Tacheles Rechtsprechungsticker KW 29/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.04.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 25.04.2018 – B 4 AS 19/17 R

Zur Erforderlichkeit einer – gegebenenfalls auch langfristigen – ergänzenden angemessenen Lernförderung bei Kindern und Jugendlichen mit Legasthenie.

Orientierungssatz (Redakteur)
Kind mit Rechtschreibschwäche steht Förderung zu. Jobcenter müssen Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche auch längerfristig eine Lernförderung bezahlen.

Leitsatz (Redakteur)
Dass Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II ohne Rücksicht auf Kompetenzfragen mehr als nur Nachhilfe und nicht nur kurzzeitige Maßnahmen umfasst, folgt aus der Auslegung dieser Vorschrift im Lichte des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (- 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175), in dessen Umsetzung sie geschaffen wurde.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 17.05.2018 – L 7 AS 4682/17

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Versagung des Regelbedarfs nach dem SGB II wegen Nicht- Vorlage von Identitätsnachweisen bzw. Personalausweis.

Leitsatz (Redakteur)
1. Grundsätzlich ist zum Nachweis der Identität auch die Vorlage des Personalausweises erforderlich.

2. Die wiederholte Vorlage eines Personalausweises oder eines anderen von einer staatlichen Stelle ausgestellten Legitimationspapieres kann bei Folgeanträgen auf ALG II, sofern keine Zweifel bestehen, nicht als Mitwirkungshandlung nach § 60 SGB I gefordert werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2018 – L 9 AS 2930/16

Leitsatz (Juris)
Wird der Mieter einer Wohnung im Wege der Erbfolge auch deren Eigentümer, so erlischt eine – bis dahin nicht erfüllte – Mietzinsforderung durch die Vereinigung von Gläubiger- und Schuldnerstellung in einer Person (Konfusion) mit der Folge, dass das Jobcenter wegen Bedarfswegfalls nicht mehr zur Leistung verpflichtet ist. Etwaige durch die Nichtzahlung des Jobcenters entstandene wirtschaftliche Nachteile sind jedenfalls nicht über § 22 SGB II auszugleichen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.04.2018 – L 18 AS 647/18 B ER – rechtskräftig

Einstweiliger Rechtsschutz – vollständiger Wegfall des Arbeitslosengeldes II – Verfassungsrecht – aufschiebende Wirkung des Widerspruchs

Leitsatz RA Kay Füßlein
1. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, die Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II an Mitwirkungsobliegenheiten zu knüpfen.

2. Soweit der Gesetzgeber eine Minderung der Leistungen (hier um 100 %) an die fehlende Mitwirkung des Leistungsempfängers knüpft, muss sichergestellt sein, dass den Betroffenen die auch in dieser Lagedis notwenigen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.

3. Letzteres ist indes nicht der Fall, soweit Leistungen für Unterkunft und Heizung betroffen sind.

4. Erklärt sich der Leistungsempfänger nachträglich bereit, seine Pflichten zu erfüllen, kann im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Minderung auf 60 % begrenzt werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Berlin, Beschluss v. 04.08.2018 – S 190 AS 5918/18 ER

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung – Unzulässigkeit des Erlasses eines Ersetzungsbescheides während des Geltungszeitraumes

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das JobCenter war nicht berechtigt, eine neue Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt zu erlassen, da bereits eine wirksame Eingliederungsvereinbarung existierte. Besteht eine Vereinbarung oder ein Verwaltungsakt, ist der Leistungsträger bis zur konsensualen Anpassung oder wirksamen Kündigung oder Aufhebung an sie gebunden (vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 25.05.2010 – L 11 AS 294/10 B ER).

2. Der Eingliederungsverwaltungsakt erweist sich als rechtswidrig, weil die gegenseitigen Rechte und Pflichten nicht konkret aufgenommen worden sind. Die konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit müssen im Sinne der angestrebten maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen konkret bezeichnet werden (BSG, Urt. v. 23.06.2016 – B 14 AS 42/15 R). Die Regelungen enthalten nur Textbausteine.

3.2 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. Juni 2018 (Az.: S 144 AS 15342/17):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Aus § 31a III 2 SGB II geht ebenfalls die Notwendigkeit hervor, dass bei einer von einem SGB II-Träger entsprechend § 31a III 1 SGB II verfügten Kürzungsentscheidung das Jobcenter bereits von Amts wegen über die Gewährung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen entscheiden muss.

2. Unterbleibt eine solche Entscheidung, dann ist der Sanktionsbescheid in seiner Gesamtheit rechtswidrig, denn zum Schutz minderjähriger Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft hat bei einer derartigen Sanktion stets eine antragslose Leistungsgewährung zu erfolgen.

3. Minderjährige Personen werden regelmäßig über geringe Einflussmöglichkeiten auf das (Antrags-) Verhalten der weitgehend sanktionierten Erziehungsberechtigten verfügen, so dass diese noch nicht erwachsenen Personen eines besonderen Schutzes bedürfen.

3.3 – Sozialgericht Bremen, Urt. v. 18.04.2018 – S 6 AS 876/15 – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
I. Für Kostenfestsetzungsansprüche nach § 63 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), die auf eine positive Kostengrundentscheidung des Leistungsträgers gestützt werden, gilt nicht die dreißigjährige Verjährungsfrist aus § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB, weil es sich bei Kostengrundentscheidungen im Widerspruchsverfahren nicht um rechtskräftig festgestellte Ansprüche oder Titel handelt (entgegen SG Berlin, Urt. v. 20.08.2014, S 204 14829/13, juris Rn. 15).

II. Den Leistungsempfänger trifft darüber hinaus eine Kostenminderungspflicht dahingehend, die Einrede der Verjährung gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten zu erheben, sofern dies möglich ist.

III. Dies gilt auch in den Fällen, in denen Personenidentität zwischen Kläger und Prozessbevollmächtigtem besteht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

4.1 – Asylbewerber kann Bundesamt auf Bescheidung seines Asylantrages verklagen

Das BVerwG hat entschieden, dass ein Asylbewerber, über dessen Antrag nicht innerhalb dreier Monate entschieden worden ist, die Möglichkeit hat, gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Untätigkeitsklage zu erheben.

weiter: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker