1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12.04.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Beschl. v. 12.04.2018, Az.: B 14 SF 1/18 R
Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten bei einem Streit um Zahlung einer Kautionsforderung aus einer Bürgschaft des Jobcenters gegenüber dem Vermieter eines Empfängers von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
weiter: www.jurion.de
S. a. dazu Uwe Berlit in der info also 4/2018:
Rechtsweg für Klage auf Bürgschaftserklärung des Leistungsträgers für mietvertragliche Forderungen
(§ 22 Abs. 6 SGB II; § 13 GVG; § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG; §§ 768 ff. BGB) – Beschluss vom 12.4.2018 – B 14 SF 1/18 R
Der Leistungsträger hatte gegenüber einer Vermieterin eine (selbstschuldnerische) Bürgschaftserklärung für eine Kautionsforderung aus dem Mietvertrag der Leistungsberechtigten abgegeben und dabei klargestellt, dass mit dieser Bürgschaft dem Mietvertrag nicht als Partei beigetreten werde. Für Klagen aus dieser Bürgschaftserklärung ist nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, (allein) der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die eigenständige bürgerlich-rechtliche Erklärung des Leistungsträgers und die durch sie gegenüber der Vermieterin begründete selbstständige eigene Bürgschaftsschuld sind rechtlich von dem Sozialrechtsverhältnis zwischen Beklagtem und Leistungsberechtigtem gelöst. Das BSG entscheidet wegen der rechtlichen Eigenständigkeit der Bürgschaft nicht über die Rechtswegzuständigkeit für Rechtsstreite zwischen Vermietern und Jobcentern, denen Kostenübemahmeerklärungen oder Direktzahlungen nach § 22 Abs. 7 SGB II zugrunde liegen.
Quelle: info also 4/2018: www.info-also.nomos.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 07.06.2018 – L 10 AS 360/16 – rechtskräftig
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Erstattung von Kosten im Vorverfahren – Freistellungsanspruch – Verjährung – dieselbe Angelegenheit – innerer Zusammenhang
Leitsatz (Juris)
1. Die Behörde kann einem Kostenfreistellungsanspruch eines Prozessbevollmächtigten nicht entgegenhalten, dass der Mandant ihm gegenüber die Einrede der Verjährung hätte erheben müssen.
2. Bei Tätigwerden eines Rechtsanwalts in zwei sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren, die zum einen die Aufhebung der Leistung und zum anderen die Ablehnung der Weiterbewilligung für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum betreffen, können zwei Angelegenheiten iSv § 15 Abs 2 RVG vorliegen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.08.2018 – L 18 AS 267/18
Regelbedarf für alleinstehende Leistungsberechtigte.
Orientierungssatz (Redakteur)
Regelbedarfe für alleinstehende Leistungsberechtigte 2016 und 2017 sind verfassungsgemäß (vgl. zum Ganzen auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. August 2017 – L 11 AS 529/17 NZB).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.09.2018 – L 31 AS 1548/18 B ER – rechtskräftig
Die Tilgung des Kredites ist im Verhältnis zur Deckung des Lebensunterhalts nachrangig.
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Einnahmen eines Selbstständigen sind selbstverständlich zur Deckung des Lebensunterhalts zu verwenden und nicht zur Tilgung eines Bankkredites. Denn es ist nicht die staatliche Gemeinschaft, die mit Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Schulden des Antragstellers bei der Bank einstehen muss.
2. Sollte der Antragsteller tatsächlich nicht in der Lage sein, seinen Kontokorrentkredit aus seinem Autohandel zurückzuzahlen, so bleibt ihm das Mittel der (Privat-)Insolvenz, mit der Folge, dass das betroffene Kreditinstitut die gewährten Kreditmittel vermutlich „abschreiben“ kann. Eine Tilgung dieser Kreditmittel durch die Staatskasse durch Übernahme der laufenden Lebensunterhaltskosten der Antragsteller kommt nicht in Betracht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.09.2018 – L 34 AS 1650/18 B ER – rechtskräftig
Leistungsversagen wegen fehlender Mitwirkung an der Klärung der Erwerbsfähigkeit durch eine (vermutlich) psychisch kranke Person – erforderliche Ermessenserwägungen
Eine Versagung existenzsichernder Leistungen (hier Arbeitslosengeld II) nach § 66 SGB I ist grundsätzlich möglich.
Orientierungssatz (Redakteur)
1.In Fällen, in denen wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung möglicher Erwerbsunfähigkeit infolge einer vermuteten psychischen Erkrankung eine vollständige Leistungsversagung erfolgen soll, müssen die Ermessenserwägungen darauf eingehen, warum in diesem Fall eine vollständige Versagung des Existenzminimums angemessen und verhältnismäßig ist (so auch schon: BayLSG, Beschluss vom 31.08.2012 – L 7 AS 601/12 B ER), hier nicht geschehen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Bayreuth, Beschluss vom 25. September 2018 (Az.: S 17 AS 567/18 ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Wenn eine Eingliederungsvereinbarung (EGV – § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB II) wirksam abgeschlossen worden ist, dann kann das Jobcenter diesen öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht durch einen einseitigen Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakt (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II) ohne eine vorherige Kündigung ersetzen.
2. Bis zu einer konsensualen Abänderung oder einer Aufkündigung einer EGV sind sämtliche Beteiligten an diesen öffentlich-rechtlichen Vertrag gebunden.
3. Die Verweigerung der Erfüllung von Obliegenheiten aus einer EGV setzt eine aus der Sicht des Leistungsberechtigten hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X festgelegte Pflicht voraus.
4. Unklarheiten gehen hierbei stets zu Lasten des für die Sanktionsentscheidung zuständigen SGB II-Trägers.
5. Eine Formulierung von Bewerbungspflichten bedarf auch einer Regelung, wann diese Eigenbemühungen vom Leistungsbezieher nachgewiesen werden müssen.
6. Bedingt durch das Fehlen von Vorlageterminen in der EGV unter Berücksichtigung der Einlassung des Antragstellers, dass er eine ausreichende Anzahl von Bewerbungen unternommen hätte, und im weiteren Hinblick darauf, dass die EGV auf Initiative des SGB II-Trägers fortgeschrieben werden sollte, ohne dass hierbei das formal korrekte Vorgehen (Kündigung der früheren EGV nach nochmaliger Aufforderung des Antragstellers zur Einreichung der unterschriebenen neuen Vereinbarung) durch das Jobcenter eingehalten wurde, kann nicht von einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung des Antragstellers nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ausgegangen werden.
3.2 – Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 1. Oktober 2018 (Az.: S 123 AS 9514/18 ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Zur Unrichtigkeit im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG einer von einem Jobcenter einem Aufhebungsbescheid angefügten Rechtsbehelfsbelehrung.
2. Ein Jobcenter hat hier den Adressaten auch über die in § 84 SGG 2018 geregelte elektronische Form entsprechend § 36a Abs. 2 SGB I zu belehren, wenn der SGB II-Träger mit seinem elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet hat (§ 36a Abs. 1 SGB I).
Quelle: RA Kay Füßlein, Berlin: Die Rechtsbehelfsbelehrung der JobCenter nach dem 01.01.2018: www.ra-fuesslein.de
3.3 – SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2018 – S 11 AS 1811/17 (rechtskräftig)
Verletzung der Mitwirkungspflicht im sozialgerichtlichen Verfahren kann sich für Kläger nachteilig auswirken.
Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
4.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.4.2017 — L 3 AL 11/15
Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Bundesfreiwilligendienst
Leitsatz (der Redaktion):
Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes bleiben Zeiten des Bundesfreiwilligendienstes gern § 150 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III auch außer Betracht, wenn gleichzeitig beitragspflichtiges Arbeitseinkommen (hier: nach § 344 Abs. 2 SGB III) erzielt wird.
Quelle: info also 4/2018
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.08.2018 – L 23 SO 286/16
Arbeitsförderungsgeld gehört nicht zum Entgelt i.S.d. § 82 Abs 3 S 2 SGB 12
Klarstellung zu L 23 SO 1094/05, Urteil vom 28. September 2006
Berechnung des Sozialhilfebedarfs eines in einer Werkstätte für behinderte Menschen beschäftigten Hilfebedürftigen |
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das AFÖG, das die Werkstätten gem. § 43 Satz 1 SGB IX von den Rehabilitationsträgern erhalten, gehört nicht zum Entgelt in Sinne des § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII (SG Aachen, Urt. v. 19.05.2015 – S 20 SO 36/15: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 29.07.2014 – L 8 SO 212/11; Thüringer Landessozialgericht, Urteil v. 9. September 2015, L 8 SO 273/13).
2. Das AFÖG zählt nicht zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 138 Abs. 2 SGB IX (Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes zzgl. eines leistungsangemessenen Steigerungsbetrages), sondern wird vielmehr gemäß § 43 SGB IX vom zuständigen Rehabilitationsträger an die Werkstatt gezahlt und von dieser als besonderer Lohnanreiz nur an den Beschäftigten durchgereicht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
6. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Asylrecht
6.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 17.09.2018 – L 8 AY 13/18 B ER
Eine Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG setzt ein pflichtwidriges Verhalten des Leistungsberechtigten voraus.
Orientierungssatz (Redakteur)
Der Senat hält eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis: Leitsatz Juris
Leistungsverkürzung erfordert konkretes Fehlverhalten des Leistungsberechtigten
1. § 1a AsylbLG ist mit Blick auf das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG restriktiv auszulegen.
2. Sofern § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG dem Wortlaut nach für die Anspruchseinschränkung nur auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenkreis abstellt, ist dies verfassungsrechtlich bedenklich.
3. Auch für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG ist daher im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.
4. Ein vorwerfbares pflichtwidriges Verhalten kann auch im Verweilen im Bundesgebiet liegen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Leistungsberechtigte bereits Kenntnis von dem ihm in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat iSd § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG gewährten internationalen Schutz oder Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen hat.
5. Erlangt der Leistungsberechtigte diese Kenntnis erstmals durch einen ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), mit dem er zur Ausreise aufgefordert wird, kann dem Leistungsberechtigten wegen der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Gewährung effektiven Rechtsschutzes erst ab der Bestandskraft des Bescheides bzw. – im Falle der Einlegung eines Rechtsmittels – ab dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens ein pflichtwidriges Fehlverhalten vorgeworfen werden.
6.2 – SG Berlin, Beschluss v. 26.06.2018 – S 95 AY 91/18 ER
Auszubildende haben neben Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) grundsätzlich keinen ergänzenden Sozialhilfeanspruch. Ein Auszubildender könne sich durch die Untervermietung seiner Couch oder des Balkons Geld hinzuverdienen. Das reiche dann für eine angemessene Lebensführung, so das Sozialgericht (SG) Berlin (Beschl. v. 26.06.2018, Az. S 95 AY 91/18 ER).
Hinzuverdienen- auch ohne Arbeitserlaubnis?
Das SG Berlin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung allerdings abgelehnt. Neben den Leistungen nach dem BaföG stünden Auszubildenden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) XII grundsätzlich keine ergänzenden Sozialansprüche zu. Der Ausnahmetatbestand für einen atypischen besonderen Härtefall liege nicht vor, entschied die Kammer.
Der Gesetzgeber habe bewusst die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung getrennt. Deswegen seien wirtschaftliche Gründe – insbesondere mangels ergänzendem Sozialleistungsbezug – gerade nicht geeignet einen besonderen Härtefall nach §§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu begründen.
weiter: www.lto.de
7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
7.1 – BVerfG, 22.08.2018 – 2 BvR 2647/17
Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 19 Abs 4 GG) durch Versagung von PKH für asylrechtliche Aufstockungsklage – keine Berücksichtigung von Änderungen bzgl der Erfolgsaussichten nach Bewilligungsreife des PKH-Antrags zu Lasten des Antragstellers – unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe für PKH-Bewilligung einerseits und Hauptsache andererseits – Gegenstandswertfestsetzung
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit durch Versagung von Prozesskostenhilfe für asylrechtliche Aufstockungsklage
Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker