Tacheles Rechtsprechungsticker KW 18/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.04.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – B 14 AS 14/17 R

Arbeitslosengeld II – Angemessenheit der Unterkunftskosten – Einpersonenhaushalt nach Ausscheiden des minderjährigen Kindes aus der Bedarfsgemeinschaft durch Bedarfsdeckung mit eigenem Einkommen

Ist für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung eines Elternteils, der mit (zumindest) einem minderjährigen Kind zusammenlebt, welches seinen Bedarf selbst decken kann, von dem Wert für Alleinlebende oder dem kopfteiligen Wert für eine Bedarfsgemeinschaft entsprechend der Anzahl der Haushaltsangehörigen auszugehen?

Orientierungssatz (Redakteur)
Eine Personenmehrheit ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nach den Maßstäben des SGB II nur dann relevant, wenn sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II bilden.

Leitsatz (Redakteur)
1. Für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung eines Elternteils, der mit (zumindest) einem minderjährigen Kind zusammenlebt, welches seinen Bedarf selbst decken kann, also mit dem Elternteil keine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II bildet, ist von dem Wert für Alleinlebende für eine Bedarfsgemeinschaft entsprechend der Anzahl der Haushaltsangehörigen auszugehen.

2. Bei mehreren Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, hat grundsätzlich eine Aufteilung der gesamten Aufwendungen nach Kopfteilen zu erfolgen (vgl BSG vom 14.2.2018 – B 14 AS 17/17 R).

3. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen ist im Rahmen der Produkttheorie hinsichtlich der angemessenen Wohnungsgröße von den Werten des sozialen Wohnungsbaus auszugehen. In diesem Rahmen richtet sich die angemessene Wohnungsgröße nicht nach der Zahl der Bewohner, sondern allein nach der Zahl der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, auch wenn alle Bewohner einer Familie angehören (BSG vom 18.2.2010 – B 14 AS 73/08 R).

4. Durchschlagende rechtliche Gründe für eine Ausnahme bei einer Alleinerziehenden, die mit ihrem minderjährigen Kind zusammenlebt, das seinen Bedarf mit eigenem Einkommen decken kann, also mit ihr keine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II bildet, liegen nicht vor.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Hinweis:
SG Kiel, (Beschl. v. 11.08.2016 – S 43 AS 185/16 ER) und Beschl. 30.11.2016 – S 39 AS 289/16 ER) – Eine Personenmehrheit ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nach den Maßstäben des SGB II nur dann relevant, wenn sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II bilden (vgl. BSG, Urt. v. 18.02.2010 – B 14 AS 73/08 R) durch ausreichendes Einkommen war ein Kind aus der elterlichen Bedarfsgemeinschaft rausgefallen (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Die im SGB II-Bezug verbleibende Mutter stellt nunmehr eine 1-Personen BG dar.

weiter Thomé Newsletter 16/2018 v. 29.04.2018, Punkt 3 und 38/2016 vom 09.12.2016, Punkt 2

1.2 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – B 4 AS 19/17 R

Zur Erforderlichkeit einer – gegebenenfalls auch langfristigen – ergänzenden angemessenen Lernförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Legasthenie.

Orientierungssatz (Redakteur)
Kind mit Rechtschreibschwäche steht Förderung zu. Jobcenter müssen Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche auch längerfristig eine Lernförderung bezahlen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Dass Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II ohne Rücksicht auf Kompetenzfragen mehr als nur Nachhilfe und nicht nur kurzzeitige Maßnahmen umfasst, folgt aus der Auslegung dieser Vorschrift im Lichte des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (- 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175), in dessen Umsetzung sie geschaffen wurde.

2. Zur Konkretisierung möglicher Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II bei LRS sind auch die ggf in Betracht kommenden Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und nach §§ 53 ff SGB XII in den Blick zu nehmen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.3 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – B 4 AS 29/17 R

Darf der Grundsicherungsträger seine Bewilligungsbescheide wegen verschwiegenem Vermögen vollständig zurücknehmen und die Erstattung sämtlicher bewilligter Leistungen verlangen, wenn das beim Leistungsempfänger im streitbefangenen Zeitraum vorhandene, zu verwertende Vermögen nicht den gesamten Bedarf in diesem Zeitraum hätte decken können und deshalb der zu erstattende Betrag das vorhandene Vermögen um ein Vielfaches übersteigt?

Leitsatz (Redakteur)
1. Im Falle eines verschwiegenen Vermögens besteht keine Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Leistungsaufhebung und Erstattung auf das fiktiv bei rechtmäßiger Anzeige maximal zu verbrauchende Vermögen.

2. Das Jobcenter kann aber auf Antrag einen Teil der Rückforderung erlassen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Hinweis:
Die Berücksichtigung eines „fiktiven Vermögensverbrauchs“ scheidet sowohl in Sachverhalten einer Antragsbewilligung als auch in Sachverhalten einer Aufhebungs- und Erstattungssituation aus, wie es das Sächsische Landessozialgericht klarstellend entschieden hat (Sächsisches LSG v. 18.05.2017 – L 3 AS 758/16). Die zugelassene und eingelegte Revision dagegen wurde zurückgenommen (vgl. BSG v. 28.08.2017 – B 14 AS 30/17 R).
(Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 9, Rn. 42.3)

1.4 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – B 14 AS 15/17 R

Vermögensberücksichtigung – Nichtangabe einer Lebensversicherung – Begrenzung der Rückforderung auf den Betrag, der zu Beginn des Bewilligungszeitraums anzurechnen gewesen wäre – Härtefallregelung des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt2 SGB 2

Ist bei der Rücknahme und Erstattung von Grundsicherungsleistungen wegen verschwiegenen Vermögens die Rückforderung auf den Betrag begrenzt, der sich zu Beginn des Bewilligungszeitraums als anzurechnendes Vermögen nach Abzug der Freibeträge ergeben hätte?

Leitsatz (Redakteur)
1. Im Falle eines verschwiegenen Vermögens besteht keine Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Leistungsaufhebung und Erstattung auf das fiktiv bei rechtmäßiger Anzeige maximal zu verbrauchende Vermögen (Anlehnung an BSG, Urt. v. 25.04.2018 – B 4 AS 29/17 R).

2. Das Jobcenter kann aber auf Antrag einen Teil der Rückforderung erlassen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.04.2018 zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – – B 8 SO 25/16 R

Kommt es für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen erheblicher Gehbehinderung nach § 30 Absatz 1 SGB XII auf den Zeitpunkt der Vorlage des Schwerbehindertenausweises oder eines entsprechenden Bescheides beim Sozialhilfeträger oder auf den im Bescheid festgelegten Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen für das Merkzeichen G an?

Orientierungssatz (Redakteur)
§ 30 Abs 1 SGB XII setzt für den Beginn der Gewährung des Mehrbedarfes – ausdrücklich – den Nachweis des Feststellungsbescheides des Versorgungsamts voraus.

Leitsatz (Redakteur)
1. Zu Recht hat der Beklagte einen Mehrbedarf wegen des Merkzeichens “G” erst ab Beginn des Monats bewilligt, in dem die Klägerin den Feststellungsbescheid des Versorgungsamts als Nachweis vorgelegt hat.

2. Denn der Gesetzgeber wollte mit der zum 7.12.2006 erfolgten Gesetzesänderung nur den Nachweis durch Vorlage des Feststellungsbescheids einräumen, nicht aber einen Leistungsanspruch für die Vergangenheit bezogen auf den Zeitpunkt begründen, ab dem der Nachteilsausgleich vom Versorgungsamt anerkannt worden ist.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 07.02.208 – L 2 SO 4444/17 und so nun eindeutig Adolph in Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand Mai 2013, § 30 Rn. 13

2.2 – BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 8 SO 24/16 R

Leitsatz (Redakteur)
Arbeitslosen, die mit Erreichen des Rentenalters vom Hartz-IV-Bezug zur Grundsicherung im Alter überwechseln, bleibt von einem Nebeneinkommen weniger übrig. Die entsprechenden Regelungen sind gerechtfertigt und daher nicht gleichheitswidrig.

Kurzfassung:
Dass ihr Erwerbseinkommen im Sozialhilfebezug infolge geringerer gesetzlicher Freibeträge in größerem Umfang berücksichtigt worden ist als zuvor im Bezug von Leistungen nach dem SGB II, ist durch den Gesetzgeber beabsichtigt und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Darin liegt weder eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters noch folgt daraus eine mittelbare Diskriminierung von Frauen.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.03.2018 – L 29 AS 1852/16

Kosten der Unterkunft – Zweitwohnung – Aufenthaltsort

Orientierungssatz (Redakteur)
Anspruch eines Hilfeempfängers auf Kostenübernahme mehrerer Unterkünfte durch das Jobcenter?

Leitsatz (Redakteur)
1. Nein, allenfalls bei einem notwendigen Wohnungswechsel und hieraus entstehenden so genannten Überschneidungskosten könne sich dies ergeben.

2. Werden mehrere Wohnungen genutzt, ist daher grundsicherungsrechtlich ein Wohnbedarf nur für die Wohnung anzuerkennen, die den Lebensmittelpunkt bildet, also (nur) für die Wohnung, die überwiegend genutzt wird (BSG, 17.02.2016 – B 4 AS 2/15 R).

3. Eine lediglich abstrakt bestehende Gefahr einer Trennung und die hieraus eventuell später resultierenden Notwendigkeit einer anderen Unterkunft kann nicht einen Bedarf auf Erhalt einer weiteren Wohnung nach § 20 SGB II begründen, weil dies im Widerspruch zu grundsätzlichen Wertungen des Gesetzes zur Grundsicherung für Arbeitsuchende stünde.

4. So trifft beispielsweise Leistungsberechtigte nach dem SGB II aufgrund von § 2 SGB II die Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen und Sie erhalten lediglich Leistungen für Grundbedürfnisse in einem Umfang, der es ihnen ermöglicht, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs. 1 SGB II). Das Vorhalten mehrerer Wohnungen geht über dieses Existenzmini-mum grundsätzlich weit hinaus, so dass nur die Kosten der vorrangig genutzten Wohnung nach § 22 SGB II übernahmefähig sind.

5. Wird dem Leistungsberechtigten das Wohnen in dieser Hauptwohnung wie im vorliegenden Fall kostenfrei ermöglicht, so ist sein Hilfebedarf im Sinne von § 20 SGB II gemäß § 9 Abs. 1 SGB II durch andere gedeckt und es entsteht kein Anspruch auf Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.04.2018 – L 15 AS 9/18 B ER

Leitsatz (Juris)
Das Daueraufenthaltsrecht familienangehöriger Unionsbürger bestimmt sich nach dem Tod des Unionsbürgers, bei dem sie im Zeitpunkt seines Todes ihren ständigen Aufenthalt hatten, ausschließlich nach den Voraussetzungen des § 4a Abs. 3 FreizügG/EU.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 07.03.2018 – L 5 AS 376/16 – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
Die Revision war zuzulassen. Es ist in der Rechtsprechung des BSG ungeklärt, ob für die Datenauswertung bei einem “schlüssigen Konzept” zusätzlich zu den im Vergleichsraum erhobenen Daten im Wege der Clusteranalyse auch solche von anderen, hinsichtlich der Mietkosten aber ähnlichen Vergleichsräumen (“Wohnungsmarkttypen”) herangezogen werden dürfen.

Leitsatz (Juris)
1. Der Salzlandkreis ist kein einheitlicher Vergleichsraum, da er wegen der strukturellen Unterschiede kein “homogener Lebensraum” iSd Rechtsprechung des BSG darstellt. Er ist in 13 Vergleichsräume zu unterteilen, die aus den Städten, Gemeinden und Verbandsgemeinden bestehen. Diese bilden jeweils homogene Lebensräume und verfügen jeweils über einen eigenen Wohnungsmarkt (Fortführung von L 5 AS 1038/13, Urteil des Senats vom 13. September 2017).

2. Die Bestimmung einer angemessenen Miete ist nicht durch rückwirkende Anwendung eines Konzepts für Zeiträume vor der Datenerhebung (hier: 1. März 2012) möglich. Eine Rückrechnung nach dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte scheidet aus.

3. Soweit auch Ermittlungen des Gerichts nicht zu einer validen Datengrundlage führen, sind die KdU vor dem 1. März 2012 bis zu den Beträgen nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlag zu bewilligen.

4. Die Handlungsanweisung des Salzlandkreises zum 1. Januar 2013 betreffend die Bruttokaltmiete beruht auf einem den Anforderungen des BSG genügenden schlüssigen Konzept. Insbesondere die Datenauswertung in Form einer Clusteranalyse ist nicht zu beanstanden, da die Datenerhebung im maßgeblichen Vergleichsraum erfolgte.

5. Die Handlungsanweisung findet Anwendung auf die Zeiträume ab der Datenerhebung (1. März 2012), wenn bereits eine Kostensenkungsaufforderung erfolgt war. Von den Mietern zu leistende Abfallgebühren sind gesondert zu erbringen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 28.03.2018 – L 7 AS 430/18 ER-B

Leitsatz (Juris)
Eine dialsyepflichtige Nierenerkrankung kann eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 SGB 12 begründen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss v. 11.12.2017

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Ersteigerung des selbst bewohnten Hauses durch eine selbst gegründete Gesellschaft – Mietvereinbarung als Insichgeschäft – Tilgung des von einem Dritten gewährten Darlehens – Scheingeschäft

Leitsatz (Juris)
1. Ausgangspunkt für eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Leistungsberechtigten ist grundsätzlich der Mietvertrag, mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden ist (vgl BSG vom 7.5.2009 – B 14 AS 31/07 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 21 und vom 3.3.2009 – B 4 AS 47/08 R = BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24). (Rn.10)

2. Ist der Mietvertrag unter Berücksichtigung der Gesamtumstände offensichtlich darauf angelegt, Vermögensverhältnisse zu Lasten der Antragsgegnerin als Trägerin der Leistungen nach dem SGB 2 und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln (hier: Ersteigerung des von der vermögenslosen Antragstellerin selbst bewohnten Hauses durch eine von ihr gegründete Gesellschaft mit einem von einer dritten Person gegebenen Darlehen, wobei die vereinbarte Miete zur Tilgung des Darlehens eingesetzt werden sollte), so ist der Grundsicherungsträger nicht verpflichtet, die vermeintlich vereinbarte Grundmiete zu übernehmen (§§ 138, 117 BGB). Erwerb oder Finanzierung eines Hauses gehören nicht zum Aufgabenkreis des Sozialleistungsträgers (vgl hierzu BSG vom 7.7.2011 – B 14 AS 79/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 48, RdNr 18 und vom 16.2.2012 – B 4 AS 14/11 R = juris RdNr 23). (Rn.10)

Quelle: Juris

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.02.2018 – L 23 SO 77/17

Anspruch des Nothelfers – Erstattungsanspruch – Antragsfrist – Angemessenheit

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zum Streit über die Erstattung von Aufwendungen für eine stationäre Krankenhausbehandlung i. S. d. § 25 SGB XII.

2. Nach § 25 Satz 2 SGB XII besteht ein Erstattungsanspruch nach § 25 Satz 1 SGB XII nur, wenn die Erstattung innerhalb einer angemessenen Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird.

Leitsatz (Redakteur)
Da Sinn und Zweck der Frist in § 25 Satz 2 SGB XII ist, dass der Sozialhilfeträger möglichst frühzeitig von dem Hilfefall unterrichtet wird, um gegebenenfalls Vorkehrungen für die weitere Hilfegewährung treffen zu können (Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 25, Rn. 35), ist in der Regel eine einmonatige Frist angemessen (vgl. BSG v. 23.08.2013 – B 8 SO 19/12 R –). Zwar mag im Einzelfall eine längere Frist aus auf Seiten des Nothelfers bestehenden besonderen Umständen angemessen sein. Vorliegend hat die Klägerin jedoch keine besonderen Umstände dargelegt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 14.12.2017 – L 7 SO 1138/17

Leitsatz (Juris)
Eine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht bezüglich den Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Partnern oder sonstigen Dritten besteht nur hinsichtlich von Tatsachen, die dem Antragsteller bekannt sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.03.2018 – L 9 SO 300/16

Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen trotz Weiterleitung desselbigen an das Kind; Kindergeld für im Haushalt lebende volljährige Kinder als Einkommen

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Nach der Zuordnungsregelung des § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sei das Kindergeld nur bei minderjährigen Kindern dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen.

Ausnahme: Zur Anrechnung von Kindergeld bei der SGB XII beziehenden Klägerin für ihre volljährigen Töchter, welche bei ihr im Haushalt leben und trotz Weiterleitung des KG.

Leitsatz (Redakteur)
Kindergeld für im Haushalt lebende volljährige Kinder ist trotz – Weiterleitung – desselbigen an das Kind Einkommen des Kindergeldberechtigten (entgegen LSG NRW vom 26.04.2009 zum Az. L 20 SO 99/07).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Duisburg, Beschluss v. 02.02.2018 – S 48 SO 588/17 ER – rechtskräftig

Zum Wohnungserhalt während Inhaftierung

Orientierungssatz (Redakteur)
Zum Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, um die Übernahme von Mietkosten anlässlich einer Haftverbüßung des Antragstellers auf Grundlage der §§ 67 SGB XII zu sichern, hier aber ablehnend (unangemessene Wohnung des Antr., Haftdauer kann noch nicht abgeschätzt werden).

Zum Wohnungserhalt während Inhaftierung (Kommentierung von Infodienst Schuldnerberatung)

1. Bei der Ausübung des Auswahlermessens im Rahmen des § 67 Satz 1 SGB XII / § 68 Abs.1 Satz 1 SGB XII kann es durchaus sinnvoll sein, für in Haft sich befindende Personen mit sozialen Schwierigkeiten die Erhaltung einer bereits vor dem Haftantritt vorhandenen Unterkunft zu sichern, weil für einen Haftentlassenen der Verlust der Wohnung ähnlich wie der Verlust des Arbeitsplatzes deutlich schwerer auszugleichen ist, als für andere Menschen.

2. Grundsätzlich kommt hier die Übernahme von Kosten der Unterkunft bei einer bevorstehenden, konkret abzusehenden Entlassung aus dem Strafvollzug in Betracht.

3. Aus der Tatsache, dass ein Antragsteller aus der Haft alsbald entlassen werden wird als solche kann nicht automatisch auf das Vorliegen sozialer Schwierigkeiten im Sinne des § 67 Satz 1 SGB XII geschlossen werden.

4. Ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach den §§ 67 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII lässt sich in der Regel dann nicht geltend machen, wenn der Antragsteller nach seiner Haftentlassung aller Voraussicht nach wieder voll in das Erwerbsleben integriert sein wird.

5. Bei der Weiterfinanzierung einer Wohnung während des Freiheitsentzugs ist stets maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

6. Ein Sozialhilfeträger hat hier prognostisch zu beurteilen, ob die während der Haft entstehenden Kosten der Unterkunft vorbeugend im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 67 Satz 1 SGB XII und § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII übernommen werden können.

7. Ein starres Abstellen auf eine Haftdauer von maximal einem Jahr als Grundvoraussetzung für eine Leistungsgewährung muss hier als ermessensfehlerhaft aufgefasst werden. Eine abstrakte Beurteilung für sämtliche Fälle findet weder einen Anknüpfungspunkt im SGB XII (Sozialhilfe) noch in einer der hierzu ergangenen Rechtsverordnungen.

8. Eine ausreichend sichere Prognose kann dann nicht vertreten werden, wenn die nach der Haftentlassung zu erwartenden Lebensumstände bereits wegen der Länge der noch bevorstehenden Haftdauern nicht exakt eingeschätzt werden können.

9. Dies ist bei einer Verurteilung zu einem 20-monatigen Freiheitsentzug der Fall, gerade wenn zum Antragszeitpunkt nicht absehbar ist, ob eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung in Betracht kommt, die bislang bewohnte Unterkunft als unangemessen groß im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII aufzufassen ist, und vom Antragsteller nach der Haftentlassung die bereits vor der Inhaftierung ausgeübte Erwerbstätigkeit aller Voraussicht nach fortgesetzt werden kann.

Quelle: www.infodienst-schuldnerberatung.de

6.   Entscheidungen der Landessozial – und Sozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.02.2018 – L 8 AY 23/17 B ER

Keine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 2, 4 AsylbLG bei noch in Deutschland durchzuführendem Asylverfahren

Leitsatz (Juris)
Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abse. 2, 4 AsylbLG kommt nach Sinn und Zweck der mit dem Integrationsgesetz eingefügten Regelung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG nicht in Betracht, wenn auf Grund einer rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung feststeht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch eine Sachentscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu treffen hat (teleologische Reduktion von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG). In einem solchen Fall greift eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG auch dann nicht, wenn bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz gewährt worden ist und dieser Schutz fortbesteht.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

6.2 – Leitsätze von Dr. Manfred Hammel zu SG Berlin – Keine Anrechnung von Einkommen volljähriger Kinder auf Grundleistungen nach AsylbLG

Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 30. Januar 2018 (Az.: S 70 AY 232/17 ER):

Zur Bejahung eines geltend gemachten Anspruchs auf die Gewährung von Grundleistungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG im Fall einer venezolanischen Staatsangehörigen mit einer Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.

1. Das Einkommen und etwaige Vermögen von im Bundesgebiet lebenden, volljährigen Kindern einer entsprechend § 1 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigten Person stellt kein gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG einzusetzendes Einkommen oder Vermögen dar. Bei volljährigen Kindern handelt es sich um keine Familienangehörigen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. In entsprechender Anwendung der §§ 19 Abs. 1, 20 und 27 ff. SGB XII darf auch im Bereich des AsylbLG amtlicherseits ausschließlich das eigene Einkommen und Vermögen der anspruchsberechtigten Person (und ggf. des in ehelicher oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Partners) bedarfsmindernd berücksichtigt werden.

2. Von einer anderweitigen Bedarfsdeckung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG in Verbindung mit den §§ 1601 ff. BGB kann behördlicherseits nur bei einer vollkommen unstreitigen Unterhaltsfähigkeit von Kindern ausgegangen werden.

Quelle: www.asyl.net

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – Leistungsbezug nach dem SGB II/SGB XII und Einkommens-/Vermögensanrechnung, z. B. im Erbfall, ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Kadner

Hat ein Leistungsberechtigter einen Erbanspruch, muss dies nicht immer als anzurechnendes Einkommen vom Jobcenter mindernd berücksichtigt werden.

Wurde nämlich der Leistungsbezug zwischen Erbfall und der Auszahlung des Erbes unterbrochen, gilt das Erbe bei erneuter Beantragung von Leistungen nach dem SGB II als Vermögen, für das nicht unerhebliche Freibeträge geltend gemacht werden können. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg in einem aktuellen Urteil vom 22. Februar 2018 (L 4 AS 194/17) entschieden.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde jedoch die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

weiter: www.anwalt.de

7.2 – Fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes I bei nachträglicher Korrektur einer Entgeltabrechnung

Anmerkung zu SG Karlsruhe 2. Kammer, Urteil vom 13.12.2017 – S 2 AL 3606/16, ein Beitrag von Dipl.-Verwaltungswirt (FH) Thomas Neumair, RA und FA für Arbeitsrecht

Leitsatz
Ein beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneter Entgeltzeitraum i.S.v. § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegt nicht vor, wenn eine noch vor dem leistungsrechtlichen Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vorgenommene Abrechnung des Arbeitgebers für den streitigen Abrechnungsmonat fälschlicher Weise wegen Überschreitung der Lohnfortzahlungsdauer im Krankheitsfall kein Bruttoarbeitsentgelt ausweist und eine Korrekturabrechnung erst nach Ausscheiden vorgenommen wird.

weiter: www.juris.de

7.3 – Neue Broschüre zur Familienzusammenführung nach der Dublin III Verordnung

Die Diakonie Deutschland hat eine neue Broschüre Familienzusammenführungen im Rahmen der Dublin-III Verordnung nach Deutschland – Anspruch – Verfahren – Praxistipps erstellt.

Sie kann in gedruckter Form bestellt werden unter: www.diakonie.de

Im Internet findet sie sich unter :
www.diakonie.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de