Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 18.06.2018 – Az.: S 35 AS 435/14

URTEIL

In dem Rechtsstreit
1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
– Kläger –
Prozessbevollmächtigter:
zu 1-3: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Göttingen, vertreten durch den Landrat,
Reinhäuser Landstraße 4, 37083 Göttingen
– Beklagter –

hat die 35. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2018 durch den Richter am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlicher Richter xxx und xxx für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 02.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2014 verpflichtet, über den Leistungsantrag der Kläger vom 09.08.2013 für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2014 neu zu entscheiden.

2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2/3.

TATBESTAND

Die Kläger begehren die Berücksichtigung bestimmter Kosten als Betriebsausgaben im Rahmen der Leistungsberechnung des Beklagten.

Die Kläger beziehen laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach den Vorschriften des Zweites Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Kläger zu 1. und 2. bilden mit ihrer Tochter, der Klägerin zu 3. eine Bedarfsgemeinschaft.

Am 09.08.2013 stellte die Bedarfsgemeinschaft beim Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von SGB II-Leistungen. Im Rahmen des Leistungsantrages gab die Klägerin zu 2. ein Einkommen von monatlich 1.200 € aus selbstständiger Tätigkeit und 184 € an Kindergeld an. Dem Leistungsantrag war eine Anlage „Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit” beigefügt, in der eine Gesellschaftsbeteiligung an der xxx — angegeben war. Dem Leistungsantrag war ferner eine Gewinnschätzung für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2014 beigefügt, aus der sich ein durchschnittlicher monatlicher Betrag von 1.300 € nach Abzug der Ausgaben von den Einnahmen ergab. Ferner waren dem Leistungsantrag kurzfristige Erfolgsrechnungen der Steuerberaterkanzlei xxx für die Monate Mai 2013 und Juni 2013 beigefügt.

Im Rahmen der Prüfung des Leistungsantrages forderte der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 26.08.2013 auf, weitere Nachweise zur selbständigen Tätigkeit beizubringen. Der Beklagte bat um Übermittlung der Personalkosten, der Steuerberatungskosten, der Kosten für die Tilgung betrieblicher Darlehen, der Angabe von Schuldzinsen und sonstigen Betriebsausgaben.

Nachdem die Kläger die angeforderten Unterlagen in der Folgezeit nicht vorgelegt hatten, berechnete der Beklagte ausweislich eines Vermerks des zuständigen Sachbearbeiters (vgl. Blatt 419 der Verwaltungsakte des Beklagten) das monatliche Einkommen dergestalt, dass die sich aus der kurzfristigen Erfolgsrechnung der Steuerberaterkanzlei ergebenden Einnahmen für den Monat Juni 2013 in Höhe von 4.809,03 € zu Grunde gelegt und die Ausgaben desselben Monats in Höhe von 1.791,11 € hiervon abgezogen wurden. Der Differenzbetrag wurde vom Beklagten durch zwei dividiert, um die individuelle Beteiligung der Klägerin zu 2. am Gesellschaftsgewinn zu ermitteln. Der Beklagte errechnete auf diese Weise einen monatlichen Einkommensbetrag für die Klägerin zu 2. in Höhe von 1.508,96 €.

Aufgrund dieser Berechnung lehnte der Beklagte mit dem Bescheid vom 02.09.2013 die Bewilligung von SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2014 ab. Zur Begründung gab der Beklagte an, dass eine Hilfebedürftigkeit aufgrund der Einkommensprognose des Steuerberaters nicht bestehe. Der Beklagte legte das zuvor berechnete monatliche Einkommen der Klägerin zu 2. in Höhe von 1.508,96 € seiner Ablehnungsentscheidung zu Grunde. Überdies könnten bestimmte Ausgaben nach § 11 SGB II in Verbindung mit § 3 AlgIl-Verordnung nicht berücksichtigt werden: Dies betreffe etwa Buchführungskosten, Nebenkosten des Geldverkehrs, sonstigen Betriebsbedarf, Abschreibungen und sonstige betriebliche Abgaben. Im übrigen würden steuerliche Aufwendungen bei Einnahmen und Ausgaben nicht berücksichtigt. Im Hinblick auf den Kläger zu 1. versagte der Beklagte eine Leistungsbewilligung bis zur Nachholung der vorgeschriebenen Mitwirkungshandlung. So habe für den Kläger zu 1. das Ergebnis einer amtsärztlichen Untersuchung vom 29.11.2012 nicht abgefragt werden können, weil der Kläger zu 1. trotz der Schreiben vom 18.02.2013, 03.05.2013 und 11.06.2013 eine beigefügte Schweigepflichtentbindungserklärung nicht an den Beklagten zurückgesandt habe.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 02.09.2013 ließen die Kläger am 15.09.2013 durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch einlegen. Zur Begründung des Widerspruches führte der Prozessbevollmächtigte aus, dass unklar sei, weshalb Buchführungskosten, Nebenkosten des Geldverkehrs, sonstiger Betriebsbedarf sowie Umsatzsteuervorauszahlungen nicht im Rahmen der Einkommensberechnung als Betriebsausgaben abzugsfähig sein sollen.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2014 zurück und lehnte eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 SGB X ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass bei Selbstständigen von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften absetzungsfähig seien. Vom Einkommen seien daher nur die Steuern abzusetzen, die an die Einnahmeerzielung anknüpften. Nicht abzugsfähig sei daher die Umsatzsteuer auf Waren- und Leistungsumsätze. Anders als im Steuerrecht könnten im SGB II-Recht nur tatsächlich geleistete Ausgaben berücksichtigt werden, die betrieblich bedingt, notwendig und nicht vermeidbar sowie angemessen seien. Die Angemessenheit der Betriebsausgaben orientiere sich an der Lebenssituation eines Hilfebedürftigen, nicht an der von anderen Selbstständigen, die ihren Bedarf ohne staatliche Unterstützung decken könnten. Aus diesem Grunde seien die geltend gemachten Buchführungskosten nicht angemessen, da zur Gewinnermittlung eine Bilanz nicht notwendig sei, sondern eine einfache Gegenüberstellung der betrieblichen Einnahmen von den betrieblichen Ausgaben genüge (vergleiche § 4 Abs. 3 EStG). Für ein xxx mit einem monatlichen Gewinn von lediglich 1.300 € seien diese Kosten nicht angemessen. Besondere Buchführungskenntnisse seien ebenfalls nicht erforderlich. Die Nebenkosten des Geldverkehrs und der sonstige Betriebsbedarf könnten als Betriebsausgaben nicht anerkannt werden, da es hierzu keine Nachweise gebe und sie auch nicht zwingend mit der Erzielung des Einkommens in Verbindung stünden.

Am 14.03.2014 haben die Kläger vor dem hiesigen Sozialgericht Klage erhoben.

Die Kläger sind der Auffassung, dass die Ablehnung der beantragten SGB II-Leistungen durch den Bescheid vom 02.09.2013 rechtswidrig sei. Es bestehe Hilfebedürftigkeit, weil das Einkommen der KI. zu 2. unzutreffend vom Beklagten berücksichtigt worden sei. Die Buchführungskosten seien als Betriebsausgaben absetzungsfähig, da die Klägerin zu 2. über keine entsprechende Ausbildung zur Buchführung verfüge. Sie konzentriere sich voll auf das Kerngeschäft und überlasse die Buchführung ihrem Steuerberater. Im übrigen habe das Sozialgericht Stade in seinem Urteil vom 28.02.2013 — S 17 AS 814/11 entschieden, dass für die Absetzfähigkeit von Steuerberaterkosten bzw. Anerkennung dieser Kosten als Betriebsausgaben entscheidend sei, ob in der Ausbildung entsprechende Kenntnisse vermittelt würden. Dies sei bei einer xxx- bzw. xxxausbildung mitnichten der Fall. Die Nebenkosten des Geldverkehrs, der sonstige Betriebsbedarf sowie Zinsaufwendungen für längerfristige Verbindlichkeiten seien bereits durch die kurzfristigen Erfolgsrechnungen des von der Klägerin zu 2. beauftragten Steuerberaterbüros belegt. Hinter den Nebenkosten des Geldverkehrs steckten Kontoführungsgebühren, die Miete für ein EC-Kartengerät für das Ladengeschäft, sowie Verwaltungskosten für Darlehen und Rücklastgebühren. Unter dem sonstigen Betriebsbedarf seien Anschaffungen zu verstehen, die das Ladengeschäft benötige, wie zum Beispiel Toilettenpapier und Geschenkpapier. Was im übrigen die ebenfalls im Ablehnungsbescheid vom 02.09.2013 verfügte Versagung von Leistungen an den Kläger zu 1. anbelange, sei diese ebenfalls rechtswidrig. Ein Mitwirkungsverstoß könne schon deshalb nicht vorliegen, weil die Abfrage eines ärztlichen Attestes zur Erwerbsfähigkeit nicht zulässig sei. So habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Kläger zu 1. „nicht erwerbsfähig” im Sinne des SGB XII sei. Darüber hinaus sei der Ablehnungsbescheid vom 02.09.2013 auch fehlerhaft, weil auf Seite 2 . des Bescheides die Versagung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2013 geregelt werde, obwohl offenkundig der 28.02.2014 gemeint gewesen sei. Diese Ungenauigkeit gehe zulasten des Beklagten. Im übrigen halten die Kläger eine endgültige Leistungsablehnung im Bescheid vom 02.09.2013 für rechtswidrig, weil insoweit die einzelnen Kostenpositionen nicht hinreichend ermittelt worden seien und ohnehin aufgrund des nicht genau feststellbaren Einkommens der Klägerin zu 2. allenfalls eine vorläufige Entscheidung hätte ergehen können. Spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hätte der Beklagte auch auf bereits bestehendes Datenmaterial für das Selbstständigen-Einkommen zurückgreifen können. Insoweit bestehe zumindest ein Anspruch auf Neubescheidung über den Leistungsantrag.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 02.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2014 zu verpflichten, für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2014 den Leistungsantrag der Kläger vom 08.09.2013 neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig und verweist zunächst auf seine Begründungen im Ausgangs- und Widerspruchsverfahren. Darüber hinaus hält der Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 02.09.2013 aufgrund der fehlerhaften Angabe des Datums „28.02.2013” bei der Leistungsversagung zu Ungunsten des Klägers zu 1. noch nicht für rechtswidrig, weil insoweit eine Auslegung des Bescheides ergebe, dass der 28.02.2014 gemeint sei, der als Datum auch mehrfach an anderer Stelle in dem angegriffenen Bescheid genannt werde. Im übrigen bestehe auch kein Anspruch auf Neubescheidung, weil der Beklagte von den Einkommensprognosen ausgehen durfte, die von den Klägern selbst im Leistungsantrag genannt bzw. geschätzt worden seien. Soweit im übrigen bestimmte Betriebsausgaben nicht berücksichtigt worden seien, beruhe dies darauf, dass sie als unangemessen angesehen würden. Schließlich seien auch die Buchführungskosten nicht als Betriebsausgaben ansatzfähig, da sie in einem Missverhältnis zum monatlichen Gewinn von 1.300 € stünden. Insoweit könne auch das Urteil des Sozialgerichts Stade nicht herangezogen werden, weil es dort um ganz andere Beträge gegangen sei. Dass für die Erzielung eines monatlichen Gewinns von 1.300 € besondere Buchführungskenntnisse erforderlich gewesen wären, sei schließlich von den Klägern auch nicht vorgetragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
 
 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist begründet.

Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Kläger im mündlichen Verhandlungstermin vom 18.06.2018 den ursprünglichen, schriftsätzlich angekündigten Klageantrag auf Bewilligung von SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung bestimmter Kostenpositionen als Betriebsausgaben fallengelassen hat und nunmehr nur noch die Neubescheidung des Beklagten über den Leistungsantrag der Kläger vom 09.08.2013 beantragt hat, ist im vorliegenden Verfahren lediglich noch zu überprüfen, ob die Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung haben (hierzu unter 1.) Ungeachtet dessen sieht sich das Gericht zu ergänzenden Feststellungen veranlasst (hierzu unter 2.)

Im einzelnen:

1.
Die Kläger haben unter Aufhebung des entgegenstehenden Ablehnungsbescheides vom 02.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2014 einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Leistungsantrages vom 09.08.2013 für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 28.02.2014.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer durfte der Beklagte auf der Grundlage der für den Monat Juni 2013 prognostizierten Einkünfte der Klägerin zu 2. aus ihrer Gesellschaftsbeteiligung an der „xxx” keine abschließende und endgültige Entscheidung über die Ablehnung von SGB II-Leistungen am 02.09.2013 treffen, ohne zuvor die zu diesem Zeitpunkt bereits feststehenden tatsächlichen Einkünfte der Klägerin zu 2. für den Monat Juni 2013 zu berücksichtigen.

Im einzelnen:
Aus dem Vermerk eines Sachbearbeiters des Beklagten (vgl. Blatt 419 der Verwaltungsakte des Beklagten) geht hervor, dass der Beklagte wegen fehlender Nachweise die kurzfristige Erfolgsrechnung der Steuerberaterkanzlei „xxx” aus xxx für den Monat Juni 2013 seiner späteren Ablehnungsentscheidung vom 02.09.2013 zu Grunde gelegt hat.

Zwar konnte der Beklagte im Zeitpunkt seiner Ablehnungsentscheidung vom 02.09.2013 grundsätzlich nur für die nachfolgenden Monate des Bewilligungszeitraumes vom 01.09.2013 bis 28.02.2014 eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Einkommenssituation in den Folgemonaten treffen, weil zu diesem Zeitpunkt keine tatsächlichen Einkommensdaten vorliegen konnten.

Allerdings muss der Beklagte, wenn ein Verwaltungsakt auf der Grundlage eines nicht vollständig ermittelten Sachverhalts und einer hierauf beruhenden Prognose ergeht, die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten bzw. erkennbaren Umstände berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 — B 4 AS 119/10 R — beck-online, Rn. 41; ferner Kemper, in: Eicher/Luik, SGB II-Kommentar, 4. Aufl. 2017, § 41a, Rn. 11, beck-online).

Hierzu gehört im vorliegenden Fall, dass der Beklagte bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens am 02.09.2013 die bis dahin vorliegenden tatsächlichen Einkünfte der Klägerin zu 2. aus den Vormonaten zu berücksichtigen hatte. Der Verwaltungsakte des Beklagten ist allerdings nicht zu entnehmen, dass der Beklagte vor der endgültigen Leistungsablehnung vom 02.09.2013 die Kläger noch einmal zur Vorlage aktueller Einkommensdaten für die Klägerin zu 2. aufgefordert hätte. Stattdessen hat sich der Beklagte damit begnügt, eine ihrerseits bestehende Prognoseentscheidung der Steuerberater der Klägerin zu 2. für den Monat Juni 2013 zu Grunde zu legen. Auf dieser unsicheren Tatsachengrundlage konnte nach Auffassung der Kammer keine endgültige Leistungsablehnung ergehen.

Überdies gilt: Die Rechtsprechung hat bereits auf der Basis der — hier anzuwendenden — früheren Rechtslage zu § 40 SGB II a.F. i.V.m. § 328 SGB III geschlossen, dass in den Fällen, in denen objektiv im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nur die Möglichkeit einer Prognose, insbesondere hinsichtlich der Einkommenssituation (z.B. bei schwankendem Einkommen), bestehe, eine abschließende Entscheidung rechtswidrig sei (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 — B 14 AS 6/12 R = BSGE 112, 221; ferner Kemper, in: Eicher/Luik, a.a.O., § 41a, Rn. 14, beckonline).

Der Beklagte hätte vor diesem Hintergrund also anstelle einer endgültigen Leistungsablehnung eigentlich vielmehr eine vorläufige Leistungsbewilligung (wenn auch in geringem Umfang) treffen müssen. Zumindest aber hätte er vor einer endgültigen Leistungsablehnung die jeweils aktuellsten und verfügbaren Daten zur Einkommenssituation der Klägerin zu 2 ermitteln und zugrunde legen müssen.

Da der Beklagte sein Entschließungs- und Auswahlermessen im Hinblick auf eine mögliche vorläufige Leistungsbewilligung nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat, indem er von einer unzureichenden Tatsachengrundlage in Form von Einkommensprognosen für den Monat Juni 2013 ausgegangen ist, besteht die Verpflichtung zu einer Neubescheidung über den Leistungsantrag der Kläger vom 09.08.2013. Dabei wird der Beklagte im Rahmen der Neubescheidung zu berücksichtigen haben, dass die nunmehr vorliegenden tatsächlichen Daten über die Einkommenssituation der Klägerin zu 2. in die Leistungsberechnung mit einzubeziehen sind.

2.
Auch wenn die Frage, welche Kostenpositionen als Betriebsausgaben im Sinne der Alg II-Verordnung anzuerkennen sind, aufgrund der Umstellung des Klageantrages im mündlichen Verhandlungstermin vom 18.06.2018 nicht mehr streitgegenständlich ist, weist das Gericht als „obiter dictum“ und als Richtschnur für eine Neubescheidung durch den Beklagten darauf hin, dass nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2018 die von den Klägern geltend gemachten folgenden Kostenpositionen als Betriebsausgaben anzuerkennen sein dürften:

 

  • Nebenkosten des Geldverkehrs: Hierbei handelt es sich um die Kontoführungsgebühr, die Miete für ein EC-Kartengerät sowie Verwaltungskosten für Darlehen und Rücklastgebühren. Derartige Kosten dürften in engem Zusammenhang mit der Erzielung des Einkommens der Klägerin zu 2. aus dem xxx der „xxx” stehen.

 

  • Sonstiger Betriebsbedarf: Hiermit sind Anschaffungen gemeint, die das xxx benötigt, wie zum Beispiel Toilettenpapier, Geschenkpapier und weitere Kosten, die nichts mit den Konten der Gesellschaft zu tun haben. Auch diese Kosten dürften unmittelbar mit der Einkommenserzielung in Zusammenhang stehen und auch nicht in einem auffälligen Missverhältnis zwischen den Erträgen der Gesellschaft stehen.

 

  • Hinsichtlich der Buchführungskosten stellt sich zwar die Frage, ob derartige Kosten noch in einem angemessenen Verhältnis zu den Einnahmen der Gesellschaft stehen. Auf der anderen Seite neigt die Kammer der Auffassung des Sozialgerichts Stade zu, wonach es für den Ansatz dieser Kosten als Betriebsausgaben im Rahmen des § 11 SGB II darauf ankommt, ob die Gesellschafter im Rahmen ihrer Ausbildung etwa zur Vermeidung dieser Kosten Buchführungskenntnisse erworben haben. Insoweit haben der Prozessbevollmächtigte und der Kläger zu 1. im Verhandlungstermin glaubhaft versichert, dass spezielle Buchführungskenntnisse im Ausbildungsberuf der xxx bzw. xxx nicht vermittelt werden. Derartige Kenntnisse werden üblicherweise erst in Berufsausbildungsgängen vermittelt, die das Ziel einer späteren selbstständigen Tätigkeit haben (etwa in Berufen, die einen Meistertitel voraussetzen). Insoweit spricht viel für die von den Klägern vertretene Auffassung, dass auch diese Kosten als Betriebsausgaben ansatzfähig sind.

Auf die schließlich von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen einer Ungenauigkeit des Ablehnungsbescheides vom 02.09.2013 wegen der unrichtigen Datumsangabe „28.02.2013“ und der Versagung von Leistungen an den Kläger zu 1. wegen eines Mitwirkungsverstoßes kommt es nach Auffassung des Gerichtes nicht mehr an, da das Gericht ohnehin von einer Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides vom 02.09.2013 aus den oben ausgeführten Gründen ausgeht und deshalb eine Verurteilung zur Neubescheidung vorgenommen hat.

Ebenfalls als „obiter dictum“ weist das Gericht allerdings noch darauf hin, dass die Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung zur Einholung des Ergebnisses eines amtsärztlichen Gutachtens durch den Beklagten eine unzumutbare Pflicht für den Kläger zu 1. darstellen dürfte. Insoweit ist dem Gericht keine dem Datenschutz gegenüber vorrangige Rechtspflicht bekannt, nach der der Kläger verpflichtet wäre, eine Schweigepflichtentbindungserklärung zu erteilen. Insoweit hätte für den Beklagten durchaus auch die Möglichkeit bestanden, ein eigenes Gutachten zur Erwerbsfähigkeit des Klägers zu 1. in Auftrag zu geben, sofern in dieser Hinsicht Zweifel bestanden hätten.

Nach alledem war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Kläger zum einen nur eine Neubescheidung ihres Leistungsantrages und keine vollständige Leistungsgewährung erreicht haben und zum anderen durch die Umstellung des Klageantrages im mündlichen Verhandlungstermin vom 18.06.2018 eine konkludente Teilklagerücknahme erfolgt ist, erscheint dem Gericht eine Kostenquote von 2/3 angemessen.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.