Tacheles Rechtsprechungsticker KW 25/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 14.06.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 14 AS 37/17 R

Ist das der im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Mutter für ihr minderjähriges Kind gezahlte Wohngeld als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen?

Beim Kinder- Wohngeld handelt es sich um eine Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das der Klägerin für ihren Sohn bewilligte (Kinder)Wohngeld ist bei dem Sohn als Einkommen zu berücksichtigen. Dies folgt aus systematischen Zusammenhängen innerhalb des WoGG und dessen Verhältnis zum SGB II. Ausgehend vom Bedarf des Sohns und dem ihm gezahlten Unterhalt führt dies zu einem Kindergeldüberhang von circa 164 Euro.

2. Dieser Kindergeldüberhang ist bei der Klägerin in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen. Dem steht § 1612b BGB (Deckung des Barbedarfs durch Kindergeld) nicht entgegen, weil dies eine rein unterhaltsrechtliche Regelung ist, die im Übrigen nach der Rechtsprechung des BGH (BGH vom 14.12.2016 – XII ZB 207/15) ebenso wie nach § 74 EStG zu einem Auskehranspruch des Kindes führen kann.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.2 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 4 AS 23/17 R

Kann ein Leistungsberechtigter, der mit seiner Ehefrau in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt, den Regelbedarf für Alleinstehende gemäß § 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II beanspruchen und bei der Verteilung der Unterkunftskosten eine Ausnahme von der Anwendung des Kopfteilprinzips verlangen, wenn die Ehefrau wegen ihres eingeschränkten Aufenthaltstitels (Erlöschen bei Bezug öffentlicher Leistungen) einen ihr grundsätzlich zustehenden Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht realisiert?

Orientierungssatz (Redakteur)
Gründe, vom Kopfteilprinzip abzuweichen (vgl näher BSG vom 14.2.2018 – B 14 AS 17/17 R), sind nicht zu erkennen. Denn der damaligen Ehefrau wurde nur deswegen kein Kopfteil vom Beklagten gezahlt, weil sie keinen Antrag gestellt hatte. Dies ist mit der Minderung oder dem Entfallen des Leistungsanspruchs wegen einer sog Sanktion nicht vergleichbar.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.3 – BSG, Urt. v. 14.06.2018 – B 14 AS 22/17 R

Mindert eine Heizkostenrückerstattung des Energieversorgungsunternehmens gemäß § 22 Absatz 3 SGB II a. F den Bedarf für Unterkunft und Heizung, wenn der Leistungsträger die Heizkostenvorauszahlung nur in angemessener Höhe übernommen hat und der Rückerstattungsbetrag vom Leistungsberechtigten teilweise allein aufgebracht worden ist?

Kurzfassung BSG:
1. Nach der in der maßgeblichen Zeit in 2012 geltenden Fassung des § 22 Abs 3 SGB II (aF) mindern “Rückzahlungen, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, … die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung”.

2. Durchschlagende Gründe, die erst zum 1.8.2016 in Kraft getretene Ergänzung der Vorschrift, nach der Rückzahlungen außer Betracht bleiben, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen beziehen, schon in 2012 anzuwenden, sind nicht zu erkennen.

3. Die Neuregelung beansprucht keine Vorwirkung und die frühere Regelung war im Hinblick auf andere Fallgestaltungen, wie zB einen nur zeitweisen Bezug von Leistungen nach dem SGB II im Abrechnungszeitraum oder die Pflicht der Leistungsträger, Nachforderungen der Gasversorger zu übernehmen, mit den Grenzen einer zulässigen Typisierung vereinbar.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.4 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 14 AS 28/17 R

Vermittelt die Richtlinie 2004/83/EG (sogenannte Qualifikationsrichtlinie) entgegen dem Leistungsausschluss durch § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 SGB II Leistungsansprüche nach dem SGB II?

Kurztext:
Kinder anerkannter Flüchtlinge können nicht automatisch Hartz-IV-Leistungen beanspruchen. Ein Anspruch kann nur auf sogenannte Analogleistungen der Sozialhilfe bestehen.

Quelle: www.zeit.de

Kurzfassung BSG:
1. Die Klägerin erfüllte damals als Unterfünfzehnjährige wegen des Zusammenlebens mit ihrem Vater zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für eine leistungsberechtigte Person nach § 7 Abs 2 SGB II. Als Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG galt für sie jedoch der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II, wie der Senat schon entschieden hat (BSG vom 21.12.2009 – B 14 AS 66/08 R – SozR 4 4200 § 7 Nr 14) und woran festzuhalten ist.

2. Etwas Anderes folgt auch nicht aus der RL 2004/83/EG, die mit dem in Art 28 verwandten Begriff “Sozialhilfe” ebenso wie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG keinen Anspruch auf Leistungen aus einem bestimmten Existenzsicherungssystem beinhaltete (vgl zur RL zudem BSG vom 28.5.2015 – B B 7 AY 4/12 R – BSGE 119, 99 = SozR 4 3520 § 2 Nr 5).

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

1.5 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 14 AS 13/17 R

Ist bei einer in Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II lebenden Person neben einer Grundrente auch eine Ausgleichsrente nicht als Einkommen zu berücksichtigen?

Orientierungssatz (Redakteur)
Die von ihrem Ehemann bzw Vater, mit dem sie in einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft lebten, bezogene Ausgleichsrente nach dem Gesetz über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus (PrVG) ist nicht von der Berücksichtigung als Einkommen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies folgt aus der in § 13a PrVG getroffenen Ausnahme nur für die Grundrente sowie dem Fehlen einer Zweckbestimmung iS des damaligen § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II aF (vgl heute § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II) für die Ausgleichsrente im PrVG.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17. April 2018 (Az.: L 11 AS 1373/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Entsprechend § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind vom nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anrechenbaren Einkommen unterhaltsbezogene Aufwendungen nur dann absetzbar, wenn sie tatsächlich erbracht worden sind, auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen sowie die Unterhaltspflicht tituliert ist.

2. Von einem Antragsteller titulierte Unterhaltszahlungen, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen, sind vom Jobcenter in keiner Weise als Absetzbeträge vom Einkommen zu berücksichtigen, weil hier nur die Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten anerkennungsfähig ist.

3. In Fällen, in denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht offensichtlich nicht besteht, sind die SGB II-Träger und die Sozialgerichte befugt, die Frage der gesetzlichen Unterhaltspflicht des Antragstellers eigenständig zu überprüfen.

4. Eine Unterhaltspflicht besteht grundsätzlich dann nicht, wenn der verpflichtete Antragsteller seinerseits nicht leistungsfähig ist (§ 1603 Abs. 1 BGB).

5. Einer unterhaltsverpflichteten Person haben grundsätzlich stets diejenigen Mittel zu verbleiben, auf die der jeweilige Antragsteller zur angemessenen Deckung des notwendigen Lebensunterhalts angewiesen ist.

6. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit endet dort, wo die unterhaltspflichtige Person nicht mehr in der Lage ist, ihre eigene Existenz problemlos zu sichern, d. h. darauf verwiesen ist, ihrerseits um (aufstockende) Leistungen gemäß den §§ 19 ff. SGB II nachzusuchen.

2.2 – LSG Bayern, Beschluss vom 27. April 2018 (Az.: L 11 AS 242/18 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Eine Mietschuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft ist nur dann gerechtfertigt i. S. d. § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II bzw. § 36 Abs. 1 und 2 SGB XII, wenn die laufenden Kosten für die Unterkunft abstrakt angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind. Die mit der Übernahme von Mietschulden bezweckte langfristige Erhaltung einer Wohnung kann nur dann als gerechtfertigt aufgefasst werden, wenn die (künftigen) laufenden Kosten dem entsprechen, was innerhalb des nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Bezug zu nehmenden Vergleichsraums von Jobcenter bzw. Sozialamt zu übernehmen ist.

2. Leistungen nach dem SGB II / XII können nicht ohne jede Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten (hier EUR 65,- monatlich über der Angemessenheitsgrenze) erbracht werden, gerade wenn ein bedeutender Teil des wohnungsmäßigen Bedarfs ungedeckt bliebe.

3. Es ist mit zu den Aufgaben eines gesetzlichen Betreuers (§§ 1896 ff. BGB) zu zählen, für eine seelisch wesentlich behinderte Antragstellerin die notwendigen Schritte für Hilfen einzuleiten, die es dieser Antragsteller ermöglichen, eine andere Wohnung zu finden (z. B. die Beauftragung eines Immobilienmaklers oder die Beantragung von Leistungen nach den §§ 67 ff. SGB XII).

2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 02.05.2018 – L 32 AS 65/18 B ER – rechtskräftig

Einstweiliges Rechtsschutzverfahren – ergänzende angemessene Lernförderung – schulrechtliche Bestimmungen – sonderpädagogischer Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung”

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Übernahme der Kosten für eine häusliche Lernförderung (Einzelnachhilfe) im Wege einstweiligen Rechtsschutzes (hier bejahend)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26.04.2018 – L 37 SF 146/17 EK AS

Leitsatz (Juris)
1. Ein unbemittelter Beteiligter wird bei der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach §§ 198 ff GVG nicht bereits deshalb gegenüber einem Bemittelten benachteiligt, weil das Gericht neben dem Hauptsacheverfahren ein komplexes Prozesskostenhilfeverfahren zu bearbeiten hat, in dem es zu Verzögerungszeiten gekommen ist. Die Verzögerungszeiten sind einheitlich für das gesamte Verfahren zu ermitteln.

Anschluss an BSG B 10 ÜG 3/16 R (Urteil vom 7. September 2017)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Oktober 2017 (Az.: L 10 AS 1934/17 B ER):

Orientierungssatz RA Dr. Jens Lehmann
Unbekannte Bankkonten rechtfertigen keine vorläufige Zahlungseinstellung.

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Einzig das Vorhandensein von Bankkonten als solches berechtigt ein Jobcenter nicht zur Verfügung einer vorläufigen Zahlungseinstellung gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III.

2. Es handelt sich hier um keine Tatsachen, die zu einem Wegfall des Anspruchs auf Alg II wegen einer Verneinung der Hilfebedürftigkeit (§ 9 Abs. 1 SGB II) führen können.

3. Die vollständige Entziehung von Leistungen nach dem SGB II trotz erkennbarer (wenn auch zunächst fruchtloser, aber später unter Einschaltung der Jugendhilfe intensivierter) Bemühungen zum Erhalt fehlender Kontoauszüge ist bei einer Familie mit kleinen Kindern als unverhältnismäßig und damit nicht ermessensgerecht aufzufassen.

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 15. Mai 2018 (Az.: S 44 AS 529/16):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Grundsätzlich sind Kapitalzuflüsse auf einem Girokonto eines Antragstellers vom Jobcenter als Einnahmen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II stets bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

2. Anderes kann nur dann gelten, wenn mit der Einnahme kein tatsächlicher wertmäßiger Zuwachs verbunden ist, z. B. wenn Einnahmen nur vorübergehend zur Verfügung gestellt werden und von Anfang an mit einer wirksamen Rückzahlungsverpflichtung belastet sind.

3. Entsprechendes ist dann der Fall, wenn die ihrerseits nur über ein sehr geringes Arbeitseinkommen verfügende Mutter des Antragstellers ihm Geld anwies, damit er seine Miete entrichten kann, bis das Jobcenter diese Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anerkannt hat und seinerseits leistet. Die Bejahung einer Schenkung und Verneinung einer Darlehensverpflichtung scheidet hier aus.

3.2 – Sozialgericht Karlsruhe, Urteil v. 18.01.2018- S 15 AS 1809/16

Anwartschaften aus betrieblicher Altersversorgung in Form einer Unterstützungskassenversorgung oder Firmenrückdeckungsversicherung sind vor dem Zeitpunkt der frühestmöglichen Inanspruchnahme von Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung kein zu verwertendes Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II.

Quelle: sozialgericht-karlsruhe.de

3.3 – Sozialgericht Osnabrück, Urt. v. 29.12.2012 – S 16 AS 572/12

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Übernahme von Kosten zur Ausstellung eines Erbscheins.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die geltend gemachten Kosten hat der Kläger aus der Regelleistung zu tragen. Es handelt sich insoweit weder um einen Sonderbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II noch um einen einmaligen Bedarf im Sinne des § 24 Abs. 3 SGB II. Bezüglich der ersten Anspruchsgrundlage scheitert eine Übernahme bereits daran, dass es sich bei den Kosten des Erbscheins nicht um einen laufenden Bedarf handelt. Die enumerativ aufgezählten Fallgruppen des § 24 Abs. 3 SGB II liegen zudem ebenso nicht vor.

2. Es liegt kein unabweisbarer Bedarf i. S. d. § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II vor, da davon ausgegangen werden muss, dass die Kosten des Erbscheins aus dem Nachlass getragen werden können.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Sozialgericht Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 (Az.: S 37 AS 990/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X lässt sich nicht vertreten, wenn ein Alg II-Empfänger das Jobcenter telefonisch eingehend über die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und die Erzielung eines Verdienstes, der einem weiteren Leistungsbezug entgegen steht, informierte. Auf die Übersendung des Arbeitsvertrags und einer Mitteilung der konkreten Höhe des Arbeitseinkommens hat nicht abgestellt zu werden, wenn sämtliche für eine Einstellungsentscheidung maßgebenden Daten und Fakten dem SGB II-Träger bekannt sind.

2. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gelangt nur zur Anwendung, wenn antragstellerseitig die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis vom Wegfall des Sozialleistungsanspruchs bereits bestand, als der Empfänger Kenntnis von der Auszahlung der Fürsorgeleistung erhalten hat. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Antragsteller erst am 13. eines Monats eine Beschäftigung aufnimmt und eine Entlohnung arbeitgeberseitig erst für den Beginn des Folgemonats in Aussicht gestellt wird.

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – Sozialgericht Braunschweig; Urteil vom 7. März 2017 (Az.: S 9 AL 146/13):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Bei einem wohnungslosen Empfänger von Alg I obliegt es dem Jobcenter, bei dem dieser mittellose Mensch vorspricht, auch nach der aktuellen Wohnsituation dieses Antragstellers zu fragen und diese Information an die Agentur für Arbeit weiterzuleiten, damit dieser Sozialversicherungsträger keine Einstellung der Arbeitslosengeldzahlung nur wegen einer unbekannten ladungsfähigen Anschrift verfügt.

4.2 – SG Speyer, Urteil v. 25.04.2018 – S 1 AL 181/16

(Insolvenzgeldanspruch des Hauptunternehmers – Insolvenz des Nachunternehmers – Erfüllung der Zahlungspflicht aus § 14 AentG – kein gesetzlicher Forderungsübergang – vertragliche Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche – Haftung der BA – keine Anwendbarkeit des § 170 Abs 4 SGB 3 – kein Vertrag zu Lasten Dritter)

Leitsatz (Juris)
1. Wird ein Hauptunternehmer von den Arbeitnehmern des Nachunternehmers bei dessen drohender Insolvenz nach § 14 AentG in Anspruch genommen, geht der Arbeitsentgeltanspruch der Arbeitnehmer nicht kraft Gesetzes auf den Hauptunternehmer über. (Rn.31)

2. Soweit die Arbeitnehmer des Nachunternehmers ihre Ansprüche auf Arbeitsentgelt rechtsgeschäftlich an den Hauptunternehmer wirksam abgetreten haben, kann der Hauptunternehmer von der BA Zahlung von Insolvenzgeld verlangen. (Rn.33)

3. Im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers haftet letztlich die BA auch im Verhältnis zum Hauptunternehmer für die insolvenzgeldgesicherten Arbeitsentgeltansprüche. (Rn.42)

Quelle: www.landesrecht.rlp.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 20.06.2017 – L 8 SO 8/13

Zu den Voraussetzungen einer lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft

Leitsatz (Juris)
1. Einkommen und Vermögen einer lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft sind nach § 43 Abs. 1 SGB XII auch für Zeiträume vor dem 01.01.2011 zu berücksichtigen.

2. Die für die eheähnliche Gemeinschaft entwickelten Grundsätze sind ohne Abweichungen auf die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft übertragbar.

Hinweis:
Im Urteil zur Absetzung von Versicherungen wie private Haftpflichtversicherung, Hausratsversicherung, Rechtsschutzversicherung, Glasversicherung, Krankenversicherungen des Klägers, Lebensversicherungen des Klägers und des Zeugen, Unfallversicherung des Zeugen und Pflegerentenversicherung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. Mai 2018 (Az.: L 8 AY 7/17):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Unter einem Ausreisetermin im Sinne des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG ist dasjenige Datum zu verstehen, zu dem die Ausreise der vollziehbar ausreisepflichtigen Person – entweder freiwillig oder durch Abschiebung – erfolgen soll. Dies setzt die im Verfahren nach den §§ 50 ff. AufenthG zuständige Behörde fest.

2. Die durch eine unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet begründete sofortige Ausreisepflicht (§§ 50 und 58 AufenthG) als solche reicht – ohne das vorherige Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise – zur Bestimmung eines Ausreisetermins im Sinne des § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG nicht aus.

3. Der Sachverhalt einer abweichenden behördlichen Zuständigkeit aufgrund der Dublin III-VO (EU) 604/2013 ist vom Wortlaut des § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG nicht erfasst.

4. Wenn das Hauptmotiv des Antragstellers für seine erneute Einreise in das Bundesgebiet in der in Deutschland zu erwartenden guten Wirtschaftslage und der – im Vergleich zum ursprünglichen Aufnahmeland Italien – günstigeren Perspektive, eine Ausbildung zu absolvieren oder eine Beschäftigung ausüben zu können, besteht, und diese Willensrichtung auch konkret umgesetzt wird, dann kann vom zuständigen öffentlichen Träger ebenfalls keine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 1 AsylbLG verfügt werden und sind Leistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG zu bewilligen. Hier dominiert die Erwartungshaltung, den notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen, insbesondere aus der Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlangten Mitteln sicherzustellen.

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – LSG Baden-Württemberg: Dauerhafter Ausschluss von Leistungen nach § 2 AsylbLG wegen wiederholtem Untertauchen

AsylbLG §§ 2, 3 ff., 9 III; SGB X § 44
1. Hat ein Asylbewerber die Dauer seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, ist er auf Dauer von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen

2. Wiederholtes Untertauchen ist generell abstrakt geeignet, die Dauer des Aufenthaltes zu beeinflussen.

3. Der Ausländer darf sich nicht auf einen Umstand berufen, den er selbst treuwidrig verursacht hat. (Leitsätze der Verfasserin)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2017 – L 7 AY 2691/15, BeckRS 2017, 138020
Anmerkung von Rechtsanwältin Eva Steffen, Köln

Praxishinweis
Die Entscheidungsgründe des LSG sind mit der Grundsatzentscheidung des BVerfG zu § 3 AsylbLG (a.a.O.) und den dort aufgestellten Leitlinien nicht in Einklang zu bringen.

Bereits nicht nachvollziehbar ist die Argumentation, dass die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylblG lediglich eine “Vergünstigung” sei und diese Leistungen über das menschenwürdige Existenzminimum hinausgingen. Mit Zuerkennung eines Anspruchs nach § 2 AsylbLG sind Leistungen nach dem “Normalmaß” – in diesem Fall analog dem SGB XII – zu gewähren.

Das BVerfG hatte eine Differenzierung bei der Festlegung eines von diesem “Normalmaß” abweichenden menschenwürdigen Existenzminimums nach § 3 AsylbLG nur dann für zulässig angesehen, wenn der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.

Eine Beschränkung auf ein durch etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte geprägtes Existenzminimum ist dagegen- so das BVerfG – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Rücksicht auf die Berechtigung einer ursprünglich gegenteiligen Prognose jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat. Für diese Fälle ist ein zeitnaher, an den Gründen des unterschiedlichen Bedarfs orientierter Übergang von den existenzsichernden Leistungen für Kurzaufenthalte zu den Normalfällen im Gesetz vorzusehen.

weiter: rsw.beck.de

SG München, Urteil v. 04.05.2018 – S 46 EG 25/17 BG

Betreuungsgeld als Einkommen nach SGB II

Leitsatz (Juris)
1. Bayerisches Betreuungsgeld ist als nicht zweckgebundenes Einkommen und gemäß § 10 BEEG auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB II anzurechnen. (Rn. 10)

2. Das Jobcenter kann von der Elterngeldstelle gemäß § 104 SGB X die Erstattung von Betreuungsgeld verlangen. (Rn. 10)

Kurzfassung:
(a) Betreuungsgeld ist nicht nach § 11a Abs. 3 SGB II anrechnungsfrei. Nach dieser Vorschrift wären Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Wie alle öffentlich-rechtlichen Leistungen dient auch das Betreuungsgeld einem bestimmten Ziel, hier dem Ziel, die Betreuung der Kinder durch ihre Eltern zu fördern (vgl. Drucksache 17/9114 des Bayerischen Landtags vom 24.11.2015). Die Zweckbestimmung nach § 11a Abs. 3 SGB II ist jedoch nicht das Motiv oder der Entstehungsgrund einer Leistung, sondern der Verwendungszweck der Leistung (BSG, Urteil vom 24.08.2017, B 4 AS 9/16 R, Rn. 26). Es ist aber nicht festgelegt, wie das Betreuungsgeld von den Leistungsempfängern zu verwenden ist. Damit liegt keine zweckgebundene Leistung nach § 11a Abs. 3 SGB II vor. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Elterngeld (BSG, Urteil vom 01.12.2016, B 14 AS 28/15 R, Rn. 21).

Quelle: www.gesetze-bayern.de

Rechtstipp:
aA SG Bayreuth, Urteil vom 28.11.2017 – S 4 AS 363/17 – Das bayerische Betreuungsgeld ist nicht im SGB II als Einkommen anzurechnen. Das Urteil findet auch Anwendung im SGB XII.

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de