12.2015 sowie weiterer 85,40 € für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.01.2016.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 SGB X).
Streitgegenständlich ist vorliegend allein der Zeitraum vom 01.11.2015 bis 31.01.2016.
Der Kläger hat zudem den Klagegegenstand in zulässiger Weise auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 — B 7b AS 8/06 R — Rn. 18 ff. nach Juris). Höhere Heizkosten werden von dem Kläger mit der Klage nicht verfolgt. Vielmehr beschränkt sich das Klagebegehren auf die Gewährung höherer Unterkunftskosten.
Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Neben der Regelleistung hat er damit auch Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 SGB II).
1. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Der Beklagte war nicht bereits nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II gehalten, ohne dass es auf die Frage der Angemessenheit ankommt, die tatsächlichen Kosten für Unterkunft zu übernehmen. Danach sind, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, diese als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Der Beklagte hat den Kläger bereits im Mai 2014 über die nach seiner Auffassung unangemessenen Kosten für Unterkunft sowie seine Höchstgrenzen für Unterkunft und Heizung informiert (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011, Az. B 4 AS 119/10 R).
Der Beklagte verfügt für den Vergleichsraum Göttingen zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht über ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft. Damit kann dahingestellt bleiben, ob das Gutachten der Firma Analyse & Konzepte im streitgegenständlichen Zeitraum bereits wegen veralteter Datenlage nicht anzuwenden ist oder die Daten im November 2014 wirksam fortgeschrieben wurden.
Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, dass der angemessene Höchstbetrag für die Kaltmiete und der kalten Betriebs- und Nebenkosten (sog. Bruttokaltmiete) im Fall des Klägers 392,00 € betragen soll. Das von dem Beklagten eingeholte Gutachten der Firma Analyse & Konzepte entspricht nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des BSG.
Die Angemessenheit von Kosten für Unterkunft ist unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren. Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln. Dann ist festzustellen, ob die angemietete Wohnung dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard entspricht, der sich in der Wohnungsmiete niederschlägt. Vergleichsmaßstab sind insoweit die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen, wobei die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen sind. Der Begriff der „Angemessenheit“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 — B 14 AS 65/09 R).
Richtigerweise hat der Beklagte für den Kläger eine angemessene Wohnungsgröße von 50 qm ermittelt. Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße ist auf die Werte zurückzugreifen, welche die Länder auf Grund des § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) festgesetzt haben (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 18/06 R). Gem. Ziff. 7.1 der Richtlinie über die soziale Wohnraumförderung in Niedersachsen (Wohnraumförderungsbestimmungen – WFB -) gilt bei Mietwohnungen für Alleinstehende eine Wohnfläche bis 50 qm als angemessen. Die von dem Kläger bewohnte Wohnung ist mit einer Wohnfläche von ca. 78 qm unangemessen groß.
Nach der Rechtsprechung des BSG muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze auf der Grundlage eines überprüfbaren schlüssigen Konzepts erfolgen, das die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, B 14/7b AS 44/06 R sowie Urteil vom 10.9.2013, B 4 AS 77/12 R). Die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein „angemessenes Maß“ muss hinreichend nachvollziehbar sein. Das BSG definiert ein schlüssiges Konzept als „ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall“ (BSG, Urteil vom 22. September 2009, Az. B 4 AS 18/09 R, Rz. 19). Dies deckt sich mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen, dass zur Festsetzung des soziokulturellen Existenzminimums, zu dem eine angemessene Unterkunft gehört, eine realitätsgerechte Ermittlung des Bedarfs in einen transparenten und sachgerechten Verfahren erforderlich ist (BVerfG 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a.)
Das BSG hat zu den Mindestvoraussetzungen eines schlüssigen Konzeptes folgende Vorgaben gemacht (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R):
- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),
- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße,
- Angaben über den Beobachtungszeitraum,
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),
- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
- Validität der Datenerhebung,
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Beklagte über kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft verfügt. Damit ist auf die Werte der Wohngeldtabelle in der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung (§ 12 Wohngeldgesetz – WoGG -) zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent abzustellen.
a.) Zunächst ist im Rahmen des schlüssigen Konzeptes der örtliche Vergleichsraum zu bilden. Es ist notwendig, ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden, wobei es im ländlichen Raum geboten sein kann, größere Gebiete als Vergleichsmaßstab zusammenzufassen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 87/12 R).
Der Beklagte hat zur Überzeugung der Kammer zu Unrecht einen gemeinsamen Vergleichsraum der Stadt Göttingen, der Gemeinde Rosdorf und des Fleckens Bovenden gebildet, so dass das A&K-Gutachten bereits aus diesem Grunde nicht schlüssig ist.
Zur Begründung nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Ausführungen der 26. Kammer in deren Urteil vom 05.04.2017 – Az. S 26 AS 1757/14 -, die sich das Gericht zu Eigen macht. Hierin wird ausgeführt:
„Die Kammer stützt sich bei dieser Einschätzung auf das zum F+B-Gutachten ergangene Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 29. April 2014 – L 7 AS 330/13 – und auf dessen Beschluss vom 12. August 2014 – L 11 AS 647/14 B ER -. Im erstgenannten – nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftigen Urteil – führt das LSG dezidiert aus, dass das Stadtgebiet Göttingen einen eigenständigen von den angrenzenden Gemeinden zu unterscheidenden Charakter schon durch eine die Stadt prägende universitäre Struktur hat. Allein der Umstand, dass angrenzende Gemeinden über Busanbindungen zu erreichen sind, rechtfertigt daher nicht die Annahme, einen weiteren Vergleichsraum zu ziehen. Die Kammer schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an und verweist darauf, dass das F+B-Gutachten selbst allein die Stadt Göttingen als Vergleichsraum zugrunde gelegt hat. Es ist – anders als der Beklagte meint – nicht ersichtlich, dass diese Entscheidung rechtsfehlerhaft war, zumal ab Geltung des A&K-Gutachtens keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die einen anderen Zuschnitt des Vergleichsraums rechtfertigt. Dies wird vom Beklagten im Übrigen auch nicht behauptet.
Die Kammer folgt darüber hinaus den Ausführungen im Beschluss des LSG vom 12. August 2014, welcher sich ausführlich mit dem örtlichen Vergleichsraum Göttin-gen/Rosdorf/Bovenden befasst und ein solchen mit überzeugenden Argumenten verneint. Demnach liegt kein homogener Lebens- und Wohnbereich vor. Denn allein geringe bzw. zumutbare Pendelzeiten zwischen verschiedenen Vergleichsräumen führen nicht dazu, dass ein insgesamt homogener Lebensbereich entsteht. Damit greift das Argument der engen verkehrsstrukturellen Vernetzung über die A7 und diverse, auf Göttingen ausgerichtete Buslinien nicht zur Begründung eines einheitlichen Vergleichsraums.“
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Die Kammer stimmt dem Beklagten grundsätzlich insoweit zu, als er darauf verweist, dass die Grundzentren der Gemeinde Rosdorf und des Fleckens Göttingen mit dem Oberzentrum der Stadt Göttingen räumlich eng verwachsen sind und ihre Infrastruktur sowie die verkehrstechnische Anbindung durchaus vergleichbar sind. Dies gilt zur Überzeugung der Kammer jedoch gerade nicht für die weiteren Ortschaften der beiden Gemeinden. Diese sind teilweise sehr ländlich geprägt und insbesondere die Infrastruktur mit Zugang zu verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten und Schulen weicht deutlich von denen der universitär geprägten Stadt Göttingen ab. Auch die verkehrstechnische Anbindung ist zwar gegeben, weist jedoch etwa im Hinblick auf die bestehenden Busverbindungen (Anzahl und Häufigkeit der Verbindungen) deutliche Unterschiede auf. Die Gemeinde Rosdorf und der Flecken Bovenden sind jedoch jeweils in ihrer Gesamtheit zu betrachten und nicht allein oder überwiegend beschränkt auf die jeweiligen Grundzentren. Damit kann ein homogener Lebens- und Wohnraum mit der Stadt Göttingen nach Auffassung der Kammer jedoch gerade nicht angenommen werden. Soweit der Beklagte hierzu anführt, die ländlicheren Ortschaften der Gemeinde Rosdorf und des Fleckens Bovenden würden nur zu einem äußerst geringen Anteil der SGB II-/SGB XI I-Leistungsempfänger tatsächlich bewohnt werden, so dass hier etwaige Unstimmigkeiten im zweiten Schritt der Angemessenheitsprüfung, also im Rahmen der konkreten Angemessenheit im Einzelfall, gelöst werden könnten, kann dieses Argument die Kammer nicht überzeugen. Die Bildung eines Vergleichsraumes ist nach der Rechtsprechung des BSG allein danach zu bestimmen, ob die auf Grund der räumlichen Nähe zueinander, der Infrastruktur und insbesondere der verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt homogenen Lebens- und Wohnbereich besteht; auf die Frage, welcher Personenkreis dort überwiegend wohnt, kommt es gerade nicht an. Soweit also ein Teil der Wohnbebauung sich also deutlich von den anderen unterscheidet, so dass ein homogener Lebensraum nicht mehr angenommen werden kann, kann dieser Umstand nicht etwa im Sinne einer Gegenprobe dadurch ausgeglichen werden, dass dort keine oder nur sehr wenige Leistungsempfänger wohnen. Denn durch die Annahme eines einheitlichen Vergleichsraums fließen deren Unterkunftskosten in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze mit ein und beeinflussen diese direkt.
b.) Die Ermittlung des nach Auffassung des Beklagten angemessenen Quadratmeterzinses für den angemessenen Wohnungsstandard für die Wohnungsgrößenklasse bis 50 qm gründet nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG.
Auch hier verweist das Gericht zunächst auf die Ausführungen des Urteils der 26. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim vom 05.04.2017:
„Das Konzept des Beklagten erfüllt in wesentlichen Punkten nicht die Mindestanforderungen an ein schlüssiges Konzept. Der aufgrund der Untersuchung des Angebots und Bestandsmieten vorgenommenen Mietdatenerhebung liegt keine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung zugrunde, die Repräsentativität des Umfangs und der Kappungsgrenze sind nicht nachzuvollziehen, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, dass tatsächlich die zutreffenden Kosten für Wohnraum einfachen Standards abgebildet werden.
Einen evidenten Mangel der Erhebung stellt dar, dass eine Bewertung des Standards der jeweiligen Wohnungen (sowohl im Bestand als auch im Angebot) mit gehoben, mittel und einfach nicht vorgenommen worden ist bzw. hierzu keine Daten gesammelt und zugeordnet worden sind. Es ist zur Überzeugung der Kammer nicht ausreichend, den einfachen Standard indirekt allein über den qm-Preis zu ermitteln (vgl. Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 03. April 2014 — L 7 AS 786/11 — und vom 29. April 2014 — L 7 AS 768/11 -). Nach dem Urteil des BSG vom 20. August 2009 — B 14 AS 41/18 R – (Rd. 17) müssen alle Faktoren, die den Mietpreis bestimmen, in die Auswertung eingeflossen sein, wozu in der Regel zumindest der Standard, die Größe und die Ausstattung der Wohnung zählen.
Denn Wohnungen in sogenannten begehrten Wohngegenden (z.B. Göttingen Stadtmitte) können trotz eines geringen Standards deutlich teurer sein als gut ausgestattete Wohnungen in weniger nachgefragten Gebieten (z.B. ländlicher Gemeindeteil von Bovenden). Nur wenn sichergestellt ist, dass die erhobenen Daten den Wohnungsmarkt dergestalt abbilden, dass repräsentativ Wohnungen aller Standards vorhanden sind, kann von der Erfassung des gesamten Wohnungsmarkts gesprochen werden. Bis zu welcher Obergrenze Unterkünfte als angemessen im Sinne des § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind, hängt nicht vom Mietpreis, sondern wesentlich von der Art der Ausstattung, dem Charakter und der Lage der Unterkunft ab.
Die fehlende Differenzierung bei den Wohnungsstandards führt zur Überzeugung der Kammer zu nicht korrigierbaren Folgeproblemen bei der Festlegung der Kappungsgrenze. Denn eine zutreffende Abbildung der Wohnungen einfachen Standards setzt voraus, dass der gesamte Wohnungsmarkt erfasst wurde. Weitere Prämisse ist eine gleichmäßige Durchmischung der Datensätze mit Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards. Dieser Punkt kann vorliegend nicht geklärt werden, weil der Beklagte den Standard und die Ausstattung der untersuchten Wohnungen nicht durchgehend und konsequent nicht überprüft hat. Ein wesentlicher preisbildender Standard ist somit im A&K-Gutachten zu Unrecht nicht untersucht worden.
Die Kammer weist in diesem Kontext darauf hin, dass das schlüssige Konzept nach der Rechtsprechung des BSG nicht durch eine Gegenprobe ersetzt werden kann. Allein der Umstand, dass es möglich war, Wohnraum zu den von dem Beklagten als angemessen erachteten Wert anzumieten, bedeutet nicht, dass der Wert zutreffend ermittelt worden ist (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2009 — B 4 AS 50/09 R -).“
Der Beklagte führt hiergegen regelmäßig an, es sei tatsächlich unzutreffend, dass der einfache Standard indirekt über Mietpreis definiert werde, da in dem A&K-Gutachten dem Wohnungsstandard (abgesehen von der Herausnahme von Wohnungen mit Substandard) für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze überhaupt keine Bedeutung zukomme, sondern die Grenze allein nach der Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt im Wege eines iterativen Prozesses bestimmt wurde. Hierzu ist Folgendes auszuführen: Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass das BSG in seiner Rechtsprechung den Leistungsträgern sog. Methodenfreiheit eingeräumt hat. Jedoch bedarf es nach der Rechtsprechung des BSG für das Vorliegen eines schlüssigen Konzeptes eben in jedem Fall einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung. Insoweit der Leistungsträger auf eine vorherige Definition des einfachen Standards verzichten möchte, ist jedenfalls eine vollständige Abbildung des gesamten Wohnungsmarktes erforderlich, indem die erhobenen Daten zu gleichen Teilen auf alle Segmente des einfachen, mittleren und gehobenen Standards enthalten. Dies kann vorliegend gerichtlich nicht geprüft werden, weil der Beklagten entsprechende Daten nicht erhoben hat.
Das Gericht trifft aufgrund des Zeitablaufs (der Endbericht stammt vom März 2013) und der Tatsache, dass der Standard der untersuchten Wohnungen nicht ermittelt wurde, keine weitergehende Ermittlungspflicht. Weder ein Gutachter noch das Gericht wären gehalten, nachträglich die 21.010, im Jahre 2012 herangezogenen Wohnungen auf ihre Ausstattung hin zu untersuchen. Notwendig zur Bestimmung eines schlüssigen Konzepts wäre eine vollkommene Neuermittlung von Daten, die Ausstattung und Standard der zugrundeliegenden Wohnung betreffen. Diese kann jedoch – angesichts der Anzahl von insgesamt 21.010 untersuchten Unterkünften – nicht im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. SG Hildesheim vom 05.04.2017, a.a.O.).
Sofern ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG nicht besteht und ist – wie im vorliegenden Fall – eine Ermittlung der angemessenen Kosten für Unterkunft aufgrund der vorhandenen Daten nicht möglich, sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft bis zur Höhe der durch einen Zuschlag von 10 Prozent erhöhten Tabellenwert nach § 12 WoGG zu übernehmen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2012 – B 4 AS 44/12 R – und 12.12.13 – B 4 AS 87/12 R -). Gemäß § 12 Abs. 1 WoGG beträgt für eine Person in der für die Stadt Göttingen einschlägigen Mietstufe IV der Höchstbetrag bis zum 31.12.2015 358,00 € bzw. ab 01.01.2016 434,00 €, der gemeinsam mit einem Sicherheitsaufschlag von 10 Prozent (35,80 € bzw. 43,40 €) einen Angemessenheitswert von 393,80 € bzw. 477,40 € ergibt.
Nachdem der Beklagte dem Kläger auf Grund des Konzeptes bereits Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 392,00 € zuerkannt hat, ergibt sich für den Kläger hiernach ein nachzuzahlender Betrag in Höhe von 1,80 € monatlich für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis 31.12.2015 sowie in Höhe von 85,40 € für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.01.2015, insgesamt folglich in Höhe von 89,00 € für den streitgegenständlichen Zeitraum.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes unter 750,00 € liegt. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.